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Das Trennungsgebot

Verfassungspolitisches Bollwerk oder historischer Ballast?

Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D., Berlin

Die geschichtliche Hypothek

Spätestens der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses, in dem mit deutlichen Worten das multiple Behördenversagen insbesondere bei der (defizitären) Zusammenarbeit von Polizeien und Verfassungsschutzbehörden gerügt wurde, hat die Diskussion um das sogenannte Trennungsgebot neu befeuert, wobei in den Verlautbarungen zu diesem Thema Behauptungen, Vermutungen, Unterstellungen, angebliche Erfordernisse und Verfassungsinterpretationen ein buntes Gemisch ergeben, das nicht unbedingt den rationalen Diskurs fördert. Versuche, Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit in Kongruenz zu bringen, werden erst gar nicht unternommen.

Worum geht es eigentlich? In Deutschland sind seit den Anfangsjahren des Grundgesetzes die Dienststellen der Polizeien von Bund und Ländern und die Verfassungsschutzämter organisatorisch, funktional, personell, befugnisrechtlich und informationell getrennt. Der eine darf nicht, was der andere darf und umgekehrt. Diese verfassungspolitische Hypothek wird kurzerhand auf ein nicht näher begründetes Trennungsgebot zurückgeführt, über das in der Öffentlichkeit kaum Vorstellungen, in der Politik allenfalls in der Regel nur pauschale Kenntnisse existieren.

Während die Aufgabenfelder der Polizei zumindest dem Grunde nach bekannt sind, verbindet sich mit dem Verfassungsschutz als Nachrichtendienst viel Spekulatives. Dessen gesetzlichen Aufgaben bestehen nämlich darin, als Frühwarnsystem für die Politik Informationen über extremistische und terroristische Bestrebungen oder Spionagetätigkeiten zu beschaffen, zu sammeln und auszuwerten. Außerdem soll er präventiv tätig werden, ein Funktionsmerkmal, das gerade aktuell in der Neufassung des Verfassungsschutzgesetzes von Thüringen abgeschafft werden soll. Er wird in Bereichen tätig, den die Polizei und die Strafverfolgungsorgane mit ihren Mitteln und ihrer Methodik nicht abdecken können. Da seine Tätigkeiten auf Beobachtung und Aufklärung beschränkt sind, sind seine Rechtsgrundlagen nur wenig ausdifferenziert.  So weit so schlecht, denn trotz der generellen Feststellung, dass die Gewährleistung der Inneren Sicherheit eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz erfordert, steht das Trennungsgebot wie ein Menetekel über beiden Organisationen.

Nachfolgend soll die aktuelle Diskussion, die überwiegend rechtswissenschaftlich bestimmt ist, auch unter praktischen und sicherheitspolitischen Aspekten näher beleuchtet werden, ohne sich in fußnotenreiche juristische Detailabhandlungen zu verlieren.

 

 

Die rechtliche Würdigung - zwischen Beliebigkeit und Überhöhung

Zu überwiegenden Teilen beschränkt sich die Fachliteratur bei der Behandlung des Themas auf einen Austausch von Meinungen oder Behauptungen. Der eine behauptet, das Trennungsgebotes sei die Lehre aus der Geschichte, der andere identifiziert es als stringentes Verfassungsgebot und ein weiterer bezeichnet es als probates Mittel  zur Unterbindung der Kumulation sicherheitsbehördlicher Befugnisse.  Gefördert wird dieser Prozess der Beliebigkeit durch den Umstand, dass es für das Trennungsverbot keine Legaldefinition gibt und der Begriff weder in der Verfassung noch in einfachgesetzlichen Regelungen expressis verbis verwendet wird. Heute nicht mehr nachvollziehbar, tauchte er in der verfassungspolitischen Diskussion der  achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts aus dem Nichts auf und durchlief seitdem -u.a. auch als beliebtes Dissertationsthema bei Jungjuristen- eine steile Karriere. Heute wird es insbesondere in der politischen Diskussion überhöhend und undiskutiert als unabdingbares Verfassungspostulat bezeichnet, das angeblich verfassungspolitisch außer Streit stehe. Spätestens seit dem NSU-Untersuchungsausschuss kommen daran erhebliche Zweifel auf. Zwischenzeitlich wurde der Terminus zu allem Überfluss auch auf die Trennung von Polizei und Streitkräften übertragen, obwohl dort seine Existenzgrundlagen noch brüchiger sind. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erwähnt zwar gelegentlich das Konstrukt als Obiter dictum[i], ohne dabei allerdings wegen fehlender Relevanz näher auf seinen Rechtscharakter einzugehen. Eine einfachgesetzliche Regelung enthält § Abs. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954,2970) mit einem eindeutigen Wortlaut: Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. Ähnliche Regelungen enthalten die korrespondierenden Länderreglungen. Verfassungsrechtlich enthalten die Landesverfassungen des Freistaates Sachsen in Art. 83 Abs. 3 und die Verfassung des Landes Brandenburg in Art. 11 Abs. 3 eine diesbezügliche Regelung. Während Sachsen die Bestimmung unter Verwaltungsorganisation aufgenommen hat, wählte Brandenburg als Standort die Regelung über den Datenschutz.

 

Wie alles begann

Das Trennungsgebot gehört mit zu den Mythen der nachkriegsdeutschen Verfassungsgeschichte. Wer sich mit dem Werden der Bundesrepublik näher auseinandersetzt, landet zwangsläufig bei dem sogenannten Polizeibrief, einem Schreiben vom 14. April 1949, mit dem die westalliierten Militärgouverneure direkt in die Beratung über das im Entstehen begriffenen Grundgesetz hineinwirkten und auf das sie sich noch einmal ausdrücklich im Genehmigungsverfahren zum Grundgesetz bezogen. Im Polizeibrief wurde der Bundesregierung u. a. gestattet, „eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung  von Auskünften über umstürzlerische gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnisse haben.“ Der letzte Satz, der im englischen Originaltext lautete „this agency shall have no police authority“, war der Geburtshelfer des Trennungsgebotes, obwohl er im Grunde lediglich eine Begrenzung der Befugnisse postulierte.

Über die Gründe und Motive für diese Limitierung ist in der Fachliteratur umfangreich spekuliert worden, wobei regelmäßig die Behauptung auftaucht, dass die Westalliierten einem Wiederaufleben einer geheimen Staatspolizei nationalsozialistischer Provenienz vorbeugen wollten. Im Grunde ist allerdings davon auszugehen, dass die Westalliierten ihre ursprüngliche Strategie der vollständigen Demilitarisierung und Dezentralisierung auch in diesem Falle durchsetzten und sich u.a. auch am englischen Beispiel mit einer ähnlichen Trennungskonstruktion orientierten. Andererseits dürfte ihnen aber auch schnell klar geworden sein, dass die junge Bundesrepublik an der sensiblen Trennungslinie zwischen zwei großen Militärblöcken ohne einen Nachrichtendienst im Sicherheitsbereich eine offene Flanke bot, zumal die beiden Deutschlands binnen kürzester Zeit zum Tummelplatz vielfältiger Nachrichten- und Geheimdienste wurde und umstürzlerische Absichten der kommunistischen Machthaber im Ostblock immer evidenter wurden.

Bereits 1950 erließ der Bund unter Inanspruchnahme seiner Kompetenzen aus Art. 73 Nr. 10, 87 Abs. 1 Satz 3 GG ein Bundesverfassungsschutzgesetz. In späteren Jahren wurde der Aufgabenkanon als Reaktion auf die Zunahme politisch motivierter Gewalttaten und auf zunehmende Ausbreitung des internationalen Terrorismus in den Jahren 1972 und 2002 erweitert. Unter anderem wurde die Nummer 10 b in Art. 73 GG eingeführt.

Aktuell gilt die Fassung vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954,2970). Im Lauf der Jahre erfolgten Regelungen für die Landesverfassungsschutzämter, für den Bundesnachrichtendienst als Auslandsnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst als Sonderdienst für den Bereich der Streitkräfte.

Abgesehen von der ausdrücklichen Regelung in § 2 Abs. 1 BVerfSchG, wonach das Bundesamt für Verfassungsschutz einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden darf (wobei allerdings Polizei und Verfassungsschutz jeweils gemeinsam bei den Innenministerien ressortieren), kann ein ausdrückliches Verfassungsgebot nicht schlüssig begründet werden. Dies hatte auch zur Folge, dass erst bei Einführung der Datenerhebungseingriffe als Ergebnis des Volkszählungsurteils eine gewisse Trennung normativ umgesetzt wurde. Zunehmend findet aber die Erkenntnis Eingang in die verfassungspolitische Diskussion, dass der Polizeibrief als Oktroi der Westalliierten sich historisch spätestens mit der Herstellung der deutschen Einheit erledigt hat. Andere alliierten Vorgaben, wie z. B. die vollständige Demilitarisierung Westdeutschlands, hatten viel schnellere Verfallszeiten. Die über sechzig Änderungen, die das Grundgesetz in seiner Biographie erfahren hat (von der „Ewigkeitsgarantie“ in Art. 79 Abs. 3 GG abgesehen), lassen im Übrigen vermuten, dass selbst bei Annahme einer verfassungsimmanenten Verfestigung des Trennungsgebotes einer Abänderung bei gravierender Veränderungen der Sicherheitslage nichts im Wege gestanden hätte. Verfassungsrang hat das Trennungsgebot jedenfalls nicht.

Alle sonstigen unverändert in der Fachpresse als Zeugen für ein Trennungsgebot kolportierten Belege für ein (weiter)bestehendes Trennungsgebot können nicht überzeugen. Die Meinung in der Fachpresse, dass allein die Pluralbildung in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach „Zentralstellen“ eingerichtet werden können, auf eine organisatorische Verschiedenheit hindeutet, verkennt zweierlei. Zum einen hat die Wortwahl des Gesetzgebers selten die Bedeutung, die ihr spätere Exegeten beilegen, zum anderen ist der Bund nicht gehindert, Organisationsteile, für die er die Verwaltungskompetenz besitzt, zusammenzulegen. So sind dem Bundesgrenzschutz Mitte der neunziger Jahre trotz des Einspruchs des Landes Nordrhein-Westfalen die Bahnpolizei und Luftsicherheit zugeordnet worden. Auch die Berufung auf das Demokratie-, Rechtsstaat- bzw. Bundesstaatsprinzip als Erfordernis für eine organisatorische Gewaltentrennung und für eine Verhinderung von Machtkonzentration helfen nicht entscheidend weiter, da sich aus diesen hochabstrakten Prinzipien keine einleuchtende Begründung für ein Trennungsgebot ergibt, zumal es die meisten westlichen Demokratien auch gar nicht kennen. Die Dämonisierung des gesamten Vorganges durch Andeutungen einer mögliche Gestapo oder eines neuen Reichssicherheitshauptamtes durch die Hintertür sind angesichts des Reifegrades des heutigen demokratischen Rechtsstaates und seiner Kontrolldichte so absurd, dass sie getrost in den Asservatenkammern der Verfassungsgeschichte abgelegt werden können. Das Trennungsgebot für sich allein ist sicherlich kein Ausweis für eine gefestigte Demokratie und stabilen Rechtsstaat.

 

Polizei und Nachrichtendienste - durch eine gemeinsame Aufgabe getrennt

Die getrennten Aufgabengebiete von Polizei und Nachrichtendienste werden in aller Regel mit der Faustformel umrissen, dass die Polizei für die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zuständig ist und sich eines detaillierten Eingriffsinstrumentariums bedienen kann, während die Nachrichtendienste für die Nachrichtenbeschaffung und -auswertung zuständig sind, also das, was man gemeinhin als „Intelligence“ bezeichnet. So bestimmt § 1 BVerfSchG als Ziel des Verfassungsschutzes den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. § 2 BVerfSchG  beschreibt als Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder die Sammlung und Auswertung von Informationen, Nachrichten und Unterlagen. Polizeiliche Befugnisse stehen den Verfassungsschutzbehörden nicht zu; sie dürfen im Wege der Amtshilfe auch nicht um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt sind. Sie bedienen sich typischer nachrichtendienstlicher Mittel zur heimlichen Informationsbeschaffung. Hierzu gehören der besonders bekannt, aber auch umstrittene  Einsatz von Vertrauenspersonen sowie von  Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen sowie  Tarnpapiere und Tarnkennzeichen. Anlass und Motor polizeilicher Arbeit ist also entweder die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder der Verdacht einer Straftat, Ratio der Arbeit eines Nachrichtendienstes ist das Sammeln und Auswerten von Informationen im Vorfeld, um als Frühwarnsystem auf mögliche Negativentwicklungen hinzuweisen. Er handelt im Vorfeld konkreter polizeilicher Gefahrenlagen und unabhängig von strafprozessualen Verdachtslagen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass es partiell zu Überschneidungen mit der Polizei bei bestimmten Ermittlungskomplexen kommt,

Während der Verfassungsschutz im engen Korsett seiner limitierten Aufgaben und Befugnisse verblieb, hat sich die Situation jedoch für die Polizei grundlegend geändert. Ursprünglich in der Aufgabenwahrnehmung am Vorliegen der klassischen konkreten Polizeigefahr orientiert, bewegt sie sich nunmehr unter dem Rubrum „Gefahrenvorsorge“ bzw. „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ weit im Vorfeld der konkreten Gefahren und bedient sich auch dabei der Mittel, die früher exklusiv den Nachrichtendiensten vorbehalten waren. Ausgelöst wurde dieser Prozess dadurch, dass die Polizeien  aufgrund der zunehmenden Gewalt bei unfriedlichen Demonstrationen und der militanten Aktionen autonomer Gruppen und anderer Untergrundorganisationen Aufklärungsergebnisse benötigten, die der Verfassungsschutz nicht bereitstellen konnte. Zunehmend wurden den Polizeien Eingriffsbefugnisse zugebilligt, die ehedem als typisch nachrichtendienstlich galten. Zum Teil benötigt sie für ihr Tätigwerden überhaupt nicht mehr den konkreten Gefahrennachweis. Mit anderen Worten: Die Polizeien dürfen heute mehr als ursprünglich vorgesehen, beim Verfassungsschutz bleibt es beim status quo ante. Mit Blick auf die Polizeien wird diese Entwicklung bereits als „Vernachrichtendienstlichung“ bezeichnet. Allerdings sind die Verfassungsschutzbehörden dadurch privilegiert, dass sie ausschließlich nach dem Opportunitätsprinzip tätig werden und überdies ihre Quellen umfassend vor einer Offenbarung schützen können. Allerdings richten sich die politisch motivierte Kriminalität und der internationale Terrorismus nicht nach deutschen Behördenzuständigkeiten. Die einzelnen Facetten dieser Sicherheitsphänomene sind vielmehr so vielschichtig und globalisiert, dass sich Doppelungen, Redundanzen, Schnittstellenprobleme und Mehrfachbearbeitung in den beteiligten Behörden gar nicht vermeiden lassen. Synergien werden dadurch nicht gerade generiert.

Die fehlende Abstimmung und die dadurch bedingten Ermittlungsdefizite sind mehrmals thematisiert worden. Allein der NSU-Untersuchungsausschuss weist in seinem Bericht eine Fülle operativer Maßnahmen nach, die unabgestimmt erfolgt sind, sodass mehrere Einrichtungen ohne gegenseitige Information parallel tätig waren. Derartige Maßnahmen laufen nicht nur ins Leere, sie gefährden auch die Ermittlungsansätze anderer Beteiligter. Zwar gibt es einen Leitfaden zur Optimierung der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz, um Gefährdungspotenziale frühzeitig zu erkennen und um operativ zu reagieren. Allerdings werden nicht immer überschneidende Ermittlungsansätze als solche erkannt.

Zwar hat die Praxis zwischenzeitlich mit der Einrichtung vielfältiger Vernetzungsgremien wie z. B. GTAZ, GETZ, GIZ und GASIM sowie sogenannter Informations Boards Wege und Möglichkeiten gefunden, den für eine ganzheitliche Bekämpfungsstrategie erforderlichen Informationsfluss zu verbessern. Da in diesen Einrichtungen bis zu 40 Behörden vertreten sind, drängt sich dem Fachmann sofort die Frage auf, ob sie tatsächlich das leisten, was man sich von ihnen verspricht.   So scheinen diese Einrichtungen bei den vielfältigen Ermittlungsansätzen in Bezug auf die NSU auch kaum eine Rolle gespielt haben. Auch weiß jeder Fachmann, der einmal in Großstäben gearbeitet hat, dass bei Fehlen einer einheitlichen Führung mit umfassender Dienst- und Fachaufsicht und Durchgriffsbefugnissen selbst bei viel gutem Willen der Beteiligten Reibungsverluste, die Kultivierung von Eitelkeiten und Doppelarbeit nicht ausbleiben, zumal dann, wenn es Plattformen gibt, auf denen über 40 Behörden zusammenwirken sollen. Es wäre sicherlich den Schweiß des Edlen wert, wenn die im Entstehen begriffene Polizeiwissenschaft sich auf dieses Terrain vorwagen würde, um die Anforderungen an ein modernes Informations- und Analysegremium zu definieren.

Mit anderen Worten: Nicht die Menge der beteiligten Behörden und die Informationsfülle sind die entscheidenden Kriterien, sondern die Expertise von mit modernen Analyseinstrumenten vertrauten Fachleuten und die Beschränkung auf das Wesentliche. Datenfriedhöfe sind ohne Wert, wenn Zusammenhänge nicht erkannt oder sachgerecht ausgewertet werden. So konnten die Beamten des BKA, allesamt dem gehobenen und höheren Dienst zugeordnet, angeblich bei der Übermittlung kanadischer Ermittlungsdaten den Namen „Edathy“ nicht zuordnen, obwohl es sich dabei um einen profilierten Bundestagsabgeordneten in Angelegenheit innerer Sicherheit handelte und sein Name als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses permanent in den Medien präsent war.

 

Die Reaktionen in der Politik

Konjunktur hat das Trennungsgebot immer dann, wenn erneut Terroranschläge die Politik zum Handeln zwingen. Die Anschläge in New York, in Madrid, in London, aber auch die Vorkommnisse um die Sauerland-Bande und das NSU-Mördertrio bewiesen hinlänglich, wie fragil das Fundament unserer Sicherheitssysteme ist und die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit kaum noch auszumachen sind. In der Politik wird das Trennungsgebot unverändert mit spitzen Fingern angefasst aus Furcht, man könnte dem politischen Gegner eine Schwachstelle bieten, wenn man sich mit grundsätzlichen Neuerungen aus der Deckung wagt, zumal der Akteur sich bei jeder Veränderung des Bestehenden umgehend mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, den klassischen Rechtsstaat zu unterminieren. Das ist umso erstaunlicher, als im parteiübergreifenden Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses recht harte Worte zur Arbeit der Sicherheitsbehörden gefunden wurden: Zusammenarbeit und Informationsaustausch haben nicht funktioniert und Abschottung, Konkurrenzdenken, Eitelkeiten sowie fehlende Eigeninitiative haben das Handeln über weite Strecken bestimmt. Defizite wurden insbesondere in der Zusammenarbeit von Polizeien und Verfassungsschutzbehörden festgestellt. Eigene Kapitel widmet man dem Konkurrenzdenken zwischen Verfassungsschutz und Polizei in Thüringen und der unprofessionellen Kooperation zwischen Polizei und dem Landesamt für Verfassungsschutz in Bayern (s. BT-Drucksache 17/14600, S. 882 f.).

Verbindliche Aussagen zum Zusammenwirken von Verfassungsschutz und Polizei sind eher selten und verbleiben oft im Ungefähren. Dem Abschnitt XI der Neufassung des Programms Innere Sicherheit ist immerhin zu entnehmen, dass die Gewährleistung der Inneren Sicherheit eine enge Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei erfordert. Die Einschränkung folgt prompt: Unter Beachtung des Trennungsgebotes nehmen sie jeweils ihre Aufgaben wahr. Gleichwohl wird festgestellt: Ihre Kompetenzen und Fähigkeiten ergänzen sich.

Bei den Verbesserungsmöglichkeiten bemüht man sich offensichtlich um die Quadratur des Kreises. Einerseits wird sowohl im NSU-Abschlussbericht als auch im Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus vom 30. April 2013 die konsequente Umsetzung der gegenseitigen Informationspflichten gefordert, andererseits aber die Beachtung des Trennungsgebots gefordert. Ursache für die Defizite in der Ermittlungsarbeit und für zahlreiche Schnittstellenprobleme sei nicht das eigentliche Trennungsgebot, sondern vielmehr eine mentale Barriere, „ein Trennungsgebot in den Köpfen.“ „The same procedure as every year,“ spotten Insider, bezeichnen das Ganze als Herumdoktern an den Symptomen und prognostizieren, dass sich im Grunde trotz vollmundiger Erklärungen an den Grundsatzproblemen nichts verändern wird. Ein Ermittlungsbeamter, dem ständig nahezu gebetsmühlenhaft die hohe Bedeutung des Trennungsgebotes vorgehalten wird, internalisiert es letztendlich als conditio sine qua non.[ii]

Die Schaffung sogenannter Informations Board ist immerhin ein Versuch, den länder- und behördenübergreifenden Informationsaustausch der beteiligten Behörden sowie deren engere organisatorische und persönliche Vernetzung zu verbessern. Im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ), in das das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus (GAR) als Modul integriert wurde, wirken Bundeskriminalamt, Bundespolizei, Europol, Generalbundesanwalt, Zollkriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle sowie die Landeskriminalämter und Landesverfassungsschutzbehörden zusammen. Honi soit qui mal y pense[iii], dass allein die Behördenflut eigentliche Ursache für viele Ermittlungsdefizite und Minderleistungen im Sicherheitsbereich sein könnte.

 

Das Problem ist erkannt – allein es fehlt der politische Wille

Am eingehendsten mit den Problemen des Stellenwertes des Trennungsgebotes im deutschen System der Sicherheitsgewährleistung scheint sich die von der Innenministerkonferenz eingerichtete Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus beschäftigt zu haben. Ihrem am 30. April 2013 vorgelegten Abschlussbericht ist zu entnehmen, dass sich die Sicherheitsarchitektur sei 2001 so nachhaltig verändert hat, dass dies auch Einfluss auf die Zusammenarbeitskultur der Sicherheitsbehörden hat. Zwar soll die Trennung der Verfassungs- und Polizeibehörden beibehalten werden. Aber diese sei nicht ursächlich für die zahlreichen Schnittstellenprobleme, sondern das Problem sei vielmehr ein „Trennungsgebot in den Köpfen“. Diese Kopfsperre muss zugunsten eines gemeinsamen Verständnisses von Verantwortung für Sicherheit abgebaut werden. Dieses setzte vor allem eine Harmonisierung der bestehenden gesetzlichen Übermittlungsvorschriften voraus.

An anderer Stelle wird die Kommission noch deutlicher: “Das Trennungsgebot beinhaltet jedoch kein Zusammenarbeitsverbot bzw. das Gebot zur informationellen Abschottung, sondern lässt im Rahmen der jeweiligen Aufgabenwahrnehmung einen Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei zu. Ein informationelles Trennungsgebot widerspräche schließlich auch dem Sinn der Verfassungsschutzbehörden: Die Sammlung und Auswertung von Informationen darf kein Selbstzweck sein. Daher müssen die Verfassungsschutzbehörden ihre Daten an diejenigen Stellen weitergeben, die die erforderlichen Maßnahmen ergreifen können.“

Deutliche Worte enthält auch der Evaluierungsbericht der Bundesregierung zum Antiterrordatei-Gesetz (BT-Drs. 17/12665 neu): „Der Begriff „Trennungsgebot findet sich wörtlich weder im Grundgesetz  noch in einfachgesetzlichen Regelungen. Soweit die Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten auf einfachgesetzlicher Ebene normiert ist, wird dies durch das ATDG als lex specialis konkretisiert.“

Zurückhaltender, aber nicht abgeneigt, argumentierte selbst das Bundesverfassungsgericht im Urteil zur Antiterrordatei, indem es die Bedeutung der effektiven Bekämpfung des Terrorismus hervorhebt, da dieser sich gegen die Grundpfeiler der verfassungsmäßigen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes richtet. Daher darf der Gesetzgeber der Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus besonderes Gewicht beimessen und muss Sorge dafür tragen, dass insbesondere in Hinblick auf die Großzahl der beteiligten Behörden die einzelnen Akteure schneller und zielführender Informationsersuchen bei anderen Behörden stellen können, um eine erste handlungsleitende Gefahreneinschätzung zu ermöglichen.

Die Informationsbeschaffung des Verfassungsschutzes im Vorfeld läuft leer, wenn die wesentlichen Ergebnisse nicht den eingriffsberechtigten Polizeibehörden zeitgerecht und aufbereitet zur Verfügung gestellt werden. Dies führt zu der Frage, ob das Trennungsgebot, so man es denn überhaupt bemühen muss, auch durchweg für die informationelle Kooperation gilt oder ob dieser Zusammenarbeitsaspekt lediglich durch Datenschutzbestimmungen eingeschränkt wird.

Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, in Hinblick auf die Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus das letztlich von ihm geschaffene einfachgesetzliche Trennungsgebot zu ändern, einzuschränken oder ganz aufzuheben, um durch eine Neuausrichtung der Sicherheitsbehörden künftigen Gefahrenlagen besser gewachsen zu sein. Immerhin hat er durch die normative Kraft des Faktischen die ehedem engen Grenzen der Polizei bereits deutlich in nachrichtendienstliche Gefilde ausgedehnt. Ohnehin wirkt die selbst auferlegte Sperre angesichts der durch die Aktivitäten der NSA offenbar gewordene weltumfassende Informationsbeschaffungsaktivitäten großer Geheimdienste anachronistisch. Auch kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass die weitere Rechtsentwicklung innerhalb der EU auch Deutschland zu einer Umorientierung zwingen wird.

 

Eine abschließende Bewertung

Ob es tatsächlich ein Trennungsgebot gibt, ist allenfalls streitig und vom Bundesverfassungsgericht offengelassen. Angesichts der immensen Informationsfülle im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit sind künstlich geschaffene und rational nicht zu begründende Barrieren in Form selbst auferlegter Verbote kontraproduktiv und begründen Ressourcen vergeudende Doppelzuständigkeiten. Initiativen zur Grundsanierung und Rundumerneuerung des bisherigen Systems sind, abgesehen von den vereinzelten Forderungen insbesondere oppositioneller Parteien nach Abschaffung oder zumindest organisatorischer Straffung der Verfassungsschutzbehörden bzw. Auflösung des MAD, ausgesprochene Mangelware. Die vereinzelt in der Fachliteratur erhobenen Forderungen nach Zusammenführung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden und des polizeilichen Staatsschutzes, der Überführung der Aufgaben des Verfassungsschutzes in die Landeskriminalämter oder in das Bundeskriminalamt oder zur generellen Suspendierung des Trennungsgebotes verhalten ungehört. Sie werden ohnehin nur von kritischen Querdenkern erhoben, die das bisherige Verfahren für überholt oder für einen strukturellen Mangel halten.

Die flächendeckenden Äußerungen, dass die beteiligten Sicherheitsbehörden einer neuen Fundierung der Informationsgewinnung und des Informationsaustausches benötigen, dürfen nicht den Blick darauf verstellen, dass unverändert der politische Wille fehlt, in die Jahre gekommene, zum Teil auch obsolet gewordene Grundpositionen bundesrepublikanischer Sicherheitspolitik neu zu überdenken. Obwohl in der Sicherheitspolitik ständig die Gemeinwohlbelange beschworen werden, ist man nicht gewillt, den Verfassungsanspruch der Verfassungswirklichkeit anzupassen. Das überlässt man großzügig den obersten Verfassungswächtern in Karlsruhe und erregt sich allenfalls dann, wenn diese der Politik nicht genehme Urteile fällt. Spätestens beim nächsten GAU werden viele unbeantwortet gebliebene Fragen neu gestellt. Bis dahin sollte man wenigstens einen Zwischenschritt gehen: Schaffung eines übersichtlichen und leistungsfähigen Auswertungs- und Analysegremiums, in dem ohne die üblichen föderalen Eitelkeiten und Diversifizierungen zumindest als prioritär definierte Sicherheitsprobleme einer einvernehmlichen und zeitgerechten Lösung zugeführt werden.

 
 
 
 


Quellen

[i] Ein obiter dictum – das “nebenbei Gesagte” – bezeichnet eine in einem Urteil geäußerte Rechtsansicht, die für die Begründung des Urteils selbst nicht erforderlich und nicht relevant ist.

[ii] Die Conditio-sine-qua-non-Formel besagt, dass jede Ursache kausal ist, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (lat . conditio sine qua non wörtlich: „Bedingung ohne die nicht").

[iii] Altfranzösisch, wörtlich „Beschämt sei, wer schlecht darüber denkt“