Skip to main content

  Skyline Dubai, im Vordergrund Unterkünfte von Gastarbeitern. Foto: VerfasserSkyline Dubai, im Vordergrund Unterkünfte von Gastarbeitern.
Foto: Verfasser

Staat ohne Kriminalität?

Dubai setzt auf totale Videoüberwachung

Von Peter Sehr

Der Mord an einem hochrangigen Hamas-Mitglied und Waffenhändler in einem Hotel in Dubai Anfang des Jahres 2010, angeblich durch den israelischen Geheimdienst Mossad, gab den Ausschlag: Scheich Muhammad bin Raschid al Maktum, Herrscher des Emirats Dubai, sorgte im Scheichtum für eine lückenlose Überwachung des öffentlichen Raumes mit hochwertigen Videoequipment. Wenig später sonnte sich die Dubai Police im Lichte ihrer kaum noch vorhandenen Kriminalstatistik. Tatsächlich scheint es im Emirat einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Videoüberwachung und Kriminalitätsrückgang zu geben. Königsweg oder totalitärer Alptraum? Eine nicht ganz triviale Betrachtung.

 

Anlass- der Mord an einem Waffenhändler

Am 19.01.2010 wurde im Al Bustan Rotana Hotel in Dubai der Hamas Waffenhändler Mahmud al Mabhuch von Unbekannten in seinem Zimmer angegriffen, mit einem Elektroschocker paralysiert und anschließend mit einem Kopfkissen erstickt. Die Auswertung von Videoaufnahmen von im Flughafen und im Hotel angebrachten Videoüberwachungssystemen kam zu dem Ergebnis, dass insgesamt zehn Männer und eine Frau offensichtlich im Zusammenwirken das Opfer töteten. Die professionelle Vorgehensweise ließ den Schluss zu, dass es sich um ein Killerkommando gehandelt haben musste. Da al-Mabhuch auf der Todesliste des israelischen Geheimdienstes stand, die Identifizierung der Täter (alle mit legendierten Identitätsdokumenten nach Dubai eingereist) auch starke Verdachtsmomente aufzeigte, dass es sich um Israelis gehandelt haben musste, entschloss sich die Polizei Dubai zur Veröffentlichung der Videoaufzeichnungen. Präsentiert wurde ein ziemlich lückenloses Bild über die Ausspähung der Zielperson und der Vorbereitungen des Attentats. Israel hatte den Vorwurf nie bestätigt oder dementiert, was aber durchaus der üblichen Haltung Israels in ähnlichen Fällen entspricht (siehe Bericht Spiegel-online vom 22.02.2010. Dort sind die Videoaufzeichnungen veröffentlicht).


Konsequenzen- ubiquitäre Videoüberwachung

Scheich al Maktum ließ daraufhin an in Dubai umfassend Videoanlagen im öffentlichen Raum installieren. Sheik Mohammed bin Rashid Al Maktoum. Foto: wikimediaSheik Mohammed bin Rashid Al Maktoum.
Foto: IMF, Wikimedia Commons | Lizenz:Public domain / CC0
Offensichtlich ein voller Erfolg, da die Kriminalitätsstatistiken anschließend kaum noch Delikte registrierten. Wie umfassend die Überwachung wirkt, schilderte mir 2011 der in Abu Dhabi stationierte Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamtes Wiesbaden anhand eines Vorfalles: Eine Touristin suchte in einer Einkaufsmall Dubais die Toilette auf und vergaß dort anschließend ihre Handtasche. Als sie wenig später den Verlust bemerkte und nach der Handtasche schaute, war diese verschwunden. Sie wandte sich an die Polizei und meldete den Verlust. Die Polizisten sichteten das Videomaterial des Toilettenvorraumes und stellten fest, dass kurz nach der Geschädigten eine andere Frau die Kabine nutzte und anschließend die Toilette mit der besagten Handtasche verließ. Eine weitere Kamera filmte vor dem Eingang der Mall, wie die Diebin in ein Taxi einstieg und davonfuhr. Über die Registrierungsnummer des Taxis konnte die Polizei in Erfahrung bringen, wohin die Frau sich bringen ließ. Es handelte sich um ein Hotel, das ebenfalls umfassend mit Videoequipment ausgestattet war. So war es dann auch ein Leichtes, die Frau wieder aufzunehmen und über die Rezeption zu ermitteln. Die Dame, eine deutsche Staatsangehörige rumänischer Herkunft, staunte dann nicht schlecht, als die Polizeibeamten die Herausgabe der Tasche forderten. Ihre Einlassung, sie hätte die Tasche gerade zur Polizei bringen wollen, ließen die Beamten nicht gelten, da sie anhand des Videomaterials nachweisen konnten, dass die Diebin mindestens an drei Polizisten, die deutlich als solche erkennbar waren, vorbeigegangen war, ohne diese zu kontaktieren.Burj Khalifa - Wahrzeichen Dubais und höchstes Gebäude der Welt. Foto: VerfasserBurj Khalifa - Wahrzeichen Dubais und höchstes Gebäude der Welt.
Foto: Verfasser


Prävention oder zwanghafte Konformität?

Steht man abends vor dem höchsten Gebäude der Welt, dem Burj Khalifa, fast 900 Meter hoch, so erlebt man bei Sonnenuntergang ein fantastisches Spektakel: Die tanzenden Wasser. Zu jeweils pro Abend unterschiedlichen Klängen, mal Klassik, mal Pop, Rock oder auch orientalische Musik, werden in einer Seenlandschaft an der Basis des kolossalen Gebäudes die Springfontänen und das Licht im Takt gesteuert. Klar, dass sich hier abends Tausende von Besuchern aus aller Welt einfinden, um dies zu bestaunen und um anschließend eines der vorzüglichen Restaurants in der Umgebung aufsuchen. Wo sich normalerweise Taschendiebe wie im Paradies fühlen, ist hier absolute Fehlanzeige angezeigt. Kein Wunder, dass die Vereinigten Arabischen Emirate, allen voran Dubai  als Touristenhochburg, zu den zehn sichersten Ländern der Erde gehören. Wie sieht es aber in anderen Staaten aus, die eine extensive Videoüberwachung betreiben? In Europa ist hier Großbritannien der Vorreiter. Die britische Regierung ordnete an, dass der öffentliche Raum ebenfalls extensiv videoüberwacht wird. Sogar ein Videostandard (CCTV) wurde vorgegeben. Es folgten Peter Sehr beim Vortrag während eines internationalen Polizeikongresses in Dubai. Foto: VerfasserPeter Sehr beim Vortrag während eines internationalen Polizeikongresses in Dubai.
Foto: Verfasser
auch spektakuläre Fälle, in denen Straftäter per Videoaufzeichnung identifiziert und bestraft wurden. Nur: Der für die Videoüberwachung zuständige Polizeibeamte des Scotland Yard, Mike Neville, sorgte 2008 mit seiner Aussage, die Videoüberwachung in Großbritannien sei trotz milliardenschwerer Investitionen ein völliges Fiasko, da sie kaum Einfluss auf die Kriminalstatistik habe, für heftigen Zündstoff in der Gesellschaft. Tatsächlich bleibt die Videoüberwachung im öffentlichen Raum der Insel sehr umstritten. Die Vorwürfe gingen sogar soweit, dass Kritiker konstatierten, dass sich die Menschen in der Öffentlichkeit zwanghaft konform verhielten, da sie sich ständiger Beobachtung ausgesetzt fühlten. Warum aber funktioniert es dann offensichtlich in Dubai und in Großbritannien nicht? Es liegt wohl daran, dass sich die Gesellschaftssysteme kaum vergleichen lassen. In Dubai sind die Staatsbürger wohlhabend bis reich. Eine unmittelbare oder mittelbare Beschaffungskriminalität gibt es nicht. Zwar sind in Dubai Abertausende von Gastarbeitern beschäftigt. Diese sind aber alle in Beschäftigungsverhältnissen, was bedeutet, dass sie gezielt angeworben werden und Arbeitsverträge haben, die eine regelmäßige Entlohnung beinhalten. Das Gros der Sherpa Motteh (links). Foto: VerfasserSherpa Motteh (links). br>Foto: VerfasserMenschen stammt aus Pakistan, Indien, Bangla Desh und Nepal. Nach europäischen Maßstäben sind die Löhne gering. Sie ermöglichen den Arbeitern allerdings, ihre Familien zu Hause finanziell zu unterstützen. Zudem sind die Meisten in der Lage, nach sechs Jahren Arbeit sich zu Hause eine Existenz aufzubauen, die sie gegenüber ihren Nachbarn als wohlhabend ausweist. Insofern sind diese Arbeitsverhältnisse sehr begehrt. Verständlich, dass Gastarbeiter diese für sie lukrative Arbeit nicht dadurch leichtfertig aufs Spiel setzen, indem sie kriminell werden. Ein konkretes Beispiel erlebte ich kürzlich in Nepal: Unser Sherpa mit Namen Motteh, ein freundlicher, aufgeweckter junger Mann, litt vor einiger Zeit an Gelbsucht und wäre fast daran gestorben. Gerettet hat ihn ein Kredit über umgerechnet 4000 Euro, den er für medizinische Behandlungen benötigte. Die Rückzahlung wird er über eine Arbeitsstelle in den VAE finanzieren. Für ihn ist das eine völlig normale Sache, und er war dankbar, dass er die Arbeitsstelle vermittelt bekommen hatte. Mag das auch für uns Europäer sehr befremdlich sein. Wenn man aber erst einmal vor Ort in Indien, Pakistan oder Nepal die Bedingungen sieht, unter denen Menschen leben müssen, relativiert sich die europäische Sichtweise ganz beträchtlich. Daran wird aber auch deutlich, dass sich diese Umstände nicht mit einer europäischen Gesellschaft wie in Großbritannien vergleichen lassen. Es kann zwar davon ausgegangen werden, dass in Dubai alle Menschen wissen, dass sie im öffentlichen Raum beobachtet werden. Für Touristen ist es eher noch verstärkend Dubai als Reiseziel zu wählen, ist man doch äußerst sicher vor Kriminalität und Bettelei. Was aber in der privaten Umgebung der Familien passiert, wird wohl ähnlichen Mustern unterworfen sein wie in Europa. Diese weitgehend dem Dunkelfeld zuzurechnende, folglich nicht registrierte Kriminalität, dürfte als zu abweichendes Verhalten der Gesellschaft in Dubai zu unterstellen sein.


Videoüberwachung in Deutschland?

Natürlich existieren auch in Deutschland Videoüberwachungssysteme. Angefangen von den Überwachungskameras an Tankstellen, an und in Märkten, im privaten Lebensbereich, oder aber öffentliche Überwachung des Verkehrs, von Bahnhöfen, Flughäfen und sonstigen markanten Punkten, es gibt bereits eine Fülle von Systemen (im Gegensatz zu Großbritannien, wo der CCTV-Standard vorgegeben wurde) von unterschiedlichster Bauart, die auch in Deutschland bereits zur Aufklärung von besonders verabscheuungswürdigen Verbrechen beigetragen haben. Mittlerweile ist es

Standard, dass Kriminalbeamte bei Tatorten sofort damit beginnen mögliche Videoüberwachungssysteme auszumachen, um gegebenenfalls absehbare Zeit dabei bleiben, dass es in Deutschland eine systematische Videoüberwachung des öffentlichen Raumes geben wird, wie es beispielsweise in Dubai oder Großbritannien betrieben wird. Das bedeutet aber nicht, dass sich der Ausbau von Videosystemen weiter intensivieren wird. Moderate Preise sowie immer besser werdende Technik werden die extensive Nutzung weiter befeuern. Für die Polizei wird es bei diesem Wildwuchs der Systeme darauf ankommen, die sichergestellten Videosequenzen auswertbar zu machen. Das bedeutet: Alle Formate müssen auf einer Plattform mit einer Software recherchierbar gemacht werden. Intelligente Videoanalysen müssen gezielt Suchanfragen ermöglichen. Das bedeutet im Klartext, dass zum Beispiel nach einer männlichen Person gesucht werden soll, die einen hellgrünen Anorak trägt und einen schwarzen Rucksack mit sich führt. Das Sichten umfangreichen Videomaterials durch Hunderte von Polizeibeamten, wie beispielsweise nach dem Anschlag beim Boston-Marathon geschehen, gehörte dann der Vergangenheit an.

 

 

nach oben