Was Terroristen wollen
Von Florian Peil
Nach jedem Terroranschlag in Europa oder Nordamerika beginnt das Schauspiel von Neuem: Aufnahmen von Tod und Zerstörung flackern über die Bildschirme, und atemlose Moderatoren führen durch eilends anberaumte Sondersendungen. In der Phase unmittelbar nach einem Anschlag ist der Ton der Berichterstattung oft hysterisch, und in den sozialen Medien wuchern Gerüchte und Verschwörungstheorien. Die Terroristen reiben sich bei diesem Spektakel die Hände: Der auf einen Anschlag folgende Aufschrei der Medien ist ein wesentlicher Teil ihres Plans.
Denn Art und Umfang der Berichterstattung entscheiden maßgeblich über das Gelingen ihrer Tat: Je größer die Aufmerksamkeit, desto erfolgreicher ist ein Anschlag aus Sicht der Terroristen. Tatsächlich verfolgen Terroristen mit einem Anschlag eine Reihe von Zielen; das Töten unschuldiger Menschen ist da bei nur ein Mittel zum Zweck.
Wie das Beispiel zeigt, kalkulieren Terroristen bei der Planung eines Anschlags die anschließende Berichterstattung bereits mit ein. Aus Sicht der Terroristen bemisst sich der Erfolg eines Anschlags heutzutage vor allem an seiner medialen Verbreitung. Überspitzt formuliert: Für Terroristen ist Sendezeit wichtiger als die Zahl der Opfer. Denn dank der Massenmedien können auch kleine Anschläge durch eine geschickte Inszenierung eine große Wirkung entfalten. Die Verbreitung der Bilder eines Terroranschlags durch die Massenmedien ist also ein essenzieller Teil des Plans und des terroristischen Kalküls: Die Terroristen wissen, dass es eine allzeit bereite Maschinerie gibt, die ihnen ihr Material bereitwillig abnimmt und verarbeitet. Und sie wissen diese Maschinerie der Medien zu nutzen und zu manipulieren, indem sie ihre Terroranschläge mediengerecht inszenieren. Terroristen und Massenmedien leben somit in einer Symbiose. Beide profitieren voneinander, da sie die stete Suche nach größtmöglicher Aufmerksamkeit gemeinsam haben.
Das Dilemma der Medien
Die Medien, allen voran das Fernsehen, stecken bei der Berichterstattung über Terroranschläge in einer Zwickmühle: Einerseits haben sie die Aufgabe, ihre Leser oder Zuschauer zu informieren, und dies möglichst wahrheitsgetreu und objektiv. Auf der anderen Seite spielen sie mit den blutigen Bildern der Anschläge den Terroristen in
Damit hatte Kleber ein Zeichen gesetzt und indirekt zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den brutalen Bildern des Terrors aufgerufen. Leider lässt sich der Verzicht auf Bilder im Fernsehen nicht beliebig oft wieder holen, denn wenn die Bilder in einer Berichterstattung fehlen, wandern die Zuschauer ab und suchen sich die Bilder anderswo. Besonders die sozialen Medien haben in vielen Bereichen den traditionellen Medien den Rang abgelaufen und sie als Informationsquelle abgelöst. Denn in den sozialen Netzwerken gibt es Informationen in Echt zeit und ungefiltert. Gerade brutale Bilder können das Internet zeitweilig geradezu fluten. Man kann diesen Bildern kaum mehr entkommen – und dafür sind viele von uns verantwortlich. Die Medien-Experten der Dschihadisten wissen diese Lust am Bild für sich zu nutzen. Sie sind Meister der Propaganda und haben die Inszenierung von Terroranschlägen, Enthauptungen und Hinrichtungen praktisch zu einer Kunstform erhoben. Ihre Videos werden von mehreren Kameras mit hoher Auflösung und unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen und durch geschickte Schnitte bearbeitet. Die Unterlegung mit dschihadistischen Kampfgesängen und eine effektive Dramaturgie machen die Videos so wirkungsvoll, dass sich der Zuschauer kaum abwenden kann. Ihre Inszenierungen sind eine Pornographie des Terrors.
Tod in Echtzeit
Am Abend des 14. Juni 2016 lauerte Larossi Abballa in der französischen Stadt Magnanville nahe Paris dem Polizisten Jean-Baptiste Salvaing vor dessen Haus auf und tötete ihn mit einem Messer. Dann brach er in das Haus ein und schnitt der Frau des Polizisten die Kehle durch. Anschließend filmte sich der 25 Jahre alte Franzose marokkanischer Abstammung im Haus seiner Opfer dabei, wie er seinen Treueid gegenüber dem Islamischen Staat und seine Motivation für die Tat erklärte. Sein Video vom Tatort lud er live bei Facebook hoch. Abballa wurde kurz darauf von einem Sondereinsatzkommando der französischen Polizei erschossen. Der IS veröffentlichte nach seinem Tod eine bearbeitete Fassung des Videos über seine Amaq-Medienstelle auf dem Videokanal YouTube. Der Anschlag von Magnanville ist deshalb bemerkenswert, weil ein Terrorist zum ersten Mal in der Geschichten des Terrorismus live vom Tatort sendete, wenn auch nicht die
Tat selber. Das hatte mehr als ein Jahr zuvor bereits Amedy Coulibaly versucht. Der 32 Jahre alte Franzose malischer Abstammung stürmte gegen Mittag des 9. Januar 2015 einen koscheren Supermarkt in Paris. Er schoss zunächst wild um sich und tötete dabei drei Menschen. Die übrigen Anwesenden nahm er als Geiseln. Eine der Geiseln tötete Coulibaly später. Sein Morden hatte er mit einer kleinen Videokamera aufgenommen, die er sich um den Bauch gebunden hatte. Aussagen von Ermittlern zufolge versuchte er erfolglos, das sieben Minuten lange Video aus dem Supermarkt heraus zu verschicken. Vieles spricht dafür, dass es Coulibaly aufgrund von Verbindungsproblemen nicht gelungen ist, die Aufnahmen per Mail an einen Helfer zu verschicken. Doch was Coulibaly nicht gelang, wird anderen gelingen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Terroristen ihr Morden live ins Internet übertragen. Die entsprechende Technologie existiert bereits. Kleine und robuste, dabei hochauflösende Kameras, die sich an Helm oder Körper tragen lassen, ermöglichen ungefilterte Bilder. Bislang werden diese Kameras vor allem im Sportbereich eingesetzt. Doch auch für Terroristen ist diese Möglichkeit besonders interessant, denn die düstere Faszination des Mordens wird ohne Zweifel für die erwünschte Aufmerksamkeit sorgen. Damit ist eine weitere Stufe im Kampf um Aufmerksamkeit erklommen, der sich von immer brutaleren Bildern hin zu immer aktuelleren entwickelt. Der Vorteil für die Terroristen besteht darin, dass auf diese Weise auch kleine Taten große Wirkung entfalten können.