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Masjid-al-Noor-Moschee von Canterbury, Christchurch (2006)
Foto: © gemeinfrei Von commons.wikimedia.org

Nach Christchurch

Der neue rechtsterroristische Tätertyp – virtuell aktiv, global vernetzt und rassistisch motiviert.

Von Florian Hartleb

Eine neue Art der Beklemmung hält in den westlichen Gesellschaften Einzug. Das 21. Jahrhundert ist zwar schon jetzt das Jahrhundert des Individualterrorismus, der so genannten „Einsamen Wölfen“.1 Nun ermordete nach jahrelanger Planung und übertragen live per Facebook mittels einer Kopfkamera ein Australier im neuseeländischen Christchurch Dutzende von Menschen. Merkwürdig ist, dass sich Brenton Tarrant, ein Australier, der in Neuseeland lebt, so sehr im europäischen Diskurs verhaftet sieht, wie er selbst deutlich macht.

Der 28-jähriger Täter, einst ein Fitnesstrainer, hinterließ ein 74-seitiges Manifest, in dem ein durchaus reflektiertes Selbstinterview Aufschluss gibt. Er dachte an die Verbreitung seiner kruden Ideen, etwa auf 8chan. Das ist ein Internetdiskussionsforum, ein Imageboard, wo alle Nutzer anonym ohne Anmeldung Bilder und Texte posten können. 8chan ist eine Abspaltung des bekannteren 4chan, nachdem dieses den extremsten Nutzern zu harmlos geworden war. Die Essenz dieser Troll-Foren ist eine Mischung aus offensivem Humor, Grenzüberschreitung und oft auch Menschenfeindlichkeit, sie haben ganz eigene Codes und Praktiken herausgebildet. Dabei muss man nicht so weit gehen, von “Troll-Terroristen” zu sprechen.2

Doch die neuartige Art der politisch motivierten Brutalität ist „hausgemacht“ und nicht per se dem islamistischen Fundamentalismus zuzuordnen: Rechtsradikale töten, um eine Gesellschaft nach ihren Maßstäben zu errichten, ohne große Organisation im Hintergrund, sondern autonom und scheinbar unvorhersehbar. Dabei hätte sich die Weltöffentlichkeit dieser Gefahr spätestens seit dem 22. Juli 2011 bewusst sein müssen: Nach jahrelanger Planung ermordete der norwegische Rechtsextremist Anders Behring Breivik nach einer diabolischen Choreographie 77 Menschen, darunter viele Jugendliche. Genau fünf Jahre später, bewusst gewählt, versetzte ein 18 jähriger Lage von Christchurch auf der Südinsel Neuseelands
Foto: © Von http://www.spiegel.de/netzwelt/web/christchurch-wie-der-troll-terrorist-sein-attentat-im-netz-bewarb-a-1258272.html
Deutsch-Iraner die Stadt München in Angst und Schrecken, als er am Olympiazentrum neun Menschen ermordete. Auch Tarrant äußerte, Breivik sei das Vorbild, Massenimmigration und Islamisierung in Europa hätten zu den Massenmorden aus eigener Faust geführt.

Wir sind bislang nicht auf diese Art von Gefährdung vorbereitet, verbinden wir doch Terrorismus mit festen Netzwerken und Strukturen sowie mit einer sorgsamen Planung, die eine hohe operative Intelligenz erfordert. Einem Einzeltäter traut man es scheinbar nicht zu, sich ohne direkte Anbindung an eine Gruppe derart zu radikalisieren und danach unter dem Denkmantel von politischem Fanatismus in Eigenregie loszuschlagen – als ultima ratio. Es scheint den Behörden oft unbegreiflich zu sein, dass solch ein Täter keine kriminelle Vorgeschichte haben muss, dass er ein so genannter “Clean-Face-Täter”3 sein kann, also jemand, der vermeintlich in die Gesellschaft integriert und polizeilich nicht vorbelastet ist.

Die öffentliche Sicherheit ist in den westlichen Demokratien, dort wo bisher der Grundsatz galt, dass Menschen hier im Großen und Ganzen gut und gerne leben, gefährdet. Das politisch motivierte Engagement der Täter speist sich aus rassistischen Versatzstücken, Überlegenheitsdenken und der gewollten Eliminierung von Menschen. Wir sehen uns konfrontiert mit Menschen, die für die weiße Rasse morden wollen, die ihr Weltbild etwa auf Adolf Hitler beziehen und im Terror einen Weg sehen, ihre persönlichen Kränkungen zu überwinden und ihren Hass mit Gewalt auszudrücken. Ihr niedriger Beweggrund ist militanter Ausländerhass: Sie wollen in erster Linie eine ethnische Minderheit im eigenen Land ins Mark treffen und stellvertretend die Gesellschaft als Ganzes. Gerade die Opferauswahl unterscheidet den Rechtsterrorismus von anderen Varianten des Terrors – vom Linksterrorismus, der sich gegen Symbole des Kapitalismus und den „Bonzenstaat” richtet und vom islamistischen Fundamentalismus, der den Westen und „Andersgläubige” ins Visier nimmt.

Die Bezeichnung „Einsamer Wolf“ steht in diesen Fällen lediglich für die konkrete Tatplanung. Sie verneint nicht, dass die einschlägige Gewalt- und Ideologiefixierung der Täter Ursachen hat, dass ihre Taten Folge von Kommunikation und Interaktion mit Gleichgesinnten sein können, und dass die Akteure sich angesichts von zunehmender Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft und dem damit einhergehenden Diskurs motiviert fühlen. Ihre Taten sind alles andere als ein Spontanakt: Aber vieles passt auf den ersten Blick doch nicht zusammen. Eine Annäherung an die Thematik kann nur über Mosaiksteine erfolgen, ein diffuses Unbehagen bleibt. Die öffentliche Sicherheit ist in den liberalen Demokratien, dort wo bisher der Grundsatz galt, dass Menschen hier im Großen und Ganzen gut und gerne leben, gefährdet. Das politisch motivierte Engagement der Täter speist sich aus rassistischen Versatzstücken, Überlegenheitsdenken und der gewollten Eliminierung von Menschen.

Die Täter beschäftigen sich in Selbstpsychologie mit den Hintergründen von Amokläufern und Terroristen. Der Täter von Christchurch hat sich ausführlich mit anderen Einzeltätern auseinandergesetzt. Das geht über Breivik hinaus: Er nennt in seinem Manifest rechtsextremistische Einzeltäter der jüngsten Zeit, etwa den Italiener Luca Traini, der im Februar 2018 in Macerata aus Rassenhass auf afrikanische Migranten schoss. Oder den Schweden Anton Lundin Pettersson. Dieser tauchte am 22. Oktober 2015 mit einem Helm aus dem 2. Weltkrieg und einem schwarzen Umhang in einer Schule auf und erschoss zwei Menschen mit Migrationshintergrund. Beide waren keine Mitglieder von Parteien, sahen sich als einsame Wölfe. Das gilt auch für den Täter von Christchurch, der das selbst in seinem Manifest schreibt. Der Faschist – wie er sich beschreibt und den britischen Politiker Oswald Mosley, der 1932 die British Union of Fascists gründete, als Vorbild nennt – spricht von einer Spirale der Gewalt. Er dockte ähnlich wie ein Breivik an bestehende Strömungen in Europa an. Das ging so weit, dass er 1.500 Euro an die Identitären in Österreich spendete. Der Titel des Manifests lautete „Der große Austausch“, dem Buch des des französischen Vordenkers der Identitären Bewegung, Renaud Camus entlehnt. Durch Reisen durch Zu Beginn einer Verhandlung 2016
Foto: © Von UN International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia - Trial Judgement: 24 March 2016, CC BY 2.0, http://www.spiegel.de/netzwelt/web/christchurch-wie-der-troll-terrorist-sein-attentat-im-netz-bewarb-a-1258272.html
Europa holte sich der Australier Inspirationen, etwa von serbischen Nationalisten. Die Live-Übertragung des Anschlags unterlegte Tarrant mit einem Kriegslied der bosnischen Serben, die in den 1990er Jahren in den Jugoslawienkriegen gegen die muslimisch dominierte Armee Bosnien-Herzegowinas gekämpft hatten. Das Lied “Karadžić, führe deine Serben” verherrlicht den damaligen Serbenführer Radovan Karadžić, der unter anderem für seine Beteiligung am Massaker von Srebrenica durch das UN-Tribunal verurteilt wurde und in der Szene als Märtyrer gilt.

Gewisse persönliche Traumatisierungen spielen eine Rolle, im Falle von Brenton Tarrant wohl der Tot seines Vaters. Opfergedenkveranstaltung, am 17. März 2019, im ältesten Cricketstadion Neuseelands „Basin Reserve“, in Wellington.
Foto: © Von http://www.spiegel.de/netzwelt/web/christchurch-wie-der-troll-terrorist-sein-attentat-im-netz-bewarb-a-1258272.html
Dazu kommen in aller Regel psychische Störungen, etwa ein ausgeprägter Narzissmus. Tarrant sieht sich als Freiheitskämpfer, der wie Nelson Mandela 27 Jahre im Gefängnis erharren dürfte Die „persönliche, individualisierte Kränkungsideologie” kennzeichnet den Einsamen-Wolf-Terrorismus: Persönliche Frustrationen und Kränkungen ergeben zusammengerührt mit politischen Einstellungen einen tödlichen Cocktail. Gerade das in Europa polarisierende Migrationsthema motivierte die Einzelgänger, ihren Hass auf andere ethnische Gruppen freien Lauf zu lassen und ein Exempel zu statuieren. Längst ist eine polarisierende Debatte, speziell über Migranten entfacht. Die Täter durchliefen einen langen Prozess der Radikalisierung, sie setzte nicht über Nacht ein. In ihrer eigenen Realität handeln die Täter doch selbstgesteuert und mit Blick auf die Konsequenzen bewusst. Über Jahre hinweg haben sie ein politisches „Feindbild” entwickelt, das sie mit terroristischen Mitteln zu bekämpfen versuchen. Bei derartigen Tätertypen offenbart sich der Werkzeugkasten im virtuellen Raum besonders, von der Anleitung über die Radikalisierung bis zur Umsetzung. Gerade die eigene Sprache macht es Ermittlern schwer, Satire und Ernst zu unterscheiden. Gruppennamen wie "Waffen-SS" sind in der Steam-Community keine Seltenheit. Dort verehrt man Amokläufer, äußert sich frauenfeindlich und zollt rassistisch motivierten Attentätern Respekt. Beliebt ist zudem die Verwendung der Namen und Fotos von Attentätern als Usernamen und Profilbilder. So nun auch der des Attentäters von Christchurch. Auch mehr als eine Woche nach dem Attentat finden sich noch Accounts auf den Namen des rechtsextremen Australiers. Es sind weiterhin über 300 Profile, die ihn verwenden oder verwendet haben. Auch das Manifest, das sich darüber hinaus leicht im Internet finden lässt, wird geteilt.4

Spieleplattformen wie Steam haben kaum Meldemechanismen. Man kann nur Gruppen oder Nutzer melden, keine Inhalte oder konkreten Gewaltdrohungen. Mittlerweile gibt es eine Petitionsseite, um den US-amerikanischen Betreiber Valve auf diese Probleme hinzuweisen. Längst existiert eine globale Online-Subkultur, die höchst interaktiv ist und über nationale Grenzen hinweg agiert. Die Aktivisten müssen dabei nicht das eigene Zimmer verlassen, in den Krieg ziehen oder im Untergrund leben. Ein Computer und ein Internetzugang reichen ihnen aus.

Doch gibt es im privaten Umfeld oft Spuren. Joe Navarro, ein früherer FBI-Agent, der zahlreiche Terroristen interviewte und 2005 das Buch Hunting Terrorists: A Look at The Psychopathology of Terror verfasste, vertritt ebenfalls die Ansicht, dass all diese Individuen, unabhängig von ihrem Antrieb und ihrer Ideologie im Besonderen, immer die Kommunikation mit Menschen in ihrem Umfeld suchen. In der Nachanalyse stoßen wir immer auf Menschen, die Gespräche bestätigten und sich gewissermaßen schuldig fühlen, da sie die Signale nicht richtig gedeutet oder ignoriert haben.5 Insgesamt verlangt die Prävention eine auf den ersten Blick paradox anmutende Strategie:

  • Im virtuellen Leben ist es notwendig, die auffälligen Aggressoren sozial zu isolieren und rechtsextremistische Kommunikationsbrücken auf virtuellen Plattformen wie Steam zu zerschlagen. Terroristen können umso eher an ihr Ziel gelangen und Anschläge durchführen, wenn sie sich mit Gleichgesinnten austauschen können.6
  • Im realen Leben müssen die oft sozial isolierten Menschen die Bindungen an die Gesellschaft zurückgewinnen und reintegriert werden. Hier sind pädagogische und psychologische Angebote gefragt, etwa auch im Umgang mit Persönlichkeitsstörungen. Depressionen beispielsweise werden immer noch tabuisiert, obwohl in den letzten Jahren eine mediale Aufklärungskampagne eingesetzt hat.

Viele der diskutierten Anschläge zeigen: Menschen müssen stellvertretend und anonym dafür büßen, Teil einer verhassten Gruppe zu sein. Rechtsextreme Online-Communities helfen, dass Menschen miteinander in Berührung kommen, die ansonsten aller Wahrscheinlichkeit nach niemals Kontakt zueinander aufgenommen hätten. Solch verbindende Netzwerke können auf der einen Seite einen unterstützenden bzw. legitimierenden Rahmen bilden, auf der anderen Seite zur Koordinierung bzw. Organisation von Gewalthandlungen eingesetzt werden. Die Behörden müssen sich schnell modernisieren und bereits in der Ausbildung die neue Dimension eines virtuellen, international vernetzten Rechtsextremismus endlich berücksichtigen. Nicht nur innerhalb des islamistischen Terrorismus, sondern auch innerhalb des Rechtsextremismus gilt: Die neue Täterstruktur des Einsamen Wolfs wächst in bedeutendem Maße. Solche Täter sind zwar nicht in Partei oder Organisation eingebunden, handeln aber trotzdem aus politischen Motiven, etwa aus Rassismus. Den Rahmen bilden dabei Internationalisierung und Virtualisierung, über nationalstaatliche Grenzen hinweg.7

 

Quellen:

1  Vgl. ausführlich meine Monographie unter Einschluss zahlreicher Fälle Florian Hartleb: Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter, Hamburg 2018.

2  So Sascha Lobo: Der Troll-Terrorist, in: Spiegel online vom 17. März 2019, http://www.spiegel.de/netzwelt/web/christchurch-wie-der-troll-terrorist-sein-attentat-im-netz-bewarb-a-1258272.html (abgerufen am 29. März 2019).

3 Yassin Musharbash: Die neue al-Qaida. Innenansichten eines lernenden Netzwerks, Köln 2006, S. 211.

4  https://faktenfinder.tagesschau.de/ausland/christchurch-attentaeter-103.html (abgerufen am 29. März 2019).

5 Zitiert nach Joe Navarro: „Wounded Minds“, in: Southern Poverty Law Centre: Age of the Wolf. A Study of the Rise of the Lone Wolf and Leaderless Resistance Terrorism, Montgomery/Alabama 2015, S. 36.

6  Vgl. Daniel Byman: “How to Hunt a Lone Wolf. Countering Terrorists Who Act on Their Own”, in: Foreign Affairs, 2/2017, S. 97.

7  So auch der Spiegel-Titel vom 23. März 2019: Jörg Diehl u.a.: Die braune Verschwörung. Das globale Netzwerk rechter Terroristen, S. 12-19

 

Über den Autor
Dr. Florian Hartleb
Dr. Florian Hartleb
Dr. Florian Hartleb, geb. 1979 in Passau, ist Affiliated Researcher beim Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) sowie Managing Director von Hanse Advice in Tallinn/Estland. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule der Polizei Sachsen-Anhalt sowie an der Katholischen Universität Eichstätt und Autor des Buchs „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ (2. Auflage, Hoffmann & Campe: Hamburg, 2020, auch auf Englisch bei Springer und bei der Bundeszentrale für politische Bildung). Er hat 2004 zum Populismus promoviert und war seither bei Think tanks, als Pressereferent im Deutschen Bundestag und beratend. für das Deutsche Bundespräsidialamt, die Bertelsmann Stiftung, die Deutsche Bundesbank und andere Institutionen tätig. Dr. Florian Hartleb ist seit August 2023 Forschungsdirektor am Europäischen Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention (EICTP) in Wien.
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