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AKW Zwentendorf
© Werner Sabitzer

RESILIENZ

Risiken bei Stromnetzen

Von Werner Sabitzer

John Eberhardt vom Entschärfungsdienst des Innenministeriums beschäftigte sich in einer FH-Masterarbeit mit der Bewältigung von Anschlägen auf Strommasten und Freileitungen, mit Krisenszenarien und den Krisen- und Notfallplänen in Österreich.
Stromübertragungsnetze sind Teil der kritischen Infrastruktur. Sie dienen nicht nur der Grundversorgung Österreichs, sondern auch als Drehscheibe des Energietransports im europäischen Netzverbund. Das Übertragungsnetz ist mit den Nachbarstaaten verbunden und Teil des internationalen Energieaustausches. Zuständig für die Übertragungsnetze in Österreich und für die Anbindung in Europa ist die Austrian Power Grid AG (APG).

Zu den Risiken für Stromversorgungskrisen gehören Naturkatastrophen, unvorhersehbare Ereignisse, außergewöhnliche Ausfälle, Brennstoffknappheit und Angriffe. Bei Naturkatastrophen in Österreich sind das Schadensrisiko und das Katastrophenpotenzial vor allem bei Hochwasser sehr hoch. Im Naturgefahren-Ranking folgen Lawinen und Stürme. Beschädigungen an Masten und Freileitungen durch starken Schneefall führen immer wieder zu Stromausfällen in den betroffenen Regionen.

Ausfälle können ihre Ursachen auch in einer erhöhten Störanfälligkeit durch einen langjährigen Betrieb haben. So stehen bei einem Ausfall von Maschinentransformatoren nicht immer sofort Ersatzgeräte zur Verfügung.

In Österreich stehen 12.300 Strommasten. Freileitungen und Hochspannungsmasten sind weitgehend ungeschützt und könnten nur mit enormem Aufwand gesichert werden. Die APG testet für neuralgische Strommaststandorte Objektschutzeinrichtungen mit infrarot- oder radargestützen Systemen. Hochspannungsfreileitungen sind überwiegend als Doppelleitung ausgestaltet. Fällt ein Leitungssystem aus, steht ein zweites zur Verfügung. Fallen beide aus, etwa durch eine Mastsprengung, kann es zu netzbetrieblichen Auswirkungen kommen. Die Zerstörung eines Mastes mit vier Leitungssystemen hätte bei hohen Leitungsbelastungen große Auswirkungen.

Terroristische oder kriminelle Anschläge auf das Stromverteilungsnetz können weitreichende Folgen haben. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines böswilligen Angriffs auf ungeschützte Bereiche von Energieversorgungsanlagen in Österreich? Von welchen Krisenszenarien kann ausgegangen werden? Wie wirksam sind die Krisen-, Katastrophen- und Notfallpläne? Mit diesen Fragen beschäftigte sich Regierungsrat Ing. John Eberhardt, MSc vom Entschärfungsdienst des Bundesministeriums für Inneres (BMI) in seiner Masterarbeit „Resilienz des ungesicherten österreichischen Übertragungsnetzes gegen physische Angriffe“. Betreuer der Masterarbeit im Rahmen des Masterstudiums „Intelligente Energiesysteme“ an der Fachhochschule Burgenland (Austrian Institute of Management) war Prof. DI Dr. Alfons Haber, einer der führenden Energieexperten im deutschsprachigen Raum und seit März 2021 Vorstand von Energie-Control Austria (E-Control), der Institution für die Regulierung der Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft in Österreich.

Die Zahl der kriminellen und extremistischen Angriffe auf Strommasten in Österreich ist gering. Linksextremisten versuchten am 11. April 1995 in Ebergassing in Niederösterreich, einen 380-kV-Hochspannungsmast zu sprengen. Zwei der vier Sprengsätze explodierten vermutlich wegen der hohen Induktionsspannung vorzeitig und töteten zwei Täter. Der Strommast wurde nur leicht beschädigt. Seit 1961 gab es in Österreich sechs kriminell motivierte Sprengstoffanschläge auf Strommasten bzw. Freileitungen – am 7. November 1961 in Thal-Schrottendorf (Tirol), am 16. Oktober 1963 in Wildungsmauer (Niederösterreich), am 25. Oktober 1972 in Graz, am 16. Oktober 1972 in St. Kanzian (Kärnten), am 20. April 1977 in Maria Saal (Kärnten) und am 4. September 1977 in Bleiburg (Kärnten). Bei allen Anschlägen handelte es sich um Einzeltäter-Aktionen. Zudem gab es Einbrüche in APG-Umspannwerke und Vandalismusakte.

Wesentliche Ergebnisse der Masterarbeit:

  • Bei einem Ausfall einer systemrelevanten Ressource kann ein Normalbetrieb aufrechterhalten werden.
  • Bei kriminellen oder extremistisch bzw. terroristisch motivierten Angriffen auf das Freileitungstragwerk – die Schlüsselressource des ungeschützten Teils des Übertragungsnetzes – ist nicht nur mit dem Ausfall eines Leitungssystems zu rechnen, sondern auch mit dem Ausfall aller Systeme dieses Tragwerks. Je nach Lastflussverteilung und neuralgischer Lage der angegriffenen Strommasten bzw. Freileitungen können die Folgen von lokalen Kurzunterbrechungen bis zur nachhaltigen Beeinträchtigung der Versorgungsstruktur reichen. Diese Anschläge lassen sich nicht vorhersagen oder verhindern. Aber die Auswirkungen können durch die Vernetzung von Behörden, Netzbetreibern, (Einsatz-)Organisationen und der Politik über eine laufend aktualisierte Risikoanalyse und Vorsorgepläne reduziert werden.

Turbinen im Kraftwerk Ybbs-Persenbeug: Für Anlagen der kritischen Infrastruktur bestehen Krisen- und Notfallpläne
© Werner Sabitzer

Zur Bewältigung solcher Angriffe wurde ein nationales Präventionsprogramm (APCIP 2014) entsprechend europäischer Verordnungen umgesetzt. Damit wurde die Last der Gefahrenerkennung, Risikoabschätzung und Folgenbewältigung zwischen den Betreibern kritischer Infrastruktur und den staatlichen Assistenzdienstleistern den Kompetenzen entsprechend verteilt. Dadurch können Anschläge bewältigt werden.

  • Die APG und das BMI arbeiten intensiv zusammen und haben unter anderem für Angriffsszenarien übergreifende Krisen- und Notfallpläne entwickelt. Entsprechend den jeweiligen Kompetenzen und der Aufgabenverteilung sind vom BMI Übungs-, Schutz- und Sicherungstätigkeiten vorgesehen. Von der APG werden laufend Präventionsmaßnahmen implementiert. Es gibt Notfallpackages (Freileitungsersatzsysteme), einen 24/7-Netzdienst, einen Bereitschaftsdienst und Krisenmanagementsysteme. Ein wesentlicher Resilienzfaktor ist ein engmaschiges, ausgebautes Übertragungsnetz.

Risiken von erneuerbaren Energieanlagen

John Eberhardt beschäftigte sich auch mit den Sicherheitsrisiken durch den zunehmenden Umstieg von der fossilen Stromversorgung auf erneuerbare Energien wie Windparks, Wasserkraftwerke und Solaranlagen. Die Zahl kleinerer Erzeugungsanlagen steigt. Im Gegensatz zu den großen fossilen Kraftwerken wird das Übertragungsnetz durch die Kleinanlagen unterschiedlich belastet. Es kommt zu Überlastungen. Kommt es zu einer Störung wegen einer Naturkatastrophe, eines Unfalls oder eines Anschlags auf das Übertragungsnetz, gibt es eine zusätzliche Herausforderung für den Netzbetreiber, nämlich eine Überlastung der Leitungen vor allem zu Pumpspeichersystemen und in den Netzkuppeltransformatoren speziell in der Nähe der windkraftstarken Produktionsgebiete. Das Übertragungsnetz wird destabilisiert.

Stromleitungen bei Tulln: In Österreich stehen 12.300 Strommasten. Ein wesentlicher Resilienzfaktor ist ein engmaschiges, ausgebautes Übertragungsnetz.
© Werner Sabitzer

Gelöst werden könnte dieses Problem durch den Bau weiterer Stromleitungen. Das stößt aber immer wieder auf den Widerstand von Umweltaktivisten. Der starke Rückgang des Anteils von kalorischen Kraftwerken von 20 auf 2 Prozent führt dazu, dass bei einer Großstörung kurzfristig verfügbare Ausgleichsenergie nur in einem geringen Maß vorhanden ist. Die Auswirkungen eines kriminellen oder extremistisch/terroristischen Angriffs auf das Transport- und Übertragungsnetz können dadurch schwerwiegender sein.

Der Beitrag erschien im Magazin „Öffentlicher Sicherheit“, des österreichischen Bundesministeriums für Inneres, Ausgabe 3-4/2021.

 

Über den Autor
Werner Sabitzer
Werner Sabitzer
Werner Sabitzer, MSc, 63, war 30 Jahre lang Pressereferent im österreichischen Bundesministerium für Inneres (BMI) und Chefredakteur der Fachzeitschrift „Öffentliche Sicherheit“. Er ist seit 2018 Referent für Polizeigeschichte und Traditionspflege im BMI und leitet das Polizeimuseum Wien.
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