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Der Schutz von Kulturgütern im Irak

Von Dr. Markus Ritter, Head of Mission EUAM Iraq

Dr. Markus Ritter, Head of Mission EUAM Iraq
© Dr. Ritter
Die zivile EU Mission zur Reform des Sicherheitssektors im Irak berät die irakischen Behörden auch beim Schutz ihres Weltkulturerbes. Kriegsschäden, illegaler Handel durch kriminelle und terroristische Netzwerke wie auch die bewusste Zerstörung durch die Islamisten des ISIS haben irakischen Kulturgütern unermesslichen Schaden zugefügt. Eine Behörden und Länder übergreifende Rettung des kulturellen Erbes des Zweistromlandes steht nun an.

Der Irak ist die Heimat vieler berühmter archäologischer Stätten. Das Land beherbergt allein fünf UNESCO-Weltkulturerbestätten: die assyrische Stadt Assur, die Zitadelle von Erbil, die Ruinen der Partherstadt Hatra, die archäologische Stadt Samarra und das Marschland (Al-Ahwar) mit den archäologischen Stätten von Uruk, Ur und Tell Eridu.

Während der Kriege und gewaltsamen Auseinandersetzungen im Irak der letzten drei Jahrzehnte wurden viele Kulturgüter zerstört, insbesondere nach der US-geführten Invasion im Jahre 2003. Im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg im Irak ab 2008, besonders aber mit Beginn der Offensive des Islamischen Staates (IS) ab Januar 2014 und der Ausrufung des Kalifats am 29. Juni 2014 zerstörten militante Gruppen Moscheen, Kirchen, Schreine und archäologische Ausgrabungsstätten. So zerstörten Kämpfer des IS im Mai 2015 die assyrischen Ruinenstädte Nimrod, Ninive und Assur. Die Zahl der Raubgrabungen nach und des Schmuggels von antiken Artefkakten stieg sprunghaft an. Wichtige und bis dahin unbekannte archäologische Stücke gingen so unwiederbringlich verloren, bevor die Wissenschaft überhaupt Kenntnis von ihnen nehmen konnte.

Der Begriff “Kulturgut”

Gemäss Art. 1 des Haager Abkommens vom 14. Mai 1954 sind Kulturgüter solches bewegliches und unbewegliches Gut, das für das kulturelle Erbe aller Völker von grosser Bedeutung ist.

Jede Schädigung eines Kulturgutes wird als “Schädigung des kulturellen Erbes der gesamten Menschheit” angesehen.

Bislang haben 131 Vertragsstaaten das Übereinkommen der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) vom 14. November 1970 über Massnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut unterzeichnet.

Kulturgut wiederum ist ein Teil des weiter gefassten Begriffs des “Kulturerbes”, der auch Rieten, Bräuche, Sprache, Musik, Folklore, etc. beinhaltet. Das gesamte Kulturerbe prägt unsere Identität und unseren Alltag.

Die Welterbe-Liste der UNESCO

Wiederaufgebaute Stadtmauer Babylon
© Dr. Ritter
Auf der Grundlage des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt vom 16. November 1972 verpflichten sich die beigetretenen Staaten (163), das auf ihrem Gebiet befindliche Welterbe (Weltkulturerbe und Weltnaturerbe) zu erfassen, zu schützen und zu erhalten. Derzeit sind 1.052 Stätten in 165 Ländern in der UNESCO-Welterbe-Liste aufgeführt.

Wachsendes Bewusstsein für den Kulturgüterschutz

Anders als früher, nimmt die internationale Gemeinschaft inzwischen Kenntnis und versucht gegenzusteuern. Erste Aufmerksamkeit erregten die gezielte Zerstörung der historischen Brücke von Mostar (Bosnien) am 9. November 1993 und die Inbrandsetzung des Staatsarchivs in Sarajewo (Bosnien) am 7. Februar 1994. Für weltweite Proteste sorgte dann die Sprengung der riesigen Buddha-Statuen in Bamiyan (Afghanistan) durch die Taliban am 12. März 2001.

Während die drei beschriebenen Ereignisse bewusst von einer Kriegspartei oder einer herrschenden Partei initiiert wurden, um die Identität einer bekämpften Volksgruppe oder Religionsgemeinschaft auszulöschen, zeigt das Beispiel der Plünderung des irakischen Nationalmuseums in Bagdad im Nachgang zum Einmarsch der US-Truppen im März 2003, dass Gruppen ganz bewusst das Sicherheitsvakuum ausnutzen, welches in Folge einer kriegerischen entstehen kann, um mit krimineller Intention Kulturgüter zu stehlen und zu verkaufen.

Die Ereignisse in Bagdad führten unmittelbar zur Resolution 1483/2003 des UN-Sicherheitsrates, in welcher alle Mitgliedstaaten aufgeforderdert wurden, geeignete Schritte zu unternehmen, um geplünderte und geschmuggelte irakische Kulturgüter wieder in den irak zurückzubringen. Im Irak selbst gilt seit 2002 das Gesetz Nr.55, welches die Plünderung und den Schmuggel von sowie die Raubgrabung nach Kulturgütern als Organisierte Kriminalität einstuft. Straftätern drohen gem. Art. 20 dieses Gesetzes zwischen 7 und 15 Jahre Gefängnis.

Im September 2016 verurteilte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag erstmals einen Islamisten aus Mali als Kriegsverbrecher zu neun Jahren Haft, weil er sich 2012 in Timbuktu (Mali) an der Zerstörung von UNESCO-Weltkulturerbestätten beteiligt hatte. Damals waren in der Hauptstadt von Mali die Sidi-Yahia-Moschee, und drei Mausoleen zerstört worden.

Massnahmen der Europäischen Union (EU)

Die EU misst dem Thema “Kulturgüterschutz”eine hohe Bedeutung bei. Rechtliche Grundlage waren bislang, in Ergänzung zu den oben aufgeführten internationalen Abkommen, das Europäische Kulturabkommen vom 19. Dezember 1954 und das Übereinkommen zum Schutz archäologischen Kulturgutes vom 6. Mai 1969.

Zikkurat in Ur
© Dr. Ritter
Die EU sah aber weiteren Handlungsbedarf. Aufgrund der beschriebenen Ereignisse im Irak verabschiedete der Europäische Rat am 7. Juli 2003 die Verordnung (EG) Nr. 1210/2003 zum Schutz irakischen Kulturguts. Der Bürgerkrieg in Syrien führte zu einer entsprechenden Verordnung (EU) Nr.1332/2013 des Rates vom 13. Dezember 2013.

Das Jahr 2018 firmierte in der EU als “Europäisches Jahr des Kulturerbes” mit zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene, um auch bei den EU-Bürgern das Bewusstsein für die Bedeutung des Kulturerbes zu stärken.

In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 14. Dezember 2017 (EUCO 19/17) erteilte dieser der Hohen Vertreterin der EU für auswärtige Angelegenheiten und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, den Auftrag , neue Aufgabenfelder zur Stärkung der zivilen Dimension der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zu erarbeiten.

Gemäss dem Civilian Common Security and Defence Policy (CSDP) Compact vom Dezember 2018, bildet nun u.a. der Kulturgüterschutz eine neue Schwerpunktaufgabe der zivilen Dimension der GSVP der EU.

Warum ist Kulturgüterschutz wichtig für den Wiederaufbau des Irak?

Es gibt viele Gründe, warum das Kulturerbe eines Staates wertgeschätzt und geschützt werden sollte. Es bildet die Grundlage für die Identität, das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Tradition, die Folklore, die Werte und die Erziehung einer Gesellschaft.

Im heutigen Irak, der von religösen und ethnischen Spannungen geprägt ist, können die Kulturschätze, die das antike Mesopotamien hinterlassen hat, als Klammer für Artefakte im Nationalmuseum Bagdad
© Dr. Ritter
eine gemeinsame Identität dienen, denn sie stammen au seiner Zeit lange vor der Entstehung der grossen monotheistischen Religionen und der Spaltung des Islam in einen schiitischen und einen sunnitischen Zweig. Zudem erkennt auch die westliche Staatengemeinschaft, insbesondere Europa, die alten Hochkulturen des Zweistromlandes als die Wiege ihrer eigenen Zivilisation an, weshalb die archäologischen Stätten des Irak einen hohen Bekanntheitsgrad haben.

Der Kulturgüterschutz hat aber auch einen wichtigen Sicherheitsaspekt, denn er dient auch zur Verhinderung der Finanzierung terroristischer Aktivitäten durch den illegalen Verkauf von Artefakten. Unbestitten hat der IS nicht nur wichtige archäologische Stätten und Museen zerstört, sondern ausgesuchte Artefakte ins Ausland gebracht und dort Verkauft, um den Feldzug seines Kalifats zu finanzieren.

Wenn es der Irak nicht schafft, seine Kulturgüter adäquat zu schützen, öffnet er damit terroristischen und kriminellen Gruppen bzw. Organisationen die Tür zu einer Einnahmequelle, die sehr viel Geld einbringen kann. Diese werden darin ermutigt, mit der Zerstörung und dem Schmuggel fortzufahren. Als direkte Konsequenz werden die Sicherheit und der Zusammenhalt seiner Gesellschaft untergraben, den ihr wird ein Teil ihrer Identität genommen. Gesellschaften ohne eine gemeinsame Identität sind anfällig für Extremismus jeglicher Art.

Das Engagement der EUAM Iraq

Aus diesen vorgenannten Gründen hat sich die auf Beschluss des Europäschen Rates vom 16. Oktober 2017 in den Irak entsandte strategische Beratermission European Union Advisory Mission to Iraq (EUAM Iraq) dieses Themenfeldes angenommen. Sie hat inzwischen zwei jeweils dreitägige Workshops zum Thema “Kulturgüterschutz”durchgeführt. Einen im Juni 2018 und den zweiten im Januar 2019.

Der erste Workshop 26.-28.Juni 2018

Erster Workshop Juni 2018
© Dr. Ritter
Der erste Workshop konzentrierte sich darauf, die grössten Herausforderungen für Iraks Sicherheitskräfte in Zusammenhang mit dem Schutz und der Rückführung illegal ausser Landes geschaffter Kulturgüter zu identifizieren und Möglichkeiten der Abhilfe zu eruieren. Ziel war es, neue Wege der Zusammenarbeit zwischen irakischen und internationalen Behörden aufzuzeigen und die gemeinsamen Anstrengungen zu maximieren, um die gemeinsamen Anstrengungen zur Bewahrung des irakischen Kulturerbes zu stärken.

Irakische Referenten für den Workshop kamen von der irakischen Federal Intelligence and Investigation Agency (FIIA), der Direktion zum Schutz von Antiquitäten innerhalb des irakischen Innenministeriums, dem Kulturministerium und dem irakischen Büro zur Rückführung von Antiquitäten. Die internationalen Spezialisten waren von der Task Force “Unit 4 Heritage” der italienischen Carabinieri, dem Deutschen Archäologischen Institut, dem dänischen Nationalmuseum, den französischen Unternehmen PARCS ARCHAVIA und ARCHAIOS, dem United Nations Mine Action Service (UNMAS), der UNESCO und von Interpol.

Einig waren sich alle Fachleute, dass seine wirksame Kontrolle der Land- und Seegrenzen sowie der Flughäfen unabdingbare Voraussetzung für einen wirksamen Kulturgüterschutz ist. Hinzu kommen die Überwachung des Antiquitätenmarktes und entsprechender Foren im Internet. Da viele archäologische Stätten des Irak in entlegenen Gebieten liegen, ist es auch wichtig, bei der dortigen Landbevölkerung ein entsprechendes Problembewusstsein zu wecken und die Anführer der Stämme für den Schutz solcher Stätten zu gewinnen. Möglich ist auch der Einsatz von Satelitten zur Überwachung von identifizierten oder potenziellen archäologischen Stätten, mit deren Hilfe man Grabungen und Veränderungen feststellen kann. Wichtig ist aber ebenso, möglichst schnell und umfassend archäoligische Stätten zu erfassen, zu untersuchen, zu dokumentieren und dann die Funde umfassend zu registrieren und zu katalogisieren. Nur so lassen sich gestohlene und wieder aufgefundene Stücke identizieren, zuordnen und gerichtsfest zurückfordern.

Die italienischen Carabinieri haben in ihrer Datei “Leonardo” recherchierbare Informationen über eine Millionen unrechtmässig abhanden gekommener Antiquitäten. Über eine App kann jeder Polizei- oder Zollbeamte sogar auf seinem Smart- oder Iphone Zugriff auf diese Datensammlung erlangen.

Alle Teilnehmer stimmten zu, dass Aktualität, Qualität und damit Recherchierbarkeit der Erfassung von Museumsbeständen einerseits sowie die schnelle Datenweitergabe – auch international - und eine effektive Grenzkontrolle Grundvoraussetzungen für den wirksamen Kulturgüterschutz sind.

Der zweite Workshop vom 22.-24. Juni 2019

Der zweite Workshop im Januar 2019, der an einem Tag auch im irakischen Nationalmuseum durchgeführt wurde, diente der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen irakischen und ausländischen bzw. Internationalen Behörden und Organisationen.

Nationalmuseum Bagdad
© Dr. Ritter
Internationale Referenten kamen vom European Counter-Terrorism Coordination Office (ECTC), der UNESCO, der World Customs Organization (WCO), dem Office Central de Lutte contre le Traffic de bien Culturels (OCBC) der französischen Kriminalpolizei, der belgischen Kriminalpolizei, dem hessischen Landeskriminalamt, dem tschechischen Innenministerium, der Direktion zur Terrorismusbekämpfung in der spanischen Polizei, den italienischen Carabinieri, dem Deutschen Archäologischen Institut und der Bundeskunsthalle in Bonn. Irakische Referenten wurden vom Innenministerium (Polizei zum Schutz von Antiquitäten) und der Direktion zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in der FIIA gestellt.

Wieder wurde als eine der grössten Herausforderungen für den Kulturgüterschutz im Irak die unzureichende Registrierung der Grabungsfelder und Artefakte dikutiert. Anders als beim ersten Workshop lag der Schwerpunkt der Gruppenarbeiten aber nicht darin, dass Artefakte oft überhaupt nicht registriert sind, sondern befasste sich mit dem Phänomen, dass Registrierung und Katalogisierung, wenn sie denn erfolgt sind, häufig erhebliche Defizite im Bereich der fotografischen und digitalen Erfassung aufweisen. Hinzu kommen eine fehlende Aktualität der Kataloge und eine unzureichende Pflege der Datenbanken in den vielen Museen und dem Kulturministerium. Nur was recherchierbar erfasst, beschrieben und gespeichert ist, kann gesucht, sichergestellt und wieder rückgeführt werden.

Die Polizei hat oft nicht ausreichend Personal, um die vielen archäologischen Stätten zu bewachen. Allein die Provinz Thi-Quar, in der sich auch die antike Stadt Ur befindet, zält ca. 900 archäologische Stätten. Für deren Schutz stehen 180 Polizisten zur Verfügung.

Sind Artefakte registriert und katalogisiert, sind die technischen Informtionssysteme international häufig nicht kompatibel oder die Verwaltungsverfahren dauern zu lang. Sogenannte “Repatriation Letters” sind oft nicht vollständig oder erfüllen nicht die Anforderung desjenigen Staates, in dem das geschmuggelte Artefakt sichergestellt worden ist.

Ausblick

Kulturgüterschutz im Nationalmuseum Bagdad
© Dr. Ritter
Die EUAM Iraq wird auch zukünftig intensiv daran arbeiten, den behördenübergreifenden, interministeriellen und internationalen Informationsaustausch in Sachen Kulturgüterschutz zu verbessern und das erforderliche Spezialwissen an die damit befassten Strafverfolgungsbehörden zu vermitteln.

Die Mission unterstützt den Irak dabei, ein grenzüberschreitendes Netz aufzubauen, um seine Strafverfolgungsbehörden, den Grenzschutz und das Kulturministerium in die Lage zu versetzen, zusammen mit seinen Nachbarländern entsprechende Gegenmassnahmen zu treffen.

Ein strategischer Berater für Kulturgüterschutz der EUAM Iraq wird die irakische Federal Investigation and Intelligence Agency (FIIA) entsprechend beim Aufbau entsprechender Kapazitäten unterstützen und die grenzpolizeilichen Berater werden zusammen mit internationalen Partnern, wie der NATO und IOM, dazu beitragen, die Qualität der Grenzkontrollen derart zu verbessern, dass die Ausserlandesbringung von Artefakten wenn nicht verhindert, dann aber zumindest wesentlich erschwert wird.

 

Über den Autor
Dr. Markus Ritter
Dr. Markus Ritter
Dr. Ritter begann seine polizeiliche Laufbahn nach Abitur und Bundeswehr zunächst bei der Polizei des Landes Baden-Württemberg. Nach dem Abschluss eines Studiums der Rechtswissenschaften sowie dem Magisterstudium an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften absolvierte er sein Referendariat beim Landgericht Heidelberg. Mit dem zweiten juristischen Staatsexamen und Magister der Verwaltungswissenschaften wechselte er 1996 zum damaligen Bundesgrenzschutz. 1999 schloss sich hier noch seine Promotion ebenfalls an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer an. Er war in der Vergangenheit bereits in Krisenländern wie dem Kosovo, Georgien, Afghanistan und dem Südsudan im Einsatz. Zuletzt arbeitete er als Ständiger Vertreter des Präsidenten der Bundespolizeidirektion am Flughafen Frankfurt/Main. Auch innerhalb der Bundespolizei kann er auf eine stattliche Verwendungsbreite und Erfahrung in den unterschiedlichsten Bereichen zurückgreifen.
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