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Konrad Adam, Frauke Petry und Bernd Lucke (v. l. n. r.) beim Gründungsparteitag der AfD 2013 in Berlin
© Von Mathesar - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25631833

Die AfD in internen Konflikten

Der Kampf mit dem bzw. gegen den „Flügel“

Von Florian Hartleb

Ist die AfD eine extreme Partei? Kaum eine innenpolitische Frage erhitzt derartig die Gemüter, zumal die Partei in allen deutschen Landtagen und im Bundestag vertreten ist und das öffentliche Klima verändert hat.1
Ein wichtiger Pfeiler im Innenleben der Partei ist der so genannte „Flügel“. Im März 2020 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz über diesen ein 258-seitiges Gutachten intern veröffentlicht. Es sieht im Flügel eine „erwiesen extremistische Bestrebung“. Als Folge ist dieser nun offiziell aufgelöst. Der vorliegende Beitrag analysiert das Gutachten und zieht Folgerungen für die weitere Entwicklung, die von Turbulenzen geprägt ist. Der Streit entzündet sich an den vollzogenen Parteiausschluss eines ihrer wichtigsten Protagonisten, Andreas Kalbitz.

Relevanz des Themas

Die AfD ist alles andere als eine konservativ-bürgerliche Partei, wie sie gerne behauptet. Vor allem lässt sich bei der einstigen Ein-Themen-Partei – die Kritik an der Euro-Währung war Gründungsanlass – eine schrittweise, systematische Radikalisierung nachweisen. Dafür sorgten zahlreiche Abwanderungen von Aktivisten, die den Kurs nicht mittragen wollten. Im März 2000 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Gutachten erstellt und intern veröffentlicht. Es stuft den Flügel als Verdachtsfall, als „erwiesen extremistische Bestrebung“ ein.2 Am 15. Januar 2019 gab das Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt, neben der Jugendorganisation die informelle Teilorganisation „Der Flügel“. Das Gutachten analysiert die Äußerungen von Personen, die dem „Flügel“ zuzurechnen sind (S. 6). „Der Flügel“ wurde im März 2015 gegründet und galt damals noch nicht als rechtsextremistisch.

Die AfD wehrt sich gegen die nun einsetzende Beobachtung mit juristischen Mitteln. So twitterte die Bundesvorsitzende Alice Weidel, die Partei werde „mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Beobachtung vorgehen“.3 Im März 2000 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz ein 258-seitiges Gutachten erstellt und intern veröffentlicht. Es stuft den Flügel als Verdachtsfall, als „erwiesen extremistische Bestrebung“ ein.4 Der Flügel selbst unternahm keinerlei Versuche, die ihm zur Last gelegten Positionen zu relativieren oder sich von ihnen zu distanzieren (S. 37).

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Die nun erfolgte Einstufung als Beobachtungsobjekt bedeutet, dass die Bewegung mit dem kompletten Instrumentarium nachrichtendienstlicher Mittel beobachtet werden darf. Daten zu einzelnen Personen dürfen gesammelt und gespeichert werden. Im Bericht finden sich öffentliche Aussagen von Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern, zu denen, durchaus bedeutsam für die Analyse, Beiträge in den Sozialen Medien gehören. Als wichtige Quelle firmiert etwa ein 122-seitiges Sonderheft des Magazins „Compact“5, das die wichtigsten Reden von Björn Höcke zusammenstellt (S. 251 f.) und ein geschlossenes rechtsextremistisches Denken belegt (S. 50). Viele Reden sind auch auf You-tube nachzuvollziehen.

Was ein Abgeordneter im Plenum oder Ausschüssen sagt, darf allerdings nicht in die Akten einfließen. Für den Verfassungsschutz (S. 258) kommt „auch für die Gesamtpartei eine Hochstufung als Beobachtungsobjekt (Verdachtsfall) in Betracht“, wie es abschließend heißt. Bereits jetzt gilt der gesamte Landesverband Thüringen als Verdachtsfall.

Der Verfassungsschutz erkennt im Fazit Verstöße

  • gegen die Menschenwürde:
    durch völkische Positionen
    durch fremden- und islamfeindliche Positionen
    durch antisemitische Positionen
    durch den Nationalsozialismus verharmlosende Positionen
  • gegen das Demokratieprinzip.
  • gegen das Rechtsstaatsprinzip.

Parteiausschluss von einem der wichtigsten Protagonisten

Andreas Kalbitz (2016)
© Von Professusductus - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=75630320
Der Bundesvorstand entschied nun mit einem denkbar knappen Votum von sieben zu fünf bei einer Enthaltung, Andreas Kalbitz die Mitgliedschaft zu entziehen. Co-Parteivorsitzender Jörg Meuthen hat sich durchgesetzt, Alexander Gauland, Alice Weidel & Co. sind unterlegen und wirken konsterniert. Kalbitz selbst war Mitglied des Bundesvorstands und hat selbst an der für ihn fatalen Sitzung teilgenommen. In dieser ging es nicht um den Richtungsstreit zwischen gemäßigte und radikale, Ost und West, sondern um etwas ganz Profanes, das Verschweigen von einstigen Mitgliedschaften bei Parteieintritt. Das verstößt gegen die Unvereinbarkeitsliste der Partei. Der offensichtliche Lügner Kalbitz ist nicht irgendwer, sondern einer der wichtigsten Protagonisten der Partei – Landes- und Fraktionsvorsitzender in Brandenburg. Er ist erfolgreicher Wahlkämpfer, führte die Partei bei der letzten Wahlkämpfer auf 23,5 % und damit Platz zwei. Nun muss er die Partei verlassen, was nicht nur zu juristischen, rosenkriegsartigen Auseinandersetzungen führen wird, sondern den Richtungsstreit dramatisch verschärfen dürfte. Anzeichen sind schon jetzt da. So soll Kalbitz weiter die Fraktion führen, wie ein Votum im Brandenburg ergab.

Der AfD droht ein Fall „Thilo Sarrazin“, der aber weitaus schlimmere Folgen haben könnte. Wie die Diskussion in den Sozialen Medien zeigt, trifft der Verbalradikalismus diesmal nicht die anderen Parteien, sondern schlägt im Maschinenraum der Partei keulenartig um sich. Der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner etwa fordert einen Sonderparteitag. Die „Wutbürger“ machen ihrem Ärger Luft. Meuthen könnte sein entschiedenes Vorgehen noch zum Bedrägnis werden. Parteienrechtler haben schon erklärt, dass die Entscheidung vermutlich nicht haltbar ist. Die Geschichte der AfD ist die einer wenig homogenen Partei. Austritte vieler Funktionäre zeichnen den Weg. Dennoch könnte der Fall „Kalbitz“ einen Kollateralschaden verursachen und die AfD zu einer Art „NPD 2.0“ machen. Der Weg zu einer angeblich bürgerlichen Partei, wie Meuthen ankündigt, ist ihr durch das eigene Machtgefüge ohnehin versperrt.

Wie Höcke ankündigte, will er keine Parteigründung. Der Flügel dürfte nun nach der Macht greifen und versuchen, sich an Meuthen & Co zu rächen. Dabei stehen die Chancen gar nicht schlecht. Der rein formal nie existente Flügel, der sogar einen eigenen Fanshop hatte, ist zu mächtig, um sich einfach „in Luft aufzulösen“. Ihm gehören nach Recherchen ca. ein Drittel der Parteimitglieder an.6 Der Verfassungsschutz bezieht sich auf die Eigenaussage von Co-Bundessprecher Jörg Meuthen, der das Personenpotential auf 20-30 % schätzt. Höcke geht davon aus, 40 % der Delegierten hinter sich zu haben. Von daher wird es der AfD nicht gelingen, nun zu behaupten, sie habe sich von Extremisten getrennt. Dann müsste mindestens 7000 Mitgliedern vor die Tür setzen, allesamt Sympathisanten des „Flügels“. Jörg Meuthen dachte sogar öffentlich über diesen illusionären Schritt nach. Wie der Verfassungsschutz schreibt, ist um Höcke ein regelrechter „Personenkult“ entstanden. Kalbitz gilt als „unermüdlicher Netzwerker“.

Lügengestrick als Ursache für den Rausschmiss

Kalbitz steht wie Björn Höcke dem Flügel vor. Kalbitz etwa unterscheidet mit Blick auf die Geburtenrate einander ausschließend und strikt zwischen „Bevölkerung“ und „Volk“, „Deutschen“ und „Eingebürgerten“, etwa auf einer Rede im bayerischen Hirschhaid am 30. Juni 2019. Der Flügel selbst unternahm keinerlei Versuche, die ihm zur Last gelegten Positionen zu relativieren oder sich von ihnen zu distanzieren. Die nun erfolgte Einstufung als Beobachtungsobjekt bedeutet, dass die Bewegung mit dem kompletten Instrumentarium nachrichtendienstlicher Mittel beobachtet werden darf. Daten zu einzelnen Personen dürfen gesammelt und gespeichert werden.

Als Folge ist dieser nun offiziell aufgelöst, was rein taktisch bedingt ist. Kalbitz stolperte über die Seiten 228 und 229 im Bericht, der einen offenen Verstoß gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei (oder früher die Angabe von früheren Mitgliedschaften darstellt). Schon lange wurde über seine Vergangenheit gemunkelt. Nun steht da: „Kalbitz unterhielt jahrelang bis unmittelbar vor seinem Eintritt in die AfD Beziehungen zum organisierten Rechtsextremismus. Nachweislich stand Kalbitz über mindestens 14 Jahre in Kontakt mit dem im Jahr 2009 verbotenen rechtsextremistischen Verein „Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ)“ und war dort Mitglied.“ Kalbitz hat etwa im August 2019 erklärt, weder er noch seine Kinder Björn Höcke (2019)
© Von Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=83440179
hätten sich an HDJ-Lagern beteiligt.7 Nun steht aber im Bericht, dass „Erkenntnisse in Form einer Mitgliedliste (Stand 2007) vor, in der unter der Mitgliedsnummer 01330 die „Familie Kalbitz“ genannt wird. Der Bericht spricht von „anhaltenden Falschaussagen“. Kalbitz hatte seinen Antrag 2013 im Internet gestellt, er soll nach Angaben aus der AfD nicht auffindbar sein. Kalbitz war auch

Mitglied bei den Republikanern zwischen Ende 1993 und Anfang 1994. Die Republikaner wurden von 1992 bis 2007 vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Kalbitz will gegen seinen Rauswurf juristisch vorgehen. 

Wer an eine glaubwürdige Opposition und eine „ehrliche Partei“ glaubte, dürfte nun enttäuscht sein. Björn Höcke und Andreas Kalbitz sind seit vielen Jahren in der rechtsextremen Szene „verwurzelt“ (S. 224). Trotz einer formalen Unvereinbarkeitsliste unterstützt Höcke die Identitäre Bewegung (S. 225) und nahm etwa im Januar 2020 als Redner am „Institut für Staatspolitik“ von Götz Kubitschek teil, der sein Vertrauter ist (S. 249). Dessen Think-tank wird nun auch als „Verdachtsfall“ geführt. Kubitschek schreibt nun über den Fall „Kalbitz“ auf seiner Internetseite „sezession“ einen Beitrag mit dem Titel: „Wie man eine Partei anzündet“. Die Entscheidung sei der vorläufige Höhepunkt einer Kampagne“, die eine „Säuberung der Partei“ zum Ziel habe.8

Die „Junge Freiheit“ hingegen, die durchaus wohlwollend über die AfD berichtet und einst, in den 1990er Jahren selbst vom Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sowie später durch den Bund beobachtet wurde, kommentiert durch ihren Chefredakteur Dieter Stein: „Andreas Kalbitz war kein unbedarfter Jüngling, sondern ein intelligenter, erwachsener Mann Mitte Dreißig, als er in kurzen Lederhosen Jugendlager der HDJ besuchte, von der er selbstverständlich wußte, dass sie eine Vorfeldorganisation der rechtsextremen NPD war. (...) Es ist erstaunlich, dass ein Mann, der die Partei nun nachweislich mehrfach belogen und sich damit illoyal verhalten hat, von der Partei seinerseits Loyalität erwartet, wenn Dinge ans Licht kommen, die ihn überführen. Hier zeigt sich ein wiederkehrendes Muster moralischer Asymmetrie. „Radikale“ in der AfD – die die Partei in politisch existenzbedrohende Lagen steuern – fordern Solidarität und Loyalität, die sie selbst nicht zu üben bereit sind.“9

Wer und was ist der Flügel?

Der Flügel hat nach Eigendarstellung „einen eigenen Fanshop“ (S. 9), Rituale wie die Verleihung von Abzeichen und vertritt belegbar „eigene politische Standpunkte.“ Maßgebliche Protagonisten sind die Fraktionsvorsitzenden in Thüringen und in Brandenburg, Björn Höcke und Andreas Kalbitz, der auch als Mitglied im Bundesvorstand fungiert. Um Höcke ist ein regelrechter „Personenkult“ entstanden, Kalbitz gilt als „unermüdlicher Netzwerker“ (S. 15). Dem Flügel dürften nach Recherchen ca. ein Drittel der Parteimitglieder angehören. Der Verfassungsschutz bezieht sich auf die Eigenaussage von Co-Bundessprecher Jörg Meuthen, der das Personenpotential auf 20-30 % schätzt. Höcke geht davon aus, 40 % der Delegierten hinter sich zu haben (S. 17). Nimmt man den niedrigen Wert von 20 % an, macht das bei rund 35.000 Mitgliedern 7000 Personen (S. 17) – eine beträchtliche Zahl. Die zentrale, von der Katrin Ebner-Steiner (2018)
© Von Foto: Michael Lucan, Lizenz: CC-BY-SA 3.0 de, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=76237958
Parteispitze von Anfang an goutierte10 Jahresveranstaltung ist das so gennannte „Kyffhäusertreffen“. Dort wurde 2019 Björn Höcke via Werbefilm zum „‚Messias‘“, der das deutsche Volk retten solle“, verklärt (S. 19). Als bayerische „Flügel“-Vertreterin firmierte die Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bayrischen Landtag, Kathrin Ebner-Steiner. Sie fordert von Migranten „nicht nur eine Integration, sondern eine vollständige Assimilation an die deutsche Gesellschaft“ (S. 89). Das Landesschiedsgericht Bayern hat dem Flügel eine „parteiähnliche Struktur“ (S. 22) bescheinigt. Davon zeugten regionale Flügeltreffen.

Fundamentalkurs gegen das System

Die typische Diktion ist die Frontstellung nicht nur gegen die etablierten Parteien, sondern das System an sich: Björn Höcke wetterte auf einer Wahlkampfrede am 16. Oktober 2019 in Gera gegen die „Kartellparteien“, die durch „Multikulturalisierung“ für die „Auflösung Deutschlands stehen“. Mehr noch: Sie seien „Handlangern dieser globalen Elite“ und Teil einer „One-World-Ideologie“ (mit Originalzitaten S. 71). Letztere ist angeblich darauf angelegt, „der Menschheit im Ganzen und uns Deutschen im Speziellen die ‚Heimat` zu nehmen“ (S. 67). Der Bericht geht so weit, von einer „vollumfänglichen Ablehnung Björn Höckes gegenüber der gegenwärtigen politischen Ordnung“ (S. 158) zu sprechen. Höcke konstruiert eine zentrale Frontstellung, im Fachjargon „Konfliktlinie“ entlang der Frage „Bist Du für oder gegen Dein eigenes Land“ (ebd.). Den Verfassungsschutz sieht er als „Unikum in der westlichen Welt“, mit dem Zweck der Herrschenden, Wahlchancen der oppositionellen Kräfte zu minimieren.11 Beim Flügeltreffen am 4. Mai 2019 im bayerischen Greding äußerte der thüringische Frontmann, die Europäische Union (EU) stelle den „institutionalisierten ‚Todfeind‘ des ‚wahren Europas‘ und der europäischen Völker“ dar (S. 72).

Verstöße gegen die Menschenwürde

Kabitz unterscheidet mit Blick auf die Geburtenrate einander ausschließend und strikt zwischen „Bevölkerung“ und „Volk“, „Deutschen“ und „Eingebürgerten“, etwa auf einer Rede in Hirschhaid/Bayern am 30. Juni 2019 (S. 66). Ethnische Merkmale entscheiden demnach über die Volkszugehörigkeit. Für Höcke ist die multikulturelle Gesellschaft gleichbedeutend mit einer „Misstrauensgesellschaft“ (S. 77). Ideen des „Großen Austauschs“ der einheimischen Bevölkerung durch Zuwanderung „zum Vorteil einer globalistischen Finanzelite“ spielen hier eine besondere Rolle (S. 79). Semantisch nutzt er einen NS-Begriff, wenn er davon spricht, dass der „Finanzkapitalismus, der uns in seinen Klauen hält, völlig entartet sei (S. 208).

Verstöße gegen das Demokratieprinzip

Björn Höcke ist der Meinung, dass sich „die Politik der aktuell Regierenden in drastischer Weise gegen das eigene Volk (richtet)“ (S. 159). Er macht diesen Rundumschlag insbesondere an der „irrationalen Zuwanderungspolitik der Altparteien“ (ebd.) fest. Immer wieder fallen Vergleiche mit den diktatorischen Zuständen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), um eine angeblich im Westen herrschende „Unkultur des Verbots und der Bevormundung“ (S. 161), eine „Verfassungsfeindlichkeit“ (S. 163) und einen „Gesinnungsstaat“ (S 168) zu konstatieren. Drei Projekte seien besonders ideologiebeladen: Euro-Rettung, Energiewende und Einwanderungspolitik (ebd.). Die Worte wurden in Taten umgesetzt. So warb die AfD in den Landtagswahlkämpfen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg mit Slogans wie „Vollende die Wende“ und „Wir sind das Volk!“.

Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip

Stefan Räpp
© Von Essfau - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47602705
Der Verbalradikalismus bezieht sich auf alle Ebenen „des Flügels“. So verharmloste der hessische Lokalpolitiker Carsten Härle via Facebook-Post vom 27. Juni 2019 den Mord an den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen Rechtsextremisten. Obwohl Bundesinnenminister Horst Seehofer und die Sicherheitsbehörden seit Monaten vor der Gefahr des „Rechten Terrors“ warnen, äußerte Härle, dass „der rechtsextremistische Terror ein Vogelschiss gegenüber dem linksextremistischen und Migrantenterror“ sei (S. 197). Er spielte mit seiner Wortwahl auf die Aussagen von Alexander Gauland die NS-Zeit als Vogelschiss der deutschen Geschichte bezeichnet hat.12 Härle stimmt auch der These zu, die Alliierten hätten Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs (S. 215). Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Stefan Räpple bezweifelt, dass der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) jemals existiert hätte (S. 199). Andere Aussagen etwa von Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt, stellen das staatliche Gewaltmonopol in Frage.

Fazit und Ausblick

Die AfD, ein Sammelsurium für Unzufriedene, wird nicht zu einer ideologisch homogenen Partei werden. Sie spricht die Sprache der Emotionalisierung und Polarisierung in- und außerhalb des „Flügels“. Nicht am Rand, sondern im Zentrum der Partei stehen ethnische Kategorien im Sinne einer „Volksgemeinschaft“, rassistische Positionen und die Fundamentalkritik an der Regierung.13 Es spricht wenig bis nichts dafür, dass sich die AfD mäßigen und den Kurs als Fundamentalopposition zum System aufgeben wird. Sie hantiert mit Verschwörungstheorien und diskreditiert systematisch Vertrauen in politische Entscheidungen. Das dürfte in und nach der Coronakrise nicht ändern – im Gegenteil. Von Missmanagement ist bereits die Rede. Björn Höcke macht der Globalisierung, ein unsichtbarer Feind, bereits eine Kampfansage und beschwört eine Renaissance der Nation herbei. Er beschwört den Zusammenhalt, da es darum gehe, das „Land vom Kopf auf die Füße zu stellen“14, und wittert Feinde von außen.

Dass sich an der Radikalität der AfD wenig ändern dürfte, der Fall von „Doris von Sayn-Wittgenstein“, die im Verfassungsschutzbericht mehrfach erwähnte wurde – mit dem Hinweis, dass die frühere Landesvorsitzende Schleswig-Holsteins im August 2019 die Partei verlassen musste. Diese wäre auf dem Parteitag Ende 2017 in Hannover fast zur Co-Bundesvorsitzenden gewählt worden. Eine einzige Stimme fehlte ihr beim ersten Wahlgang, die bis 2019 „gern gesehener Gast auf den ‚Kyffhäusertreffen´“ (S. 53) war. Ihr offizielles Ende bei der AfD resultierte darin, dass sie für die Mitgliedschaft in einem offen rechtsextremen Verein, der Holocaust-Leugnern offensteht“ (S. 245), geworben hatte. Nun zeigt sich, dass sie offenbar immer noch Unterstützung erfährt: Am 2. Mai 2020 verschickte der Landesvorstand eine Mail, in dem ohne inhaltliche Distanzierung ein Schreiben von dem Ex-AfD Mitglied Sayn-Wittgenstein, geboren als Doris Ulrich und ohne direkten Bezug zur Adelsfamilie zu Sayn-Wittgenstein, die Alexander Gauland wegen des unklar erworbenen Adelstitels als „falsche Fürstin“ titulierte, beigefügt wurde. Es sollte der Eindruck erweckt werden, dass der Verfassungsschutz nichts gegen sie habe – ein Sachverhalt, der ihren Parteiausschluss gar nicht tangierte.15 Schon zuvor sprach etwa Thomas Rudy, Landtagsabgeordneter in Thüringen, über seine „Hochachtung“ und einen „Parteiausschluss“, der die Attribute „fragwürdig“ und „ungerecht“ habe (S. 245). Parallelen zum Fall „Kalbitz“ drängen sich auf. Die Vertreter des Flügels werden nicht klein bei geben. Sie sind als „Solidargemeinschaft“ gut organisiert und haben weiterhin mit Björn Höcke ein Idol, aber nun auch mit Andreas Kalbitz einen Märtyrer und mit Jörg Meuthen ein zentrales Feindbild. Ihn wird die populistische Logik des „Wir-gegen-die-da-oben“ treffen, die sich eigentlich gegen die „Altparteien“ richtet. Höcke hat schon über ein Video die entscheidenden Botschaften ausgesandt. Er spricht von einem „Verrat an der Partei“ und warnt vor einer „Zerstörung der AfD“. Kalbitz wird sich ebenfalls zur Wehr setzen. Ein Grabenkampf steht bevor. Vor den Augen des Verfassungsschutzes, der eine Beobachtung der Gesamtpartei bereits im Bericht in Erwägung gezogen hat.16

 

 Quellen:

1  Vgl. Tom Thieme: Dialog oder Ausgrenzung – Ist die AfD eine rechtsextreme Partei?, in: Bundeszentrale für politische Bildung, 30. Januar 2019, https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/284482/dialog-oder-ausgrenzung-ist-die-afd-eine-rechtsextreme-partei (abgerufen am 11. Mai 2020).
2  Tagesschau.de vom 1. April 2020, „Erwiesen rechtsextrem“, https://www.tagesschau.de/inland/afd-fluegel-verfassungsschutz-101.html (abgerufen am 11. Mai 2020).
3  Alice Weidel: Twitter-Eintrag vom 12. März 2020, https://twitter.com/alice_weidel/status/1238062710484619265?lang=en (abgerufen am 11. Mai 2020).
4  Tagesschau.de vom 1. April 2020, „Erwiesen rechtsextrem“, https://www.tagesschau.de/inland/afd-fluegel-verfassungsschutz-101.html (abgerufen am 11. Mai 2020).
5  Seit Dezember 2019 ist das Magazin ebenfalls „Beobachtungsobjekt“ (Verdachtsfall) des Bundesamts für Verfassungsschutz (S. 49).
6  Tagesschau.de vom 1. April 2020, „Erwiesen rechtsextrem“, https://www.tagesschau.de/inland/afd-fluegel-verfassungsschutz-101.html (abgerufen am 20. Mai 2020).
7  https://www.tagesspiegel.de/berlin/nazi-kontakte-des-afd-politikers-andreas-kalbitz-und-sein-enger-draht-zu-hdj-und-horst-mahler/24934788.html (abgerufen am 20. Mai 2020).
8  Götz Kubitschek: Wie man eine Partei anzündet, in: sezession.de vom 17. Mai 2020, https://sezession.de/62856/wie-man-eine-partei-anzuendet (abgerufen am 20. Mai 2020).
9  Dieter Stein: Ein überfälliger Befreiungsschlag, in: Junge Freiheit vom 16. Mai 2020, https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2020/ein-ueberfaelliger-befreiungsschlag/ (abgerufen am 20 Mai
2020).
10  Alexander Gauland und Jörg Meuthen wohnten etwa den Treffen bei.
11 3. April 2020, Im Gespräch: Björn Höcke im Interview mit Markus Gärtner „Die AfD wird zusammenbleiben“, „https://www.youtube.com/watch?v=zZ6QYjicDP0&t=&fbclid=IwAR3PkUwNJLkNqfR9axVkjwofxmqdfka-S3Z6K05NIm9s1aNmaTyRuZPieRw (abgerufen am 10. Mai 2020).
12  Die Welt vom 2. Juni 2018, https://www.welt.de/politik/deutschland/article176912600/AfD-Chef-Gauland-bezeichnet-NS-Zeit-als-Vogelschiss-in-der-Geschichte.html (abgerufen am 10. Mai 2020).
13  Vgl. Armin Pfahl-Traughber: Die AfD und der Rechtsextremismus. Eine Analyse aus politikwissenschaftlicher Perspektive, Wiesbaden 2019, hier S. 41.
14  3. April 2020, Im Gespräch: Björn Höcke im Interview mit Markus Gärtner „Die AfD wird zusammenbleiben“, „https://www.youtube.com/watch?v=zZ6QYjicDP0&t=&fbclid=IwAR3PkUwNJLkNqfR9axVkjwofxmqdfka-S3Z6K05NIm9s1aNmaTyRuZPieRw (abgerufen am 10. Mai 2020).
15  Die Welt vom 7. Mai 2020, „Und dann leitet die AfD von Sayn-Wittgensteins „wichtige Botschaft“ weiter, https://www.welt.de/politik/deutschland/article207797217/Dann-leitet-die-AfD-von-Sayn-Wittgensteins-wichtige-Botschaft-weiter.html (abgerufen am 20. Mai 2020).

 

Über den Autor
Dr. Florian Hartleb
Dr. Florian Hartleb
Dr. Florian Hartleb ist Forschungsdirektor am Europäischen Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention in Wien und Autor des Buchs „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ (2. Auflage: Hoffmann und Campe: Hamburg 2020).
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