#MeToo und die Folgen
Zum Schutz der Frauen: „Schließt das Oktoberfest“
Von Dr. jur. Alexander Stevens
Nachstehend einige Gedanken zu dem aktuellen Urteil gegen den bundesweit bekannten Pianisten und früheren Rektor des Mozarteums Prof. Siegfried Mauser, den das Landgericht München wegen dreier Fälle des „Busengrapschens“ zu knapp drei Jahren Haft (ohne Bewährung) verurteilt hat.
Ich meine, dass es an der Zeit ist einmal deutlich zu machen, wohin die „metoo"- und „NeinheißtNein" Bewegung geht, wenn im Gegenzug für schwere Gewaltdelikte, ja sogar Fälle in denen Menschen getötet wurden, deutlich geringere Strafen ausgesprochen werden. Dabei scheint mir der Zenit der Bewegung noch nicht einmal erreicht.
Nehmen wir mal an, Sie werden gegen ihren Willen am Po begrapscht. Leider hat es niemand gesehen, der Grapscher bestreitet irgendetwas getan zu haben. Es steht Aussage gegen Aussage.
„Pech gehabt“ könnte man meinen, wer soll schließlich im Nachhinein feststellen, wer die Wahrheit sagt. Man denke nur an den Pausenhofstreit zweier Schüler, die sich beide gegenseitig bezichtigen, jeweils zuerst angefangen zu haben. Die Lehrerin wird entweder gar nichts unternehmen oder einfach beide ermahnen. Gibt es keine anderen Zeugen oder gar Videoaufnahmen steht es Patt.
Auch Richter haben keine von Gott gegebenen Fähigkeiten festzustellen, wer nun die Wahrheit sagt. Deshalb gilt selbst in Amerika, dem Land, dessen Rechtssystem mit Todesstrafe und Geschworenengericht hierzulande gern kritisiert wird, dass im Falle von Aussage gegen Aussage, ohne weitere Beweise also, kein Prozess zugelassen wird.
Und warum ist das so? Weil man nicht wissen kann, ob der einzelne Zeuge neutral und unbefangen ist, oder gar ein eigenständiges Interesse am Verfahrensausgang hat. Und vor allem weiß man nicht, ob der Zeuge sich richtig erinnert. War es denn wirklich die Person hinter mir, die mir an den Po gegrapscht hat, oder doch die Person daneben?
Mittlerweile ist wissenschaftlich erwiesen, dass Erinnerungen im Gedächtnis ständig neu zusammengesetzt werden. Manches wird vergessen und Vergessenes durch neue Erinnerungen ersetzt. Auch das Verwechseln verschiedener Ereignisse, die dann im Gedächtnis zu einem einzigen Ereignis verschmelzen oder das Entstehen insgesamt falscher Gedächtnisbilder aufgrund von Dingen die man von anderen gehört oder in der Zeitung gelesen hat, sorgen für falsche Erinnerungen, auch im Alltag.
Daher gilt schon seit Jahrhunderten der Rechtssatz: „Die Aussage eines einzigen Zeugen kann keinen vollen Beweis schaffen“ – oder einfacher gesagt: „Ein Zeuge, ist kein Zeuge“, „Ein einzelner Zeuge ist einäugig“ oder „Mit dem Zweiten sieht man besser“ (Zitat von Prof. Volk).
Das deutsche Strafrecht geht einen anderen Weg: Es erlaubt Richtern trotz der Patt-Situation bei Aussage gegen Aussage einem einzigen Zeugen zu glauben. Der Fachbegriff dafür lautet „freie Beweiswürdigung“. Hält der Richter die Aussage des Zeugen für wahrscheinlicher als die des Angeklagten, darf er ihn verurteilen – Im Zivilrecht übrigens undenkbar. Wenn Sie nämlich den Schaden ihres Autos ersetzt haben wollen, reicht es nicht aus, dass Sie gesehen haben, wer ihr Auto beschädigt hat. Vielmehr müssen sie die Beschädigung mit Mitteln beweisen, die sich nicht auf ihre bloße Aussage begründen – Grund: Sie sind ja parteiisch.
Der Strafrechtsprofessor Klaus Volk bringt es mit einem einfachen Beispiel auf den Punkt: „Ein Astronom, der verkündet: »Es gibt einen neuen Stern, ich kann es nur noch nicht beweisen!«, würde nicht ernst genommen. Ohne Beweis »gibt« es den Stern nicht, weder Vermutungen noch Thesen lassen ihn erstrahlen“. Ein Richter im Strafprozess nimmt aber genau diese Rolle des Astronomen ein, wenn er im Falle von Aussage gegen Aussage anhand seiner bloßen Überzeugung darüber urteilt, welche von zwei Aussagen er wahrscheinlich für falsch beziehungsweise richtig hält:
»Der Angeklagte ist es ziemlich wahrscheinlich gewesen und wird deshalb zum Tod durch den Strang verurteilt«? – Ein solches Urteil würde auch nicht dadurch erträglicher, wenn man die Todesstrafe durch »lebenslänglich«, 6 Jahre Freiheitsstrafe oder gar tausend Euro Geldstrafe ersetzte.
Nun könnte man einwenden, dass bloßes Grapschen doch ohnehin nicht hoch bestraft sei, und man halt einfach Pech hat, wenn es auch mal einen Unschuldigen trifft. Wegen Grapschens reißt einem sicher niemand den Kopf ab, passiert doch auf dem Oktoberfest ständig.
Nun ja, vor zwei Jahren war Grapschen noch nicht einmal strafbar. Seit der Sexualstrafrechtsreform Ende 2016 kann Grapschen aber auch als sexuelle Belästigung mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Dabei liegt die Betonung auf „Kann“ – denn ob man wegen sexueller Belästigung oder gar wegen sexueller Nötigung bestraft wird, liegt ausschließlich daran, wie ein Richter das Grapschen wertet. Bewertet er es als eine sexuell erhebliche Handlung, ist das Strafmaß bis zu 10 Jahre, im Falle von gewaltvollen Grapschen 15 Jahre. Ja, Sie lesen richtig, bis zu 15 Jahre Knast für Grapschen, nicht für aufgezwungenen Sex oder die Berührung des nackten Körpers; Das bloßes Betatschen des Po’s oder anderer erogener Zonen oberhalb der Bekleidung kann dafür ausreichen. Und seit ein paar Tagen wissen wir auch, dass Gerichte den Strafrahmen für Grapschen durchweg ausnutzen: Knapp drei Jahre Haft bekam ein Musikprofessor dafür, dass er einer Bewerberin an drei verschiedenen Bewerbungsterminen an den Busen gefasst hatte. Dass sie trotz des Grapschens beim ersten Vorstellungsgespräch wieder und wieder zu weiteren Vorstellungsgesprächen kam, irritierte das Gericht ebenso wenig, wie das vehemente Bestreiten des Professors, dass er die Frau jemals angefasst hätte.
Nun ist Grapschen keine Erscheinung der Neuzeit. Wo es gesellig wird, oft Alkohol im Spiel ist, da fallen auch häufig die Hemmungen. Das darf man nicht gutheißen, aber es ist auch kein Kapitalverbrechen, wie etwa die Tötung des Jonny K im Oktober 2012 am Berliner Alexanderplatz. Für die tödlichen Fußtritte gegen das am Boden liegende wehrlose Opfer bekam der Täter viereinhalb Jahre Haft. Und in München hatte vor einigen Wochen ein angetrunkener Mann eine junge Frau mit einem so heftigen Faustschlag vor der Disko niedergesteckt, dass er ihr die Nase brach, wobei er dem blutenden Opfer zu allem Überfluss noch ins Gesicht spuckte. 100 Tagessätze Geldstrafe lautete das Urteil.
Wenn gegrapscht wird, ist das nicht in Ordnung. Drei Jahre Haft dürften angesichts von Fällen bei denen für Gesundheitsschädigungen von Menschen nur kleine Geldstrafen ausgesprochen werden, nicht mehr verhältnismäßig sein, auch nicht im Verhältnis zu Tötungen bei denen nur ungleichviel höhere Strafen ausgesprochen werden.
Daher kann es nur folgerichtig sein, Veranstaltungen, bei denen Grapschereien nicht ausbleiben, kategorisch abzusagen: Zum Schutz der Frauen! Denn es sind auch viele Frauen die in der losgelösten Stimmung von Alkohol und Party gerne mal dem heißblütigen Nachbarn in Lederhosen und Caro Hemd an den Po fassen, ob am Oktoberfest, Ballermann oder anderen frivolen Festivitäten.