Qualität in Lehre und Studium
Die Auswirkungen der Entscheidungen des BVerfG auf die polizeilichen und sicherheitsbezogenen Studiengänge
Prof. Marcel Kuhlmey
Entscheidung des BVerfG und weitere Entwicklung
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass mit dem bisherigen „staatsfernen“ Akkreditierungssystem in die Wissenschaftsfreiheit eingegriffen wird. Die Hochschulen sind seit dem „Bologna-Prozess“ verpflichtet ihre Bachelor- und Masterstudiengänge akkreditieren zu lassen. Die Europäische Union hat jedoch keine Harmonisierungskompetenz für die Hochschullehre, so dass dieser Eingriff nicht gerechtfertigt ist.
Grundsätzlich kann der Gesetzgeber in die Wissenschaftsfreiheit zur Qualitätssicherung eingreifen. Dies umfasst sowohl wissenschaftlich-fachliche Kriterien als auch die Studienorganisation im weitesten Sinne. Hierzu bedarf es jedoch einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage an der es bislang fehlte.
Das BVerfG führt weiter aus, dass es einer gesetzlichen Regelung bedarf, „wer grundrechtsrelevante Entscheidungen zu treffen hat und wie das Verfahren ausgestaltet ist. Auch für die Qualitätssicherung muss der Gesetzgeber ein Gesamtgefüge schaffen, in dem Entscheidungsbefugnisse und Mitwirkungsrechte, Einflussnahme, Information und Kontrolle so ausgestaltet sind, dass Gefahren für die Freiheit der Lehre vermieden werden“. Dieser Forderung ist der Gesetzgeber mit dem Staatsvertrag über die Organisation eines gemeinsamen Akkredititierungssystems zur Qualitätssicherung in Studium und Lehre an deutschen Hochschulen nachgekommen. Die Länder haben am 01. Juni 2017 diesem zugestimmt.
Mit dem Staatsvertrag wurde dem Beschluss des BVerfG vom 17. Februar 2017 Rechnung getragen und für das Akkreditierungswesen in Deutschland eine einheitliche Rechtsgrundlage geschaffen. Der Staatsvertrag regelt die inhaltlichen, institutionellen, verfahrens- und organisationsbezogenen Voraussetzungen und Anforderungen für die künftige Akkreditierung ab dem Jahr 2018. Mit dem Staatsvertrag wurde eine Musterrechtsverordnung entwickelt, deren Inhalte die Länder derzeit prüfen und diskutieren. Im Anschluss sind die Länder aufgefordert Landesrechtsverordnungen zu erlassen. Sofern die Länder länger als bis zum 01. Januar 2018 für die Umsetzung benötigen, so gilt weiterhin der Staatsvertrag.
Musterrechtsverordnung
Die Musterrechtsverordnung umfasst Inhalte, die die grundsätzliche Neuausrichtung des Akkreditierungssystems entsprechend dem Staatsvertrag betreffen sowie Ausführungen zur Ausgestaltung des Akkreditierungsprozesses.
In der derzeitigen Fassung sieht die Musterrechtsverordnung in § 17 zwingend eine Lehrverfassung vor, die auf Drängen der Kultusministerkonferenz (KMK) durch den Begriff „Leitbild der Lehre“ ersetzt wurde. Unabhängig von der begrifflichen Festlegung muss künftig ein solches Leitbild an den Hochschulen vorhanden sein und die Studiengänge müssen sich auch darin widerspiegeln. Für die Studiengänge der Polizei und auch der privaten Sicherheit ist es ohnehin erforderlich eine empirische Erhebung zum Berufsbild der Absolventinnen und Absolventen der Studiengänge durchzuführen, um die curricularen Inhalte an den Bedürfnissen der Praxis auszurichten. Eine Grundlage kann hierbei das „Harmonisierte Anforderungsprofil für den gehobenen Polizeivollzugsdienst“ aus dem Jahr 2005 darstellen, welches aus der Konferenz der Fachbereichsleiter heraus erarbeitet wurde. Dieses erarbeitete Berufsbild muss überarbeitet werden und künftig auch die Aspekte des Leitbildes der Lehre ausreichend berücksichtigen.
Lag die Verantwortung für die Akkreditierung in der Vergangenheit ausschließlich bei den Agenturen, so geht diese nunmehr künftig auf den Akkreditierungsrat über. Dieser entscheidet auf der Grundlage eines Gutachtens über den Antrag der Hochschule. Dies gilt auch für die Erfüllung von Auflagen. Offensichtlich übernehmen somit künftig die derzeitigen Akkreditierungskommissionen der Agenturen keine besondere Funktion mehr. Zu erwarten ist, dass der Akkreditierungsrat nur noch wenige Auflagen aussprechen muss, da die Agenturen im Vorfeld wesentlich auf die Mängelbeseitigung im Verfahren hinwirken werden. Auflagen sind Mängel in Bezug auf die definierten Qualitätsanforderungen an einen Studiengang. Diese werden immer dann ausgesprochen, wenn die Mängel voraussichtlich innerhalb von neun Monaten behebbar sind. Andernfalls ist die Akkreditierung zu versagen.
Mit der Verordnung ist auch eine Erweiterung der Akkreditierungsfrist von sieben auf acht Jahre vorgesehen. Wenn auch dieser Umstand aufgrund des erheblichen Aufwands zu begrüßen ist, so zeigt die Verlängerung des Akkreditierungszeitraums deutlich, dass insbesondere für praxisorientierte Studiengänge - wie die des Polizeivollzugsdienstes und der privaten Sicherheit - inhaltliche Anpassungen jederzeit möglich sein müssen. Andernfalls würde die Akkreditierung dem eigentlichen Ziel der Qualitätssteigerung und -sicherung entgegenstehen. Die Bedarfsträger hätten andernfalls kaum die Möglichkeit auf Veränderungen in der Sicherheitslage angemessen zu reagieren.
In der neuen Musterrechtsverordnung werden auch die nachfolgenden Maßstäbe im Zuge der Qualitätssicherung definiert, die zugleich auch eine Ermächtigung für Rechtsverordnung der Länder umfassen:
- Berufsrelevanz der Abschlüsse,
- formale Kriterien wie zum Beispiel Studienstruktur und -dauer, Studiengangsprofile sowie
- fachliche und inhaltliche Kriterien.
Wesentliche Änderungen an Konzeption und Profil von Studiengängen
Die veränderte Sicherheitslage und die damit einhergehenden Anforderungen an das Studium werfen immer wieder die Frage auf, ob auch während der laufenden Akkreditierungen Änderungen an den Inhalten, den Modulen und der Struktur möglich sind oder erst mit der Reakkreditierung vorgenommen werden dürfen. Problemtisch sind diese Änderungen immer nur dann, wenn es sich um eine sogenannte „wesentliche Änderung“ handelt. Eine Änderung während des Akkreditierungszeitraum ist und muss selbstverständlich möglich sein, um die Handlungsfähigkeit der Polizei und anderer Sicherheitsakteure zu gewährleisten. Eine Fortentwicklung eines Studiengangs ist grundsätzlich nicht als eine wesentliche Änderung anzusehen. In erster Linie ist eine wesentliche Veränderung nur dann gegeben, wenn die Studiengangsbezeichnung, die Studienabschlussbezeichnung, die ECTS - Punkte erhöht oder abgesenkt werden und sich dadurch die Studiendauer verändert oder Studiengangsschwerpunkte verlagert werden beziehungsweise profilbildende Elemente des Studienprogramms sich verschieben. Einigkeit bei den Akkreditierungsagenturen besteht insbesondere dahingehend, dass keine wesentlichen Änderungen vorliegen, wenn die Modulinhalte aktualisiert und dem Stand der Wissenschaft angepasst werden, die ECTS - Punkte entsprechend dem aktuellen Arbeitsaufwand verändert oder auch Prüfungsformen neu gewählt werden, um den angestrebten Lernergebnisse besser zu entsprechen. Modifizierung der zuvor genannten Art sind im Ergebnis durchaus im Sinne einer Qualitätsentwicklung gewollt und somit zulässig. Dies gilt auch für eventuelle Reduzierungen der Lehrverpflichtungsstunden (LVS) wie sie bundesweit aufgrund des personellen Mehrbedarfs und der daraus resultierenden Mehreinstellungen bei den Polizeien der Länder und des Bundes diskutiert werden. Dies stellt zusammenfassend betrachtet auch nur eine Modifizierung der Studienorganisation dar, die grundsätzlich nicht die bestehende Akkreditierung gefährdet.
Weitergehende Akkreditierungsregelungen sind dem Beschluss des Akkreditierungsrates vom 08.12.2009 zu den „Regeln für die Akkreditierung von Studiengängen und für die Systemakkreditierung“ (Drs. AR 20/2013) zu entnehmen.
Ausblick
Mit der Entscheidung des BVerfG und dem Staatsvertrag haben sich in erster Linie die Entscheidungskompetenzen verlagert. Künftig wird nicht mehr eine „staatsferne“ Akkreditierungsagentur über die Akkreditierung mit eventuellen Auflagen und Empfehlungen entscheiden, sondern der Akkreditierungsrat als staatliche Institution.
Mit der Musterrechtsverordnung wurde die Chance genutzt, bereits existierende Vorgaben und Empfehlungen der Kultusministerkonferenz, der Hochschulrektorenkonferenz, des Wissenschaftsrates sowie der European Association for Quality Assurance zu bündeln und umzusetzen.
Inwiefern sich das künftige Verfahren essentiell von dem bisherigen unterscheidet bleibt abzuwarten. Die Flexibilität bleibt sicher auch künftig für praxisbezogene und anwendungsorientierte Studiengänge wie der Polizei und der privaten Sicherheit gewahrt. Änderungen müssen und sind jederzeit in einem vertretbaren Rahmen möglich, da das Ziel der Akkreditierung die Qualitätssicherung ist. Dies kann nur durch eine ständige Weiterentwicklung der Studiengänge gewährleistet werden.