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Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG)[1]

Die Verwertung von richterlichen oder nichtrichterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

Von Werner Märkert

– Teil 1 –

Am 01.09.2013 ist der erste Artikel des StORMG in Kraft getreten. Es ist zur Zeit noch nicht absehbar, welche Auswirkungen insbesondere die nicht ganz konturenklaren Ergänzungen des § 58a StPO für die polizeiliche Praxis haben werden.

 

Je nach Selbstverständnis kommen Polizei, Staatsanwaltschaft oder Richter dabei zu unterschiedlichen Einschätzungen: Für einige ändert sich mit diesem Gesetz überhaupt nichts[2], andere sehen darin eine fast ausschließliche Verlagerung der audiovisuellen Vernehmung zur Justiz und wiederum andere glauben, dass nach Inkrafttreten des Gesetzes es ein wesentliches „Mehr“ an audiovisuellen Vernehmungen geben wird.

Ursächlich für die beschriebene Unsicherheit ist der Gesetzestext des neuen § 58a Abs. 1 S. 2 StPO, der von der Diskussion über die später gestrichene zusätzliche Qualifizierung für Richter und Staatsanwälte mehr oder weniger überdeckt wurde.

Nur in der Entwurfsbegründung zum StORMG weist der Gesetzgeber zutreffend darauf hin, dass die polizeiliche Videovernehmung des Opfers sich als opferschützende Maßnahme bewährt hat, vielfach praktiziert wird, dass sie weiterhin möglich sein muss und in vielen Fällen erwünscht und auch zu gewährleisten ist.

Die nachstehenden Ausführungen sollen helfen, dass damit eng verbundene und sicherlich nicht einfache Beweisthema der Rekonstruktion von früheren Aussagen in eine Hauptverhandlung ein wenig verständlicher zu machen. Nach einem Einstieg über die Entwicklung des Opferschutzes führen themennahe Grundaussagen zur Beweislehre dann zur Beschreibung und Bewertung der eigentlichen Gesetzesänderung mit Schwerpunkt des neuen § 58a StPO. Am Schluss wird mit einem kleinen Blick in die Zukunft ein praxisnaher, aber dennoch diskussionswürdiger Forderungskatalog aufgestellt.

Auf eine Erörterung der Simultanübertragung während oder außerhalb der Hauptverhandlung von Zeugenvernehmungen gemäß § 247a oder § 168e i.V.m. § 58a StPO wird in diesem Zusammenhang verzichtet.

 

1.    Entwicklung des Opferschutzes[3]

Die Stellung des Opfers hat sich im deutschen Strafprozess im Laufe der Jahrhunderte mehrfach entscheidend verändert.  Im alten Recht wurde das Verbrechen vor allem als eine eher höchst persönliche Angelegenheit zwischen Täter und dem Opfer oder dessen Sippe gesehen. So lag es zunächst ganz in deren Hände, diese Rechtsbrüche zu verfolgen. Mit dem Erstarken der Obrigkeit wurde die Stellung des Verletzten immer mehr zurückgedrängt. Die im 18. Jahrhundert vorherrschende Auffassung, dass einer Privatperson keinerlei Dispositionsbefugnis über den staatlichen Strafanspruch zusteht, vernichtete jegliche Teilnahmerechte des Verletzten. Seine Interessen spielten fast keine Rolle mehr. Das Opfer hatte nur noch die Möglichkeit, als Anzeigenerstatter auf eine Straftat aufmerksam zu machen oder am Verfahren als Zeuge teilzunehmen.[4]  

Erst die Gedanken der Aufklärung und des Liberalismus formten das „Opfer als Staatsbürger“ mit eigenen Rechten und Pflichten.

1871 wurden im Reichsstrafgesetzbuch das Strafantragsrecht des Opfers sowie 1877 das Klageerzwingungsverfahren, die Privatklage und die Nebenklage in die Reichsstrafprozessordnung eingeführt. Alle diese Änderungen, auch das 1943 mehr aus Ersparnisgründen eingeführte Adhäsionsverfahren, konnten jedoch die Stellung des Opfers im Strafprozess nicht wirklich verbessern.[5]

1976 wurde das Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten (OEG) beschlossen, das in der aktuellen Fassung aus 2011 die finanzielle Versorgung der Geschädigten regelt.[6]

Der eigentliche Opferschutz begann erst 1987 mit dem sog. Opferschutzgesetz.[7] In den §§ 406d – 406h StPO wurden nun erstmals allgemeine Mitwirkungs- und Informationsbefugnisse für alle Verletzten festgeschrieben.

Das Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 sah später die besondere Strafmilderungsmöglichkeit des Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 46e StGB) vor und betonte den Vorrang des Schadensersatzes bei Bewährungsauflagen (§§ 56, 56b, 59a StGB).

Am 01.12.1998 trat nach längeren Beratungen das Zeugenschutzgesetz (ZSchG) in Kraft, das u.a. durch die §§ 58a, 168e, 247a und 255a StPO erstmals die Möglichkeiten des Einsatzes der Videotechnik im Ermittlungs- und Hauptverfahren vorsah. Die Aufzeichnung der Zeugenvernehmung im Vorverfahren auf Bild-Ton-Träger konnte die persönliche Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung unter bestimmten Umständen ersetzen, falls der Zeuge nicht mehr zur Aussage bereit war und daher ein Verlust des Beweismittels drohte. Die spätere Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung in der Hauptverhandlung als Vernehmungsersatz bzw. -ergänzung war jetzt möglich und reduzierte nicht nur mögliche Belastungen für den Zeugen, sondern erzielte auch besser verwertbare Aussagen. Das ZSchG schaffte mit § 247a StPO zugleich die Voraussetzungen, einen Zeugen während der Hauptverhandlung von einem anderen Ort aus mittels Simultanübertragung zu vernehmen.

Im gleichen Jahr wurde das Opferanspruchssicherungsgesetz (OAG) verabschiedet, welches ein zivilrechtliches Pfandrecht zugunsten des Verletzten an Forderungen des Täters oder Teilnehmer aus der öffentlichen Darstellung der Tat begründet.[8] 

2004 wurden die Rechte des Opfers durch das 1. Opferrechtsreformgesetz erweitert. Mit dem 2. OpferRRG wurde 2009 ein Anwesenheitsrecht eines Rechtsanwalt bei der polizeilichen Vernehmung eines Opfers[9] und bei der Vernehmung jedes Zeugen[10] eingeführt sowie die audiovisuelle Vernehmung gemäß § 58a StPO eindeutig über § 163 Abs. 3 StPO der Polizei zugewiesen.

Gesetzesentwürfe des Bundesrates[11] vom 24.03.2010 zum „Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren“ sowie der Entwurf der Bundesrechtsanwaltskammer vom Februar 2010 zum „Gesetz zur Verbesserung der Wahrheitsfindung im Strafverfahren durch verstärkten Einsatz von Bild-Ton-Technik“ rücken den verstärkten Einsatz moderner Medien bei der Protokollierung von Vernehmungen erneut in den Mittelpunkt.

Am 13.12.2011 ist zudem die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie[12] in Kraft getreten, die in Artikel 20 Abs. 4 von den Mitgliedstaaten fordert, sicherzustellen, dass sämtliche Vernehmungen von Opfern oder Zeugen von Sexualstraftaten im Kindesalter auf audiovisuellen Trägern aufgenommen und als Beweismaterial im Gerichtsverfahren verwendet werden können. Europäische Richtlinien sind durch die Tatgerichte zu beachten.[13]

Mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexueller Gewalt (StORMG) schreibt der Gesetzgeber nun ab dem 01.09.2013 den Schutz des Opfers weiter fort und fordert über eine reine Ergebnissicherung hinaus mehr Bild-/Tonaufzeichnungen von Vernehmungen. Hierdurch ließe sich jeder Streit um die Richtigkeit des schriftlichen Protokolls vermeiden,[14] der Beweiswert der Aussage würde erhöht und es könne eine bessere Prüfung der Glaubhaftigkeit erfolgen.

Ganz am Anfang steht vor diesem Hintergrund die Antwort auf Fragen, wie Ermittlungsbehörden zukünftig reagieren werden, wenn der Zeuge/Verletzte oder sein Beistand diese Technik einfordern oder - im Falle einer Ablehnung - selbst eigene Technik verwenden wollen. Gleiches gilt natürlich für die Beschuldigtenvernehmung. Spannend werden sicherlich dann auch die gerichtlichen Entscheidungen, die sich in der Revision mit der Frage beschäftigen müssen, ob hier ein Verfahrensverstoß vorliegt.

 

2. Die Verwertung von früheren richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmungen in der Hauptverhandlung

Der Grundsatz der Unmittelbarkeit bedeutet zum einen formell, dass das Gericht die Beweisaufnahme selbst wahrnimmt, sie also regelmäßig nicht auf Dritte übertragen darf und zweitens materiell, dass das Gericht grundsätzlich die zu ermittelnde Tatsache aus der Beweisquelle selbst und nicht aus einem Surrogat schöpfen darf.

Dieser Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt aber nicht absolut und wird in den §§ 251 ff StPO durchbrochen. In der Regel wird hier die Einführung von Beweissurrogaten zugelassen, weil die unmittelbare Beweisquelle nicht mehr, nur noch eingeschränkt oder nur mit einem erheblichen Aufwand zur Verfügung steht.

Damit sichert der Unmittelbarkeitsgrundsatz die Qualität der Beweisaufnahme, indem er eine direkte und unvermittelte Wahrnehmung des Beweismittels in der Hauptverhandlung garantiert.[15] Gleichzeitig lässt der Gesetzgeber aber begrenzte Ausnahmen zu, wenn außerhalb der Hauptverhandlung Aussagen dokumentiert wurden, die tatsächlich oder voraussichtlich nicht mehr oder aber anders in der Hauptverhandlung wiederholt würden.

 

2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen gemäß § 249 ff StPO.[16]

§ 163 Abs.1 S. 2 StPO ist Rechtsgrundlage für die Anordnung und Durchführung von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen durch die Polizei.[17]

Beherrschendes Prinzip des gesamten Strafverfahrens ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts. Das Gericht ist gemäß § 155 Abs. 2 StPO verpflichtet, von Amts wegen und ohne Bindung an Anträge oder Erklärungen der Prozessbeteiligten tätig zu werden. Es muss gemäß § 244 Abs. 2 StPO, unter Beachtung der Rechte des Beschuldigten, die Tatsachengrundlage des Tatvorwurfs umfassend untersuchen und versuchen, diese aufzuklären. Nur so kann der staatliche Strafanspruch durchgesetzt werden. Verstöße können im Rahmen der Revision gerügt werden und zur Aufhebung des Urteils führen.

Diese Aufklärungspflicht erstreckt sich auf alle für die Entscheidung erheblichen Tatsachen, so weit sie eines Beweises durch Personal- oder Sachbeweise bedürfen.

Der Personalbeweis wird außerhalb der Hauptverhandlung durch Vernehmungsprotokolle fixiert, die prozessuale Urkunden[18] sind.

Gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 StPO kann der Inhalt dieser Urkunden durch Verlesung zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden.[19]

§ 250 StPO schränkt jedoch ihre Verlesbarkeit ein, wenn sie eine Aussage zum Inhalt haben.[20] Damit verbietet § 250 die Ersetzung von Vernehmungen[21] durch Protokollverlesung, nicht jedoch die Beweiserhebung durch Vernehmung der Vernehmenden als Zeuge vom Hörensagen.  

Es gibt jedoch einige Rückausnahmen zu diesem Verbot:[22]

  • § 251 Abs. 1 StPO erlaubt in engen Grenzen ausnahmsweise der Verlesung von richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmungsprotokollen eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten.
  • § 251 Abs. 2 StPO erlaubt unter weiteren Voraussetzungen die Verlesung ausschließlich richterlicher Vernehmungsprotokolle.
  • § 253 StPO regelt den Urkundenbeweis durch Verlesung von Vernehmungsniederschriften von Zeugen oder Sachverständigen, wenn Gedächtnislücken oder Widersprüche bei der Aussage auftreten.
  • § 254 StPO erlaubt die Ersetzung durch Verlesung von früheren richterlich protokollierten Geständnissen.
  • § 255a Abs. 1 StPO regelt durch die Verweise auf die §§ 251, 252, 253 und 255 StPO die Einführung von Videoaufzeichnungen zeugenschaftlicher richterlicher und nichtrichterlicher Vernehmungen in die Hauptverhandlung.
  • § 255a Abs. 2 StPO regelt bei bestimmten Straftaten die Ersetzung der Zeugenaussage durch Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer richterlichen Vernehmung, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, daran teilzunehmen.    

Ist eine Ersetzung durch Verlesung einer Zeugenvernehmung grundsätzlich zulässig, ist zu prüfen, ob § 252 StPO einer Verlesung des Vernehmungsprotokolls entgegensteht. Dies ist dann der Fall, wenn der Zeuge erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Weitere Ausnahmen können an dieser Stelle vernachlässigt werden.[23]

Ist eine Ersetzung durch Verlesung des Vernehmungsprotokolls nicht möglich ist, muss geprüft werden, ob die Vernehmung der Verhörperson[24] in der Hauptverhandlung erfolgen kann.

Im Folgenden werden die Möglichkeiten der mittelbaren Verwertbarkeit von früheren Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung mit der Unterscheidung zwischen richterlicher und nichtrichterlicher Vernehmung dargestellt.

 

2.2 Die mittelbare Verwertbarkeit früherer Aussagen des Angeklagten[25]

Die meist lange Zeitspanne zwischen der Tatbegehung und der Vernehmung des Angeklagten in der Hauptverhandlung beeinträchtigt sicherlich seine Aussagefähigkeit und -willigkeit und lässt einen Rückgriff auf frühere Vernehmungsniederschriften unter engen Voraussetzungen vertretbar erscheinen.

Technisch können frühere Angaben des Angeklagten durch

  • förmliche Verlesung gemäß § 254 StPO oder
  • Reaktionen auf einen formlosen Vorhalt oder
  • Vernehmung der damaligen Verhörperson

in die Hauptverhandlung eingeführt werden.

 

2.2.1     Verlesung richterlicher Protokolle eines Beschuldigten gemäß § 254 StPO

§ 254 StPO lässt zum Zweck der Beweisaufnahme die Verlesung eines richterlichen Vernehmungsprotokolls[26] über ein Geständnis (Abs. 1) oder bei Widersprüchen (Abs. 2) mit den früheren Beschuldigtenaussagen zu. In Betracht kommen hier alle Aussagen, die der Angeklagte als Beschuldigter oder Angeschuldigter im Vor- wie im Zwischenverfahren gemacht hat. Damit wird das richterliche Vernehmungsprotokoll über § 254 StPO zu einem Urkundsbeweis gemäß § 249 StPO und stellt eine Ausnahme zu § 250 StPO dar.[27] Polizeiliche Protokolle sind davon nicht erfasst.

Der Gesetzgeber hat die Trennung in richterliche und nichtrichterliche Protokolle ganz bewusst mit dem größeren Vertrauen, das unser Rechtssystem in eine richterliche Vernehmung hat, vorgenommen.[28] Eine richterlichen Vernehmung wird allein durch die Anwesenheitsrechte gemäß § 168c Abs. 2  StPO praktisch zur „kleinen Hauptverhandlung“ und erscheint dadurch in hohem Maße beweiswürdig zu sein. Voraussetzung für die Verlesung eines richterlichen Vernehmungsprotokolls ist, dass dieses justizförmig[29] zustande gekommen ist.

Ob hingegen überhaupt eine richterliche Vernehmung durchgeführt wird, entscheidet die Staatsanwaltschaft meist auf Anregung der Polizei. Der Ermittlungsrichter, der an den Antrag der Staatsanwaltschaft gebunden ist, prüft lediglich, ob die beantragte Maßnahme gesetzlich zulässig ist.[30]  

 

2.2.2     Formloser (freier) Vorhalt gegenüber dem Angeklagten[31]

Die Einführung protokollierter früherer Angaben des Angeklagten in die Hauptverhandlung durch einen formlosen Aktenvorhalt[32] ist in der StPO nicht geregelt und wird auf § 244 StPO gestützt. Beim Vorhalt wird während der Vernehmung des Angeklagten durch den Vorsitzenden auf die Protokolle seiner früheren Vernehmungen Bezug genommen. Dabei bevorzugt der Vorsitzende den freien Vorhalt gegenüber der wörtlichen Verlesung.[33]

Diese Vorgehensweise ist damit nicht mit der Ersetzung gemäß § 254 StPO und damit nicht einem Urkundenbeweis gleichzusetzen, da nicht der Vorhalt, sondern nur die reaktiven Bekundungen bzw. die Erklärungen des Angeklagten auf den Vorhalt zur Beweiswürdigung herangezogen werden dürfen.

 

2.2.3     Vernehmung der nichtrichterlichen Verhörperson in der Hauptverhandlung[34]

Falls der Angeklagte beim formlosen Vorhalt der Vernehmungsniederschrift schweigt, das Vorgehaltene bestreitet oder Erinnerungslücken angibt, ist es zulässig und durch die Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO für das erkennende Gericht auch geboten, die vormalige Verhörperson als Zeugen über die frühere Äußerungen des Angeklagten zu vernehmen. In diesen Fällen wird auch nicht das Protokoll, sondern nur die Aussage der Verhörperson zum Gegenstand richterlicher Beweiswürdigung gemacht.

Zur Stützung des Gedächtnisses der vormaligen Verhörperson ist es darüber hinaus zulässig, ihm Aussagen aus dieser Vernehmung vorzuhalten. Als Beweis ist jedoch nur verwertbar, an was er sich erinnern kann oder auf Vorhalt hin in seine Erinnerung zurückkehrt. [35] 

 

2.2.4     Zwischenfazit[36]

Sowohl beim Schweigen als auch beim Bestreiten oder dem Sich-Berufen auf „keine Erinnerung“ durch den Angeklagten ist das Gericht darauf angewiesen, die Aufklärung über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Vernehmung auf andere Weise zu führen. Dies kann durch die Verlesung eines früheren richterlichen Geständnisprotokolls gemäß § 254 StPO oder durch die Vernehmung der Person, die die frühere Aussage entgegengenommen hat, geschehen. 

Der formlose (freie) Vorhalt wird bei der Vernehmung des Angeklagten durch den Vorsitzenden meistens nur dann angewendet, wenn kein richterliches Vernehmungsprotokoll vorliegt.

 

2.3      Die mittelbare Verwertbarkeit früherer Aussagen von Zeugen

§ 251 Abs.1 StPO regelt seit dem 1. JuMoG[37] die Verlesung von richterlichen und nichtrichterlichen Zeugenaussagen – und damit ihre Verwendung als Urkundsbeweis – wenn alternativ einer der folgenden Beispielsfälle vorliegt: Wenn

  • der Angeklagte einen Verteidiger hat und die Staatsanwaltschaft, Verteidiger, Angeklagter sowie andere Prozessbeteiligte[38] mit der Verlesung einverstanden sind,
  • der Vernommene verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit nicht gerichtlich vernommen werden kann[39],
  • die Niederschrift oder Urkunde (nur) das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

Das Vernehmungsprotokoll einer früheren Zeugenaussage bei einer richterlichen Vernehmung kann darüber hinaus gemäß § 251 Abs. 2 StPO auch dann verlesen werden, wenn

  • dem Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewissen Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen,
  • dem Vernommenen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen der großen Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann,
  • der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

 

2.3.1     Das Verlesungsverbot des § 252 StPO

§ 252 StPO beinhaltet ein ausdrückliches Verlesungsverbot auch für richterliche Zeugenvernehmungen[40], wenn der Zeuge sich in der Hauptverhandlung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 ff StPO beruft.

Im Fall des § 52 StPO ist es gleichgültig, ob das Angehörigenverhältnis vor oder nach der früheren Vernehmung entstanden ist.[41] Unter den Voraussetzungen der §§ 53, 53a StPO ist § 252 StPO nur anwendbar, wenn bereits bei der früheren Vernehmung ein Zeugnisverweigerungsrecht bestanden hat.[42] 

Damit trägt der § 252 StPO der besonderen Lage eines Zeugen Rechnung, der z.B. als Angehöriger des Beschuldigten in der Hauptverhandlung der Zwangslage ausgesetzt ist, seinen Angehörigen zu belasten oder die Unwahrheit sagen zu müssen.[43] So hat der zeugnisverweigerungsberechtigte Zeuge nicht nur die Möglichkeit, eine wahrheitsgemäße belastende Aussage zurückzunehmen, sondern auch die Option, von einer unwahren entlastenden früheren Aussage Abstand zu nehmen, ohne nachteilige Folgen befürchten zu müssen.[44]

Wenn der zeugnisverweigerungsberechtigte Zeuge jedoch seine frühere Aussage nach Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht vor einem Richter gemacht hat, darf das Protokoll als Ersatz für die Vernehmung zwar nicht verlesen werden, der Richter kann aber als Verhörperson über die Inhalte der Vernehmung in der Hauptverhandlung vernommen werden.[45] Dem Richter dürfen zur Auffrischung seines Gedächtnisses auch Teile des Protokolls vorgelesen werden – verwertbar ist aber nur das, was der Richter auf den Vorhalt erinnert.[46]

Das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO hat für die Anwendung des § 252 StPO keine Bedeutung.[47]  

 

2.3.2     Der förmliche Vorhalt gemäß § 253 StPO

§ 253 StPO erlaubt als Ausnahme von § 250 StPO die Verlesung eines richterlichen oder nichtrichterlichen Vernehmungsprotokolls einer früheren Zeugenaussage zur Gedächtnisunterstützung (Abs. 1) und wenn es Widersprüche zwischen der jetzigen und früheren Aussage (Abs. 2) gibt. Es handelt sich damit praktisch um eine Vernehmungsergänzung, die während einer Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung erfolgt. Mit der Verlesung wird der Inhalt der früheren Vernehmung in die Hauptverhandlung eingeführt, auch wenn sich der Zeuge nach der Verlesung nicht mehr erinnern kann.

Bevor das Gericht vom § 253 StPO Gebrauch macht, muss es aber alle Möglichkeiten, die zur Beseitigung von Erinnerungslücken bzw. Widersprüchen zur Verfügung stehen, ausgeschöpft haben. Hierzu gehört vor allem der weiterhin zulässige und auf den Inhalt des Protokolls der früheren Vernehmung gestützte, formlose (freie) Vorhalt.[48] 

Geht es jedoch um Inhalte einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung, so dürfen Inhalte des Protokolls dem Polizeibeamten als Zeuge nur vorgehalten und nicht ersetzend verlesen werden, da § 254 StPO bei polizeilichen Vernehmungen ein Verlesungsverbot beinhaltet.[49] 

 

2.3.3     Formloser (freier) Vorhalt gegenüber dem Zeugen

Wie beim Beschuldigten ist dieser formlose Vorhalt als sog. Vernehmungsbehelf für den Zeugen in der StPO nicht geregelt. Er ist dennoch gängige Praxis und wird auf die Aufklärungspflicht gemäß § 244 StPO gestützt. Der Vorhalt selbst entfaltet im Gegensatz zur Verlesung keine Beweiskraft, sondern nur die Aussage oder Erklärung des Zeugen, die er während oder nach dem Vorhalt macht.

 

2.4      Verlesung von sonstigen Berichten/Protokollen gemäß § 256 StPO

Gemäß § 256 Abs.1 Nr. 5 StPO können Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen verlesen werden.[50] Diese Regelung soll die Hauptverhandlung von Vernehmungen entlasten, bei denen der Vernehmende nicht mehr bekunden kann als ohnehin im Protokoll steht. Häufigster Fall ist die Verlesung von Gutachten über den Blutalkoholgehalt einer Blutprobe.  

Auf Vernehmungsprotokolle von Zeugen oder Beschuldigte erstreckt sich die Verlesungsmöglichkeit jedoch nicht. Der Begriff „Vernehmung“ ist hier weit gefasst und umfasst auch z.B. die in einem Einsatzbericht festgehaltenen Ergebnisse einer informatorischen Befragung.[51] 

Einwände gegen eine Verlesung der Berichte/Protokolle können auch dann vorgebracht werden, wenn z.B. das Geschehen nicht ordnungsgemäß oder nur lückenhaft dokumentiert wurde.

 

2.5      Anfertigung und Einführung von Tonaufnahmen oder audiovisuellen Vernehmungen

Unter Zeugenschutzgesichtspunkten wurden in immer mehr Strafverfahren audiovisuelle Aufnahmetechniken genutzt, nachdem bereits 1995 die Videoaufnahme einer Vernehmung in der Literatur gefordert wurde. Die damit verbundene bessere Dokumentation hat unbestreitbare Vorteile für alle Vernehmungen, zumal die Fehleranfälligkeit verschrifteter Protokolle[52] hinreichend erforscht und damit längst kein forensisches Geheimnis mehr ist. Die Aufzeichnung dient damit dem Zeugenschutz, der Wahrheitsfindung sowie der Erleichterung und Beschleunigung des Verfahrens.[53]

Gemäß § 168a Abs. 2 S. 1 StPO kann der Inhalt eines Vernehmungsprotokolls mit einem Tonaufnahmegerät vorläufig aufgezeichnet werden. Nach § 168a Abs. 2 S. 4 StPO dürfen diese Ton-Aufzeichnungen erst gelöscht werden, wenn das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen oder sonst beendet ist. Die Löschung von Bild-Ton-Aufnahmen von Zeugen regelt § 58a StPO durch Verweis auf § 101 Abs. 8 StPO.

Themenbezogen wird im Folgenden nur auf die „live“ Dokumentation von Vernehmungen eingegangen, da eine auf Datenträger diktierte Vernehmung wie ein schriftliches Vernehmungsprotokoll zu bewerten ist und keinen nennenswerten forensischen Mehrwert enthält. Auch die Simultanübertragung und Aufzeichnung von Zeugenaussagen vor dem Ermittlungsrichter gemäß § 168e StPO sowie die Simultanvernehmung gemäß § 247a S. 3 StPO sind nicht Gegenstand weiterer Ausführungen. 

 

2.5.1     Audiovisuelle Vernehmung eines Beschuldigten

Die Videovernehmung eines Beschuldigten ist gesetzlich nicht geregelt. Der Beschuldigte hat grundsätzlich keinen rechtlichen Anspruch darauf, wie und vom wem er vernommen wird, da die wissentlich an die Adresse einer Strafverfolgungsperson gerichteten Worte grundsätzlich nicht zur Privat- oder gar Intimsphäre einer Person gehören.[54] Eine offene unmittelbare Aufzeichnung der Vernehmung gegen seinen Willen kann der Beschuldigte aber praktisch jederzeit dadurch verhindern, dass er von seinem Schweigerecht Gebrauch macht.

Staatsanwaltschaft und Polizei können analog von der Möglichkeit des § 163 Abs.1 S. 2 StPO i.V.m. § 168a Abs. 2 S. 1 StPO Gebrauch machen und eine Beschuldigtenvernehmung offen vorläufig aufzeichnen. Diese vorläufige Aufzeichnung ist zur Akte zu nehmen und damit verbindliche Grundlage für eine spätere Verschriftung.

Die Aufzeichnung der Ton-/Bild Vernehmung eines Beschuldigten kann unter den Voraussetzungen des § 254 StPO in der Hauptverhandlung vorgeführt werden, da sie ein Mehr an Unmittelbarkeit und Authentizität der Vernehmung darstellt. Obwohl nach der hM § 254 StPO direkt nicht anwendbar ist, wird es für zulässig erachtet, die mit Einverständnis[55] des Beschuldigten hergestellte Aufnahme eines vor der Polizei abgelegten Geständnisses (i.w.S) zu Beweiszwecken in der Hauptverhandlung abzuspielen, sofern der Vernehmungsbeamte dort erscheint und feststellt, dass der Tonträger unverfälscht ist, d.h. die Aussage zutreffend wiedergibt.[56]  

Eine audio- oder audiovisuelle Vernehmung des Beschuldigten empfiehlt sich aber auch, da Nr. 45 Abs. 2 RiStBV vorsieht, bedeutsame Teile der Vernehmung wörtlich in eine Niederschrift aufzunehmen und ein Geständnis mit den Worten des Beschuldigten wiederzugeben.[57]

Im forensischen Idealfall sollte das (Ton-) Protokoll folgenden Anforderungen genügen:[58]

  • Wortgetreue Dokumentation der Aussage
  • Erkennbarkeit des Vernehmungsablaufs
  • Dokumentation besonderer Begleitumstände
  • Dokumentation non-verbaler Reaktionen der Aussageperson

Diese Anforderungen gelten auch für die Ton-Protokolle polizeilicher Zeugenvernehmungen.

 

2.5.2     Audiovisuelle Vernehmung eines Zeugen

Grundsätzlich hat auch der Zeuge keinen Anspruch darauf, wie und von wem er vernommen wird und hat, soweit er zur Aussage verpflichtet ist, eine Aufnahme seiner Vernehmung zu dulden. Der Zeuge hat jedoch bei der Polizei keine Präsenz- und Zeugenpflicht und kann daher, ähnlich dem Beschuldigten, auf diese nur offen durchzuführende Maßnahme mit Fernbleiben reagieren. Deshalb ist Kooperation angezeigt und ein Einverständnis sicherlich förderlich.[59]     

Die unmittelbare Aufzeichnung seiner Vernehmung auf Bild-Ton-Träger außerhalb der Hauptverhandlung erlaubt § 58a Abs. 1 S. 1 StPO als sog. „kann“ Vorschrift für jeden Zeugen und als „Soll“ Vorschrift für bestimmte Zeugen gemäß §58a Abs. 1 S. 2 StPO.

Als sog. „Minus“ erfasst § 58a Abs. 1 S. 1 und 2 StPO i.V.m. § 163 Abs. 1 S. 2 StPO auch die Tondokumentation einer nichtrichterlichen Zeugenvernehmung.  

 

§ 255a StPO[60]

§ 255a StPO enthält zwei Tatbestände, die die Einführung der nach § 58a StPO angefertigten Videoaufzeichnungen von Zeugenvernehmungen regeln und die sorgsam unterschieden werden müssen.

§ 255a Abs. 1 StPO stellt ein Äquivalent zum Vernehmungsprotokoll her und ermöglicht so die Vorführung der Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen in den Fällen des „Beweisnotstandes“ nach § 251 StPO. Die Vorführung einer richterlichen und nichtrichterlichen Aufzeichnung ist damit unter den gleichen Voraussetzungen möglich, zu denen auch die Verlesung einer Vernehmungsniederschrift in der Hauptverhandlung statthaft wäre. Damit bietet das Gesetz die Bild-Ton-Aufzeichnung aus dem Ermittlungsverfahren als Beweissurrogat an, wie dies letztlich auch die zu verlesende Vernehmungsniederschrift wäre.

Demgegenüber verfolgt § 255a Abs. 2 StPO einen anderen Zweck, nämlich den Schutz des durch die Tat traumatisierten oder bedrohten Zeugen. Der Tatbestand des Abs. 2 setzt nicht nur eine richterliche Vernehmung von einem Zeugen einer Katalogtat voraus. Es ist auch erforderlich, dass der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit zur Mitwirkung bei der aufgezeichneten Vernehmung hatten. Nur durch diese Mitwirkung besteht die Chance, dass der Verteidiger in der Hauptverhandlung keinen Fragebedarf mehr hat und daher auf eine ergänzende Vernehmung des Zeugen verzichtet.  

In diesen Fällen kann die Bild-Ton-Aufzeichnung einer richterlichen Vernehmung als sog. „Echter Transfer“ eine Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung vollständig ersetzen, obwohl der Zeuge eigentlich erreichbar wäre. Ob diese Ersetzung erfolgt oder nicht, ist ausschließlich in das richterliche Ermessen gestellt, wobei die Abwägung unter der Berücksichtigung von Zeugenschutz, Aufklärungsgebot und Verteidigungsinteressen des Angeklagten stattfinden muss.

Macht ein Zeuge erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, so darf nach Lesart des § 252 StPO sowohl das schriftliche als auch das aufgezeichnete richterliche Vernehmungsprotokoll nicht vorgelesen/vorgeführt werden. Die Rechtsprechung erlaubt jedoch in diesen Fällen, dass der vernehmende Richter als Zeuge vom Hörensagen über die Inhalte der Bild-Ton-Aufzeichnung vernommen werden darf, und nimmt damit strittig[61] in Kauf, dass eine sehr genaue Videoaufzeichnung durch ein weniger authentisches Beweismittel in Form der Vernehmung eines auf der Grundlage seiner Erinnerung aussagenden Richters ersetzt wird.

 

Das Gesetzgebungsverfahren zum StORMG

Insbesondere im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion über Fälle sexuellen Missbrauchs in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen wurde deutlich, dass vereinzelt gesetzliche Schutzlücken bestehen und innerhalb der Grenzen, die durch die Rechte des Beschuldigten und den Grundsatz des fairen Verfahrens gezogen sind, ein ausbaufähiger gesetzgeberischer Spielraum für eine weitere Verbesserung des Opferschutzes vorhanden ist.

Am 24.03.2010 beschloss das Bundeskabinett deshalb die Einrichtung eines runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ unter dem Vorsitz von Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz und Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Ziel des runden Tisches war es, Prävention, Opferschutz, Aufklärung und Aufdeckung zu verbessern, eine rechtzeitige und effektive Strafverfolgung von sexuellem Missbrauch zu gewährleisten sowie Forschung und Evaluation zum Thema „sexuelle Gewalt“ voranzubringen.

Die Forderungen des Runden Tisches sahen dabei u.a. vor, dass

  • die Schutzaltersgrenze von 18 Jahren entweder zu streichen ist oder sich auf den Tatzeitpunkt beziehen muss,
  • es notwendig ist, bei minderjährigen Opferzeugen immer eine richterliche Videovernehmung durchzuführen,
  • die Sollvorschrift des § 58a StPO nicht erst „zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen geboten“ ist, sondern es ausreichend sein muss, wenn mit einer Videovernehmung die schutzwürdigen Interessen „besser gewahrt“ sind.

Der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz vom 07.12.2010 griff die Empfehlungen aus dem Zwischenbericht des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“ auf und sah folgende Schwerpunkte vor:

  • Vermeidung von Mehrfachvernehmungen durch mehr richterliche audiovisuelle Vernehmungen, die in späteren Verfahrensstadien zur Verfügung stehen.
  • Erweiterung der Vorschriften über den Ausschluss der Öffentlichkeit sowie Ausweitung auf volljährig gewordene Opfer, sofern sie zur Tatzeit minderjährig waren. 
  • Stärkung der Verfahrens- und Informationsrechte von Verletzten im Strafverfahren – Erweiterung der Rechte, auf Antrag darüber informiert zu werden, ob dem Verurteilten Vollzugslockerung oder Urlaub gewährt wird.   
  • Zuweisung von Jugendschutzsachen an die Jugendgerichte und Festschreibung von Qualitätsanforderungen an Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte.
  • Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist auf 30 Jahre.

Das Bundeskabinett beschloss am 27.03.2011, diesen Entwurf als Gesetz[62] einzubringen und legte es am 15.04.2011 dem Bundesrat vor.[63]

Nach einem Umweg über den Rechts-/Innenausschuss nahm der Deutsche Bundestag in seiner 228. Sitzung am 14.03.2013, mit einigen Änderungen z.B. im Bereich der Qualitätsanforderungen an Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte, das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) an.

Der Bundesrat beschloss am 03.05.2013, keinen Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses zu stellen, so dass das Gesetz am 29.06.2013 im Bundesgesetzblatt[64] veröffentlicht wurde und Artikel 1 am 01.09.2013 in Kraft trat.

 

– Ende 1. Teil –

 

Anmerkung der Redaktion:

Im zweiten Teil des Beitrages werden die konkreten Inhalte des Gesetzes und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die kriminalpolizeiliche Praxis ausführlich dargestellt.

 

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Quellen

[1]  Veröffentlicht im BGBl 2013, Teil 1, Nr. 32, 1805, am 29.06.2013.

[2]  Sievers, DK, S. 25

[3]  ZIS 3/2010, Herrmann Entwicklung des Opferschutzes Universität Augsburg.

[4]  Susanne Brähmer, „Wesen und Funktion des Strafantrags“ S. 43 ff, Forschungsreihe Kriminalwissenschaften.

[5]  Das Adhäsionsverfahren wurde 2004 neu gestaltet, um es zum Regelfall der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche des Opfers zu machen. Eine Adhäsionsentscheidung ist an ein Urteil gebunden (setzt also eine Hauptverhandlung voraus) und steht dann gemäß § 406 Abs. 3 StPO einem zivilrechtlichen Titel gleich. Die Vollstreckungserleichterungen des § 850f Abs.2 ZPO sind evident.

[6]  Zuständig sind seit dem 01.07.2007 die Kommunen und es bedarf eines Antrages, der schon bei der Anzeigenerstattung gestellt und von der Polizei weitergeleitet werden kann.

[7]  BGBl, I Nr.68 v.24.12.1986, S. 2496 ff.

[8]   Z.B. aus Honoraransprüchen bei Veröffentlichungen oder Auftritten in den Medien.

[9]   § 406f Abs. 1 S. 2 StPO.

[10]  § 68b Abs. 1 S. 2 StPO.

[11]  BT-Drs. 17/1224.

[12]  Richtlinie 2011/93.

[13]  EuGH NJW 2005, 2839 ff.

[14]  Wessing/Ahlbrecht, Rn 221, 222.

[15]  BGH 2 StR 78/10.

[16]  angelehnt an Eisenberg Rn 1 ff.

[17]  für die StA § 168b StPO.

[18]  Prozessuale Urkunden sind alle Schriftstücke, soweit es auf deren gedanklichen Inhalt ankommt. 

[19]  Eisenberg Rn 2028.

[20]  Meyer-Goßner § 250 Rn 1: der Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt nur für Wahrnehmungen von Zeugen und Sachverständigen.

[21]  Formelle Vernehmungen sowie „vernehmungsähnliche Situationen“ .

[22]  Angelehnt an Eisenberg Rn 2076.

[23]  Auch z.B. im sog. „beschleunigten oder vereinfachten Verfahren“ können mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten gemäß § 420 Abs.1-3 StPO polizeiliche Vernehmungsprotokolle sowie andere amtliche Protokolle als Vernehmungsersatz  verlesen werden.

[24]   Vernehmung als „Zeuge vom Hörensagen“. Diese Beweisverschlechterung aufgrund der geringen Tatnähe des ZvH muss aber im späteren Urteil berücksichtigt werden.  

[25]  Orientiert an Eisenberg, Rn 856 ff.

[26]  Bei der richterlichen Vernehmung müssen aber Angaben zur Sache gemacht worden sein. Eine reine plakative Bestätigung der Angaben anlässlich der polizeilichen Vernehmung reicht hier nicht aus. 

[27]  Verlesung als Ersatz für die Zeugenvernehmung des Richters – die richterliche Protokollierung wird in ihrer Bedeutung der unmittelbaren Aussage des Angeklagten in der Hauptverhandlung wertungsmäßig gleichgesetzt.

[28]  Polizeiliche Vernehmungen seien eher durch ein tendenzielles Gedrängtwerden sowie durch eine geringere Gründlichkeit bei der Beachtung z.B. der Belehrungserfordernisse geprägt.  Diese Auffassung wird jedoch z.B. angesichts der normativen Gleichwertigkeit der Belehrungspflichten für Polizei und Staatsanwaltschaft in der Literatur strittig diskutiert.  

[29]  Unter Beachtung von Formvorschriften sowie der Anwesenheitsrechte und Hinweis- und Belehrungspflichten.

[30]  LG Stuttgart v. 25.11.2010, Az. 1 Qs 85/10.

[31]  Angelehnt an Eisenberg Rn 868 ff.

[32]  Zulässiger „Vernehmungsbehelf“.

[33]  Eisenberg, Rn 873.

[34]  Angelehnt an Eisenberg, Rn 880.

[35]  Eisenberg Rn 883.

[36]  Angelehnt an Eisenberg Rn 878.

[37]  In Kraft seit dem 01.09.2004.

[38]  Meyer-Goßner § 251 Rn 7.

[39]  Dies betrifft nicht die Zeugen, die aufgrund eines Zeugnisverweigerungsrecht i.S.d. § 52 oder 53 StPO in absehbarer Zeit nicht vernommen werden können! So auch zu § 53 StPO: KG Berlin v. 20.11.2000 Az. 1 Ss 95/00.

[40]  Meyer-Goßner, § 252 Rn 7: § 252 StPO gilt auch für Angaben, die der Zeuge im Rahmen einer informatorischen Befragung gemacht hat = vernehmungsähnliche Situation.

[41]  Meyer-Goßner  § 252 Rn 2.

[42]  Meyer-Goßner § 252 Rn 3.

[43]  So auch der Nichtannahmebeschluss des BVerfG v. 25.09.2003 Az. 2 BvR 1337/03 Rn 5.

[44]  So auch der Nichtannahmebeschluss des BVerfG v. 25.09.2003 Az. 2 BvR 1337/03 Rn 6.

[45]  BGH vom 15.01.1952 – 1 StR 341/51 und BGH StV 2004, 249 – wobei dies in der Literatur kritisch bewertet wird: „Dem zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen werde damit die Disposition über seine eigenen Rechte entzogen.“

[46]  Meyer-Goßner § 252 Rn 15.

[47]  Meyer-Goßner § 252 Rn 5.

[48]  Eisenberg Rn 2161.

[49]  Schmehl/Vollmer/Heidrich § 254 S. 142 Hinweis 1.

[50]  Meyer-Goßner § 256 Rn 26, sog. „erweiterter Urkundsbegriff“, der förmlichen Verlesung steht die Inhaltsfeststellung gleich. 

[51]  Meyer-Goßner, § 256 Rn 27.

[52]  z.B. Gefahr durch Selektion, eigene Ergänzungen, Auslassungen.

[53]  Meyer-Goßner, § 255a StPO Rn 1.

[54]  Eisenberg, Rn 2300.

[55]  Eisenberg, Rn 2298: Ein fehlender Widerspruch ist nur dann ein stillschweigendes Einverständnis, wenn andere Fakten keine andere Deutung zulassen.

[56]  Eisenberg, Rn 2291.

[57]  Buckow, S. 554.

[58]  Leitner, S. 42.

[59]  Eisenberg, Rn 1311a.

[60]  Leitner, S. 73.

[61]  Kritikpunkt: Das beschriebene Regel-Ausnahmeverhältnis für richterliche Verhörspersonen sei aus § 252 StPO nicht ableitbar und deshalb unzulässig. Dem gegenüber steht das Argument, dass § 255a Abs. 2 StPO die richterliche Beweisaufnahme vorverlagert und damit eine Äquivalenz zur Hauptverhandlung herstellt: Ein Zeuge, der mehrfach in der Hauptverhandlung aussagt, kann auch nicht seine Angaben durch nachträgliche Zeugnisverweigerung unverwertbar machen.        

[62]  Gesetzentwurf der Bundesregierung DS 17/6261.

[63]  Bundesrat DS 213/11.

[64]  Jahrgang 2013, Teil I Nr. 32, 1805.