Skip to main content

 Hauptbahnhof Bonn Mitte der 1950er Jahre: Hinter dem Wagen des Bundeskanzlers mit dem Kennzeichen 0 – 2 fährt ein weiterer 300er mit Beamten der Sicherungsgruppe. (Foto: Bundeskriminalamt, Sicherungsgruppe)

Gesicherte Fahrten

Von Dr. Reinhard Scholzen

Seit dem Jahr 1951 beschützen die Beamten der Sicherungsgruppe die besonders gefährdeten Politiker rund um die Uhr. Wann immer möglich, wird mit Hubschrauber oder Flugzeug geflogen, da diese Verkehrsmittel im Personenschutz die höchstmögliche Sicherheit bieten. Dennoch legen die dem Bundeskriminalamt (BKA) angehörenden Polizisten mit ihren Schutzpersonen jährlich in gepanzerten Limousinen viele tausend Kilometer zurück. Dabei kam es mehrmals zu gefährlichen Situationen und Unfällen.

 

Auf der A 10 ereignete sich am 15. Dezember 2013 ein Unfall. Focus-online berichtete, dass in der Nähe von Berlin-Weißensee ein Pkw, der von einem 82-jährigen Rentner gesteuert wurde, die Limousine berührte, in der die Bundeskanzlerin saß. An beiden Fahrzeugen entstand geringer Sachschaden. Angela Merkel stieg in eines der Begleitfahrzeuge um und setzte ihre Fahrt nach Berlin fort. Der Unfall war den meisten Zeitungen nur eine Randnotiz wert. Vor 60 Jahren war das ganz anders. Damals befassten sich sogar hochrangige Ministerialbeamte mit den Problemen, die Fahrten der Sicherungsgruppe verursachten.

Am 28. Januar 1953 schrieb Rudolf Kraus, ein Bürger aus dem rechtsrheinischen Bonner Stadtteil Beuel, an die Sicherungsgruppe. Er fragte, „ob das am Heck des Fahrzeugs mit dem Kennzeichen R 854 – 403 angebrachte rote beleuchtete Schild mit der Aufschrift ‚Polizei, Nicht überholen’ als eine Bitte oder als polizeiliches Verbot zu betrachten sei und worin ggf. die Rechtsgrundlage zu erblicken sei.“[1] Nachdem er zwei Tage später einen ihn nicht befriedigenden Bescheid erhalten hatte, ging er mit seinem Anliegen an die Presse. Die Redakteure der Zeitschrift „Motor und Sport“ recherchierten den Sachverhalt. Am 3. Mai schrieben sie an das Bundeskriminalamt und trugen die Frage erneut vor.

Die Journalisten hatten die Finger auf einen wunden Punkt gelegt. Unter dem Geschäftszeichen 6143-25-A 380/53 legte Hans Egidi, der zuständige Abteilungsleiter im Bundesministerium des Innern (BMI), die rechtlichen Verhältnisse dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt dar. Das Einschalten des Schildes stehe den Beamten aufgrund ihrer Rechtsgrundlage vom 8. März 1951 nicht zu, stellte er fest. Da somit polizeiliche Verfügungen der Sicherungsgruppe wegen örtlicher und sachlicher Unzuständigkeit nichtig seien, „brauchen sie von anderen Verkehrsteilnehmern auch nicht beachtet zu werden.“ Um in der Öffentlichkeit diese „mangelnden polizeilichen Befugnisse“ nicht erörtern zu müssen, schlug Egidi vor, „das beanstandete Schild entfernen zu lassen, um unliebsame Presseerörterungen zu vermeiden.“

Dr. Hans Kilb, der persönliche Referent des Bundeskanzlers Konrad Adenauer, sah  das anders. Der Charakteristischer Kopf: Bundeskanzler Konrad Adenauer (1965 beim Bundesparteitag der CDU in Düsseldorf)Regierungsdirektor wollte das Schild beibehalten. Eine Lösung des Konflikts war jedoch schwierig: Auf der einen Seite stand eine zwar unbefriedigende, aber eindeutige Rechtsgrundlage. Auf der anderen Seite standen die Interessen des Bundeskanzlers, der zu allen Zeiten als notorischer Raser bekannt war, obwohl er dabei schmerzliche Erfahrungen hatte machen müssen. Im März 1917 erlitt er bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen, weil sein Fahrer – völlig übermüdet – während der Fahrt eingeschlafen war. Als bleibende Folge des Unfalls behielt Adenauer, wie sein Biograph Hans-Peter Schwarz schreibt „sein charakteristisches Gesicht, das von Übelwollenden als Mongolenkopf bezeichnet wird, während es die ihm Wohlgesonneneren mit dem Antlitz eines Indianerhäuptlings vergleichen.“ Dennoch spornte Adenauer auch als Bundeskanzler seinen Fahrer stets zu höchstem Tempo an. In einem vom BMI verfassten Schriftstück, datiert auf den 3. August 1953, hieß es: „Auf unbehinderter Strecke wird eine Geschwindigkeit von 120 – 140 km/h angestrebt. Das Überholen des Wagens, in dem der Herr Bundeskanzler fährt, stellt daher schon aus diesem Grunde, objektiv gesehen, eine Verkehrsgefährdung für die übrigen Straßenbenutzer und damit auch für den Herrn Bundeskanzler dar. Auf behinderter Strecke, bei Durchfahrt durch bebaute Gegenden usw. wird ebenfalls jede nur erreichbare Höchstgeschwindigkeit angestrebt.“ Nur am Rande sei bemerkt, dass der 300er Mercedes mit seinem 115 PS leistenden Reihen-Sechszylinder Motor eine Höchstgeschwindigkeit von 155 Stundenkilometern erreichte, was vor 60 Jahren sehr viel war.

Zwei Tage nachdem die Raselust des Kanzlers dokumentiert worden war, ereignete sich auf der Bundesstraße Der Fuhrpark der Sicherungsgruppe in den frühen 1950er Jahren. Von links nach rechts: Mercedes 300, Porsche 356, zwei Mercedes 170. (Foto: Bundeskriminalamt, Sicherungsgruppe)zwischen Koblenz und Weißenturm ein Unfall. Zu Schaden kamen dabei der Fahrer eines Zweirads, der verwitwete Schneidermeister Jakob Müller, und seine Beifahrerin, die ebenfalls verwitwete Gudula Hombach. Müller wurde schwer, seine Sozia leicht verletzt. Die Rekonstruktion des Unfalls ergab folgenden Hergang: Am Donnerstagmorgen gegen 0.50 Uhr befuhr ein Porsche, Modell 356, mit dem amtlichen Kennzeichen „R 854 – 420“ die Bundesstraße, als er von einem unbekannt gebliebenen Fahrzeug geblendet wurde. Daher sah der Fahrer das vor ihm fahrende Leichtkraftrad nicht und fuhr von hinten auf. Das dem Porsche folgende Fahrzeug, ein Mercedes 300 mit dem Kennzeichen „R 854 – 405“ konnte zwar noch seine Geschwindigkeit verringern, fuhr aber auf den Porsche auf. Die Insassen des Mercedes blieben unverletzt. Der angefahrene Schneidermeister aus Urmitz blieb bis zum 23. September stationär im Koblenzer Krankenhaus Kemperhof und wurde danach körperlich geheilt entlassen. Ende September erhielt der Fahrer des Porsche vom Amtsgericht Koblenz einen Strafbefehl wegen eines Verstoßes gegen §§1, 9 Abs. 2 der StVO, gegen den er Einspruch einlegte.

 

Für diesen Unfall würde sich kaum jemand interessieren, wenn im schwarzen 300er nicht der Bundeskanzler und im vorausfahrenden Porsche Beamte der Sicherungsgruppe gesessen hätten. Das BMI gab sich alle Mühe, die Unfallfolgen außergerichtlich zu regeln, um kein öffentliches Aufsehen zu erregen. Die Sache ging ihren rechtlichen Gang zwischen den Anwälten der Unfallgegner. Das dauerte dem Schneidermeister offensichtlich zu lang. Er schrieb an das BMI und auch an Adenauer persönlich und bat um Hilfe, da er „durch den Unfall in Not geraten“ sei. Dies erfreute den Vorgesetzten der Personenschützer, den BKA-Präsidenten Dr. Hanns Jess, ganz und gar nicht. Der Mann solle doch Ruhe bewahren und den Fortgang abwarten, mahnte der gelernte Jurist in einem Brief an das BMI.

Wenige Tage später, am 16. Januar 1954, teilte Dr. Jess seinen Vorgesetzten in Bonn mit, Jakob Müller habe Suizid begangen. Bis zu diesem Zeitpunkt sei an ihn ein Vorschuss in Höhe von 1000 Mark gezahlt worden. Jetzt müsse man mit Müllers Erben über einen endgültigen Vergleich in Höhe von 4000 Mark und einen Pauschalbetrag von 500 Mark für die entstandenen Anwaltskosten verhandeln. Am 26. Juli 1954 schlossen die drei Kinder des Schneidermeisters und die Witwe Hombach eine Vereinbarung mit der Bundesrepublik. Da bereits 940 Mark gezahlt worden waren, wurden noch 3560 Mark an die Kinder ausbezahlt. In diesem Betrag waren 500 Mark für die entstandenen Anwaltskosten enthalten. An Frau Hombach zahlte die Bundesrepublik inklusive der ihr entstandenen Anwaltskosten 656,77 Mark. Da der Fahrer des Porsches ohne Vorsatz gehandelt hatte, und ihm kein grobes Verschulden vorgeworfen wurde, konnte er „nicht in Rückgriff genommen werden“. Die Kosten des Unfalls gingen daher zu Lasten Kapitel 0610 Titel 299 BKA. Der an Adenauers Dienstwagen durch den Auffahrunfall entstandene Schaden in Höhe von 154,62 DM wurde bei Kapitel 0401 Titel 208 des Bundeshaushalts verausgabt.

Mit der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer erreichte der Terror der Erst nach den Anschlägen des Jahres 1977 wurden gepanzerte Limousinen wie dieser Mercedes 350 SE im Personenschutz eingesetzt. (Foto: Daimler Benz Konzernarchiv)Roten Armee Fraktion (RAF) im Herbst 1977 seinen Höhepunkt. Danach forderten viele Bürger vehement mehr Sicherheit, aber manchen Deutschen gingen die mit den Sicherheitsvorkehrungen verbundenen Einschränkungen zu weit. Am 12. Mai 1978 schrieb ein Oldenburger an das BMI: Fünf Tage zuvor sei er auf der Autobahn 28 nach Delmenhorst gefahren. Als er mit 130 km/h auf der linken Spur mehrere PKWs überholte – wo, wie er einige Zeilen später schreibt, nur „100“ erlaubt war – sei er von zwei PKW mit der Lichthupe zum Spurwechsel genötigt worden. Eines der Fahrzeuge habe das Kennzeichen BN – 5043 getragen, das andere sei ein Mercedes aus Wittmund gewesen. Rasch fand man heraus, dass es sich bei dem Fahrzeug mit dem Bonner Kennzeichen um einen Dienstwagen der Sicherungsgruppe handelte. Einer der Leibwächter nahm dazu am 18. Juli schriftlich Stellung. Die Schutzperson, Arbeitsminister Herbert Ehrenberg, unterliege gemäß Ziffer 2.5.2.3 PDV 100 der Gefährdungsstufe 3. Er werde daher ständig von drei Beamten begleitet. Die Kolonne habe in der Reihenfolge Ministerwagen, einem Mercedes Benz 280 S (WTM – E 954), und dem Begleitfahrzeug BMW 528 (BN – 5043) die Bundesautobahn befahren: „Während dieser Fahrt wechselte plötzlich ein PKW von der rechten auf die linke Fahrspur. Die Fahrer beider Fahrzeuge betätigten die Lichthupe, um den Fahrer des ausschwenkenden PKW zu warnen, da sie sich mit hoher Geschwindigkeit näherten. An weitere besondere Einzelheiten können sich die Beteiligten nicht erinnern, da derartige Dinge bei den im Begleitschutz gefahrenen sehr hohen Geschwindigkeiten regelmäßig vorkommen. Von einer Nötigung oder zu dichtem Auffahren könne keine Rede sein, es habe sich auch nicht um einen Streckenabschnitt mit Geschwindigkeitsbegrenzung gehandelt.“

Der Mercedes, Modell „Nürburg“ gilt als der Urahn der sondergeschützten Limousinen. Der Achtzylinder holte aus dem in den Jahren 1928/29 gefertigten Fahrzeug bei einem Hubraum von 4622 ccm 80 PS. Das reichte für eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. (Foto: Mercedes-Benz Classic MedienarchivRegierungsdirektor Dr. Kersten – der fast zwei Jahrzehnte später zum Präsidenten des BKA ernannt wurde – antwortete am 2. August 1978 dem aufgebrachten Bürger, der sich durch die Sicherungsgruppe bedrängt fühlte: „Ich bedauere den von Ihnen geschilderten Vorfall und würde es begrüßen, wenn Sie durch diesen Einzelfall nicht den Eindruck gewonnen hätten, unsere Polizei würde sich bei Erfüllung ihrer oft schwierigen Aufgaben über rechtliche Vorschriften hinwegsetzen.“

Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann war im April 1984 lediglich Zeuge eines tödlich endenden Verkehrsunfalls. Auf einer schmalen Kreisstraße in Niederbayern kam dem Fahrzeug des Ministers und dem Begleitfahrzeug, in dem drei Beamte der Sicherungsgruppe saßen, ein rotbrauner Opel Manta entgegen. Dessen Fahrer, ein 42-jähriger Arzt, kam von der Im Jahr 1930 fertigte Mercedes-Benz für den japanischen  Kaiser Hirihito ein sondergeschütztes Fahrzeug der Modellreihe 770 K. (Foto: Daimler Benz Konzernarchiv)Fahrbahn ab, prallte gegen einen Baum und war auf der Stelle tot. Die Staatsanwaltschaft stellte nach eingehenden Ermittlungen fest, dass der Fahrer des Ministers und der Beamte, der das Begleitfahrzeug lenkte, an dem Unfall weder direkt noch indirekt beteiligt waren.

In den mehr als sechs Jahrzehnten, die seit der Gründung der Sicherungsgruppe vergangen sind, hat sich vieles verändert. Auf der offiziellen Internetseite des Bundeskriminalamtes wird nicht verschwiegen, dass moderner Personenschutz deutlich mehr ist „als nur die oftmals sichtbare unmittelbare Begleitung in- wie ausländischer Schutzpersonen.“ Zu dem reinen Bodyguarding trat seit den 1970er  Jahren – als der Terror der Roten Armee Fraktion seinen Höhepunkt erreichte –, eine umfangreiche Sicherung des Umfeldes hinzu. Diese Entwicklung wurde durch 9/11 noch einmal deutlich verstärkt. In der Gegenwart wird ein großer technischer Aufwand betrieben, der „eine breite Palette ineinandergreifender unterschiedlicher Maßnahmen“ beinhaltet, um im Bereich um die Schutzperson einen sicheren Raum zu schaffen. Zwar sind sondergeschützte Fahrzeuge im Personenschutz nach wie vor unverzichtbar, aber sie bilden lediglich einen Mosaikstein in einem mehr und mehr von modernster Technik bestimmten Einsatzfeld. Wo früher nicht mehr vorhanden war als die aufmerksamen Augen und Ohren der Personenschützer, kommt heute Observationstechnik zum Einsatz, die den menschlichen fünf Sinnen weit überlegen ist. All dies dient dem Ziel, einen Anschlag bereits im Vorfeld zu erkennen und sodann geeignete Abwehrmaßnahmen ergreifen zu können.

 



Quellen

[1]   Diese und die folgenden Archivalien stammen aus dem Bundesarchiv Koblenz, Bestand B 106/78724.