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Am Ostersonntag des Jahres 2000 kamen die schwerbewaffneten und vermummten Kidnapper mit Schnellbooten übers Wasser, um ein idyllisches Urlaubshotel auf der malayischen Insel Sipadan vor der Ostküste Borneos zu stürmen. 22 Touristen und Hotelangestellte brachten die Angreifer und ihr Anführer Ghalib Andang in ihre Gewalt, um sie über die Sulusee auf die philippinische Insel Jolo zu entführen. Unter den Verschleppten befand sich auch eine Familie aus Göttingen: Renate und Werner Wallert mit Sohn Marc. Nach zwölf Wochen kamen Renate, nach 127 Tagen der Ehemann und nach weiteren zwei Wochen Sohn Marc frei. Das Ereignis sorgte lange Zeit für Schlagzeilen, während im Hintergrund die Bundesregierung und ihr Krisenstab sich um die Freilassung der deutschen Staatsbürger bemühte. Entführungen deutscher Staatsbürger sind in der heutigen Zeit nicht so selten, und Befreiungsaktionen kosten eine Menge Geld. Doch wer begleicht am Ende die Rechnung? Welche Rechtsansprüche haben betroffene Bundesbürger? Der Autor unserer Titelgeschichte gibt eine Antwort auf diese Fragen; er hat zu diesem Thema eine Doktorarbeit geschrieben und als Buch veröffentlicht.
Red.

Das Bild zeigt Werner (l), Marc und Renate Wallert in der Geiselhaft der militanten Moslemgruppe Abu Sayyaf auf der philippinischen Insel Jolo. Elf Wochen nach seiner Entführung auf die südphilippinische Insel Jolo ist das Göttinger Ehepaar Wallert nervlich offenbar am Ende und hat in einem verzweifelten Brief um Freilassung gefleht. „Ich flehe Sie an, alles zu unternehmen, damit meine Frau und vielleicht auch ich frei gelassen werden“, heißt es in dem am 09.07.2000 bekannt gewordenen Schreiben Werner Wallerts an den philippinischen Präsidenten Joseph Estrada. Foto: dpa

Kein Anspruch auf Lösegeldzahlung

Die rechtliche Bewertung der Folgen von Entführungen im Ausland

Von Dr. Christian Kokew

In der heutigen Zeit haben Staatsgrenzen und Entfernungen für die allermeisten Deutschen ihre Bedeutung verloren. Schon lange gehören Fernreisen zu den exotischsten Zielen zum Standardangebot der Tourismusindustrie. Die günstigen Verkehrsentwicklungen haben zudem das Angebot des „Urlaubsalltags“ erheblich verändert. Viele Reisende nehmen Abstand von Pauschalurlaub mit Strand, Hotel und Halbpension und erkunden in ihrer arbeitsfreien Zeit bevorzugt fremde Länder mit dem Ziel, ihren Wissensdurst zu stillen.

 

Andere wiederum wünschen sich ihren Urlaub als große Abenteuerreise, sei es in Form einer Motorradtour durch die Sahara, einer Rucksacktour durch den kolumbianischen Dschungel oder einer Fahrt durch den Jemen. Die Abenteuerlust der Deutschen macht schließlich auch vor aktuellen Kriegsschauplätzen nicht halt. Obwohl zum Beispiel gegenwärtig der Irak als eine der gefährlichsten Regionen der Welt gilt, zieht es viele deutsche Staatsbürger in das kriegsgebeutelte Land.

Ferner führt die fortschreitende Globalisierung die wirtschaftliche Betätigung der Deutschen immer weiter über die Grenzen des Heimatstaates hinweg. Wirtschaftlichen Erfolg versprechen dabei Länder, die infolge eines Krieges oder bürgerkriegsähnlicher Zustände über keine funktionierende Wirtschaft mehr verfügen und daher auf fremde „Hilfe“ angewiesen sind. Gefahren werden dabei aufgrund der ausgezeichneten Wirtschaftsprognosen billigend in Kauf genommen.

Infolge der zunehmenden Reise- und Geschäftstätigkeit im Ausland, steigt zwangsläufig auch die Wahrscheinlichkeit, dass deutsche Staatsbürger im Ausland Opfer von Überfällen, Naturkatastrophen und ähnlichen Ereignissen werden. Seit einigen Jahren sehen sich Deutsche in bestimmten Regionen der Welt einer weiteren Gefahr ausgesetzt: Sie werden immer häufiger Opfer von Entführungsfällen. Entführungen von Deutschen im Ausland haben in einem Maße zugenommen, dass Meldungen über Entführungen in der Tagespresse für keine große Überraschung mehr sorgen. Während die Entführung der Familie Wallert aus Göttingen im Jahre 2000 für mehrere Tage die Schlagzeilen dominierte, werden in der heutigen Zeit Meldungen über Entführungen mit leicht gelangweiltem Blick zur Kenntnis genommen. Entführungen ereignen sich überall auf der Welt, besonders häufig aber in Süd- und Mittelamerika, in Nigeria, im Irak und in Afghanistan. Experten und Medien sprechen deswegen bereits von einer regelrechten „Entführungsindustrie“ (vgl. „Knarre am Kopf“, in: SPIEGEL ONLINE v. 09.10.2010 (www.spiegel.de); „Die Entführungsindustrie am Hindukusch“, in: WELT-ONLINE v. 21.12.2007 (www.welt.de); „SUSANNE OSTHOFF“„Sie hat Fehler gemacht“, in: FAZ.NET v. 29.01.2006 (www.faz.net ).

Im Rahmen des nachfolgenden Beitrages wird auf wesentliche Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit der Entführung deutscher Staatsangehöriger im Ausland stellen, eingegangen: So wird zunächst zur grundliegenden Frage Stellung genommen, ob ein im Ausland entführter Deutscher von der deutschen Staatsgewalt Hilfe oder sogar die von den Entführern in den überwiegenden Fällen geforderte Lösegeldzahlung verlangen kann (nachfolgend Ziffer 1.). Weiter wird dargestellt, mit welchen Mitteln die Bundesrepublik Deutschland ihre Angehörigen aus einer Geiselhaft im Ausland befreien kann (nachfolgend Ziffer 2.). Abschließend wird dargestellt, inwieweit ehemalige Entführungsopfer die Kosten ihrer Rettung selbst tragen müssen (nachfolgend Ziffer 3.).

 

1. Anspruch auf Hilfe

Ein im Ausland entführter deutscher Staatsangehöriger kann von der deutschen Staatsgewalt Hilfe verlangen. Ein entsprechender Anspruch lässt sich zum einen aus einigen Regelungen des Konsulargesetzes („KonsG“) ableiten (dort: § 1 2. Spiegelstrich KonsG und - unter bestimmten Voraussetzungen - § 6 Abs. 1 Satz 1 KonsG sowie - nach anderer Meinung - § 5 Abs. 1 S. 1 KonsG). Grundlagen für einen Anspruch auf Hilfe stellen zum anderen die verfassungsrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz („GG“) i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG (i. V. m. Art. 25 Satz 1 GG) sowie das verfassungsrechtliche Schutz-Treue-Verhältnis dar.

Für einen im Ausland entführten deutschen Staatsangehörigen (sowie für dessen Angehörigen) wird sich aber vor allem die Frage stellen, ob die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Lösegeld verpflichtet ist, wenn die Entführer diese Zahlung fordern und im Falle der Weigerung mit der Ermordung ihrer Geisel drohen. Ein solcher Anspruch hätte aus praktischen und rechtlichen Gründen gravierende Folgen für die Bundesrepublik Deutschland, weil sie sich kraft Gesetzes erpressbar machen müsste.

Weiter wären die allgemeinen Interessen der Bundesrepublik Deutschland extrem gefährdet, wenn die Exekutive die Forderungen der Entführer erfüllen müsste. Der Staat würde damit stillschweigend deutsche Staatsbürger im Ausland zu „Freiwild“ für Terroristen erklären und die Gefahr weiterer Entführungen erheblich erhöhen, weil die Reaktion des Staates von vornherein kalkulierbar wäre und aus Tätersicht einen Anreiz für die nächste Entführung liefern würde. Das Grundgesetz begründet allerdings eine Schutzpflicht gegenüber der Gesamtheit aller deutschen Staatsbürger (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77). Die auswärtige Gewalt würde diese Schutzpflicht verletzen, wenn es auf die Forderungen der Entführer stets eingehen müsste. Denn in diesem Fall wäre die Reaktion des Staates für Entführer absehbar. Der Staat würde damit den effektiven Schutz seiner Bürger unmöglich machen.

Die Rechtsprechung vertritt daher zu Recht die Auffassung, dass das Grundgesetz der Exekutive einen weiten Spielraum in der Einschätzung außenpolitisch erheblicher Sachverhalte sowie der Zweckmäßigkeit möglichen Verhaltens gewährt (vgl. BVerfG, Urt. v. 17.07.1984 – 2 BvE 13/83; BVerfGE 68, 1 (97); BVerwG, Beschl. v. 06.03.1997 – 3 B 178/96). Den zuständigen staatlichen Stellen steht daher grundsätzlich und besonders im Falle terroristischer Erpressungen ein weites Ermessen zu, auf welche Art und Weise sie einem entführten Deutschen Hilfe gewähren will (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77). Der Staat hat daher eine Maßnahme zu wählen, die Leib und Leben des Entführungsopfers schützt, ohne gleichzeitig dieselben Rechtsgüter weiterer deutschen Staatsbürger zu gefährden. Sollte die einzig mögliche Maßnahme eine Gefahr für die Allgemeinheit begründen, muss diese unterbleiben. Die staatlichen Stellen sind daher berechtigt, selbst erhebliche Verletzungen eines Staatsangehörigen im Ausland hinzunehmen, um höherwertige Interessen der Allgemeinheit zu schützen.

Auch das klassische Prinzip der Gewaltenteilung begründet für die Exekutive in Form der auswärtigen Gewalt bei der Realisierung ihrer außenpolitischen Ziele im Rahmen des Völker- und Verfassungsrechts einen weiten Verhandlungsspielraum, damit sie ihre jeweiligen politischen Ziele völker- und verfassungsrechtlich bewerten und die Interessen des Einzelnen gegen die Belange der Allgemeinheit abwägen kann. Das Interesse der Gesamtheit ist dabei von zahlreichen wirtschaftlichen, politischen und gegebenenfalls militärischen Gesichtspunkten mitbestimmt und muss daher im großen Rahmen der auswärtigen Beziehungen gesehen werden. Auch aus diesem Grund müssen die zuständigen staatlichen Stellen sogar die Ermordung eines Entführungsopfers hinnehmen, um die Gesamtheit der übrigen Bevölkerung und die internationalen Belange zu schützen.

Außerdem kann selbst ein in Deutschland entführter deutscher Staatsangehöriger keine Lösegeldzahlung oder eine konkrete Befreiungsmaßnahme verlangen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in der „Schleyer-Entscheidung“ vom 16.10.1977 festgestellt, dass die staatlichen Organe in eigener Verantwortung entscheiden müssen, wie sie die Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des Lebens erfüllen (BVerfG, Urt. v. 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77). Wenn aber ein Staatsbürger selbst im Inland keinen Anspruch auf eine konkrete Befreiungsmaßnahme, wie zum Beispiel eine Lösegeldzahlung, hat, darf bei ausländischen Sachverhalten mit den damit verbundenen zusätzlichen Schwierigkeiten erst recht nichts anderes gelten. Ein Anspruch auf Lösegeldzahlung scheidet daher richtigerweise aus.

 

2. Zulässigkeit von gewaltsamen Befreiungsoperationen im Ausland

Es stellt sich bei vielen Entführungsfällen die Frage, welche Möglichkeiten dem Auswärtigen Dienst bzw. der Bundesregierung zur Verfügung stehen, um einen im Ausland entführten Deutschen zu retten. Erfährt das Auswärtige Amt von der Entführung eines deutschen Staatsangehörigen im Ausland, so wird ein Krisenstab gebildet. Dieser versucht, die Entführer zur Freilassung der Geisel zu bewegen. Dieses Vorhaben wird leichter zu erreichen sein, wenn die Entführer „nur“ eine finanzielle Forderung stellen. In der Vergangenheit haben nicht staatliche Gruppen aber mehrmals versucht, mit der Entführung politische Ziele durchzusetzen; zum Beispiel haben Geiselnehmer in Afghanistan wiederholt mit der Ermordung ihrer Geiseln gedroht, falls die Bundesregierung nicht die damals noch dort stationierte Bundeswehr aus Afghanistan abkommandiert. Denkbar wäre auch, dass Terroristen mit der Entführung die Freilassung ihrer Gesinnungsgenossen aus deutschen Gefängnissen erpressen wollen. Da sich die verantwortlichen Stellen höchstwahrscheinlich nicht auf solche Forderungen einlassen werden, verbleiben der Exekutive in diesen Fallkonstellationen keine Handlungsalternativen. Scheitert der Versuch einer einvernehmlichen Lösung, kann die Rettung der Geisel nur auf einem Wege erreicht werden: Das Entführungsopfer muss gewaltsam befreit werden.

In der Regel werden die Einsatzkräfte des Aufenthaltsstaates eine Befreiungsoperation durchführen. Die Bundesrepublik muss allerdings unter bestimmten Umständen den Einsatz eigener Spezialkräfte erwägen. Ein Einsatz im Ausland kommt in Betracht, wenn die Einsatzkräfte des Aufenthaltsstaates nicht über ausreichende Erfahrung in Evakuierungsoperationen verfügen. Eine Evakuierungsoperation durch ein deutsches Spezialkommando ist zudem denkbar, wenn das Aufenthaltsland ein sogenannter „failing/failed state“, das heißt ein Staat ohne Staatsgewalt ist (wie zum Beispiel derzeit Somalia). Schließlich kommt eine Evakuierungsoperation durch deutsche Spezialkräfte in Betracht, wenn der Aufenthaltsstaat jegliche Hilfe und Kooperation ablehnt oder sogar mit den Geiselnehmern sympathisiert.

Die Bundesrepublik verfügt derzeit über zwei Einheiten, die auf Geiselbefreiungen im Ausland spezialisiert sind. Dies Die GSG 9 der Bundespolizei bei einer maritimen Übung © Bundespolizeisind die GSG 9 der Bundespolizei und die Kommandospezialkräfte der Bundeswehr (KSK). Sowohl die Bundeswehr als auch die GSG 9 sind in der Vergangenheit zum Schutze deutscher Staatsangehöriger im Ausland eingesetzt worden. Die GSG 9 hatte einen ihrer bisher größten Erfolge im Jahre 1977 mit der erfolgreichen Stürmung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ in Mogadischu. Der nächste bekannte Versuch einer Geiselbefreiung im Ausland durch Beamte der GSG 9 erfolgte im Jahre 2008: Nach der Entführung von neun Deutschen im ägyptisch- sudanesischen Grenzgebiet waren bereits 150 Beamte nach Ägypten verlegt worden. Die Entführung endete allerdings, noch ehe die Deutschen zum Einsatz kamen. Zuletzt sollte das Spezialkommando den Frachter „Hansa Stavanger“ und seine teils deutsche Besatzung vor der somalischen Küste aus der Gewalt ihrer Entführer befreien. Obwohl die GSG 9 bereits nach Somalia verlegt worden war, sah die Bundesregierung von einem Einsatz ab. Dieser Schritt wurde offiziell unter anderem mit erheblichen Risiken einer Befreiung eines Schiffes auf hoher See begründet.

Der erste bekannte unilaterale Einsatz der Bundeswehr zur Rettung deutscher Staatsangehöriger erfolgte im Jahre 1997. Im März 1997 brach in Albanien die staatliche Ordnung in Folge von Unruhen zusammen. Insbesondere in Soldaten des Kommandos Spezialkräfte sichern die Hubschrauberlandezone. © Bundeswehr/PIZ HeerTirana spitzte  sich die Lage zu. Infolge heftiger Kämpfe konnte der Flughafen von Tirana nicht mehr angeflogen werden. Das Leben der in Tirana verbliebenen deutschen Staatsbürger war akut gefährdet. Die Bundesregierung befahl am 13. März 1997 den Einsatz deutscher Streitkräfte zur Evakuierung ausländischer und deutscher Staatsangehöriger in Tirana. Fünf Hubschrauber der Bundeswehr landeten am gleichen Tage in Tirana und nahmen insgesamt 120 Menschen aus 22 Nationen an Bord (darunter 20 Deutsche).

Auch belgische Truppen im Kongo 1960, belgische und amerikanische Streitkräfte im Kongo 1964, amerikanische Einheiten anlässlich des Umsturzversuchs der Dominikanischen Republik 1995 und israelische Streitkräfte in Uganda im Jahre 1977 haben eigene Staatsangehörige aus dem Ausland evakuiert. Im Jahre 2009 hat ein britisches Spezialkommando im Irak einen britischen Staatsangehörigen aus der Gewalt seiner Geiselnehmer befreit. Deutsche Staatsangehörige wurden zudem durch den Truppeneinsatz anderer Staaten aus Liberia im Jahre 1990 und 1996, aus Ruanda und Jemen im Jahre 1994 sowie aus Sierra Leone im Jahre 1997 evakuiert.

In rechtlicher Hinsicht kann festgestellt werden, dass sowohl die GSG 9 als auch die KSK befugt sind, deutsche Geiseln im Ausland aus der Gewalt ihrer Entführer zu befreien. Während sich die Grundlage für einen Auslandseinsatz der GSG 9 auf § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Bundespolizei stützt, stellt nach zutreffender Ansicht Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG die Grundlage für einen Auslandseinsatz der KSK dar.

Die national gewährten Befugnisse zur Auslandsintervention werden allerdings durch das Völkerrecht beschränkt. Entgegen der zum Beispiel vom damaligen US-amerikanischen Präsidenten Carter gegenüber dem US-Kongress anlässlich der Teheraner Geiselfälle geäußerten Ansicht, kommen Auslandsinterventionen nur in zwei Fallgruppen in Betracht: Ein Einsatz der GSG 9 und der KSK zur Befreiung eines entführten Deutschen im Ausland ist danach zum einen zulässig, wenn der Aufenthaltsstaat entweder selbst um fremde Einsatzkräfte ersucht oder einem Ersuchen des Entsendestaates zustimmt bzw. einen Einsatz nachträglich genehmigt. Eine solche Zustimmung erhielt die Bundesregierung von der somalischen Regierung zur Erstürmung der LH-Maschine „Landshut“ in Mogadischu durch die GSG 9. Die Auslandsintervention war damit völkerrechtskonform. Entsprechendes gilt für die Rückkehr des Sonderflugzeuges auf dem Flughafen Köln/Bonn am 18.10.1977 mit Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski und der Einsatzgruppe GSG 9 des Bundesgrenzschutzes nach der geglückten Befreiung der Geiseln aus einem von Terroristen gekaperten Lufthansa-Flugzeug auf dem Flughafen Mogadischu (Somalia) © BundesarchivEvakuierungsoperationen ausländischer Staatsangehöriger aus der Demokratischen Republik Kongo 1964, Ruanda 1994 und Tirana 1997.

Befreiungsaktionen durch einen Einsatz der GSG 9 und der KSK können zum anderen dann im Einklang mit dem Völkerrecht durchgeführt werden, wenn die Intervention streng auf den Schutzzweck begrenzt, die fremde Staatsgewalt sich die Entführung zurechnen lassen muss und die Intervention nicht unverhältnismäßig nach Art und Ausmaß der geschützten Rechtsgüter des anderen Staates eingreift.

In allen anderen Fällen ist ein Auslandseinsatz der GSG 9 und der KSK somit völkerrechtswidrig.

 

3. Der Ersatzanspruch des Staates

Medienwirksam wurde in der Vergangenheit über die Frage diskutiert, ob die Bundesrepublik Deutschland nach einer Befreiung oder Freilassung einer Geisel die durch die Rettung entstanden Kosten sich von ihr erstatten lassen kann. So haben Politiker wiederholt gefordert, dass sich ehemalige Entführungsopfer an den Rettungskosten beteiligen müssen. Eine Kostenbeteiligung könnte für eine ehemalige Geisel enorme finanzielle Lasten bedeuten. Allein die Rettung der im Februar 2003 in Algerien entführten neun deutschen Staatsangehörigen soll die Bundesrepublik Deutschland EUR 20 Mio. gekostet haben. Die Bundesregierung beziffert die bloßen Flugkosten auf EUR 419.422,60.

Das Auswärtige Amt verlangt grundsätzlich von ehemaligen Geiseln eine Kostenbeteiligung. Die Praxis der Behörde ist jedoch uneinheitlich. Im Jahre 2003 wurde auf den Philippinen die deutsche Familie Wallert entführt. Das Auswärtige Amt stellt der Familie nach ihrer Freilassung einen Betrag in Höhe von EUR 6.590,00 in Rechnung (vgl. „Rechnung an Familie Wallert“, FOCUS-ONLINE v. 22.01.2001 (www.focus.de)). Die Rechnung umfasste rund EUR 2.500,00 für Frau Wallerts Krankenrückflug, Lebensmittel, Medikamente und Kleidung. Die Kosten wurden als „individuell zurechenbare Kosten“ bezeichnet. Der Rest wurde ganz allgemein als „Erstattung von Auslagen“ geltend gemacht. Bei den im Jahre 2003 in Algerien entführten Deutschen wurde ähnlich verfahren. Sie mussten zwischen EUR 1.092,00 und EUR 2.300,00 zahlen (vgl. „Vollkasko ins Abenteuer“, in: SPIEGEL-ONLINE v. 10.04.2006 (www.spiegel.de). Die Regierung begründet dies mit den hohen Gesamtkosten der Befreiung und verwies auf die öffentliche Kritik an der Gruppe, die  trotz der Warnhinweise in die Region gereist war. Die Bundesrepublik Deutschland stellte ihnen Kosten für Telekommunikation, Dienstfahrten und für den Rückflug in Rechnung. Der ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog und seiner Familie, überstanden Ende 2005 eine Entführung im Jemen. Nach der Freilassung wurden sie mit einer Challenger-Maschine der Lufthansa nach Hause geflogen. Obwohl die Flugkosten bei rund EUR 14.000,00 gelegen hatten, erhielt Herr Chrobog einen Kostenbescheid in Höhe von nur EUR 459,42. Das Auswärtige Amt begründete die anteilige Jürgen Chrobog, ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt Berechnung der Flugkosten damit, dass die Challenger ohnehin in Jemen gewesen sei. Die Summe von EUR 459,42 habe einem Flugticket der Economy-Klasse entsprochen. Die Rettung der im Jahre 2005 im Irak entführten Susanne Osthoff hatte für sie keine finanziellen Folgen. Das Auswärtige Amt verzichtete auf einen Kostenbescheid und begründete dies damit, dass Frau Osthoff zwar nach ihrer Freilassung nach Deutschland geflogen wurde, sie aber im Irak bleiben wollte und auf einen Flug auf Deutschland verzichtet hätte. „Individuell anrechenbare Kosten“ seien daher nicht entstanden.

Die Erstattung von Befreiungskosten beschäftigt seit der Rettung von Susanne Weigel auch erstmals die deutschen Gerichte. Im September 2003 entführte eine Gruppe der nationalen Befreiungsarmee die deutsche Staatsangehörige in Kolumbien. Nach mehreren Tagen und intensiven Bemühungen des Auswärtigen Amtes, der deutschen Botschaft in Bogotá, kolumbianischen Behörden und verschiedenen anderen Organisationen kam die Klägerin zusammen mit einem spanischen Staatsangehörigen frei. Beide wurden mit einem vom internationalen Komitee des Roten Kreuzes („IKRK“) geförderten Hubschrauber nach Bogotá geflogen. Von dort aus flog Frau Weigel mit einem von ihr selbst bezahlten Flugticket nach Deutschland weiter. Die Entführer hatten die Abholung der Geisel per Hubschrauber zur Bedingung der Freilassung gemacht. Das Auswärtige Amt hatte im Voraus die anteiligen Flugkosten in Höhe von EUR 12.640,00 bezahlt. Die Bundesrepublik Deutschland verlangte später durch Verwaltungsakt von Frau Weigel die Erstattung dieser Kosten. Tatsächlich beliefen sich die Gesamtbefreiungskosten auf EUR 39.000,00. Die gegen den Kostenbescheid gerichtete Klage hatte zunächst Erfolg. Das VG Berlin war der Ansicht, die Bundesrepublik dürfe für Befreiungen keine Kosten erheben, es fehle schlicht an einer Rechtsgrundlage (VG Berlin, Urteil vom 04.04.2006 – 14 A 12.04). Die zweite Instanz kam zu einer anderen Einschätzung. Nach Auffassung des OVG Berlin-Brandenburg biete das geltende Recht sehr wohl eine Grundlage für einen Kostenbescheid (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.02.2007 – 11 B 9.06). Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Auffassung des OVG Berlin-Brandenburg teilweise.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass der Bundesrepublik Deutschland ein Anspruch auf Erstattung der durch die Befreiung eines im Ausland entführten deutschen Staatsangehörigen gegen diesen zusteht. So ergibt sich ein Anspruch aus §§ 1, 2. Spiegelstrich, 25 KonsG i. V. m. §§ 1 Abs. 1, 7 Abs. 1 AKostG auf Erstattung dieser Kosten. Da die Gesamtkosten der Befreiung in der Regel die finanzielle Leistungsfähigkeit des Geretteten übersteigen werden, kann die zuständige Behörde die Ersatzpflicht entweder gem. § 10 Abs. 1, 2. Alt. AKostG oder nach § 19 AKostG i. V. m. § 59 Abs. 1 Nr. 3 BHO ganz oder zum Teil erlassen, wenn die Forderung der Leistungsfähigkeit des Kostenschuldners überschreitet und die Geltendmachung zu untragbaren Ergebnissen führt. Die konkrete Entscheidung hängt von den Gesamtumständen der Entführung ab. Die zuständige Behörde hat zu berücksichtigen, ob und wie stark der Betroffene seine Entführung mitverschuldet hat. Hierbei dürfte insbesondere ein Rolle spielen, ob der Entführte eine öffentliche oder sogar eine persönliche Reisewarnung oder einen Sicherheitshinweis missachtet hat. Außerdem dürfte entscheidend sein, welchen Zweck der Auslandsaufenthalt verfolgt hat, oder ob der ehemalige Entführte aus der Vermarktung seines Entführungserlebnisses Kapital schlägt.

 

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