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Frankfurt am Main, die Finanzhauptstadt Deutschlands. Dort, wo viele wichtige Geldströme zusammenfließen, wurde Daniel M. am 28. April dieses Jahres verhaftet. Der Hamburger Korrespondenzanwalt seines Zürcher Rechtsbeistandes besuchte M. in der JVA Mannheim und fand einen Mann vor, der alles andere als gebrochen wirkte.
Foto: © Tilmann Jörg/pixelio.de

Der Herr aus der Schweiz

Von Klaus Henning Glitza

Ein mysteriöser Spionagefall ermöglicht nicht nur tiefe Einblicke in die Grauzone der Nachrichtenhändler und Privatspione. Der Fall des Schweizers Daniel M. wirft auch ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Welt der Spionage, in der kein Dienst vollständig der Freund des anderen ist.

„Spionage unter Freunden, das geht gar nicht“, lautete der inzwischen zum geflügelten Wort gewordene Kommentar von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur NSA-Affäre. Inzwischen hätte sie allen Grund, ihren damaligen Ausspruch zu wiederholen. Denn auch die Schweizer sind formal Freunde, was sie aber keinesfalls am diskreten Geschäft der Spionage hindert. Wie im Übrigen unter anderem auch Briten oder Franzosen nicht. Was schon lange hinter vorgehaltener Hand kolportiert wurde, hat jetzt zumindest teilweise Gestalt angenommen. In Frankfurt wurde ein 55-jähriger Schweizer Staatsbürger wegen „wegen mutmaßlicher geheimdienstlicher Agententätigkeit“ festgenommen. Sein Auftraggeber soll der Schweizer „Nachrichtendienst des Bundes“ (NDB) sein. Laut Eigendarstellung „ein kleiner, aber wirksamer und effizienter Nachrichtendienst“.

 Freitag, 28, April dieses Jahres

Der 55-jährige Daniel M. ist im stygisch eingerichteten Frankfurter Hotel „Roomers“ abgestiegen. Dort, noch nicht einmal fünf Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf", ist ein bekannter Werbeslogan der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In diesem Fall ist es der Kopf von Daniel M., dem mutmaßlichen Schweizer Spion. Das Foto stammt aus dem Video von Wilhelm Dietl.
Repro: © K H Glitza
wartet der drahtige, stets gut und teuer gekleidete Schweizer auf einen deutschen Kontaktmann. Angeblich soll es sich um den Chef eines örtlichen Sicherheitsunternehmens handeln. Doch statt dessen erscheinen Kriminalbeamte, unter ihnen Fahnder des BKA. Sie präsentieren M. einen Haftbefehl, ausgestellt bereits am 1. Dezember 2016 vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH). Jetzt. Nachdem M. deutschen Boden betreten hatte, konnte die Haftanordnung vollzogen werden. Nach zuverlässigen Information ist der sonst so nervenstarke Daniel M. angesichts des Zugriffs „über die Maßen überrascht“.

Im zeitlichen Zusammenhang werden in Frankfurt am Main „zudem mehrere Wohn- und Geschäftsräume durchsucht“, teilt die Generalbundesanwaltschaft mit. Betroffen ist ein angeblicher Helfer des Schweizers, der aber bis heute nur Zeuge in dem Verfahren ist.

„Der Beschuldigte wird dringend verdächtigt, vom 1. Januar 2012 bis mindestens 31. Dezember 2015 gemeinsam mit weiteren bislang unbekannten Personen für den Geheimdienst einer fremden Macht eine nachrichtendienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt zu haben“, heißt es im Haftbefehl gegen Daniel M. Nach der Verhaftung wird der Schweizer noch am selben Tage dem BGH-Ermittlungsrichter vorgeführt. Wenig später geht es weiter in die Untersuchungshaft nach Mannheim. Es ist anzunehmen, dass der Schweizer dort bis zur Eröffnung seines Strafprozesses verweilen wird.

M. wird vorgeworfen, im Auftrage eines fremden Geheimdienstes, gemeint ist der Schweizer NDB, deutsche Finanzbeamte ausgespäht zu haben. Es handelt sich dabei vor allem um Steuerfahnder des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, die beim Ankauf von Steuer-CDs besonders effektiv zu Werke gingen. Allein die Behörden in NRW haben seit 2010 elf Steuersünder-CDs, kurz Steuer-CDs, für insgesamt 17,9 Millionen Euro gekauft. Ein mehr als gutes Geschäft, denn sage und schreibe gut sieben Milliarden Euro sprudelten via Nachforderungen in das Staatssäckel zurück. Allein ein für fünf Millionen Euro angekaufter USB-Stick, der Licht in viele tausende Cum/Ex-Geschäfte (Betrug, bei dem nur einmal gezahlte Kapitalertragssteuer mehrfach zurückverlangt wird) brachte, rentierte sich in geradezu sensationellem Maße. Mindestens 700 Millionen Euro Steuermehreinnahmen konnten dank Stick verbucht werden. Daten, die sich lohnen.

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Doch, so ist dem Haftbefehl zu entnehmen, M. sei bei seiner Arbeit in Deutschland noch weitergegangen. Mit Hilfe eines deutschen Partners soll er innerhalb des Geschäftsbereichs der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung einen „Maulwurf“ platziert haben, um an interne Informationen zu gelangen. Der NDB habe für diese Einschleusungsaktion einen Etat von 90.000 Euro bewilligt. 60.000 Euro davon seien bereits geflossen.

Im Visier der Schweizer stand unter anderem Peter Beckhoff, langjähriger Leiter des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung in Wuppertal und inzwischen pensioniert. Schon länger kursierte das Gerücht, dass der Schweizer Nachrichtendienst Agenten und „Privatermittler“ auf ihn und Andere angesetzt hätte. Gegen Beckhoff und zwei seiner Kollegen wurden in der Schweiz Haftbefehle verfügt – wegen „wirtschaftlichem Nachrichtendienst“, „unbefugter Datenbeschaffung“ und „Gehilfenschaft zur Verletzung des Bankgeheimnisses“. Beckhoff selbst sah dies übrigens als „Ritterschlag für einen deutschen Steuerfahnder“.

Leere Aktendeckel beim NDB? Daniel M. sagte anderes aus. Er wäre vom stellvertretenden NDB-Direktor und Chef Beschaffung Dr. Paul Zinniker und drei weiteren Führungskräften des Schweizer Auslandsdienstes geführt worden. Zinniker ist ein alter Hase im Nachrichtendienstgeschäft . 1991 begann der ehemalige Lehrer als Führungsoffizier beim NDB-Vorgänger „Strategischer Nachrichtendienst" (SND). Im SND brachte er es zum Direktor.
Foto: © Jorma Bork/pixelio.de
Hier kommt wiederum Daniel M. ins Spiel. Es heißt, er sei es gewesen, der die drei Finanzbeamten als maßgebliche Akteure der Ankauf-Aktionen ermittelt und deren personenbezogene Daten beschafft habe, ohne die kein konkreter Haftbefehl hätte ausgestellt werden können. Als er in Frankfurt am Main verhaftet wird, sollen bei ihm Daten von Steuerfahndern samt den Privatadressen und den Namen der Ehefrauen gefunden worden sein, so ein Insider. Und eine Art „Wunschliste“, auf der künftige Beschaffungsziele verzeichnet gewesen sein sollen.
Juristisch betrachtet ist der Datenankauf eine heikle Angelegenheit. Zwei strafrechtlich relevante Sachverhalte stehen sich gegenüber. Ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz zu unterhalten, um Steuerzahlungen in Deutschland zu vermeiden, ist definitiv Steuerhinterziehung – eine mittelschwere Straftat. Der deutsche Fiskus beruft sich darauf, dass es sich bei den CDs um Sachbeweise handelt, die der Strafverfolgung im Rahmen des Steuerstrafrechts dienen.

Aus Schweizer Sicht ist die Beschaffung von Kontodaten der Steuersünder eindeutig Datendiebstahl, Verletzung des Bankgeheimnisses und sogar Wirtschaftsspionage.

Steuerstraftaten zu Ungunsten der Bundesrepublik Deutschland werden somit um den Preis aufgeklärt, dass jemand in einem anderen Land Straftaten begeht. Unter Juristen sind die inzwischen zur gängigen Praxis gewordenen Ankaufaktionen bis heute umstritten.

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Zwischen Deutschland und der Schweiz sind die Steuer-CD zum Zankapfel geworden, der die sonst so harmonischen Beziehungen mehr als nur unterschwellig belastet. Deutsche Finanzbehörden werfen den Eidgenossen unter der Hand vor, bei der so genannten Weißgeldstrategie nicht immer mit äußerster Konsequenz vorzugehen. Verwundern würde das nicht, denn das Schweizer Bankwesen ist bekanntermaßen eines der bedeutendsten der Welt und eine der tragenden Säulen der eidgenössischen Volkswirtschaft. Der Finanzsektor trägt ganz entscheidend zum Bruttoinlandsprodukt bei. Schweizer Institute sind gerade bei vermögenden Kunden wegen der sprichwörtlichen Diskretion hochbeliebt. Bei der grenzüberschreitenden Verwaltung von Vermögen ist die Schweiz Weltmarkführer. Finanzinstitute zählen zu den wichtigsten Arbeitgebern der Schweiz. 103 000 „Mitarbeitende“ wurden 2015 gezählt. Da mag sich nicht nur entschiedenen Patrioten die Frage stellen: Säg´ ich auch noch an dem Ast, der uns alle trägt, oder belasse ich es nicht besser bei ein paar Ritzer mit einem stumpfen Schweizer Offiziersmesser. Transparenz und Staatsräson – das waren schon immer zwei Paar Schuhe.

Wer ist dieser Daniel M., der für viel Wirbel sorgt?

Aufgewachsen in Balsthal, Bezirk Thal im Kanton Solothurn, durchläuft er zunächst eine kaufmännische Ausbildung in einem Reisebüro des Touring Club Schweiz, dem Pendant zum deutschen ADAC. 1984 geht er zur Stadtpolizei Zürich, dem drittgrößten Polizeikorps der Schweiz. Nach der zweijährigen Polizeischule erkennt er schnell, „Wissen, Mut. Integrität":, die Grundsätze der FBI National Academy, auf der Daniel M. eine Zusatzausbildung absolvierte.
Foto: © FBI National Academy.
dass Kontroll- und Streifendienst oder Verkehrsregelung nicht das sind, was er sich als Polizeikarriere erträumt. Er spezialisiert sich auf die Bekämpfung der schweren Kriminalität. Zuletzt ist er Angehöriger einer Art Eliteeinheitt, die die Organisierte Kriminalität (OK) im Visier hat. M.´s Schwerpunkt ist die in der Schweiz aktive russische OK, aber er ist auch in anderen Ländern unterwegs.

 Der Schweizer bildet sich weiter, wo er kann. In Quantico, Virginia absolviert er an der FBI National Academy, die grundsätzlich auch „Internationals“ (ausländischen Polizeibeamten) offensteht, eine Zusatzausbildung. M. wird zum echten „International“, er arbeitet in Europa, aber auch in den USA und Lateinamerika. Nicht selten in Kooperation mit US-amerikanischen Behörden. Viele seiner damaligen Einsätze sind „saugefährlich“, so ein Insider. An Risikobereitschaft mangelte es ihm schon seinerzeit nicht.

M. ist der Prototyp eines Verdeckten Ermittlers, der nicht nur gewöhnliche Kriminelle, sondern auch Paten darzustellen vermag. Eine stattliche Erscheinung: sportlich, charmant, äußerst kommunikativ, mit blitzenden blauen Augen – ein Sympathieträger, der Vertrauen und Respekt einflößt. Ein unterhaltsamer Typ, ein Meister des Smalltalks, der für alles und jedes stets eine Anekdote parat hat. Jemand. dem es leicht fällt, mit anderen ins Gespräch und in Kontakt zu kommen. Ihn umgebe die „Aura eines Erfolgsmannes“, sagt Klaus Dieter Matschke, der ehemalige Kooperationspartner. Ein ehemaliger Polizeikollege beschreibt M. als einen Mann, der andere schnell von sich einnehmen könne.

Die Erfolge des Beamten sprechen sich auch außerhalb des Polizeikorps herum. Eines Tages wird er auf eine Vakanz in der größten Schweizer Bank, der USB Group AG, angesprochen. Die Großbank, die in ihren Sicherheitsbereichen vorzugsweise Polizisten beschäftigt, sucht einen wie ihn. Zu einem Gehalt, bei der die Stadtpolizei Zürich nicht in Ansätzen mithalten kann. Im Jahr 2000 wechselt M. zur USB, die zu den größten Vermögensverwaltern der Welt zählt und in Zürich ihre Zentrale hat.

Nach Eigenangaben in einem sozialen Netzwerk nimmt er den Rang eines Direktors ein. Er rapportiert, wie die Schweizer sagen, direkt an den Vorstandsvorsitzenden und weitere Mitglieder des Konzernvorstandes. Sein Aufgabengebiet: „Group Security Services“. Interner Ermittlungsdienst, Konzernsicherheit sowie Schutz von Veranstaltungen und des Topmanagements (Executive Protection) gehören dazu. Zusätzlich war M. mit Ermittlungen und Präventionsmaßnahmen gegen Betrug und Geldwäsche befasst. In dieser Funktion war M. auch Mitglied des Global Crisis Management Teams der Großbank. 2003 soll M. erstmals in Kontakt mit dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB), dem Schweizer Auslandsnachrichtendienst gekommen sein. Wie man hört, ist er mit einem leitenden Beamten des Dienstes verwandt und kennt mehrere Mitarbeiter der Auswertung persönlich.

2010 gibt M. die wohldotierte Position bei UBS auf und gründet 2011 eine eigene Firma. „M. & Associates“ (Familienname wird in der Originalfassung ausgeschrieben). Unternehmenszweck laut M.: „Internationale Beratungs- und Informationsdienstleistungen“. Sitz war die noble Zürcher Bahnhofstraße. Nach außen hin firmiert er als Privatermittler, als selbstständig werbender Detektiv. Als Freiberufler nutzt er die vielfältigen Kontakte, die er in seiner Zeit bei der Polizei und der UBS geknüpft hat.

Im Unfrieden scheint er bei der UBS nicht ausgeschieden zu sein, denn nach zuverlässigen Informationen soll er neben Aufträgen anderer Groß- und Privatbanken auch Im beschaulichen Zürich unterhielt Daniel M. sein ganz spezielles Büro, in dem es mutmaßlich weltweite Bankdaten zu kaufen gab.
Foto: © manwalk-Manfred Walker/pixelio.de
Aufträge von seinem ehemaligen Arbeitgeber erhalten haben. Genug zu tun gab es zweifellos, denn just 2010, dem Jahr seines Abschieds von der UBS, taucht die erste Steuer-CD auf und verunsichert die Schweizer Bankenwelt aufs Ärgste. 2013 soll M. auf einen UBS-Banker angesetzt worden sein, der im Verdacht des Datendiebstahls stand und aktuell seinem Strafprozess entgegensieht. Die UBS dementiert diese Kooperation.

Weitere Auftraggeber waren Anwälte, Treuhänder und Private. Er habe diese Institutionen und Personengruppen in sicherheitsrelevanten Themen beraten, schreibt in einem Lebenslauf, der Schweizer Medien vorliegt. In Szenen, die stark an Informationen über ihre Mitmenschen interessiert sind, galt er bald als Geheimtipp für die Beschaffung von Bankdaten. Er habe Zugang zum SWIFT-Transaktionssystem und verfüge über beste Kontakte zu einem israelischen Nachrichtenhändler in Sachen Bankdaten, hieß es. Kontonummern, Kontosaldi, Zahlungsein- und Ausgänge, auch rückwirkend. Und das in fast jedem Land der Welt bis auf zwei, drei Ausnahmen. Abgefangen würden die Daten an einer Stelle, an der sich die Geldflüsse kreuzten. Technisch angeblich alles kein Problem.
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Doch Daniel M. betreibt nicht nur sein eigenes Büro, Er ist auch als Co-Direktor eines Diamantenhandelsunternehmens eingetragen, das aber inzwischen in Insolvenz gegangen ist. Außerdem ist er Mitarbeiter beziehungsweise Kooperationspartner von zwei Sicherheitsunternehmen. Eine dieser Firmen hat ihren Sitz in Miami, Florida und beschäftigt sich mit Investigations, Governance & Compliance. Daniel M. wird dort als Investigation mit großen Erfahrungen in der Bekämpfung der „Weiße-Kragen-Kriminalität“ geführt. Die zweite Firma ist die KDM Sicherheitsconsulting GmbH in Frankfurt am Main. Vor dem 28. April war M. auf der Homepage dieses Unternehmens als Leiter Investigations Schweiz verzeichnet. Klaus-Dieter Matschke, Geschäftsführender Gesellschafter und Alleininhaber von KDM, stellte gegenüber der Zeitung „Nordwestschweiz“ klar: Daniel M. kenne er vermutlich seit 2012, sagt Matschke. „Er ist mein Kooperationspartner für die Schweiz. Wenn wir in der Schweiz etwas haben, dann kriegt er das. Wenn er was in Deutschland hat, dann bearbeiten wir das für ihn. Immer nur im Auftrag für Kunden, nichts Anderes. (…) Die Sachen, die wir bearbeitet haben, waren keine großen Dinger. Ich denke, man kann ihn als zuverlässig bezeichnen.“

Gegenüber Veko-online erklärt Klaus-Dieter Matschke, er habe den korrekt und seriös erscheinenden M. vor Jahren kennengelernt: „Wir haben zwei oder drei Sachen zusammen gemacht- mehr nicht. Ein- oder zweimal im Jahr haben wir uns getroffen.“ Dass er ein Helfer von Daniel M. gewesen sei, wie es im Haftbefehl steht, sei „Quatsch, völliger Kokolores“. Matschke: „Ich habe kein Interesse an deutschen Steuerfahndern“. Der „Spezialist für schwierige Ermittlungen“, wie ihn das Handelsblatt nannte, dementierte, dass er derjenige war, mit dem sich der Schweizer im Frankfurter Hotel „Roomers“ verabredet hatte. Er bestätigt aber, dass im zeitlichen Zusammenhang mit M.s Verhaftung seine Geschäfts- und Privaträume durchsucht wurden. Dabei wurden auch PCs beschlagnahmt, aber nicht asserviert. „Alles wieder zurück“, so Matschke zu Veko-online. Gegenüber Schweizer Medien nennt der die Durchsuchungsmaßnahmen „Aktion Wasserschlag“. In der Tat ist „KDM“, wie er kurz genannt wird, bis dato kein Beschuldigter im laufenden Ermittlungsverfahren, sondern Zeuge.

Der Schweizer soll darüber hinaus auch „Sonderleistungen“ angeboten haben, wie sich ein damaliger Kunde erinnert. Wer Geld so perfekt verschwinden lassen wolle, dass es niemand finden könne, sei bei ihm an der richtigen Stelle, egal, welche Summe.

Wie kam es dazu, dass die deutschen Behörden so gut über die Aktivitäten des Daniel M. informiert waren?

Die Antwort ist verblüffend. Der Schweizer hat sich kurioserweise selbst ans Messer geliefert, wenn auch ganz und gar unfreiwillig. Dazu muss man wissen, dass es unter der Verfahrensnummer SV.15.0019-BUL bereits am 2. Februar 2015 ein Ermittlungsverfahren gegen M. in der Schweiz eröffnet wurde, das bis heute nicht abgeschlossen ist. Angeblich warteten die Schweizer auf den Ausgang eines weiteren Strafverfahrens, das in Bochum gegen einen den angeblichen deutschen Auftraggeber Werner Mauss geführt wird. Der Hintergrund: Auf Konten der UBS, auf die Mauss Zugriff hatten, wurden 15 Millionen Euro gefunden.

Der Tatvorwurf gegen Daniel M: Wirtschaftlicher Nachrichtendienst. Er habe Schweizer Bankdaten nach Deutschland verkauft. Sein Zürcher Anwalt, ein das Makabre „Feind hört mit“, hieß es in früheren Zeiten. Eine historisch überholte Parole, denn heute sind es selbst die „ziemlich besten Freunde“, die ihre „Buddys" belauschen oder beäugen. Nachrichtendienste sind die letzten Bastionen der Nationalstaaten. Es gibt keine Bündnisorganisation der Dienste oder eine Europäische Intelligence-Union. Jeder Dienst ist sich selbst der Nächste und vertritt seine ganz eigenen Interessen.
Foto: © Bernd Kasper/pixelio.de
liebender Jurist mit einem Hang zu Mandanten aus dem Rotlicht- und Rockermilieu betont zwar, es habe sich nicht um echte Bankdaten, sondern um Fälschungen gehandelt. Diese auch von anderen Beteiligten, beispielsweise Werner Mauss, erhobene Behauptung steht derzeit im Raum, ohne dass dafür bisher der Beweis erbracht wurde. „Vielleicht Prozesslyrik“, meint ein Insider.

Juristen im In-aus Ausland fragen sich, weshalb bei einer angeblich so klaren Sachlage noch keine Einstellung erfolgt ist. Die Frage stellt sich auch, wie eine Vielzahl von Datensätzen, allein in einem Fall waren es rund 7.000, mit vernünftigem Aufwand gefälscht werden kann.

Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom hat eine eigene, durchaus plausible These zu dem Schweizer Strafverfahren, das seit gut zweieinhalb Jahren ergebnislos dahindümpelt. Nach seiner Erfahrung könnte es sich um eine Erich Schmidt-Eenboom, Experte für Geheimdienstfragen
Foto: privat
so genannte Blickfeldmaßnahme handeln. Das immer noch laufende Verfahren könnte der Legendierung von Daniel M. gedient haben. Möglicher Zweck: Belegen, dass der Schweizer in der Lage ist, Bankdaten zu beschaffen – und das gewissermaßen mit staatlicher Testierung. Das sei zwar nicht direkt beweisbar, aber es erkläre viele Ungereimtheiten im Fall M., so Erich Schmidt-Eenboom, Direktor des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim.

Ein Vorgehen, das durchaus nachrichtendienstlichen Gepflogenheiten entspricht. Zum ersten hätte der Dienst ein Druckmittel in der Hand, um zu gewährleisten, dass der Konfident wunschgemäß agiert. Motto: Arbeitest Du korrekt, wird das Verfahren eingestellt, andernfalls gehst Du ins Gefängnis. Gleichzeitig ist das Verfahren eine Art Referenz. Für behördliche deutsche Gesprächspartner, die stets und ständig auf der Jagd nach Steuersündern sind, wäre er eventuell ein idealer Partner gewesen. Ein Mann, gegen den die Behörden des eigenen Landes ermitteln, das kann doch kein NDB-Mann sein. Auf einen wie M. wären die deutsche Gesprächspartner vielleicht hereingefallen und hätten dem Schweizer dabei offenbart, wie sie beim Ankauf von Steuer-CDs vorzugehen pflegen. Genau diese Informationen standen nach zuverlässigen Informationen auf der Beschaffungsliste des NDB ganz oben. Die Schweizer Nachrichtendienstler wollten vor allem wissen, ob sich deutsche Steuerfahnder mit der Rolle der bloßen Empfänger von bereits gestohlenem Material begnügen. Oder aber zum Diebstahl anstiften, was die Schweizer schon länger behaupten, wofür es aber nicht den geringsten Beweis gibt.

Skandalträchtig: Die Aussagen, die M. in diesem Schweizer Fall machte, wurden von den Schweizer Strafverfolgungsbehörden ungeschwärzt an den Zürcher Rechtsanwalt eines deutschen Mitbeschuldigten geschickt. Bei diesem handelt es sich um keinen Geringeren als den legendären „Privatagenten“ Werner Mauss. Auf welche Weise auch immer fanden diese Strafakteninhalte den Weg zu den deutschen Behörden. Und die konnten schwarz auf weiß nachlesen, dass M., um seine Rechtsposition zu verbessern, sich gegenüber Beamten der Schweizer Bundesanwaltschaft en detail zu seiner Arbeit im Auftrage des NDB bekannte. Aussagen, die er in der Schweiz zu seiner Verteidigung machte, gerieten zur Selbstbezichtigung in Deutschland.

Interessante Einblicke ermöglichen es, die Hintergründe des Schweizer Falls zu erkennen.

2014 treten zwei deutsche Staatsbürger direkt oder indirekt in Kontakt mit Daniel M. Ihre Namen: Werner Mauss und Wilhelm Dietl. Mauss ist die wohl bekannteste deutsche Privatagenten-Legende, nahezu überall involviert, wo es auf unserem Erdenrund brennt. Dietl, Journalist und Autor, arbeitete lange unter dem Decknamen „Dali“ Wilhelm Dietl, im März 2017 in Kabul.
Foto: privat
speziell im Nahen Osten erfolgreich für den BND. Sie haben unterschiedliche Beweggründe, den Schweizer „Informationsdienstleister“ zu bemühen, dessen Namen sie von zwei Schweizer Nachrichtendienstlern erhalten haben sollen.

Der umtriebige Mauss, der sich selbst im Hintergrund hält, will Kontodaten der Gazprom-Bank beschaffen lassen. Dietl ist vor allem an Bankdaten des ehemaligen BND-Präsidenten August Hanning interessiert, in dessen Amtszeit er abgeschaltet und enttarnt wurde. „Da war noch eine Rechnung offen“, so ein Insider. Dietl ist ein hartnäckiger Mensch, der erlittene Schmach nicht einfach vergisst. Er sinnt nimmermüde nach Revanche. Nach seiner Enttarnung im Jahr 2006 besucht er die 88-jährige Mutter von Hanning, um die nach den privaten Kontakten ihres Sohns zu befragen. Die Beschaffung der Kontodaten Hannings, der in Berlin zwei Firmen betreibt, gehört zu seinen weiteren Schritten.

Gazprom-Bank, o.k., das geht, sagt Daniel M. sinngemäß. Nach der Beauftragung fliegt er nach Tel Aviv, wo er in einem Strandrestaurant den ehemaligen Geheimdienstoffizier und jetzigen „Informationsdienstleister“ Tal H. trifft. Der Israeli sagt ihm zu, sein Bestes zu tun, um die Kontodaten zu beschaffen. Tatsächlich liefert er die Daten von rund 7.000 Kontoinhabern. Diese seien ihm von einem „Mister Unbekannt“, den er per Darknet kontaktiert habe, von Auto zu Auto zugesteckt worden, sagt der ehemalige Agent später gegenüber der Polizei aus. Wie war das gleich noch mit der Lyrik?

Zögerlicher wird M. als es um die Bankdaten von Ex-Präsident Hanning geht. Zu prominent, zu sehr in aller Munde. Doch dann liefert er doch angebliche Kontobelege, unter anderem von der Commerzbank in Zürich und von der UBS. Später legt er Unterlagen von Konten in Luxemburg und Norwegen vor. Insgesamt sollen es Daten von neun Konten gewesen sein.

Viermal, zwischen August und Dezember 2014, treffen sich Daniel M. und Dietl. Das erste Mal, am 24. August 2014, im Straßencafé des Hotels Gotthard an der Zürcher Bahnhofstraße, Danach im Frankfurter Hotel Interconti. Der Schweizer liefert wunschgemäß Kontodaten zur russischen Gazprom-Bank und zu angeblichen Konten des Ex-BND-Präsidenten August Hanning in der Schweiz, Luxemburg und Norwegen.

Was M. nicht ahnt: Dietl lässt bei den Treffen in Deutschland eine verdeckte Kamera mitlaufen. Dokumentiert wird dabei, wie der Schweizer eine Teilzahlung erhält und Schein für Schein nachzählt. Aber auch Meinungsäußerungen zum NSB wurden aufgenommen. „Wissen Sie, dem Schweizer Nachrichtendienst, dem hat man alle Zähne gezogen. Das ist ein lahmer Tiger, das ist eine Ministrantengruppe. Eben darum muss ich jetzt für den Staat hinausgehen“, geben Insider die freimütigen Aussagen des M. wieder.

Dietl hat zwar ein echtes Interesse, das sind Hannings Kontodaten, aber er ist über Mauss auch der UBS verpflichtet, was diese freilich bestreitet. Der ehemalige BND-Mitarbeiter verfasst nach „bester Agentenmanier“, so ein Insider, ein Dossier über M., in dem der Schweizer als Kopf einer seit 2007 aktiven kriminellen Vereinigung beschrieben wird. Der USB-Topjurist Oliver Bartholet stellt das mehrseitige Dossier den schweizerischen Behörden zur Verfügung. Die Strafverfolger nehmen die Inhalte In der heißen Phase der Schweizer Ermittlungen gegen Daniel M. wurde dessen Telefon abgehört. Er hat immer zu viel am Telefon erzählt, erinnert sich ein ehemaliger Kunde. Das wurde dem als „sehr kommunikativ" geltenden Schweizer offenbar zum Verhängnis.
Foto: © Rainer Sturm/pixelio.de
äußerst ernst, können die Inhalte aber nicht unmittelbar verwerten, da mit illegalen Methoden erhoben wurden. Sie lassen M. wochenlang observieren. Bis zu 50 Beamte sind im Einsatz. Sein Telefon wird angezapft und auch der „Große Lauschangriff“ soll realisiert worden sein.

Als M. sich im „Savoy“ am Zürcher Paradeplatz mit einem Kontaktmann namens „Ladner“ trifft, der in Wahrheit ein Verdeckter Ermittler ist, wird er nach Verlassen des Fünfsternehotels verhaftet. Beamte der Bundeskriminalpolizei führen ihn zu einem Lieferwagen mit verdunkelten Scheiben. Drinnen wartet der stellvertretende Bundesanwalt Carlo Bulletti und beginnt sofort mit der „Einvernahme“, wie es in der Schweiz heißt. Das Treffen mit „Ladner“ haben Dietl und Mauss eingefädelt. Eigentlich müssten die Schweizer dafür dankbar sein. Eigentlich…

Politik und Behörde schalten sich ein

Der NDB und der Schweizer Verteidigungsminister, dem der Dienst untersteht, hüllen sich, jedenfalls was die Person Daniel M. angeht, in Schweigen. Markus Seiler, der Chef des NDB, verteidigte in öffentlichen Auftritten jedoch das Recht seines Dienstes, beim Einsatz illegaler Mittel zur Beschaffung von Steuer-CDs, aus seiner Sicht ist dies Wirtschaftsspionage, aktiv zu werden.

Im mindestens einem Fall rief Seiler bei Schweizer Medien an und beschwerte sich sinngemäß: Das ist doch alles nicht wahr, was ihr schreibt! Doch als Seiler gefragt wird, wie war es denn tatsächlich war. wird er kleinlaut und beruft sich auf das Dienstgeheimnis.

Corinna Eichenberger (FDP), Nationalrätin und Vizepräsidentin der Geschäftsprüfungsdelegation (Aufsichtsorgan für den NDB) spricht dagegen Klartext. Gegenüber der Zeitung „Blick“ bestätigte sie, dass Daniel M. „vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB) eingesetzt worden ist. „Wir haben uns vor etwa fünf Jahren mit dem Fall Daniel M. beschäftigt, der NDB hat uns den Fall damals vorgelegt“, erzählt Frau Eichenberger dem „Blick“. Die Deutschen hätten „illegale Wirtschaftsspionage betrieben, indem sie illegale Daten-CDs erwarben. „Der NDB wollte im Rahmen der Spionageabwehr herausfinden, wer das Mandat dazu gegeben hatte – da wurde Daniel M. eingesetzt“. Aufgrund seiner Informationen hätten Haftbefehle gegen drei deutsche Steuerfahnder wegen Verdachts auf nachrichtliche Wirtschaftsspionage erlassen werden können.

Der mutmaßliche Schweizer Agent wurde nach eigenen Angaben in einer Konspirativen Wohnung des NDB in verschlüsselter Kommunikation per Laptop und Handy unterwiesen.
Foto: Rainer Sturm/pixelio.de
Dass M. mit dem NDB in Kontakt stand, wird inzwischen nicht mehr bezweifelt. Keineswegs aber ist er ein Beamter oder hauptamtlicher Mitarbeiter der Behörde, deren Personalstärke 250 bis 280 Mitarbeiter zählt. M. ist ein freier Mitarbeiter, ein so genannter Freelance-Agent. Es ist durchaus möglich, dass er das Material selbst angeboten hat. „Kein Nachricntendienst der Welt hätte das abgelehnt“, so ein Insider.

M. war NDB-Agent, sagte auch Wilhelm Dietl vor Schweizer Behörden aus, die ihm freies Geleit gewährt hatten., M. sei ihm von zwei leitenden Mitarbeitern der NDB-Abteilung Beschaffung, die sich Urs S. und Laurenz B. nannten, empfohlen worden, Der Ex-Polizist arbeite „seit langer Zeit auch für den NDB“, genieße dessen „vollstes Vertrauen“ und verfüge über „Kontakte zu korrupten Mitarbeitern bei Schweizer Banken“, hätten ihm die NDBler gesagt.

Ob die Zusammenarbeit tatsächlich im ersten Halbjahr 2014 endete, wie es der Schweizer Bundesrat verlauten ließ, ist ungewiss. Als bei M. 2015 eine Hausdurchsuchung stattfindet, wird ein Handy des Providers Coop Mobile mit anonymer SIM-Karte gefunden. Dieses für die Kontaktaufnahme bestimmte Mobiltelefon stammt unzweifelhaft vom NDB. Gleichfalls dieser Herkunft ist ein Laptop mit einer professionellen Verschlüsselungssoftware. M. sagt aus, er wäre in einer konspirativen Wohnung des NDB im Gebrauch der Krypton-Technik unterwiesen worden. Von einer Beendigung der Zusammenarbeit sei ihm nichts bekannt.

Und er hätte es ja eigentlich als einer der Ersten davon erfahren müssen.

Der Fall bleibt spannend, sofern alle Hintergründe. Motive und Auftragslagen jemals vollständig ans Tageslicht kommen.

Über den Autor
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza
Klaus Henning Glitza, Jahrgang 1951, ist Chefreporter dieser Online-Publikation. Der Fachjournalist Sicherheit erhielt 2007 den Förderpreis Kriminalprävention; seit vielen Jahren ist er Mitarbeiter im Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschland und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik. Vormals war er Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und dort u. a. zuständig für Polizeiangelegenheiten.
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