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US-Drohnen treffen gelegentlich auch unschuldige Menschen, wie der nachfolgende Bericht zeigt. Foto: Bobbi Zapka/US-gov./Wikipedia

May God bless and protect you and your family…

Von Jens Washausen, GEOS Germany Bonn

Im Krisenmanagement-Portfolio von Unternehmens spielen Erpressungen und Entführungen eigentlich eine zweitrangige Rolle. Aber diese Themen sind omnipräsent. Warum?

 

Weil uns die Dramatik der politischen Entwicklungen auf diesem Planeten nicht los lässt. So hätten wir in diesen Tagen Anlass gehabt, den Jahrestag der Unterzeichnung des KSZE-Abkommens in Helsinki zu feiern. Ein Prozess, der uns als Deutschen die nationale Einheit ermöglicht hat.

Aber niemandem ist zum Feiern zu Mute. Europa hat mit sich selbst und der Stabilität der Finanzsysteme zu tun, die großen Hoffnungen einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit Russland sind einer Eiszeit gewichen, weltweit sind Millionen Menschen auf der Flucht, und es ist kein wirklich guter Plan zur Eindämmung des Vormarsches des IS in Zentralasien und Afrika in Sicht. Der IS steht vor der Haustür des nordatlantischen Bündnisses, die pakistanischen Taliban und die Al Qaida sortieren sich neu.

Für die Sicherheitssysteme unserer Gesellschaft und für unseren Alltag hat das Konsequenzen. Und für mich?

Ich will Ihnen dazu eine Geschichte erzählen:

Vor vielen Monaten ist unser Unternehmen in den komplizierten Fall einer Entführung in Zentralasien eingeschaltet worden. Zwei Männer waren entführt worden, zwei Männer, die unter schwierigen Bedingungen weit weg von zu Hause und den Familien einen nicht leichten Job machten. Es gab kein Bekennerschreiben, keine Nachrichten, keine Forderungen … einfach nichts.

Die Menschen leben in einem gefährlichen Land. © Bild: Archiv VerfasserWir haben angefangen, ganz vorsichtig unsere Verbindungen in einem Land auszubauen, dass als sehr gefährlich gilt. Aber was heißt das schon – gefährlich? Als  ich dort war, traf ich Kollegen der entführten Männer, Mitarbeiter unserer diplomatischen Vertretung, ich traf viele ganz normale, ehrliche Leute und honorige Persönlichkeiten. Menschen, die dort leben und arbeiten, die dort zu Hause sind … in einem gefährlichen Land. Wenn man dort ist, ist es anders, als wenn man von zu Hause aus auf diese Verhältnisse schaut. Aber es stimmt nicht, es ist genau so, wie wir es in unseren täglichen Nachrichten gezeigt bekommen.

Und so war es auch in meiner Geschichte.

Nach einigen Wochen war es uns gelungen, vor Ort einige Kommunikationskanäle zu etablieren, mit dem Ziel, irgendwie mit den Entführern oder ihren Sympathisanten in Kontakt zu kommen. Das Vorgehen war sehr eng mit unseren Sicherheitsbehörden abgestimmt. Es war davon auszugehen, dass ich bei meinen Aufenthalten in dem Land unter Beobachtung stand. Ein Land, in dem nicht ganz klar ist, wer von den Playern welche Interessen offiziell und welche inoffiziell verfolgt. Zentralregierung, Militär, Nachrichtendienst, lokale „Fürsten“ usw.

Auch deshalb dauerte es noch mehrere Monate, bis wir Signale bekommen haben, die uns die Aussage erlaubten, vermutlich mit den richtigen Leuten in Kontakt zu sein.

 

Lebt die Geisel noch?

Wer sich ein wenig auskennt mit dem taktischen Vorgehen bei Entführungen, der weiß, worum es nun geht: Wir brauchen einen Proof of Life (PoL). Ohne den geht nichts. Denn nur, wenn klar ist, dass die Gegenseite wirklich der „Eigentümer“ der Geisel ist und die Geisel lebt, macht es Sinn, zu verhandeln.

Ich hatte inzwischen einen sehr vertrauten und persönlichen Kontakt mit einem Mann, dem ich auch im Nachhinein zu großem Dank verpflichtet bin und dem ich großen Respekt zolle. Er ist ein erfolgreicher und bestens vernetzter Unternehmer. Er hat viele seiner Vorhaben und Unternehmungen einstellen müssen, weil extremistische Gruppen sein Heimatland destabilisiert und mit Terror überzogen haben. Aus zutiefst humanistischer Überzeugung hatte er mir in die Hand versprochen, uns zu helfen. 

In dieser Phase unseres Krisenmanagements beschäftigte uns eine Frage: Besteht die Gefahr, dass extremistische Gruppen hinter der Entführung stehen oder dass die Tat durch eine kriminelle Gruppe begangen wurde, die Geschäfte im Umfeld solcher Gruppen macht? 

Die Konsequenzen der Antworten liegen auf der Hand: Wenn wir Erkenntnisse darüber gewinnen sollten, dass wir es mit Terroristen zu tun haben, ist eine Verhandlungslösung, an deren Ende eine Lösegeldzahlung steht, nicht möglich. Dann brauchen wir einen anderen Weg. Diese Problemstellung haben wir mit unserer Mandantin, auch mit Vertretern unserer Sicherheitsbehörden, erörtert. Am Ende der Diskussion stand immer die Frage: Und was machen wir, wenn dieser Fall eintritt? Fahren wir dann alle nach Hause und klappen den Aktenordner zu? Oder gibt es noch eine andere Option? Was wird mit den Männern?

 

Ein hilfreicher Kommunikationskanal

Die Lösung für diese Zwickmühle war unser „Kommunikationskanal“. Wir hatten von Anfang an darauf gesetzt, nicht mit den Entführern – wer immer sie sein mögen – zu verhandeln, sondern mit „Brokern“. Der Abstand zur Gegenseite war auch zu unserer eigenen Sicherheit erforderlich. Aber es stellte sich heraus, dass dieser Weg sehr langwierig und schwierig ist. Und es gab bittere Rückschläge.

Mein Freund, nennen wir ihn „Channel X“, sandte mir, ich war gerade im Land, folgende Nachricht:

„May God Bless and Protect you and your family.

I learnt with immense sadness today about the murder of my very close friend …Chief of …Malik... along with his driver and bodyguard in … This really is a great tragedy because Malik ... was a great believer in peace and had greatly helped our work to look after the poorest of the poor in …

The saddest thing is that Malik … had gone to this area for our project. I am by the Grace of God more determined than ever in my life to finish this project in his memory….“

Malik, getötet bei einem blutigen Attentat auf ihn und seine Männer © Bild: VerfasserNach wie vor denke ich mit großer Traurigkeit und mit Entsetzen an den Moment zurück, als ich diese Nachricht erhielt. Dieser Mann hatte versucht, uns zu helfen, aus ehrlichen, humanitären Motiven. Er und seine Bewacher sind auf einer einsamen Landstraße kaltblütig getötet worden. Aber so etwas passiert in diesem Land jeden Tag irgendwo. Am darauf folgenden Tag konnte ich es in der Zeitung lesen. Waren Malik und seine Männer ausschließlich in unserer Mission in dieser gefährlichen Gegend unterwegs? Wir wissen es nicht.
Sollten wir unsere Mission abbrechen, weil es zu gefährlich wurde? Diese Option gab es nicht wirklich. Aber wir legten im Krisenstab fortan noch mehr Augenmerk auf alle Sicherheitsfragen, insbesondere die Geheimhaltung.

Viele Monate später ist es gelungen, einen der beiden Männer frei zu bekommen. Auf dem Wege dahin sind in den Verhandlungen viele taktische Schritte gegangen worden. Aus anderen Fällen in diesem Land wussten wir, dass es oft um indiskutable politische Forderungen und um immense Lösegelder ging. Wir haben einen anderen Weg gesucht.

Einige Wochen nach seiner Rückkehr hatte ich die Gelegenheit, das sogenannte „Debriefing“ mit der freigelassenen Geisel durchzuführen und mir seine Geschichte, seine Erinnerungen anzuhören. Er wird für sein Leben gezeichnet sein. Nicht körperlich – er wurde nicht gequält oder misshandelt – aber in seiner Seele.

Die involvierten Sicherheitsbehörden, der Arbeitgeber und wir haben in den folgenden Monaten große Anstrengungen unternommen, die zweite Geisel frei zu bekommen. Wir mussten erkennen, dass sich die anfänglichen Hoffnungen, dieses Ziel über den ersten Verhandlungskanal zu erreichen, vergeblich waren. Was war passiert? Hatten die Verhandlungspartner kein Vertrauen mehr? War der zweite Mann nicht mehr am Leben? Oder waren sie getrennt worden?

Viele Monate später sollten wir auf unerwartete Weise Gewissheit über den Lauf der Dinge bekommen. Am 23. April 2015 Jahres berichtete der britische Guardian ausführlich über ein Statement des amerikanischen Präsidenten.

Zwei Geiseln, die sich offenbar in den Händen der Al Qaida befunden hatten, waren bei einem Antiterroreinsatz durch die Rakete einer Drohne getötet worden.

Präsident Obama brachte sehr viel persönliche Empathie zum Ausdruck und stellte die Tragik des Todes zweier unschuldiger Männer mit bewegenden Worten dar:

„It is a cruel and bitter truth that in the fog of war generally and our fight against terrorists specifically, mistakes -- sometimes deadly mistakes -- can occur.  But one of the things that sets America apart from many other nations, one of the things that makes us exceptional is our willingness to confront squarely our imperfections and to learn from our mistakes. 

Already, I have directed a full review of what happened.  We will identify the lessons that can be learned from this tragedy, and any changes that should be made.  We will do our utmost to ensure it is not repeated.  And we will continue to do everything we can to prevent the loss of innocent lives -- not just innocent Americans, but all innocent lives in our counterterrorism operations. …“

(Statement des amerikanischen Präsidenten B. Obama, Quelle: The Guardian, 23. April 2015)

 Zwei Männer getötet durch eine amerikanische Drohne. Einer von ihnen war unsere  Geisel, um die wir so verbissen gekämpft hatten, der andere ein Studienkamerad und guter Freund meines Kontaktes in Asien.

 

Warum aber tritt der amerikanische Präsident drei Monate nach einem Drohnenangriff mit einer Erklärung vor die Kameras?

Wir haben keine plausible Antwort auf diese Frage gefunden. Und eigentlich will auch niemand darüber reden.

In der Aufarbeitung des Falles geht es vielmehr um die moralischen Themen, die hinter unserem taktischen Vorgehen zur Lösung von Entführungsfällen stehen.

Egal, was uns Entführer für Ziele und Motive suggerieren: Fast immer geht es am Ende um ein Geschäft Geld gegen Leben. Gewalttäter und gewissenlose Verbrecher sind sie alle. Aber der IS, Al Qaida und Co. nutzen das Geld für die Erreichung ihre fundamentalistischen, religiösen Ziele. Für die Finanzierung von Waffenkäufen, für den Kampf gegen Andersgläubige, für die Manipulierung und politische Hirnwäsche von hunderttausenden Menschen, für die Bekämpfung demokratischer Systeme nach westlichem Muster.

Wie also sieht es in Fällen aus, in denen einiges dafür spricht, dass die Täter solchen politischen Gruppen zuzurechnen sind? In vielen der aktuellen Kidnap-Hotspots (Jemen, Nigeria, Pakistan, Afghanistan, Syrien, Irak, Libyen, Algerien, u.a.) muss man davon ausgehen, dass die Masse der Entführungen der Finanzierung solcher Leute dient, von diesen ausgeführt wird oder in ihrem Auftrag erfolgt. Auch, wenn es hier am Ende immer „nur“ um Geld geht, sind die juristischen und moralischen Probleme in besonderer Weise präsent.

Lösegeldzahlungen an extremistische und terroristische Gruppen sind deshalb verboten. Das ist fast in allen Ländern so. In der Europäischen Union, den USA und auch in Pakistan.

Wenn wir ein weiteres Voranschreiten von extremistischen und terroristischen Bewegungen nicht zulassen wollen, dürfen wir nicht nur in unseren politischen und militärischen Anstrengungen nicht nachlassen. Wir brauchen auch eine andere Einstellung zur Lösung von Entführungsfällen. Dies wird in unserer exportorientierten Industrie nicht ausreichend thematisiert.

Wo muss der Weg meiner Überzeugung nach hinführen? Ich bin überzeugt, wir müssen die Diskussion über eine No-Ransom-Policy wagen. Wir müssen zurück zu der Grundeinstellung, die es nach München 1972 und nach Mogadischu in diesem Land einmal gab: Wir lassen uns nicht von Terroristen erpressen. Wir zahlen nicht an Terroristen. Der Weg dahin zurück ist aber sehr schwer.

Was wir nun eigentlich suchen, sind mutige Politiker, die sich trauen, diese Diskussion in der Öffentlichkeit zu führen.

Eine abschließende Bemerkung sei erlaubt: Die so genannten K&R-Policen (sog. Entführungsversicherung)der Spezialversicherer sind wichtige und sinnvolle Bestandteile des Risikomanagements unserer Unternehmen. Sie sind nach wie vor sinnvoll. Aber die Tatsache, dass das BAFin diese Versicherungsprodukte zugelassen hat, sollte nicht als Begründung missbraucht werden, um sich vor dem moralischen Disput zu drücken, der vor einer Zahlung von Lösegeld stehen muss.

 

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