Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland. Eine analytische Einführung für Polizei und Sicherheitsbehörden

Prof. Dr. Stefan Goertz,
Hilden 2021,
222 Seiten.
ISBN 978-3-8011-0899-1.
Ladenverkaufspreis 20 €.
In den späten 1990er Jahren fand die Polizei bei Durchsuchungen in rechtsextremistischen Kreisen unter anderem in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zum Teil umfangreiche Waffen- und Munitionslager.

Vor diesem Hintergrund wurden in den Länderpolizeien, den Landesämtern für Verfassungsschutz und dem Bundeskriminalamt (BKA) die Stimmen lauter, die vor Anschlägen warnten. Die Verfassungsschützer des Bundes hingegen wiegelten noch im Jahr 1999 in dem für eine breitere Öffentlichkeit bestimmten Verfassungsschutzbericht ab. Sie nahmen an, potentielle Terroristen aus der rechten Szene würden davon ausgehen, „daß derartige Planungen den Sicherheitsbehörden nicht verborgen bleiben und dementsprechend verstärkte Strafverfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen würden“.

Zwei Jahre später, war eine solche euphemistische Sicht nicht mehr vorhanden. Das Horten von Waffen und Munition in der rechtsextremistischen Szene taten die Hüter der Verfassung zur Jahrtausendwende nicht mehr als bloßen „Waffenfetischismus“ ab, hinter dem sich keine „langfristige Zielsetzung und Konzeption“ verberge. Gleichwohl ging das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bis zum Jahr 2002 noch davon aus, dass es im rechtsextremistischen Lager „keine handlungsfähigen terroristischen Strukturen und kein Konzept für einen zielgerichteten bewaffneten Kampf“ gebe. Jedoch räumte das BfV im gleichen Atemzug ein: „Teilbereiche der militanten Szene zeigen sich fasziniert von terroristischen Taten und Konzepten.“ Zum Beleg führten die Verfassungsschützer das „Nationale Forum“ an. Auf dessen rechtsextremistischer Homepage „Nationaler Sturm“ hatten Nutzer im Mai 2002 terroristische Aktionen befürwortet, um das politische System zu zerstören. 20 Jahre später sind aus Lippenbekenntnissen von einst Taten geworden.

Stefan Goertz lehrt an der Hochschule des Bundes in Lübeck im Fachbereich Bundespolizei. Er studierte Politik- und Sozialwissenschaften, Öffentliches Recht und Arabisch unter anderem in Berlin, München und Damaskus. Seit Jahren befasst er sich mit Sicherheitspolitik, Extremismus und Terrorismus. In dem hier zu besprechenden Buch greift er ein populäres Thema auf, ohne es – dies sei bereits vorweg gesagt – populistisch anzugehen. Er wendet sich an eine breite Leserschaft, nämlich an „Studierende und Dozenten der Fächer Politikwissenschaft, Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaft, Psychologie, Soziologie, Sozialpädagogik, Soziale Arbeit sowie die Polizei und andere Sicherheitsbehörden, ihre Hochschulen und Akademien sowie die Justiz, Politische Bildung, Schulen, Justizvollzugsanstalten und Akteure im Bereich von Prävention.“

Beim Aufbau des Buches orientiert sich Goertz an den Verfassungsschutzberichten des BfV. Auch seine Umschreibung der Begriffe Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus lehnt sich an deren Definition an. So sieht der Autor Rechtsextremismus unter dem Betrachtungswinkel der politisch motivierten Kriminalität, betont dessen antisemitischen, fremdenfeindlichen und sozialdarwinistischen Einstellungen und listet als ein weiteres seiner Merkmale das Führerprinzip auf. Die Übergänge zum Rechtsterrorismus sind „fließend“, und als wesentliches Ziel der Terrorakte nennt er „öffentliches Aufsehen und mediale Thematisierung“. Im Anschluss betrachtet er die rechtsextremistischen Parteien in Deutschland vor: NPD, Die Rechte und Der III. Weg. Anschließend behandelt er den sogenannten Flügel und die Jugendorganisation der AfD.

Während sich die Parteien noch vergleichsweise unproblematisch erfassen lassen, öffnet Goertz im anschließenden Kapitel über die Akteure im deutschen Rechtsextremismus ein sehr weites Feld. Neben unstrukturierten Rechtsextremisten – früher bezeichnete man diese auch als „Spinner“ – finden sich hier Neonazis und Reichsbürger sowie die identitäre Bewegung, aber auch PEGIDA. Sodann stellt der Autor aktuelle Trends im Rechtsextremismus vor, worunter er rechte Kampfsportformate und Musik, Anti-Asyl-Agitationen und Antisemitismus, Erpressungs- und Drohmails, aber auch die Rechtsextremisten in den Polizeien und bei der Bundeswehr beschreibt. Sodfann erfasst er neun Gruppierungen – unter anderem „Nordadler“, „Oldschool Society“, Revolution Chemnitz“ –, die er im Übergangsbereich zwischen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus verortet. Von hier ist der Weg kurz zu einer Deskription einiger Rechtsterroristen und ihrer Straftaten in den letzten Jahren. Allerdings ist auch hier das Spektrum breit, reicht es doch von dem Anschlag auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Rieker über den Mord an Walter Lübcke bis zu den Anschlägen in Halle und Hanau.

Ein eigenes Kapitel widmet der Verfasser dem Rechtsextremismus im Internet und es ist durchaus folgerichtig, dass er dann abschließend einige Gegenmaßnahmen der Sicherheitsbehörden anspricht. Hierzu gehören Deradikalisierungsprogramme und Vereinsverbote, aber auch „neue Methoden“, wobei er das seit dem Jahr 2015 vom BKA in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz entwickelte neue Risikobewertungssystem RADAR (Regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos) anspricht und in Grundzügen beschreibt. An mehreren Stellen seines Buches stellt Goertz heraus, dass „Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus für viele Jahre eine wesentliche sicherheitspolitische Bedrohung für die Bundesrepublik Deutschland darstellen“ werden.

Dass die Zeit des Übersehens und Kleinredens vorüber ist, belegt eindrucksvoll der Stellenaufwuchs beim BKA und BfV in den letzten Jahren, wobei Goertz deren Aufgabenschwerpunkte in einer „stärkeren Beobachtung im Internet weitere(n) Vereinsverboten sowie Maßnahmen gegen rechtsextremistische Kampfsport-Festivals und RechtsRock-Konzerte“ sieht.

Kein Thema ist für Goertz eine engere Kooperation zwischen Polizeien und Geheimdiensten. Zweifelsohne aus mehreren guten Gründen. Dem Verfasser dieser Besprechung sei es jedoch erlaubt, diese Kooperation einzufordern. Wer diesen Weg deutschen Sicherheitsbehörden mit dem Verweis auf die deutsche Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus verwehren möchte, sollte gerade beim gegenwärtigen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus, deren gemeinsames, zum Teil erklärtes Ziel die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ist, noch einmal sehr intensiv nachdenken.

Dr. Reinhard Scholzen