Sicherheitspolitische Folgen der Corona-Krise für Deutschland, Europa und die Welt
Dr. Stefan Goertz, Bundespolizei, Hochschule des Bundes
Die Folgen der Corona-Krise für Deutschland, Europa und die Welt werden im Augenblick von der Politik und den Medien vor allem auf den Ebenen „Medizin-Virus-Infizierte-Tote“ sowie „wirtschaftliche Folgen“ besprochen. Allerdings hat die Corona-Pandemie von historischem Ausmaß auch zahlreiche sicherheitspolitische Folgen, sowohl in Deutschland als auch weltweit.
Dieser Beitrag untersucht einführend den Zusammenhang von Cybercrime und der Corona-Krise, berichtet dann über den linksextremistischen Brandanschlag auf Strom- und Telekommunikationskabel im Zusammenhang mit der von der Bundesregierung beauftragten Entwicklung einer Corona-App. Auf der Analyseebene „internationale sicherheitspolitische Folgen von Corona“ werden sicherheitspolitische Folgen in Saudi-Arabien, in Krisengebieten wie Syrien, Libanon und Libyen sowie im Iran und abschließend „religiöse Konflikte und Corona in Indien“ untersucht.
Cybercrime und die Corona-Krise
Cybercrime hat gerade Hochkonjunktur, so haben nach Schätzungen internationaler IT-Sicherheitsexperten aktuell gerade über 80% der Spam-, Phishing- und Betrugsaktivitäten im Internet Bezug zur Corona-Krise. Ein Grund dafür sind die kurzfristig improvisierten Home Offices, deren technischen Hürden häufig deutlich niedriger als am besser geschützten betrieblichen Arbeitsplatz sind.1 Lohnende Ziele für Cyberkriminelle sind beispielsweise Behörden mit Bezug zur Corona-Krise. So starteten Cyberkriminelle im März 2020 eine DDoS-Attacke auf das US Department of Health and Human Services. Auch Forschungseinrichtungen und Biotech-Unternehmen, die Impfstoffen gegen Covid-19 arbeiten, sind in der Corona-Krise Ziele für Cyberkriminelle.2 Weltweit bekannt würde die Tübinger Firma Cure Vac, weil sich der US-Präsident Trump die Rechte anderen Forschungsergebnissen exklusiv sichern wollte. Problematischerweise wurden die Server dieser deutschen Firma gerade jetzt als stark veraltet und anfällig für Cyber-Attacken dargestellt. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO wurde im März 2020 Opfer von Cyber-Attacken, räumte der WHO-Beauftragte für Informationssicherheit ein.
Cybercrime-Ermittler warnen aktuell vor mehreren Methoden, mit denen Cyberkriminelle versuchen, die Corona-Krise auszunutzen. So kursieren seit einigen Wochen in Deutschland E-Mails, in denen die Online-Erpresser schreiben, dass sie Familienmitglieder mit Covid-19 infizieren können. Um dies zu verhindern, sollen die Opfer innerhalb von 24 Stunden umgerechnet 4000 Dollar in Bitcoin überweisen.3 Oberstaatsanwalt Thomas Goger von der bayrischen Cybercrime-Zentralstelle ZCB erklärt dazu: „Wir ermitteln inzwischen in mehreren Fällen, in denen Erpressungs-Mails mit der Androhung von Infizierungen mit dem Coronavirus verschickt wurden“. Um die Online-Erpressung bedrohlicher zu machen, schicken die Cyberkriminellen ein Passwort eines Online-Accounts ihrer Opfer mit. Diese Passwörter sind nach Angaben der Polizei häufig tatsächlich authentisch und stammen in der Regel aus Listen mit Passwörtern und E-Mails, die im Darknet und in Cybercrime-Foren gehandelt werden.4
Die Verwalter der Internet-Adressen, der sogenannten Domains, verzeichnen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie außergewöhnlich mehr neue Registrierungen von Internetadressen, die mit dem Coronavirus zu tun haben, zum Beispiel „covid19help.com“ und „testmycorona.com“. Seit Januar 2020 wurden vor allem Adressen mit den Begriffen „Coronavirus“ und „Wuhan“ registriert, im Februar 2020 kam der Begriff „Covid-19“ dazu. Seit den ersten Ausgangssperren in Europa schoss die Zahl der Anmeldungen in die Höhe, allein im März wurden 60.000 5 Die meisten Cyber-Experten sind sich sicher, dass die Coronavirus-Cyberwelle erst am Anfang steht und die Angst vor Covid-19 für lange Zeit der wichtigste Angriffspunkt für die meisten Cyber-Attacken sein wird.
Adressen im Kontext zu Corona registriert.Linksextremistischer Brandanschlag auf Strom- und Telekommunikationskabel im Kontext einer Corona-App
Am 14.4.2020 warfen Linksextremisten einen Brandsatz in eine Baugrube an der Franklinstraße in Berlin-Charlottenburg, in der die Versorgungsleitungen des Heinrich-Hertz-Institut liegen, das gerade für die Bundesregierung eine Corona-App entwickelt, mit der Infizierte und deren Kontakte schneller nachvollzogen werden können. Nach Angaben der Berliner Polizei bemerkte ein Passant gegen fünf Uhr morgens, dass aus der Grube Rauch aufstieg.
Die Feuerwehr löschte dann den Brand mehrerer Strom- und Telekommunikationskabel und das Landeskriminalamt leitete daraufhin Ermittlungen wegen des Verdachts auf Brandstiftung ein.6 Kurz nach dem Anschlag wurde auf der Internetseite „Indymedia“ ein Bekennerschreiben veröffentlicht. Die Verfasser des Bekennerschreibens sehen in einer Corona-App eine „Aufweichung der Grundrechte“. Die mutmaßlich verantwortliche Gruppe von Linksextremisten hatte bereits Ende März 2018 einen Brandanschlag auf ein 10.000-Volt-Kabel an einer Brücke über den Westhafenkanal verübt, so dass danach Tausende Haushalte und Gewerbekunden stundenlang ohne Strom waren. Der damalige linksextremistische Anschlag hätte ursprünglich zu Ausfällen am Flughafen Tegel führen sollen.7
Sicherheitspolitik wird anders definiert werden
Michael Rühle, Leiter des Referats für hybride Herausforderungen und Energiesicherheit im Internationalen Stab der NATO bewertet die weltweite Corona-Krise als Katalysator für einen Trend, der seit Jahren absehbar war: Die Erwartungen der an ihren Staat verändern sich durch die Corona-Krise signifikant und Sicherheitspolitik wird zukünftig anders definiert werden.
- „Resilienz“ (Widerstandsfähigkeit) könnte sich nach Auffassung von Rühle neben den Termini „Abschreckung“ und „Verteidigung“ endgültig als drittes sicherheitspolitisches Paradigma etablieren. Von entscheidender Bedeutung hierbei sind Cyber-Attacken, die militärisch kaum abgeschreckt werden können und folglich den Schwerpunkt auf die Widerstandsfähigkeit der eigenen Netze legen.8
- Der Begriff der Verteidigung wird nach Rühle wohl bald über das rein Militärische hinaus als „Gesamtverteidigung“ verstanden werden müssen, die auch Aspekte wie Zivilschutz und medizinische Vorratshaltung einbezieht. Weil das Militär über viele Fähigkeiten verfügt, die für den Kampf gegen Naturkatastrophen oder Pandemien wie Corona benötigt werden, wird der weltweiten Öffentlichkeit die Notwendigkeit der Investition in militärische Sicherheitsvorsorge vermittelt werden.9
- „Solidarität“ zwischen befreundeten oder verbündeten Staaten wird neu organisiert werden. Die Tatsache, dass weder die EU noch die NATO auf die Corona-Krise vorbereitet waren, wird für die Zukunft bedeuten, dass die NATO und EU ihr Aufgabenspektrum erheblich erweitern müssen, vom Krisenmanagement bis hin zu humanitären Einsätzen.10
- Weiter führt Rühle aus, dass die von Autokratien stets bemühten „inneren Angelegenheiten“, in die sich andere Staaten und NGOs nicht einzumischen hätten, zukünftig weniger akzeptiert werden. Nach Angaben einer aktuellen Bertelsmann-Studie werden im Augenblick mindestens 58 von 200 Staaten autokratisch regiert. Anders formuliert: 3,3 Milliarden Menschen leben weltweit in Autokratien.11 Die versuchte Vertuschung des Ausbruchs der Pandemie durch die chinesischen Behörden hat massive globale Konsequenzen. Die Forderung nach mehr Transparenz, sowohl von der internationalen Staatengemeinschaft als auch von chinesischen Bürgern, zeigt, dass der den Autokratien zugrundeliegende Gesellschaftsvertrag an seine Grenzen stößt.12
- Der moderne Staat muss nach Angaben von Rühle sich und seinen Bürgern eingestehen, dass der moderne Staat im Zeitalter von globalen Pandemien, Terrorismus und Cyberangriffen keinen allumfassenden Schutz mehr gewähren kann und dass sogar die verbleibende relative Sicherheit einen hohen Preis hat. Sprich: Die Regierungen brauchen von ihren Bürgern einen Vertrauensvorschuss für den Krisenfall.13
Nach Angaben der Jura-Professorin Klafki schränken zahlreiche staatlichen Maßnahmen in der aktuellen Corona-Krise viele Grundrechte ein, zum Beispiel beschränkt die häusliche Isolation, also eine „Quarantäne“, die Fortbewegungsfreiheit, da man bestimmte Orte nicht mehr verlassen dürfe. Und das Kontaktverbot beschränkt beispielsweise das allgemeine Persönlichkeitsrecht, weil es zur freien Entfaltung der Person gehört, andere Menschen zu treffen. Darüber hinaus werden im Augenblick die Versammlungsfreiheit und die Glaubensfreiheit eingeschränkt, weil keine politischen Demonstrationen abgehalten und keine Gottesdienste mehr besucht werden dürfen.14 Die gesetzliche Grundlage für all diese Grundrechtseinschränkungen ist das Infektionsschutzgesetz, in dem allerdings viele der aktuell getroffenen Maßnahmen nicht explizit geregelt sind. So stützt man sich im Augenblick auf eine sogenannte Generalklausel, wo es heißt, dass eine Behörde die „notwendigen Maßnahmen“ ergreifen darf.
Sicherheitspolitische Folgen von Corona in Saudi-Arabien
Saudi-Arabien ist massiv von der Corona-Krise betroffen, in zweierlei Hinsicht. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedsstaaten des Ölförderkartells Opec+ einigte sich das Königreich Mitte April auf eine drastische Reduzierung der Fördermengen. So sollen die Erdölfördermengen in den Monaten Mai und Juni um 9,7 Millionen Barrel pro Tag zurückgehen, was einem Anteil von zehn Prozent der bisherigen Fördermenge entspricht und damit die höchste von der Organisation jemals vorgenommene Kürzung darstellt. Trotz haben die Opec-Staaten und vor allem Saudi-Arabien im Augenblick und auch in den nächsten Monaten große Schwierigkeiten, das Erdöl abzusetzen. Denn aufgrund der Corona-Krise ist der weltweit Verbrauch von Erdöl um bis zu 30 Prozent zurückgegangen und der Rohölpreis fällt weiter. Daher muss sich Saudi-Arabien auf massiv gefallene Einnahmen einstellen.15
Bereits Ende Februar hatte Saudi-Arabien die Grenzen für Wallfahrten nach Mekka und Median geschlossen und die diesjährige Hadsch, die große Pilgerfahrt nach Mekka, wird wegen Corona ausfallen, was Saudi-Arabien wiederum vorzubereiten. Bisher hatten die muslimischen Pilger pro Jahr ca. zehn Milliarden Euro in die Kassen der Wüstenmonarchie gespült und sind damit nach dem Rohöl die zweitwichtigste Einnahmequelle. Hadsch-Minister Mohammed Saleh bin Taher Banten rief alle Gläubigen auf, vorerst keine Vorbereitungen für die Pilgerfahrt zu treffen. Die letzte Absage des islamischen Welttreffens war im Jahre 1798, ausgelöst durch den Einmarsch Napoleons in Ägypten.16
Parallel zu immensen Verlusten durch den gesunkenen Erdölpreis und die Erdölfördermenge steigt die Zahl der mit Corona infizierten Saudi-Araber seit Tagen massiv an und lag Mitte April bei ca. 10.500 Infektionsfällen und über 100 Toten. Der saudi-arabische Gesundheitsminister warnte ausdrücklich, man stehe erst am Anfang der Pandemie und die Zahl der Infizierten könnte bis auf 200.000 hochschnellen. Als besonders gefährliche Infektionsherde in Saudi-Arabien gelten die beengten und dicht belegten Unterkünfte der bis zu neun Millionen im Lande lebenden Gastarbeiter. Einige saudische Firmen beschäftigen diese Gastarbeiter nun nicht weiter und zahlen ihnen auch keinen Lohn mehr. Nach Angaben der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) leben in den Staaten des Golf-Kooperationsrats (GCC) rund 35 Millionen Arbeitsmigranten. Diese könnten einerseits bei der möglichen Ausbreitung des Coronavirus eine bedeutende Rolle spielen und andererseits zu politischen Unruhen in Saudi-Arabien und angrenzenden Staaten führen.17
Sicherheitspolitische Folgen von Corona in Krisengebieten weltweit
Das Welternährungsprogramm warnte Ende April 2020 im UN-Sicherheitsrat vor Hungersnöten von „biblischen Ausmaßen“ als Folge der Corona-Pandemie im Nahen und Mittleren Osten. Viele Millionen Menschen im Nahen und Mittleren Osten seien akut von wachsender Lebensmittelknappheit bedroht, sagte ein Direktor des Welternährungsprogramms, David Beasley, in einer Sitzung des Weltsicherheitsrates. Die Weltgemeinschaft müsse dringend handeln, um eine anstehende „Hunger-Pandemie“ noch abzuwenden. Beasley betonte, dass in drei Dutzend Ländern Hungersnöte ausbrechen könnten. Rund 130 Millionen Kinder, Frauen und Männer könnten an den Rand des Verhungerns geraten. Bislang seien 135 Millionen Menschen von den schlimmsten Formen des Hungers betroffen. Die Corona-Pandemie würde die Zahl somit verdoppeln.18 Ärzte und NGOs warnten Ende April vor Zehntausenden Covid-19-Toten im Bürgerkriegsland Syrien.
Nach offiziellen Angaben der iranischen Regierung gab es im Iran inzwischen 4683 Corona-Tote und ca. 75.000 Infizierte, allerdings gehen internationale Experten von einer hohen Dunkelziffer nicht registrierter Fälle im Iran aus.
Die weltweite Aufmerksamkeit gilt seit Anfang 2020 der Corona-Pandemie und so tobt in Libyen der Bürgerkrieg brutaler als je zuvor, trotz deutscher und europäischer Bemühungen. Statt eines Waffenstillstands in Libyen haben sich die Gefechte in den letzten Wochen gar noch intensiviert. Die Truppen von Warlord und Ex-General Khalifa Haftar greifen weiterhin die Hauptstadt Tripolis an, doch sein politischer und militärischer Gegner, dem international anerkannten libyschen Regierungschef Sarradsch, gelang es mit türkischer Hilfe zuletzt, seinen politischen und militärischen Einflussbereich wieder etwas auszubauen.19
In einem Brief von verschiedenen Außenministern europäischer Staaten heißt es an die beiden libyschen Bürgerkriegsparteien: „Wir rufen Sie dringend dazu auf, von jeder weiteren militärischen Aktivität im ganzen Land abzusehen“. Weiter halten die Außenminister die libyschen Adressaten dazu an, „eine humanitäre Feuerpause einzuhalten und sich auf einen dauerhaften Waffenstillstand für den gesamten Zeitraum der Pandemie und darüber hinaus zu einigen“. Dieser europäische Aufruf an die Bürgerkriegsparteien verhallte ohne Konsequenzen.
Im Rahmen der international und deutschlandweit als diplomatischer Erfolg gefeierten Libyen-Konferenz in Berlin Mitte Januar 2020 hatten alle in den Bürgerkrieg in Libyen involvierten Beteiligten zugesagt, keine Waffen mehr an die libyschen Kriegsparteien zu liefern, dies hatte die Bundeskanzlerin Merkel in Berlin verkündet.20
UN-Generalsekretär Guterres nannte offen jene beim Namen, die gegen das Waffenembargo verstoßen: Die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Russland und die Türkei. Während die türkische Regierung die libysche Regierung von Sarradsch stützt und aktuell militärisch dafür sorgt, dass die Regierungstruppen von Sarradsch zuletzt strategisch wichtige Orte zurückerobern konnte, stehen Russland, Ägypten und die Emirate weiter auf der Seite von des Ex-Generals Haftar. Das deutsche Auswärtige Amt erklärte dazu diplomatisch: „Das Waffenembargo wird nicht so umgesetzt, wie wir uns das wünschen“.21 Da der Großteil der Waffen auf dem Luftweg nach Libyen transportiert wird, greift die neue europäische Marine-Mission im Mittelmeer, IRINI genannt, nicht.
Der Bürgerkrieg in Libyen tobt trotz der Corona-Krise weiter und kann katastrophale humanitäre Konsequenzen für die libysche Bevölkerung haben.
Corona und Flüchtlingshilfen
Die Europäische Union stellte Anfang April weitere 240 Millionen Euro für den Irak, Jordanien und den Libanon bereit, die zur Unterstützung syrischer Flüchtlinge in Zeiten der Corona-Krise vorgesehen sind. Mit diesen Geldern sollen die besonders bedürftigen Gruppen in der Region Irak, Jordanien und Libanon medizinisch versorgt werden.22 Unter anderem wird ein Teil dieser Gelder in das öffentliche Gesundheitssystem Jordaniens investiert. Daneben sollen mit 85 Millionen Euro Bildungsangebote im Libanon und in Jordanien gefördert werden. Daneben werden 21,5 Millionen Euro in den Kinder-, Jugend- und Frauenschutz in Jordanien investiert. Damit belaufen sich die Hilfen der EU für den seit zehn Jahren andauernden Bürgerkrieg in Syrien auf mehr als zwei Milliarden Euro.
Indische Muslime als angebliche „Superspreader“ von Corona
Die Neue Zürcher Zeitung berichtet davon, dass nationalistische indische Politiker und verschiedene Medien indische Muslime als „Superspreader“ von Corona bezeichnen. So reisten Anfang März 2020, als die Corona-Pandemie bereits weltweit auf dem Vormarsch war, Tausende muslimische Laienprediger in die indische Hauptstadt Delhi.23 Die Mitglieder der muslimischen Tablighi Jamaat stammten aus mehreren Ländern und halb Indien und versammelten sich im Hauptquartier der Tablighi Jamaat, einer islamischen Missionsbewegung mit weltweit 80 Millionen Mitgliedern.
Dieses mehrwöchige Treffen wird von indischen Nationalisten nachträglich benutzt, um den indischen Muslimen die Verantwortung für das Verbreiten von Corona in Indien zuzuschreiben. Auf Twitter verbreiteten sich Hashtags wie #CoronaJihad oder #MuslimVirus und ein bekannter rechtsnationalistischer Fernsehmoderator erklärte: „Diese Lockdown-Betrüger haben uns alle gefährdet. Wir waren am Gewinnen, da taten sie alles, um uns zu besiegen.“24 Auch Politiker der Hindu-nationalistischen Regierungspartei BJP stimmten ein und ein führender indischer Vertreter der Regierungspartei twitterte über einen „islamischen Aufstand“, der in Indien stattfinde. Ein Parlamentsabgeordneter forderte, die Tablighi Jamaat wegen Aufruhrs strafrechtlich zu verfolgen. Erst vor wenigen Wochen fanden in Delhi die schwersten religiös motivierten Ausschreitungen seit Jahrzehnten statt, bei denen über 50 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen waren indische Muslime.
Fazit und Ausblick
Durch die Corona-Pandemie kann weltweit eine sicherheitspolitische Eskalationsspirale ausgelöst werden, die internationale wirtschaftliche, innenpolitische, außenpolitische und militärische Konsequenzen haben kann. Bürgerkriege wie beispielsweise im Jemen, in Libyen und in Syrien verursachen bereits seit Jahren humanitäre Katastrophen mit hundert Tausenden Opfern und die Folgen solcher Bürgerkriege können durch die Corona-Pandemie noch potenziert werden. In Deutschland könnten Extremisten die Corona-Krise nutzen, um den Rechtsstaat Deutschland und sein Krisenmanagement in Frage zu stellen, unter anderem auf Grund von Grundrechtseinschränkungen, die der Staat vornehmen muss, um die Pandemie einzudämmen und zu verhindern, dass Tausende an den Folgen von Covid-19 sterben.
So wurde Ende März 2020 auf der linksextremistischen Szeneplattform „Indymedia“ zum Nicht-Einhalten von Ausgangssperren und zu Plünderungen aufgerufen. Weiter schrieb dort ein Linksextremist: „Nun ist schließlich jenes destabilisierende Ereignis eingetroffen, dass das kapitalistische System blockieren könnte“. Weiter spricht er vom „kapitalistischem Körper“, in dem sich Corona mit derselben Geschwindigkeit wie im menschlichen Körper ausbreite. Wenn nun die Bevölkerung den Aufrufen der Regierungen folge und zu Hause bleibe, dann sei das nur ein „neuer Nachweis des Gehorsams“. Man solle darauf warten, dass sich die Situation weiter zuspitze, „und versuchen wir, unseren revolutionären Beitrag zu den Ausbrüchen von Wut, Ärger, Protesten, Plünderungen und Unruhen zu leisten“.25
So gehe die größte Gefahr der Corona-Krise nicht von dem Virus aus, sondern von der Reaktion der „Herrschenden“: Einsatz des Militärs im Innern, die Errichtung von Grenzen und die generelle Überwachung der Bürger. Der Ausnahmezustand müsse ausgenutzt werden: „An alle militanten Zusammenhänge, Aktivist*innen und Menschen mit Herz. Erhaltet eure Handlungsfähigkeit. Stellt euch auf Ausgangssperren ein. Unterlauft sie“.26
In Bezug auf das rechtsextremistische und rechtsextremistisch-terroristische Spektrum wiederum warnten das Bundesministerium des Innern und das Bundesamt für Verfassungsschutz Anfang April vor einer Zunahme rechtsextremistischer Gewalt. Konstantin Kuhle, der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, betonte, immer häufiger tauche bei deutschen Rechtsextremisten die Hoffnung auf bürgerkriegsähnliche Zustände auf, in denen die verhassten etablierten Strukturen in Politik und Gesellschaft beseitigt werden sollen. “Waffendepots und Kommandostrukturen rechtsextremistischer Terroristen werden für den angeblichen Tag X vorbereitet“, erklärte der innenpolitische Sprecher der FDP im Bundestag.27
Quellen:
2 Ebd.
3 https://www.spiegel.de/netzwelt/web/cybercrime-hacker-drohen-familien-mit-corona-infektion-und-fordern-bitcoin-a-ac9e8945-edc1-456d-8a6b-32515e2293c1; 25.4.2020.
4 Ebd.
5 https://www.sueddeutsche.de/digital/it-sicherheit-coronavirus-hacker-cybercrime-1.4859962; 25.4.2020.
6 https://www.tagesspiegel.de/berlin/wollten-linksextreme-die-corona-app-sabotieren-staatsschutz-ermittelt-nach-anschlag-auf-stromkabel-in-berlin/25740980.html; 25.4.2020.
7 https://www.bz-berlin.de/berlin/charlottenburg-wilmersdorf/linke-gruppe-bekennt-sich-zu-brandanschlag-in-berlin-wegen-corona-app; 25.4.2020.
8 https://zeitung.faz.net/faz/politik/2020-04-18/6d9e96cb43bad353f34488e248067c27/?GEPC=s5; 25.4.2020.
9 Ebd.
10 Ebd.
11 https://www.spiegel.de/politik/ausland/bertelsmann-studie-58-laender-werden-autokratisch-regiert-a-1199167.html; 25.4.2020.
12 https://zeitung.faz.net/faz/politik/2020-04-18/6d9e96cb43bad353f34488e248067c27/?GEPC=s5; 25.4.2020.
13 Ebd.
14 https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/307395/grundrechte; 25.4.2020.
15 https://www.dw.com/de/saudi-arabien-virus-rüttelt-an-staatsfundamenten/a-53201991; 25.4.2020.
16 Ebd.
17 Ebd
18 https://www.fr.de/politik/corona-nahen-osten-mittlerer-osten-afghanistan-iran-jemen-fallzahlen-tote-zr-13610268.html; 25.4.2.2020.
19 https://www.tagesschau.de/ausland/libyen-konflikt-coronavirus-101.html; 25.4.2020.
20 Ebd.
21 Ebd.
22 Behörden Spiegel April 2020, S. 12.
23 https://www.nzz.ch/international/coronavirus-in-indien-muslime-als-suendenboecke-ld.1550044; 25.4.2020.
24 Ebd.
25 https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/corona-und-linksextreme-pluenderungen-und-unruhen-16689356.html; 25.4.2020.
26 Ebd.
27 https://www.rnd.de/politik/corona-krise-bundesregierung-warnt-vor-rechtsterroristischen-anschlagen-TXQKMTPWUJCTNBIGOQO2PKP47M.html; 25.4.2020.