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Im Verlauf der Schlacht bei Issos rettete im Jahr 333 v. Chr. ein Leibwächter des Perserkönigs Darius seinen Herrn, als er einen Lanzenstoß mit seinem Körper abfing.

Leibwächter

Episoden aus der langen Geschichte des Personenschutzes

Von Dr. Reinhard Scholzen

Seit es Politiker gibt, werden sie von Leibwächtern beschützt. Mitunter wurde sehr viel Aufwand getrieben, um das Leben des Staatsoberhauptes zu beschützen, in anderen Zeiten maß man diesem Bereich der Sicherheit nur eine geringe Bedeutung bei.

Anfang Oktober 2014 war das Maß voll. Nachdem bekannt geworden war, dass ein mit einer Pistole bewaffneter, vorbestrafter Mann zusammen mit dem US-Präsidenten Barack Obama im Aufzug gefahren war, musste die Chefin des Secret Service, Julia Pierson, zurücktreten. Die Aufarbeitung des Geschehens im Zentrum für Seuchenkontrolle in Atlanta belegte eindrucksvoll, dass die Personenschützer des Präsidenten überfordert waren. Mehrfach hatten diese den Mann, der den Präsidenten im Aufzug mit einem Handy filmte, gebeten, dies doch zu unterlassen. Erst nachdem der mächtigste Mann der Welt ausgestiegen war und die Bodyguards den Mitfahrer befragten, entdeckten sie bei ihm eine Schusswaffe. Dieser Vorfall war das letzte Glied in einer Serie von Pannen. Wenige Tage zuvor hatte ein an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidender Mann den Zaun des Weißen Hauses in Washington überklettert. Danach war er durch die unverschlossene Eingangstür in den Sitz des US-Präsidenten gelangt, spurtete durch die Empfangshalle und konnte erst am Ende des rund 25 Meter langen „East Rooms“ von Sicherheitsbeamten gestoppt werden. Einige Monate zuvor sorgte ein sturzbetrunkener Leibwächter, der bewusstlos auf dem Flur eines Amsterdamer Hotels gefunden worden war, für Aufsehen. Noch vor der Amtsübernahme von Julia Pierson hatte im November 2011 ein Mann insgesamt sieben Schüsse auf den Bereich der Privaträume Obamas abgefeuert und dabei fast einen der auf dem Dach postierten Scharfschützen des Secret Service getroffen.

In der Regel bleiben Details der Arbeit der Leibwächter der Öffentlichkeit verborgen.

In der Antike

Qin Shi Huang, der erste chinesische Kaiser
Foto: © gemeinfrei/Wikimedia Commens
Bereits in den Überlieferungen der ältesten Kulturen – im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris – finden sich Hinweise auf Soldaten, die den höchsten politischen Repräsentanten beschützten. Bereits damals und auch tausende Jahre später rekrutierte man häufig die Leibwächter des Herrschers aus der Elite des Landes: Die Leibgarde Alexander des Großen, die Somatophylakes, bildeten sieben adelige Offiziere. Man setzte darauf, dass die Personenschützer aus der Oberschicht mit besonders großem Ehrgeiz das Leben des Herrschers beschützen würden, besonders dann, wenn sie diesem ihren sozialen Aufstieg verdankten.

Als der chinesische Kaiser Quin Shi Huangdi im Jahr 210 vor Christi Geburt starb, bestattete man ihn zusammen mit einer 7000 Mann starken Armee aus Terrakottafiguren. Manches spricht dafür, dass sich darunter auch Leibgardisten befanden.

Die ausgegrabene Terracotta-Armee
Foto: © Tor Svensson/sv. Wikipedia/CC BY-SA 3.0
In einem Grab bei Assiut in Ägypten fanden Archäologen als Grabbeigaben auch Holzfiguren, die dunkelhäutige, mit Pfeil und Bogen bewaffnete Männer darstellen. Nicht wenige Altertumsforscher vermuten, dass die lang aufgeschossenen Krieger nicht zu den regulären ägyptischen Soldaten gehörten, sondern einzig dem Schutz des Pharaos dienten.

Die spärlichen Hinweise auf die Beschützer der Herrschenden können nicht überraschen. Sowohl für Artefakte als auch für die ältesten schriftlichen Überlieferungen gilt, dass sie nur einen kleinen Teil der damaligen Wirklichkeit abbildeten. Darüber hinaus spricht einiges dafür, dass auch die Leibwächter des Altertums ein nahezu undurchdringbarer Schleier des Geheimnisvollen umgab.

Etwas dichter wird die Überlieferung in der Herrschaftszeit der römischen Kaiser. Legendär ist die „cohors praetoria“. Sie war ursprünglich die Leibgarde der römischen Feldherrn, aus der sich unter Kaiser Augustus die Prätorianergarde entwickelte. Die einfachen Prätorianer wurden in Rom im Polizeidienst eingesetzt, andere bewachten die Paläste und Villen des Reichsoberhaupts oder sie begleiteten Auf der Trajan-Säule in Rom sind auch Feldzeichen der Prätorianer abgebildet. Augustus auf seinen Reisen und Kriegszügen. Den innersten Schutzkreis bildete eine Kohorte der berittenen „Speculatores“. Diese 500 Mann starke Truppe übernahm den direkten Personenschutz, zusätzlich auch Kurierdienste und bei Bedarf geheimdienstliche Tätigkeiten. Entsprechend ihrer Bedeutung wurden die Prätorianer gut besoldet: Im Jahr 27 vor Christus bekamen sie das doppelte Salär eines einfachen Legionärs. Einige Jahre später erhöhte der Herrscher ihren Sold noch einmal. Zusätzlich erhielten sie weitere Vergünstigungen, so war ihre Verpflichtungszeit kürzer als die der Legionäre. Auch wenn sie nach 16 Jahren aus dem Dienst ausschieden, konnten sie sich noch der Fürsorge ihres Herrn erfreuen. In Makedonien, in Mauretanien und im italienischen Ort Aosta entstanden Siedlungen für die ehemaligen Beschützer. Besonders deutlich zeigte sich die Bevorzugung der Garde beim Tod des Kaisers Augustus im Jahr 14 nach Christi Geburt. Der römische Geschichtsschreiber Sueton berichtet, dass jeder Leibwächter bei diesem Anlass je 1000 Sesterzen erhielt, die einfachen Soldaten bekamen von dem im Tode großzügigen Imperator je 300 Münzen.

Diese Privilegien sorgten bei den übrigen Waffenträgern für Unmut. Während der Soldatenunruhen, die die Übergangszeit bis zur Thronbesteigung seines Nachfolgers Tiberius prägten, kam immer wieder die Forderung nach Angleichung der Löhne auf. Die aufgeheizte Stimmung führte dazu, dass der neue Herrscher seine Wachen, die zuvor noch auf mehrere Standorte verteilt waren, in einer einzigen Kaserne in seiner unmittelbaren Nähe stationierte. Auch Tiberius bedachte seine treuen Prätorianer mit großzügigen Geldgeschenken. Jedoch war der Kaiser launisch, um es vorsichtig auszudrücken, und seine Willkür legendär: Ein Leibgardist des Kaisers Tiberius, der aus einem Garten einen Pfau stahl, bezahlte dies mit seinem Leben.

Auch beim Tod dieses Kaisers spielten die Leibwächter eine entscheidende Rolle. Mehrere römische Geschichtsschreiber berichten über Ennia Naevia, die Frau des Prätorianerkommandanten Marco, die der designierte Thronfolger Caligula verführte und ihr die Ehe versprach. Aus dieser Dreiecksbeziehung soll das Komplott entstanden sein, an dessen Ende die Ermordung des Kaisers Tiberius stand.

Im unmittelbaren Personenschutz setzte Caligula auf großgewachsene Germanen aus dem Stamm der Bataver. Die Männer vom Niederrhein mussten gute Nerven haben; denn der Caesarenwahn – mit dem man landläufig in erster Linie Kaiser Nero in Verbindung bringt – war auch bei Caligula deutlich ausgeprägt. An einem Tag tanzte er einfach nur wild herum, an einem anderen nahm er Schulkinder als Geiseln oder ließ willkürlich irgendjemanden töten. Die Leibgarde konnte seine Ermordung am 24. Januar des Jahres 41 nach Christi Geburt nicht verhindern. Es existiert aber auch das Gerücht, dass sie an seinem Tod direkt beteiligt war.

Auf den ängstlichen Kaiser Claudius, der die Garde regelmäßig mit seinem ganzen Kummer konfrontierte, folgte Nero. Die historische Überlieferung über diesen römischen Herrscher ist nicht weit entfernt von dem Hollywood-Epos „Quo vadis“, in dem Peter Ustinov die Höhen und Tiefen des Imperators in unvergleichlicher Brillanz darstellte. Bei seinem Amtsantritt übernahm Nero selbst die Führung der Prätorianer und gründete kurze Zeit später in Anzio eine Kolonie für ehemalige Angehörige seiner Leibwache. Je länger seine Herrschaft dauerte, desto mehr gerieten seine Gardisten in die Rolle von Statisten für die exaltierten Auftritte ihres Herrn. So mussten sie ihm jederzeit seine Leier hinterhertragen, falls diesen plötzlich die Muse küsste. Die Herrschaft des Kaisers charakterisierten Verbrechen, denen auch der Prätorianerkommandant Burrus zum Opfer fiel. Er hatte den Caesaren um eine besondere Medizin für seine Halskrankheit gebeten – Nero ließ ihm Gift schicken. Ähnlich erging es weiteren aktiven und ehemaligen Leibwächtern.

Die Prätorianer reagierten auf die fortgesetzten Demütigungen und Untaten. In der Todesstunde schleppten sie aus Neros Privatgemächern die Wertgegenstände weg und überließen ihn seinem Schicksal. Auch an seinem Nachfolger, Galba, begingen sie Verrat. Kaiser Vitellius bestrafte sie hart für ihre fortgesetzte Untreue: Die Garde wurde aufgelöst. 120 Abtrünnige – darunter auch viele Prätorianer – ließ der neue Herrscher Roms hinrichten.

Als Kaiser Titus die Tochter des ehemaligen Führers der Prätorianer heiratete, war dies für alle das Zeichen, dass die Garde ihre alte Bedeutung wiedererlangt hatte. Jedoch blieb ein Rest von Misstrauen, daher reservierte der Herrscher für sich das Oberkommando über seine Beschützer.

Im Jahr 192 wurde die Zahl der Leibwächter auf 10.000 (!) verdoppelt. Schleichend schwang sich die Elitetruppe zu einer selbständig handelnden Macht im Staat auf und beteiligte sich an Umstürzen und Ermordungen mehrerer Reichsoberhäupter. Daher löste sie Kaiser Konstantin im Jahr 312 auf.

Auch in den von Rom eroberten Gebieten gab es Leibwachen. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet über die comitatus, eine bewaffnete Gefolgschaft, die in Gallien für die Sicherheit ihres Herrn sorgte.

Mittelalterliche Verhältnisse

Die Könige und Kaiser führten im Deutschen Reich des frühen Mittelalters ein unstetes Leben. Von Karl dem Großen ist bekannt, dass er fast das ganze Jahr über von einer Burg zur anderen reiste. Daher waren umfangreiche Schutzmaßnahmen erforderlich, die eine Truppe übernahm, die in den Quellen als „Gasindus“ bezeichnet wird. Diese Männer waren bekannt für die Treue zu ihrem Herrn bis in den Tod. Dies war eine Wurzel, aus der sich im frühen Hochmittelalter mit dem Aufkommen des Lehnswesens ein sozialer Wandel ergab. Die Vasallen stiegen mit dem zunehmenden Bedarf der Herrschenden an Bewaffneten in der Rangordnung auf. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich daraus die mittelalterliche Kriegerkaste, das Rittertum.

Zwei Trabanten beschützen einen Landsknechts-Obristen. Holzschnitt von Hans Guldenmund, um 1540.In den Landsknechtsheeren, die sich seit dem späten Mittelalter in Europa formierten, finden sich ebenso Leibwächter. Meist waren es nur einige wenige Männer, die den Obristen beschützten. Georg von Frundsberg hingegen, der „Vater der Landsknechte“, scharte im frühen 16. Jahrhundert 30 „Trabanten“ um sich, die den doppelten Lohn eines einfachen Söldners erhielten.

Zu dieser Zeit standen besonders die Schweizer als Leibwächter hoch im Kurs. Männer aus Uri, Chur oder Graubünden galten als die besten ihrer Zunft. An dieser Einschätzung hat sich im Vatikan seit dem Jahr 1506 nichts geändert: Seither beschützt die Schweizer Garde, der gegenwärtig etwas mehr als 100 Eidgenossen angehören, den Papst. Auch in anderen Staaten bevorzugte man für den Schutz des höchsten Repräsentanten Ausländer: In Frankreich übernahmen ebenfalls Schweizer diese Aufgabe und erfüllten sie in den Wirren der Revolution von 1789 bis zum letzten Blutstropfen. Die russischen Zaren waren gegenüber ihren Landsleuten notorisch argwöhnisch und vertrauten daher über viele Jahre nur Leibgardisten aus dem benachbarten Finnland.

Der Secret Service

Mitte des 19. Jahrhunderts galten die Vereinigten Staaten in den Augen vieler Europäer als das Land der Glückseligen. Wohlstand und eine freiheitliche Gesellschaftsordnung übten auf die zum Teil noch in Feudalstaaten lebenden Bewohner der Alten Welt eine magische Anziehungskraft aus. In den USA schien alles in Ordnung zu sein. In tiefer Überzeugung verkündete Außenminister William H. Seward vor dem Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs im Jahr 1861, politischer Mord sei in den USA undenkbar, nicht zuletzt, weil er gänzlich unamerikanisch sei. Dementsprechend nachlässig behandelte man den Schutz des amerikanischen Präsidenten.

Als General Lee, der Oberbefehlshaber der südstaatlichen Armee, am 9. April 1865 kapitulierte, war das Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs nur noch eine Sache weniger Tage. Der Norden feierte Präsident Lincoln als Bezwinger des sklavenhaltenden Südens. Der Sieg der Union über die Konföderation überwand aber keinesfalls die Spaltung der USA. Eine Zeitung im Süden hatte auf dem Höhepunkt des Bürgerkrieges für die Tötung Lincolns eine Belohnung von 100.000 Dollar ausgesetzt. Diesen Anreiz brauchte der Schauspieler John Wilkes Booth nicht. Als er am 14. April 1865 während einer Theateraufführung auf den Präsidenten schoss, fühlte er sich als Tyrannenmörder, der für eine gute und gerechte Sache zur Waffe griff. An dieser Überzeugung hatte sich auch zwei Wochen später nichts geändert, als Soldaten ihn in einer Scheune in Maryland stellten. Die letzten Worte des beim Versuch der Festnahme tödlich Verwundeten Booth sollen gewesen sein: „Sagt meiner Mutter, ich starb für mein Land.“

Innerhalb von nur vier Jahrzehnten kamen noch zwei weitere US-Präsidenten bei Attentaten ums Leben: Im Jahr 1881 James Garfield, zwanzig Jahre später William McKinley. Nach dessen Ermordung zog das Weiße Haus Konsequenzen und übertrug den Schutz des Staatsoberhaupts dem „Secret Service“. Diese Spezialeinheit war bereits im Jahr 1865 gegründet worden, hatte aber zunächst völlig andere Aufgaben: Sie unterstand dem Finanzministerium und kam gegen Geldfälscher zum Einsatz.

Personenschutz für Bismarck

Auch in Deutschland war der Schutz der Politiker lange Zeit nahezu bedeutungslos. Dies änderte sich in Preußen erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts. An dem Ministerpräsidenten Otto Graf von Bismarck – der im Jahr 1871 der erste Kanzler des neugegründeten Deutschen Reiches wurde – schieden sich die Geister: Verehrt von den einen, abgrundtief gehasst von den anderen. Dies war der Boden, auf dem Attentäter heranwachsen konnten. Als die Kutsche des preußischen Ministerpräsidenten im Jahr 1862 durch Berlin rollte, zog ein am Straßenrand stehender Mann plötzlich eine Pistole und schoss. Die Bleikugel durchschlug das Wagenfenster und traf den „Fahrgast“ auf dem Rücksitz mitten in die Stirn. Die Energie des Projektils war so groß, dass es nach dem Durchdringen des Kopfes durch das gegenüberliegende Fenster flog. Dass Otto von Bismarck dieses Attentat völlig unverletzt überlebte, verdankte er dem Berliner Polizeidirektor Sieber. Dieser hatte die Bedrohungslage seiner Schutzperson richtig eingeschätzt und daher von einem Schneidermeister eine dem Politiker täuschend ähnliche Stoffpuppe anfertigen lassen. Den Attentäter nahmen Kriminalbeamte fest, die entlang der Fahrtroute postiert waren. Zu diesem Zeitpunkt hatte Otto von Bismarck sein Ziel bereits in einer unauffälligen Droschke erreicht.

Am 7. Mai 1866 schoss der Tübinger Student Ferdinand Cohen-Blind auf den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck. (Stich von Hermann Scherenberg, 1866).Am 7. Mai 1866 – wenige Wochen vor dem Ausbruch des Deutsch-Österreichischen Krieges – ereignete sich ein weiteres Attentat auf den preußischen Ministerpräsidenten. Nach einem Gespräch mit dem König – dem späteren deutschen Kaiser Wilhelm I. – fuhr Bismarck in einer Kutsche entlang der damals schon mondänen Prachtstraße „Unter den Linden“, als ein mit einem Revolver bewaffneter Mann auf ihn zustürmte. Mehrmals feuerte er auf Bismarck, traf ihn auch, aber dem kräftigen Politiker gelang es, seinen Gegner zu überwältigen und ihn mehreren gerade vorbeimarschierenden Soldaten zu übergeben. Auch in der Folgezeit geriet Bismarck ins Visier von Attentätern. Am 13. Attentatsversuch vom 13. Juli 1874. Ein Böttchergeselle schoss in Bad Kissingen auf Reichskanzler Bismarck. (Nach einer Skizze von Karl Arnold). Juli 1874, auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes, schoss der Böttchergeselle Eduard Franz Ludwig Kullmann in Bad Kissingen auf den Reichskanzler. Als Grund gab der junge Mann bei den Vernehmungen an, er habe Bismarck wegen dessen katholikenfeindlicher Politik töten wollen.

 

Sarajevo

Als das folgenschwerste Attentat gilt die Ermordung des österreichischen Thronfolgers, Erzherzog Franz Ferdinand, und seiner Gattin am 28. Juni 1914 in Sarajevo. Das Ehepaar hatte vier Tage vor dem Anschlag die als unruhig geltende bosnische Stadt besucht und dabei auch einen Bummel durch den Basar unternommen. Dabei begleiteten sie zwar Sicherheitsbeamte, aber besonders aufmerksam waren sie nicht, wenn man Zeitzeugen glaubt. Auch an anderen Stellen wurden Fehler gemacht. So beschrieben die Zeitungen mehrere Tage vor dem offiziellen Besuch in Sarajevo die genaue Fahrtroute durch die Innenstadt. Dies sollte es der Bevölkerung ermöglichen, für das hohe Paar die Straßen und Häuser zu schmücken. Am 28. Juni, dem Tag des Attentats, prägte das Zeremoniell die Arbeit der Detektive und Polizeibeamten, die zum Schutz des Paares abgestellt worden waren. Es galt für die am Straßenrand postierten Polizisten absolute Grußpflicht. Das führte dazu, dass sie sich beim Herannahen des Fahrzeugkonvois mehr auf das korrekte Salutieren als auf die Abwehr eines möglichen Attentäters konzentrierten. Die Detektive, die eigentlich im ersten der aus sieben Fahrzeugen gebildeten Kolonne mitfahren sollten, saßen im vierten Wagen, somit zwei Fahrzeuge hinter dem Erzherzog. Aus dieser Position konnten sie nicht erkennen, was sich weiter vorne ereignete.

Die Wagenkolonne des österreichischen Thronfolgers fuhr entlang des Appel-Kais, als um 10.26 Uhr der serbische Separatist Nedeljko Abrinovi eine Bombe warf. Der Sprengkörper traf das Verdeck des erzherzoglichen Autos, fiel von dort aber auf die Straße und detonierte neben dem nachfolgenden Fahrzeug. Die Herzogin wurde Das Attentat von Sarajevo bestimmte für Wochen die Schlagzeilen.von umherfliegenden Splittern leicht am Hals verletzt, der Attentäter konnte rasch verhaftet werden. Anstatt nun den weiteren Ablauf des Besuches grundlegend zu ändern, setzte man nach einigen Schrecksekunden das Programm nahezu unverändert fort. Offensichtlich wollte der Thronfolger Stärke demonstrieren. Lediglich ein Leibjäger fuhr nach dem Bombenattentat auf dem Trittbrett seines Wagens mit. Drei Minuten später erreichte die Kolonne das Rathaus. Während der habsburgische Thronfolger seinen Unmut bei den Offiziellen äußerte, berieten die Sicherheitsfachleute das weitere Vorgehen. Der Plan, die Innenstadt räumen zu lassen, wurde verworfen. Gegen den Vorschlag, das Paar in zwei unterschiedlichen Fahrzeugen weiterfahren zu lassen, lehnte sich die Gattin auf. Die 56-jährige Sophie, Herzogin von Hohenburg, befürchtete, die Bevölkerung der bosnischen Stadt könnte dies als Eingeständnis ihrer unstandesgemäßen Ehe deuten, die sie seit 13 Jahren mit Franz Ferdinand führte.

Nur zu einer Änderung der Fahrtroute konnte man sich durchringen und das Zeremoniell gewann wieder die Oberhand: Der sportliche Kammerbüchsenspanner Gustav Schneiberg musste seinen Platz auf dem Trittbrett des erzherzoglichen Wagens für Graf Harrach räumen.

Man vergaß, alle Fahrer des Konvois zu informieren. Folglich fuhr der erste Wagen die alte Route, der Chauffeur des zweiten Automobils, der die neue Fahrtstrecke kannte, stoppte an der Abzweigung und der Lenker des dritten Wagens legte gerade den Rückwärtsgang ein, als Schüsse fielen. Aus einer Selbstladepistole, Modell Browning 1910, feuerte der Attentäter, Gavrilo Princip, aus einer Entfernung von etwa drei Metern auf den Erzherzog und seine Gemahlin. Der Serbe traf Herzogin Sophie im Unterleib. Das 9mm-Projektil zerfetzte die Bauchschlagader, wenige Minuten später war sie verblutet. Das zweite Geschoss durchschlug die Halsschlagader Franz Ferdinands. Etwa fünf Minuten später verstarb der österreichische Thronfolger.

(Fortsetzung in der folgenden Ausgabe)