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Sanitäter transportieren bei einer Protestkundgebung einen verletzten Polizisten ab.
Foto: © dpa

Gewalt gegen Polizisten und Rettungskräfte

Eine aktuelle Analyse

Von Dr. Stefan Goertz

Seit Jahren werden immer mehr Menschen, die in Uniform oder qua Amt den deutschen Staat repräsentieren – Politiker, Notärzte, Feuerwehrleute, Sanitäter und Polizisten – Opfer von Beleidigungen, Hetze im Netz, von Bedrohungen, Prügel- oder sogar Messerattacken. Dies geht u.a. aus den Kriminalstatistiken der Polizei und einer aktuellen Studie der Ruhr-Universität Bochum zum Thema Gewalt gegen Rettungskräfte hervor. Anfang Juni 2018 griff eine Gruppe von mehr als 100 Menschen auf einem Musikfestival in Darmstadt Polizisten an und bewarf sie mit Flaschen und Steinen, dabei wurden 15 Polizeibeamte verletzt. Ende 2017 beschädigte ein Mann in Berlin einen Rettungswagen, der ihm beim Ausparken im Weg stand, und bedrohte die Sanitäter, die gerade ein bewusstloses Kleinkind behandelten.1

Eine Berechnung des bayrischen Landeskriminalamtes zeigt, dass es in jedem sechsten Einsatz zu Gewalthandlungen gegen Rettungskräfte kommt. Auch die von der Ruhr-Universität Bochum im Auftrag des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen durchgeführte Studie dokumentiert ein hohes Niveau an Gewalt gegen Einsatz- und Rettungskräfte und zudem ein hohes Dunkelfeld.2

Torsten Akmann (2017)
Foto: © Von Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0, https://www.behoerden-spiegel.de/2018/10/09/fast-7-000-betroffene-allein-in-berlin/;
Angriffe auf Polizeibeamte stellen gerade bei Großeinsätzen wie Fußballspielen oder politischen Gipfeltreffen häufig eine Art Ersatzhandlung dar. Alleine bei der Berliner Polizei wurden im Jahr 2018 6.800 Vollzugsbeamte Opfer von Gewalt, pro Tag werden drei Berliner Polizisten im Dienst verletzt. Nach Ansicht des Berliner Staatssekretärs in der Senatsverwaltung für Inneres, Torsten Akmann, nimmt „die Gefährdung der Beamten zu“.3 Nach Ansicht des Präsidenten der Bundespolizeidirektion Berlin Bernd Striethörster, gilt: „Wer Staatsbedienstete angreift, attackiert den gesamten Staat“ und Sebastian Paroch von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ergänzt, „Der Respekt gegenüber der Polizei schwindet“, zudem erfolgen Angriffe nicht nur gegen die Polizei sondern auch gegen Feuerwehrleute und Angehörigen der Hilfsorganisationen und der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW).4

Beleidigungen, Respektlosigkeiten oder sogar Schubser und Schläge sind für Polizei, Feuerwehren, Technisches Hilfswerk oder Rettungsdienste mittlerweile fast an der Tagesordnung. Kaum ein Beamter, kaum ein ehrenamtlicher Helfer, der nicht schon einmal beschimpft, geschlagen oder bespuckt wurde. Die Bandbreite reicht von verbalen und nonverbalen Angriffen (Beleidigungen, Drohungen, drohende Gesten) bis hin zu körperlicher Gewalt (Treten, Schlagen, Schubsen, Anwendung von Waffen).

Die Zahlen des aktuellen Bundeslagebildes

Das aktuelle Bundeslagebild „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte“ des Bundeskriminalamtes von 2017 enthält die Erkenntnisse zur Lage und Entwicklung im Bereich der Straftaten gegen Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte (PVB) in Deutschland. Im Berichtsjahr 2017 des aktuellsten Bundeslagebild des BKA wurden in der PKS 24.419 Fälle von Widerstandshandlungen gegen die Staatsgewalt erfasst.5 Auf vergleichsweise hohem absolutem Zahlenniveau ist die Anzahl der erfassten Fälle des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte weiter angestiegen, was insbesondere auf die Entwicklung der weit überwiegend darunter fallenden Widerstandshandlungen gegen PVB zurückzuführen ist.6

Im Berichtsjahr 2017 wurden bundesweit 22.340 Fälle des Widerstands gegen PVB erfasst, was gegenüber dem Vorjahr erneut einen Anstieg bedeutet.7

Gemessen an der jeweiligen Einwohnerzahl entfallen die höchsten Belastungswerte auch für das Berichtsjahr 2017 auf die Stadtstaaten Berlin und Bremen, wobei die Häufigkeitszahlen in beiden Bundesländern erneut gestiegen sind. Die niedrigsten Belastungswerte werden erneut für Bayern und Baden-Württemberg ausgewiesen, auch wenn die Werte in beiden Bundesländern erneut leicht angestiegen sind.8

Im Berichtsjahr 2017 wurden im Bundesgebiet 36.441 versuchte und vollendete Gewalttaten gegen PVB erfasst und die Anzahl der in diesem Zusammenhang als Opfer registrierten PVB stieg gegenüber dem Vorjahr erneut an und beträgt nunmehr 73.897 Personen.9

Bei der Häufigkeit der registrierten Gewaltdelikte gegen PVB weisen wie im Vorjahr Berlin, Bremen und Hamburg die höchsten Belastungen auf, erneut gefolgt von Thüringen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland.10

Bei Betrachtung der Tatbestände Mord und Totschlag ist festzustellen, dass fast dreiviertel (insgesamt 74,4 %) der insgesamt als Opfer von Tötungsdelikten registrierten PVB auf Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg entfallen, wobei alleine auf Bayern mit einem Drittel die mit Abstand höchsten Fallzahlen entfallen, welche sich aus der vergleichsweise sehr hohen Anzahl beim (versuchten) Totschlag ergeben.11

Die geschlechtsspezifische Differenzierung weist bei den Gewalttaten insgesamt Anteile von 81,5 % männlichen und 18,5 % weiblichen PVB als Opfer aus. Die alleinige Betrachtung der Geschlechteranteile ist nur bedingt aussagekräftig, da diese in Relation zu den Zahlen der tatsächlich im Einsatz befindlichen weiblichen bzw. männlichen Einsatzkräfte gesetzt werden müssten. Erst anhand dieser könnte eine fundierte Aussage z. B. dahingehend getroffen werden, ob Polizeivollzugsbeamtinnen gegenüber Polizeivollzugsbeamten häufiger geschädigt werden und/oder bestimmte Schwerpunkte innerhalb der Deliktsverteilung erkennbar sind.12

Von den insgesamt 74.403 als Opfer von Gewalttaten erfassten PVB gehören 44,3 % der Altersgruppe der 25- bis unter 35-Jährigen an. Diese Altersgruppe bildet erneut den Schwerpunkt bei allen hier betrachteten Straftaten/-gruppen, wobei ihr Anteil bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung mit 46,8 % am höchsten und bei der Nötigung mit 34,6 % am niedrigsten ausfällt. Bei den männlichen PVB beträgt der Anteil der bis unter 35-jährigen Opfer von Gewalttaten 59,4 %, jener der ab 35-jährigen 40,6 %. Bei den weiblichen PVB ist die Diskrepanz zwischen dem Anteil der bis 34-jährigen Opfer von Gewalttaten (73,4 %) und dem Anteil der ab 35-jährigen Opfer von Gewalttaten (26,6 %) weit deutlicher ausgeprägt.13

Von den insgesamt 32.383 wegen Gewalttaten mit Opfererfassung PVB als tatverdächtig registrierten Personen haben 29.655 (91,6 %) ihre Tat allein begangen, was dem Niveau des Vorjahres entspricht. Überproportional hoch ist – wie bereits in den Vorjahren – insbesondere der Anteil alleinhandelnder Tatverdächtiger bei der vorsätzlichen einfachen Körperverletzung (95,9 %). Bereits polizeilich in Erscheinung getreten waren 23.791 der insgesamt bei Gewalttaten mit Opfererfassung PVB registrierten Tatverdächtigen (73,5 %), was ebenfalls dem Niveau des Vorjahres entspricht. Der höchste prozentuale Anteil der Wiederholungstäter ist bei der Bedrohung (84,7 %) zu verzeichnen.14 Der Anteil an Tatverdächtigen, die nach polizeilichem Erkenntnisstand während der Ausübung der Gewalttaten unter Alkoholeinfluss gestanden hatten, ist gegenüber dem Vorjahr mit 56,0 % nahezu unverändert.

Insbesondere der Anstieg um sieben weitere (inkl. Versuche) bewusst gegen das Leben der Beamtinnen/Beamten gerichteten Mordtaten auf nunmehr 32 verdeutlicht das hohe und konkrete Berufsrisiko von PVB, zumal – wie im Jahr 2016 – die Dienstausübung für zwei PVB tödlich endete.15

Gegenmaßnahmen

Peter Trapp Vorsitzender Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung
Foto: © CDU-Fraktion Berlin
Der Vorsitzende des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, Peter Trapp (CDU), fordert, dass Staatsanwälte und Richter bei Angriffe auf Repräsentanten des Staates härter durchgreifen müssten, es käme darauf an, das zur Verfügung stehende Strafmaß stärker auszunutzen.16 Der Staatssekretär der Berliner Senatsverwaltung für Inneres, Akmann (SPD), erklärt sein Ziel, dass die „Polizei Berlins perspektivisch mit Bodycams ausgestattet wird“, dafür müsse allerdings zunächst das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz geändert werden. Im Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Landesregierung Berlins sei ein Pilotprojekt für den Einsatz von Bodycams vorgesehen.17

Ein Anfang wurde mit der Strafgesetzänderung vom 23.5.2017 – § 113 des Strafgesetzbuches – gemacht, durch die der Strafrahmen für Angriffe gegen Rettungskräfte verschärft wurde: Ein Angriff auf einen Polizisten wird im Fall einer Verurteilung nun beispielsweise zwingend mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten geahndet, während früher auch eine Geldstrafe möglich war.18

Seit der Verschärfung des § 113 im Strafgesetzbuch stehen zusätzlich auch die Mitarbeiter von Rettungsdiensten, Katastrophenschutz und Feuerwehr unter diesem Schutz, eine Maßnahme, die auf dem Papier erst einmal gut aussieht. Jedoch beklagen Einsatzkräfte immer wieder, dass vielen Anzeigen erst gar nicht nachgegangen wird, wie Marco König vom Deutschen Berufsverband Rettungskräfte berichtet: „Es wurden eine Zeitlang vermehrt Strafanzeige gestellt. Inzwischen sind die meisten Kolleginnen und Kollegen müde geworden, die Strafanzeigen zu stellen, weil grundsätzlich die Staatsanwaltschaft nach kurzer Zeit die Ermittlungen wieder einstellt, weil kein öffentliches Interesse vorliegt […] und ich kann die Kolleginnen und Kollegen da gut verstehen, dass sie da müde werden.“19

Wird der Anzeige von Gewalt gegen Rettungskräfte gar nicht erst nachgegangen, helfen auch erhöhte Strafen nicht weiter. Dazu kommt, dass die Betroffenen die Anzeige meist in ihrer Freizeit erstatten müssen, weil während des Dienstes häufig gar keine Zeit dafür bleibt. Auch das empfinden viele als mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit.

Gewalt gegen Feuerwehr- und Rettungskräfte

Das Thema Gewalt gegen Rettungskräfte beschäftigt Feuerwehr- und Rettungskräfte seit Jahren. Es vergeht kaum ein Tag, an welchem nicht irgendwo in Deutschland Feuerwehr- und Rettungskräfte angepöbelt oder tätlich angegriffen werden. Der Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum befragte im Sommer 2017 ca. 4.000 haupt- und ehrenamtliche Feuerwehr- und Rettungsdienste aus Nordrhein-Westfalen. 64% der befragten Feuerwehrleute und Rettungssanitäter in Nordrhein-Westfalen gaben an, in den zwölf Monaten vor der Umfrage Opfer von Gewalt geworden zu sein. 80% der Einsatzkräfte meldeten den letzten verbalen oder nonverbalen Übergriff auf ihre Person nicht, 30% selbst dann nicht, wenn sie Opfer körperlicher Gewalt wurden. Dabei sagten mehr als 20% der angegriffenen Feuerwehr- und Rettungskräfte aus, in dessen Folge psychische Beeinträchtigungen erlitten hätten. Ca. 40% der Befragten berichteten von körperlichen Schäden.20 Nachts und in Großstädten sind Rettungseinsätze am gefährlichsten, so ereignen sich über 60% aller Fälle nachts. Dabei komm es in Städten über 500.000 Einwohnern doppelt so häufig zu Übergriffen auf Rettungskräfte als in Städten zwischen 100.000 und 500.000 Einwohnern, wobei besonders die Innenstädte von Großstädten betroffen sind. Die Täter sind in der Hälfte der berichteten Fälle zwischen 20 und 40 Jahre alt und zu 90% männlich. In der Regel entstammen die Täter dem unmittelbaren Umfeld von Hilfesuchenden und in 55% der Fälle körperlicher Gewalt waren die Täter erkennbar alkoholisiert.21

Dipl.-Ing. Hartmut Ziebs, Präsident Deutscher Feuerwehrverband seit 2016
Foto: © Deutscher Feuerwehrverband e. V. (DFV)
Der Deutsche Feuerwehrverband verabschiedete daher auf seinem Verbandstag im Jahr 2018 eine Resolution: Die Rettungskräfte forderten darin mehr Respekt, rückhaltlose Unterstützung durch Politik und Gesellschaft, Wertevermittlung in den Schulen sowie konsequente Strafverfolgung aller Angriffe gegen Rettungskräfte.

Obwohl die befragten Rettungskräfte insgesamt zufrieden mit ihrer Ausbildung sind, wünschen sie sich, intensiver auf eskalierende Einsatzsituationen vorbereitet zu werden und gewaltpräventive Maßnahmen zu erlernen. Hierzu wünschen sie sich vor allem Fortbildungen zu Deeskalationstechniken und körperschonenden Abwehrtechniken. Außerdem müssten die Rettungskräfte sensibilisiert werden, Übergriffe jeglicher Art zu melden.

Resolution des deutschen Feuerwehrverbandes von 2018: Unterstützung und konsequente Strafverfolgung

Der Deutsche Feuerwehrverband hat auf seinem Verbandstag im Herbst 2018 eine Resolution verabschiedet: Die Rettungskräfte fordern mehr Respekt, rückhaltlose Unterstützung durch Politik und Gesellschaft, Wertevermittlung in den Schulen und konsequente Strafverfolgung aller Angriffe.

Die Delegierten des Feuerwehrverbandes fordern auf, die unterschiedlichen Kampagnen und Projekte zur Sensibilisierung der Bevölkerung in einer bundesweiten, konzertierten und nachhaltigen Kampagne zusammenzuführen. „Durch eine derartige Kampagne sollte eine breite Debatte in der Öffentlichkeit ausgelöst und die Bürgerinnen und Bürger dazu motiviert werden, die sachgerechte Ausübung der Tätigkeit der Einsatzkräfte zu unterstützen“, so der Beschluss.22

Weiter fordert die Delegiertenversammlung des Feuerwehrverbandes eine Strafverschärfung und konsequente Strafverfolgung: „Um Gewalttaten zu verhindern und ein klares Signal setzen zu können, müssen verbale Bedrohungen und Gewaltaufrufe, die bislang unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit liegen, zwingend strafrechtlich verfolgt werden können. Jeder Angriff auf Feuerwehrangehörige bedeutet auch eine Gefährdung unserer Inneren Sicherheit und richtet sich damit auch immer mittelbar gegen den Täter und die Gesellschaft selbst. Es ist daher im Interesse der Gesellschaft, dass die Strafverfolgung und Aburteilung durch Gerichte in diesem Bereich konsequent erfolgt“.23

Neue Dezernate in Schleswig-Holstein eingerichtet und eine Studie in Lübeck

Die Gewaltspirale gegen Polizisten im Einsatz fand auch im Jahr 2018 in Schleswig-Holstein ihre Fortsetzung. Dort wurden im Jahr 2018 fast 400 Polizistinnen und Polizisten im Dienst verletzt. Nach Aussage des Innenministeriums wurden auch 2018 insgesamt 2.658 Beamtinnen und Beamte in Schleswig-Holstein Opfer von Attacken und auch die Zahl der Gewaltdelikte blieb mit 1.290 auf höchstem Niveau. Dabei handelte es sich überwiegend um Widerstandshandlungen im engeren Sinne und Rohheitsdelikte. Verletzt wurden im vergangenen Jahr 396 Polizisten (im Jahr 2017 noch 306), 10 davon schwer. In der Folge waren Polizeibeamtinnen und -beamte insgesamt an 353 Arbeitstagen (im Jahr 2017 noch an 414 Arbeitstagen) dienstunfähig, weil sie Opfer von gewaltsamen Übergriffen geworden waren.24

Insgesamt wurden laut Statistik in Schleswig-Holstein im Jahr 661 Strafanzeigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§§113, 115 StGB) und 492 wegen tätlichen Angriffs (§§114, 115 StGB) gestellt. In 797 Fällen standen die Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss. In 115 Fällen der erfassten Widerstandshandlungen und Angriffen auf Polizisten waren die Tatverdächtigen minderjährig.25

Bei der Staatsanwaltschaft Lübeck wird nach dem Vorbild der Staatsanwaltschaft Kiel ein Sonderdezernat „Gewalt gegen Polizeibeamte“ eingerichtet. An zentraler Stelle sollen alle Delikte bearbeitet werden, bei denen Polizisten Opfer von Straftaten wurden. Hier wäre dann auch eine konsequentere gerichtliche Sanktionierung – insbesondere auch bei zweitinstanzlicher Verhandlung beim Landgericht Lübeck – wünschenswert. Die aktuell im Probeversuch in Lübeck eingesetzten Bodycams wären bei der Beweisführung und der rechtlichen Bewertung sicherlich sehr hilfreich.26

Villen in der Travemünder Allee. Dienstgebäude der Staatsanwaltschaft Lübeck
Foto: © Von MrsMyer, CC BY-SA 3.0, https://www.behoerden-spiegel.de/2018/10/09/fast-7-000-betroffene-allein-in-berlin/;
Die Staatsanwaltschaft Lübeck verfolgt Straftaten wie Körperverletzung, aber auch Beleidigungen, sagt der Leiter des Dezernats, Christian Braunwarth. Opfer müssen nicht unbedingt Polizisten sei. „Auch Gewalt gegen Feuerwehrleute und Rettungskräfte fällt in die Zuständigkeit dieses Dezernats“, sagt Braunwarth.27

Im Jahr 2018 sind wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte fast 450 Anklagen in Schleswig-Holstein erhoben worden, im Jahr 2017 waren es knapp 400. Mehr als 120 Strafbefehle wurden 2018 beantragt, in 50 Fällen wurden die Verfahren eingestellt, die Beschuldigten mussten aber Auflagen erfüllen, zum Beispiel Schmerzensgeld oder Geld an eine gemeinnützige Organisation zahlen. Knapp 210 Fälle wurden aber auch ohne Sanktionen eingestellt, weil die Justiz die Vorfälle als geringfügig, also als unerheblich angesehen hat.28

Was ist die Ursache für die zunehmende Gewalt gegen Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungsassistenten? „Die Menschen, auf die wir treffen, sind oft so sozialisiert, dass sie eine Alternative zur Gewalt gar nicht erlernt haben“, sagt Polizeihauptkommissarin Julia Engewald.29 Aber auch „normale Bürger“ würden schnell aggressiv, wenn ihnen etwas nicht passe, berichtet Landesbrandmeister Frank Homrich: „Müssen wir eine Straße wegen eines Einsatzes sperren, wird gepöbelt und den Kollegen auch schon mal über den Fuß gefahren.“30 Die Polizei in Schleswig-Holstein geht die Problematik jetzt wissenschaftlich an. Weil es in Lübeck so viele Angriffe auf Polizisten gibt wie in keiner anderen Stadt Schleswig-Holsteins (300 pro Jahr) wird dort geforscht. „Wie kommt das? Das wollen wir wissen“, sagt Norbert Trab, Leiter der Direktion.31 Erste Ergebnisse gibt es bereits. Kriminologe Lars Riesner vom LKA: „Ausschließen können wir schon, dass Lübecker Polizisten sensibler auf Attacken reagieren, also mehr anzeigen als Beamte anderswo.“32 Nun soll die Bevölkerungsstruktur erfasst werden, unter anderem, wie viele Hartz-IV-Empfänger es gibt. Auch die Einstellung der Menschen zur Polizei wird einbezogen, dazu sollen Daten aus der Dunkelfeldstudie genutzt werden. Und Polizisten müssen nach jedem kritischen Einsatz einen Erfahrungsbogen ausfüllen, erklären, warum es zur Gewalt kam oder die Situation friedlich gelöst werden konnte. Ziel der Studie: Punkte finden, die helfen, die Lage zu verbessern. Landespolizeidirektor Michael Wilksen fordert: „Die Justiz muss so ausgestattet werden, dass Anzeigen schnell bearbeitet werden.“33 Vize-FDP-Bundesvorsitzender Wolfgang Kubicki ergänzt: „Für Polizisten ist es wichtig zu wissen, dass der Staat sie schützt. Ist das nicht so, sendet das ein fatales Signal nach innen.“34

Fazit

Polizisten und Rettungskräfte setzen sich täglich Gefahren aus, um Menschen in Not zu helfen. Regelmäßig werden sie dabei selbst Opfer verbaler und auch physischer Gewalt. Zahlreiche haupt- und ehrenamtliche Einsatzkräfte beklagen eine Zunahme ihnen entgegen gerichteter Respektlosigkeit und Gewalt innerhalb der Bevölkerung. Bestätigt wird diese Erfahrung von der Studie „Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehren und Rettungsdienste in Nordrhein-Westfalen“ der Ruhr-Universität Bochum. Der Gewerkschaft der Polizei zufolge erleben im Durchschnitt 133 Beamtinnen und Beamte täglich Widerstand.35 Der Staat muss klarstellen, dass Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte Angriffe auf den Rechtsstaat selbst sind. Mit empörten Politikerreaktionen und Solidaritätsadressen an die betroffenen Polizisten und Rettungskräfte ist es nicht getan, der Rechtsstaat muss konsequent gegen diese Angriffe vorgehen. Die Polizei benötigt dafür die Rückendeckung der Politik und der Justiz.

 

 Quellen:

1  Goertz, Stefan (2019): Gewalt gegen Polizisten und Rettungskräfte. In: Der Sicherheits-Berater 7/2019.
2  Ebd.
3  https://www.behoerden-spiegel.de/2018/10/09/fast-7-000-betroffene-allein-in-berlin/; 18.3.2019.
4  Ebd.
5  Bundeskriminalamt (2017): Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte. Bundeslagebild 2017, S. 6.
6  Ebd.
7  Ebd., S. 9.
8  Ebd., S. 10.
9  Ebd., S. 20.
10  Ebd., S. 21.
11  Ebd., S. 23.
12  Ebd., S. 24.
13  Ebd., S. 25.
14  Ebd., S. 29.
15  Ebd., S. 38.
16  https://www.behoerden-spiegel.de/2018/10/09/fast-7-000-betroffene-allein-in-berlin/; 18.3.2019.
17  Ebd.
18  Goertz, Stefan (2019): Gewalt gegen Polizisten und Rettungskräfte. In: Der Sicherheits-Berater 7/2019.
19  https://www.deutschlandfunk.de/gewalt-gegen-repraesentanten-des-staates-bedroht-geschlagen.724.de.html?dram:article_id=422782; 18.3.2019.
20  https://www.feuerwehrmagazin.de/wissen/gewalt-gegen-rettungskraefte-wie-reagiert-die-feuerwehr-auf-angriffe-67641; 18.3.2019.
21  https://www.gesundheitsdienstportal.de/gewaltpraevention/medien/veroffentlichungen-artikel/gewalt-gegen-rettungskraefte-mehr-praevention-noetig/; 18.3.2019.
22 http://www.feuerwehrverband.de/fileadmin/Inhalt/PRESSE/Pressedienst/180929_Resolution_der_65._Delegiertenversammlung_2018.pdf; 18.3.2019.
23  Ebd.
24  https://www.gdp.de/gdp/gdpsh.nsf/id/DE_Erschreckende-Zahlen-bei-Gewalt?open&ccm=000; 18.3.2019.
25  Ebd.
26  Ebd.
27  https://www.focus.de/regional/luebeck/kriminalitaet-gewalt-gegen-polizisten-dezernate-eingerichtet_id_10267869.html; 18.3.2019.
28  https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/1300-Faelle-Gewalt-gegen-Polizisten-nimmt-zu,polizei5362.html; 18.3.2019.
29  https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/panorama/studie-zu-gewalt-gegen-polizisten-wie-kommt-das-id21662232.html; 18.3.2019.
30  Ebd.
31  Ebd.
32  Ebd.
33  Ebd.
34  Ebd.
35  https://www.tagesspiegel.de/politik/kriminalitaetsstatistik-gewalt-gegen-polizisten-zerstoert-unsere-gesellschaft/22114770.html; 18.3.2019.