Ein Geldtransporter auf Abwegen
Von Klaus Henning Glitza
Es scheint so, als wäre er am Ende des Tages doch nicht schlau genug gewesen für den ganz großen Coup. Die Rede ist von dem Fahrer eines gepanzerten Geldtransportfahrzeuges des Unternehmens Prosegur, aus dem auf zunächst unerklärliche Weise 2,3 Millionen Euro verschwunden sind. Der aus Polen stammende Mann gab sich größte Mühe, die Strafverfolgungsbehörden in die Irre zu führen. Doch letztlich war es eine vergebliche Mühe.
Jetzt ist das Geld wieder da – abgesehen von einem sechsstelligen Betrag. Aber der Fahrer ist „weg“, wenn man seine derzeitige Anwesenheit in der Justizvollzugsanstalt Neumünster so bezeichnen darf. Mit ihm in Untersuchungshaft: ein 47-jähriger mutmaßlicher Komplize, der aber mit dem Unternehmen Prosegur nichts zu tun hat. Der Beifahrer, den der Tatverdächtige perfider Weise massiv belastete, ist offenbar außen vor. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen, betont Oberstaatsanwalt Axel Bieler von der Staatsanwaltschaft Kiel gegenüber Veko-online, aber derzeit gehe er davon aus, dass der zweite Mann im Panzerwagen nicht an der Tat beteiligt war.
Das Tatgeschehen hatte den Strafverfolgungsbehörden zunächst viele Rätsel aufgegeben. Bekanntermaßen hatte sich folgendes zugetragen: Ein Panzerwagen war am 24. Januar dieses Jahres von der Prozedur Niederlassung in Hamburg-Billbrook um 15 Uhr gestartet. Geladen hatte er Bargeld, das in Kassetten verpackt war. Die Route: über die Bundesautobahnen A1 und A 21 sowie über die Bundesstraße B 404 nach Melsdorf (Landkreis Rendsburg-Eckernförde, nahe Kiel) dem Zielort der Tour. Als in der dortigen Prosegur-Niederlassung das gepanzerte Fahrzeug geöffnet wurde, fiel sofort ins Auge, dass drei der Kassetten mit einem Gesamtinhalt von 2.3 Millionen Euro fehlten. „Mich hätte fast der Schlag getroffen, als ich das sah“, so ein Zeuge. Ein Mysterium, denn Aufbruchspuren waren nicht erkennbar.
Schwierige Ermittlungen
Die Ermittlungen ergaben rasch, dass das Geldtransport-Duo nicht nach den Regeln der Kunst gearbeitet hatte. Die beiden Männer legten gleich zwei Pausen ein. Die erste Pause, am Rastplatz Rehbrook-Ost (A 21), schien noch begründet zu sein. Einer der Geldfahrer, dem Vernehmen nach handelte es sich um den dringend Tatverdächtigen, gab an oder vor, an Magenschmerzen und Übelkeit zu leiden.
Die zweite Pause, die zunächst beide verschwiegen, wurde an der Esso-Tankstelle in Kirchbarkau (B 244) eingelegt. Dort wurde der Verstoß gegen geltende Vorschriften auf die Spitze getrieben. Das Duo verließ gemeinschaftlich das Fahrzeug. Der Panzerwagen war dabei nicht oder nur teilweise im Blickfeld. Die Magenprobleme eines der beiden waren offenbar wie weggeblasen. Die Geldfahrer taten sich an Cappuccinos und Bockwürsten gütlich und rauchten eine Zigarette. Völlig entspannt hätten sie gewirkt, berichtet ein Zeuge. Das Duo war nicht zum ersten Mal in der Esso-Tankstelle zu Gast. „Die machten hier regelmäßig Siesta“, so eine Zeugenaussage. Dabei lobten die Geldfahrer häufiger die gute Qualität der Bockwurst, die es ihnen offensichtlich angetan hatte. Das ließ sie offenbar die Vorschriften vergessen…. Erst kommt das Essen, dann kommt die Moral, wusste schon Bert Brecht.
Die Auswertung der automatischen Tankstellen-Videoaufzeichnungen brachte eine weitere massive Sicherheitslücke an den Tag. Deutlich war zu sehen, dass die hintere Tür des Geldtransportfahrzeugs einen Spalt weit offenstand. Sie musste also geöffnet worden sein.
Die Spurensicherungs-maßnahmen, bei der auch Spürhunde eingesetzt wurden, ergaben schnell; Als Tatort kommt nicht die Autobahnrastplatz Rehbrook-Ost infrage, sondern das Tankstellengelände in Kirchbarkau. Ermittler gehen davon aus, dass ein Fahrzeug des oder der Mittäter vor dem Panzerwagen hielt und die Kassetten umgeladen wurden. Ferner wird vermutet, dass mehr Personen als der festgenommene vermutliche Mittäter an diesem Coup beteiligt waren, denn die Kassetten sind bis zu 100 Kilogramm schwer und die Umladeaktion musste sehr schnell vonstattengehen. „Zwei Zentner, da bedarf es schon mindestens einer zweiten Hand“, so ein Kriminalist.
Solche Erkenntnisse waren am Anfang der Ermittlungen weit und breit nicht in Sicht. „Da wurde mehr oder minder im Nebel gestochert“, so ein Ermittler. In der Tat war für die Strafverfolgungsbehörden die Ausgangssituation zunächst ein Debakel. Bei den Einlassungen der Verdächtigen herrschte Aussage gegen Aussage; einen Beweis, der einen hinreichenden Tatverdacht begründet hätte, gab es nicht. Das bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getretene Geldtransport-Duo musste deshalb zunächst auf freien Fuß belassen werden. Obwohl für die ermittelnden Kriminalbeamten in Neumünster klar war, dass nur einer der Geldfahrer oder beide zusammen die Tat begangen haben konnten. Doch Kriminalistengespür und eine offensichtlich erscheinende Sachlage sind noch kein Beweis, den ein deutsches Gericht anerkennt.
Die Ermittlungen werden ausgeweitet
Polizei und Staatsanwaltschaft entschieden sich deshalb, einen Gang höher zu schalten und eine Observationsmaßnahme einzuleiten. Das ist bekanntermaßen eine sehr personalintensive und aufwändige Ermittlungsmethode, von der oft genug aufgrund der engen Personallage Abstand genommen wird. Im vorliegenden Fall zeigte sich aber, dass sich der Aufwand durchaus lohnen könnte.
Bei der verdeckten Beobachtung traten einige Auffälligkeiten zutage, die die Kriminalisten in ihrem Anfangsverdacht bestärkten. Schnell wurde klar, dass der tatverdächtige Geldfahrer Fahrzeuge bewegte, die nicht auf ihn zugelassen waren. Bald kam auch ein zweiter Mann, nämlich ein 47-jähriger, gleichfalls aus Polen stammender Bekannter des mutmaßlichen Haupttäters, ins Visier. Und auch dieser fuhr mit Fahrzeugen umher, die formal anderen Personen gehörten. Besonders verdächtig: Ein Wohnmobil, das der vermutliche Haupttäter benutzte. Es war auf einen Bekannten dieses Mannes zugelassen, der mit einer Legende und vermutlich auch einer Motivationshilfe zu diesem Schritt animiert wurde. Das Fahrzeug war ein Geldbunker, wie sich später herausstellte.
Auffälligkeit Nummer 2 war das Geldausgabeverhalten des Hauptverdächtigen. Zwar lebte er nicht wie der legendäre Krösus, aber das, was er finanziell umsetzte, entsprach keinesfalls dem, was sein Lohnzettel hergab. Er habe nicht rumgeprasst, so ein Ermittler. Aber etwas zu viel an Ausgaben sei auch schon ein Verdachtsmoment. Sein Chef Thomas Wolff ergänzt; „Das war für uns ein Indiz, dass wir richtig liegen könnten, weil da offensichtlich schon Gelder aus der erbeuteten Millionensumme ausgegeben wurden."
Dritter Punkt: der Geldfahrer und sein mutmaßlicher Komplize verhielten sich äußerst konspirativ. In den Fahrzeugen sitzend, warfen sie regelmäßig Blicke in den Rückspiegel. Offenbar „schüttelten“ sie auch, das heißt, sie fuhren „Irrwege“ bogen mehrfach ohne erkennbaren Anlass ob, um eventuelle Verfolger zu entdecken. Wenn sie Zielpunkte ansteuerten, fuhren sie vorher um diverse Ecken. Es ist denkbar, dass der mutmaßliche Komplize über einschlägige Erfahrungen verfügte.
Die sensibilisierten Kriminalisten nahmen insbesondere das Wohnmobil unter die Lupe. Dazu liehen sie vom Hamburger Zoll, der wegen des Hafens besonders gut ausgestattet ist, ein mobiles Röntgengerät. Die vermutlichen Täter hatten viel Kreativität walten lassen, um das Geld in Hohlräumen zu verstecken, so ein Beamter. Aber das Röntgengerät brachte es an den Tag. Bei der Durchsuchung wurden allein im Wohnmobil 500.000 Euro gefunden. Banderolen und Verpackungen belegten eindeutig: das war Geld aus dem Panzerwagen. In anderen Fahrzeugen, insgesamt waren es sechs an der Zahl, wurde weitere Summen aus der Beute sichergestellt. Zwei Millionen Euro waren es, die entdeckt wurden.
In der Justizvollzugsanstalt Neumünster, wo beide Tatverdächtige derzeit einsitzen, herrsch das große Schweigen. Beide Beschuldigten haben sich darauf verlegt, die Aussage zu verweigern. So wird vorerst vermutlich ein Geheimnis bleiben, wo der Rest der Beute geblieben ist. Klar ist nur: ausgegeben wurde der größte Teil davon offenbar bislang nicht.
Die Ermittlungen gehen weiter
Schwerpunkt ist die Feststellung weiterer Tatbeteiligter, denn die Strafverfolger gehen nicht davon aus, dass das Duo ohne Mithelfer am Werke war. In diesen Kreisen werden vermutlich die noch fehlenden Teile der Beute zu finden sein, so ein Ermittler. Mehr sagt er nicht, um den Fortgang der Ermittlungen nicht zu gefährden.
Leidtragender des Falles ist auch der Beifahrer. Obwohl er offenbar mit der Tat nichts zu tun hatte, ist er seinen Job los. Gekündigt wurde ihm – wie auch dem Fahrer – wegen massiver Verstöße gegen geltende Vorschriften. Besonders das gemeinsame Verlassen des Geldtransporters in Kirchbarkau wird ihm zur Last gelegt. Deshalb wird er auch bei erwiesener Unschuld, den Diebstahl betreffend, nicht wieder eingestellt. Auch ein Mitglied des mittleren Managements wurde entlassen. Er hatte offenbar den Verstoß gegen die Vorschriften zu leichtgenommen und somit gedeckt.
Auch mangelnde Sorgfalt kann zum Verhängnis werden!
PKS 2017:
Überfälle auf Geldtransporter scheitern fast immer
5 von 6 Überfällen auf Geldtransporter (Spezialgeldtransportfahrzeuge) bleiben im Versuchsstadium stecken. Dies weist die gestern von Bundesinnenminister Seehofer vorgestellte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2017 aus.
„Die Zahl der Überfälle ist zwar leider wieder leicht gestiegen, aber erfreulicherweise scheiterten diese fast alle“, so Micheal Mewes, Vorsitzender der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste.
Gemeinsam mit den Sicherheitsbeauftragten, Vertretern der Berufsgenossenschaft und den Sachversicherern sowie den Kundenverbänden habe der Verband wirksame Sicherheitsstandards erarbeitet. „Unsere Sicherheitsstandards erweisen sich als erfolgreich“, so Mewes. Wesentliche Bausteine der Sicherheitsvorschriften der BDGW seien der Einsatz von hochwertig gepanzerten Fahrzeugen, Zwei-Mann-Besatzung, GPS-Ortung der Fahrzeuge, Bewaffnung der Beschäftigten sowie der Einsatz von Transportsicherungssystemen.