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Sarajevo-Attentäter Princip und Čabrinović auf dem Weg zur Gerichtsverhandlung.

Schneller Tod im Festungskerker

Von Werner Sabitzer

Das Ende der Sarajevo-Verschwörer: Von den 13 zu Kerkerstrafen verurteilten Attentätern von Sarajevo überlebten nur fünf das Ende der Monarchie.

Knapp vier Monate nach dem Mordanschlag von Sarajevo, der den Ersten Weltkrieg auslöste, begann am 12. Oktober 1914 im Kreisgericht Sarajevo das Gerichtsverfahren gegen 25 Männer wegen Meuchelmordes und Hochverrats. Die Ankläger waren bemüht, die strafprozessualen Regeln einzuhalten, auch wegen der vielen ausländischen Beobachter. Außenminister Leopold Graf Berchtold hatte Anfang Oktober 1914 den gemeinsamen Finanzminister Leon von Biliński aufgefordert, für ein Urteil zu sorgen, das den „ungeheuren internationalen Konsequenzen“ der Tat entsprechen sollte. Biliński war in seiner Funktion als Finanzminister auch (ziviler) Gouverneur von Bosnien und Herzegowina. Statthalter (Militärgouverneur) war General Oskar Potiorek.

Die Urteile
Am 28. Oktober 1914 wurden die Urteile verkündet. Neun Angeklagte wurden freigesprochen. Fünf Hauptangeklagte wurden zum Tod durch den Strang verurteilt. Es waren dies Miško Jovanović, die beiden Lehrer Veljko Čubrilović und Danilo Ilić, Nedjo Kerović und Jakov Milović. Jovanović, Čubrilović und Ilić wurden am 2. Februar 1915 im Hof des Kastells von Sarajevo wegen Beihilfe zum Mord am Würgegalgen hingerichtet. Als Henker fungierte Alois Seyfried, der aus Brunn am Gebirge bei Wien stammte und Scharfrichter in Bosnien war. Das Todesurteil gegen Kerović und Milović, wurde über Ansuchen Bilinskis von Kaiser Franz Joseph in 20 Jahre Kerkerhaft umgewandelt.

Die restlichen Angeklagten erhielten Kerkerstrafen: Mitar Kerović erhielt eine lebenslange Kerkerstrafe, Vaso Čubrilović 16 Jahre, Cvetko Popović 13 Jahre, Lazar Djukić und Ivo Kranjčević, der nach dem Attentat Čubrilovićs Waffen versteckt hatte, bekamen je zehn Jahre, Larzar Cvijan Stjepanović sieben Jahre, Branko Zagorać und Marko Perin je drei Jahre Haft.

Die Hauptangeklagten Gavrilo Princip, Nedeljko Čabrinović und Trifko Grabež entgingen der Todesstrafe, weil sie zum Zeitpunkt der Tat noch nicht 20 Jahre alt waren. Sie wurden zu jeweils 20 Jahren schweren Kerkers verurteilt, verschärft mit einem Fasttag monatlich sowie einem harten Lager und Dunkelhaft am 28. Juni, dem Jahrestag des Attentats.

Die drei Verurteilten wurden am 2. Dezember 1914 mit der Bahn über Wien nach Theresienstadt gebracht, wo sie drei Tage später eintrafen. Obwohl sie von einem Zivilgericht verurteilt wurden, brachte man sie in ein Militärgefängnis. Sie wurden in dunklen, kalten und feuchten Einzelzellen in den unterirdischen Kasematten der kleinen Festung Theresienstadt eingeschlossen und sahen einander nie wieder.

Theresienstadt, 60 Kilometer nördlich von Prag, war eine Garnisonsstadt mit einer „Großen Festung“ und einer benachbarten „Kleinen Festung“, die als Militärgefängnis genutzt wurde. Nach dem Ende der Monarchie und Ausrufung der Tschechoslowakischen Republik blieb die „Kleine Festung“ eine Militärstrafanstalt. Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten übernahm 1940 die Gestapo das Gefängnis. Laut den Instruktionen des gemeinsamen Finanzministeriums und des Kriegsministeriums mussten die verurteilten Attentäter „abgesondert voneinander und den übrigen Kerkersträflingen“ untergebracht und „hinsichtlich ihrer Aufführung und ihres Verkehres mit der Außenwelt auf das strengste überwacht werden.“ Zur „sichersten Verwahrung“ sollten entsprechende Maßnahmen getroffen werden.

Unmenschliche Haftbedingungen
Princip, der die tödlichen Schüsse auf den Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Frau abgegeben hatte, wurde mit zehn Kilogramm schweren Ketten gefesselt. Er durfte nicht lesen und hatte keinen Kontakt zur Außenwelt. Auch Angehörige durften ihn nicht besuchen, obwohl ein Besuchsverbot in der Strafvollzugsordnung nicht vorgesehen war. Die Gefängniskost war unzureichend, die Wäsche wurde nur einmal im Monat getauscht, die Zellen blieben auch im Winter ungeheizt. Der tägliche, halbstündige Spaziergang im Hof erfolgte, nachdem alle anderen Gefangenen wieder in ihre Zellen gebracht worden waren.

Den ersten dokumentierten Kontakt mit einem Außenstehenden hatte Princip erst am 19. Februar 1916. Der Psychiater Dr. Martin Pappenheim, der in Theresienstadt Kriegstraumatisierte untersuchen sollte, hatte die Möglichkeit, mit Princip in dessen Zelle ein Gespräch zu führen. Drei Tage davor hatte man Princip die Ketten abgenommen. Princip berichtete dem Psychiater, dass er sich einige Wochen davor mit einem Handtuch aufzuhängen versucht habe. Er hatte bereits Wunden an Brust und Arm, Folgen der Knochentuberkulose, die der Gefängnisarzt schon vorher festgestellt, aber nichts dagegen unternommen hatte.

Acht Tage nach dem Besuch des Psychiaters zitierte eine Zeitung in Sarajevo aus einem offiziellen Bericht über den Gesundheitszustand Princips: Er sei „sehr krank“, er „siecht dahin“ und „es geht mit ihm zu Ende“. Psychiater Pappenheim sprach mit Princip noch drei weitere Male – am 12. und 18. Mai sowie am 5. Juni 1916 nach dessen am 7. April erfolgten Einlieferung in den geschlossenen Bereich des Garnisonsspitals in der „Großen Festung“. Princip hatte zu diesem Zeitpunkt bereits große Wunden im Brustbereich und das linke Ellbogengelenk war zerstört. Der linke Arm musste am 6. November 1917 amputiert werden.

Princip befand sich die restliche kurze Zeit seines Lebens meist im Garnisonsspital; wenn es ihm etwas besser ging, brachte man ihn in eine hellere Gefängniszelle, die ihm der neue Gefängniskommandant zugestand.

Gavrilo Princip starb am 28. April 1918. Wie Princip erkrankte auch Nedeljko Čabrinović im Kerker an Tuberkulose. Er wurde Ende 1915 in den geschlossenen Bereich des Garnisonsspitals Theresienstadt gebracht. Die Ärzte sahen keine Möglichkeit, ihm zu helfen, so dass der Todkranke in seine Zelle zurückgebracht wurde. Auf dem Rückweg in den Kerker hatte Čabrinović die Möglichkeit, mit dem Schriftsteller Franz Werfel zu sprechen, der im Kriegspressequartier eingesetzt war. Nedeljko Čabrinović starb am 23. Jänner 1916 im Kerker.

Trifko Grabež wurde am 21. Oktober 1916 in seiner Zelle tot aufgefunden. Als offizielle Todesursache wurde Tuberkulose vermerkt. Tags zuvor ermöglichte man es Ivo Kranjčević, Grabež in dessen Zelle zu besuchen. Grabež konnte zu diesem Zeitpunkt weder stehen noch sitzen.

Militärstrafanstalt Möllersdorf
Die zehn anderen zu Kerkerstrafen Verurteilten kamen in die Zentralstrafanstalt für Bosnien und Herzegowina in Zenica. Im Februar 1915 ersuchte die Landesregierung in Sarajevo das gemeinsame Finanzministerium, acht Häftlinge im Zentralgefängnis Zenica nach Theresienstadt zu verlegen, da das Zentralgefängnis überfüllt sei und Schloss Möllersdorf bei Wien war in der Monarchie eine berüchtigte Militärstrafanstalt. (Foto: Werner Sabitzer)sich im Wachpersonal viele Serben befänden, deren Verlässlichkeit nicht gegeben sei. Das gemeinsame Finanzministerium empfahl dem Kriegsministerium, einen Teil der Gefangenen in das Militärgefängnis Möllersdorf bei Baden in Niederösterreich zu bringen.

Lazar Djukić, Ivo Kranjčević und Cvijan Stjepanović wurden im März 1915 in die „Kleine Festung“ Theresienstadt überstellt. Djukić erkrankte schwer – auch psychisch. Er wurde in die Irrenanstalt Prag gebracht, wo er am 19. März 1917 starb.

Nedjo Kerović und sein Vater Mitar, Jakob Milović, Vaso Čubrilović und Cvetko Popović kamen in das zweite Militärgefängnis der Monarchie nach Möllersdorf bei Baden in Niederösterreich. Es handelte sich um ein vor 1700 von Thomas Graf Czernin errichtetes Jagdschloss. Nach mehrmaligem Besitzerwechsel wurde das Gelände 1781 zu einer Kaserne umgebaut. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts diente das Schloss als Militärspital und später als „Marodenhaus“. 1871/72 wurde das Schloss und die Nebengebäude zu einer Strafanstalt umgebaut und mit einer fünf Meter hohen Mauer umgeben. Nach dem Ende der Monarchie diente der Gebäudekomplex von 1920 bis 1925 als Justizanstalt. 1927 erwarb die Stadt Traiskirchen das Schloss, das danach als Wohnanlage diente. Heute befindet sich im verbliebenen Teil des Gebäudekomplexes ein Landeskindergarten.

Das Militärgefängnis Möllersdorf galt als eine der härtesten und gefürchtesten Strafanstalten in der Monarchie. Nedjo Kerović starb am 26. März 1916 im Militärgefängnis Möllersdorf, sein Vater Mitar am 1. Oktober 1916. Als Todesursache wurde bei beiden Tuberkulose angegeben. Jakov Milović starb ebenfalls in der Haft in Möllersdorf. Branko Zagorać und Marko Perin, die nur zu drei Jahren Kerker verurteilt worden waren, verblieben in Zenica. Zagorać kam später in die Strafanstalt Pilsen, wo die Haftbedingungen wesentlich schlechter waren als in Zenica. Er dürfte im Oktober 1917 entlassen worden sein. Perin starb im Gefängnis in Zenica.

Hafterleichterungen
Im Frühjahr 1917 verbesserten sich nach öffentlichem Druck die Haftbedingungen in den Militärstrafanstalten Theresienstadt und Möllersdorf. Auch für die sechs überlebenden Sarajevo-Verschwörer gab es Hafterleichterungen. Die Einzelhaft wurde aufgehoben, die Häftlinge konnten längere Zeit im Gefängnishof verbringen, sie wurden beschäftigt und durften von Angehörigen besucht werden. Princip war allerdings vom Besuchsrecht weiterhin ausgenommen. Nach einem Vorschlag des Kriegsministeriums erklärte sich das gemeinsame Finanzministerium damit einverstanden, alle Sarajevo-Beteiligten in der Zentralstrafanstalt Zenica unterzubringen. Der schwer kranke Princip war transportunfähig, er blieb in Theresienstadt. Die vier restlichen Gefangenen, Ivo Kranjčević, Cvijan Stjepanović, Vaso Čubrilović und Cvetko Popović, trafen am 3. Oktober 1917 in Zenica ein. Während der fünftägigen Reise wurden die Gefangenen von der Begleiteskorte freundschaftlich behandelt, sodass zwei Bewacher wegen „Pflichtverletzung im Wachdienst“ vor ein Militärgericht kamen. Die vier Häftlinge wurden nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie aus dem Zentralgefängnis Zenica entlassen. Vaso Čubrilović studierte Geschichte, wurde Universitätsprofessor und im Tito-Regime Minister für Forstwirtschaft. Er starb 1990. Cvetko Popović arbeitete später im Museum von Sarajevo.

 

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Quellen/Literatur:

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Brook-Shepherd, Gordon: Die Opfer von Sarajevo. Erzherzog Franz Ferdinand und Sophie von Chotek. Engelhorn, Stuttgart, 1988.
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Leonhard, Jörn: Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs. Verlag C. H. Beck, München, 2014.
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Würthle, Friedrich: Die Spur führt nach Belgrad. Die Hintergründe des Dramas von Sarajevo 1914. Molden, Wien/München/Zürich, 1975.
Würthle, Friedrich: Dokumente zum Sarajevoprozess. Österreichisches Staatsarchiv (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Ergänzungsband 9) Wien, 1978.