Verfolgung von Verkehrs-verstößen von Nichtinländern
Ungleichbehandlung schadet der Verkehrssicherheit
Von Stefan Pfeiffer und Prof. Dr. jur. Dieter Müller
Die nachfolgenden Ausführungen beschäftigen sich ausschließlich mit der Verfolgung von durch Ausländer begangenen Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr. In der Folge werden wiederholt die Begriffe „Ausländer“ und „ausländische Fahrzeuge“ verwendet. Unter „Ausländer“ sind hier Fahrzeugführer zu verstehen, die ihren ordentlichen Wohnsitz [1] – unabhängig von ihrer Nationalität – nicht in Deutschland, sondern ausschließlich im Ausland haben. Mit dem Begriff „ausländische Fahrzeuge“ sind hier solche Kraftfahrzeuge gemeint, die im Ausland zugelassen sind.
Für die Ahndung der von Ausländern begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten gilt die gesetzlichen Grundlage des Ordnungswidrigkeitengesetzes [2] und die in der Bußgeldkatalog-Verordnung [3] sowie dem Bundeseinheitlichen Tatbestandskatalog Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten [4] festgelegten Verfahrensregelungen sowie Regelsätze grundsätzlich in gleicher Weise wie für Inländer. Das gilt auch für die damit zusammenhängenden Rechtsfolgen, wie z. B. Punkte im Fahreignungsregister, das beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg geführt wird und für Fahrverbote, die von der zuständigen Bußgeldbehörde verhängt werden. Für Ausländer wird im Bedarfsfall ein Punktekonto angelegt und ein Fahrverbot durch die jeweilige Verfolgungsbehörde in dem ausländischen Führerschein vermerkt. Werden bei einem Fahrzeugführer Fahruntüchtigkeit oder an einem Fahrzeug technische Mängel festgestellt, ist die Unterbindung der Weiterfahrt nach dem jeweiligen Gefahrenabwehrrecht des Bundeslandes eine polizeiliche Standardmaßnahme.
Rahmenbedingungen
Insbesondere bei Autobahnpolizeidienststellen ist die hier behandelte Problematik bekannt. Aus der meist überregionalen Bedeutung des betreuten Autobahnnetzes ergibt sich per se ein hoher Anteil verkehrspolizeilicher Beanstandungen von Ausländern bzw. ausländischen Fahrzeugen. Dabei ist bis dato unbekannt, weil unerforscht, wie hoch dieser Anteil in Relation zu Beanstandungen bei deutschen Autofahrern ist. Es ist nicht einmal genau bekannt, wie viele ausländische Pkw- und Lkw-Fahrer das deutsche Autobahnnetz aktuell regelmäßig nutzen. Die von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in einem Turnus von 5 Jahren vorgenommene manuelle Straßenverkehrszählung unterscheidet nicht zwischen deutschen und ausländischen Fahrzeugen, weist aber im Jahrfünft von 2010 – 2015 bereits einen Anstieg der absoluten Verkehrsbelastung auf Autobahnen um rund 8 % auf.[5] Der letzte Forschungsbericht über eine Erfassung des ausländischen Kraftfahrzeugverkehrs datiert aus dem Jahr 2008.[6] Danach ergab sich insgesamt ein Anteil ausländischer Kraftfahrzeuge auf deutschen Autobahnen von 11 %, bei Güterkraftfahrzeugen betrug der Anteil jedoch ca. 28 %.[7] Laut dieser dringend zu aktualisierenden Studie ergab sich bei allen Kfz folgende Rangliste der TOP 4 der Herkunftsstaaten:
- Polen (24 %)
- Niederlande (22,2 %)
- Tschechien (7,5 %)
- Österreich (7,5 %)
Damit stammen mehr als 60 % aller ausländischen Kfz auf deutschen Autobahnen aus diesen vier Staaten und es sollte nahe liegen, dass die deutsche Bundesregierung mit diesen vier Staaten hinsichtlich der in dem jeweils anderen Staat begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten ein gegenseitiges Vollstreckungsabkommen anstrebt.
Die polizeiliche Praxis
Bei ordnungswidrigem Handeln ausländischer Kraftfahrzeugführer sind zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden:
Konstellation 1: Ordnungswidrigkeit mit Anhaltekontrolle
Ein Ausländer wird nach einem Verkehrsverstoß angehalten bzw. ein Verstoß wird im Rahmen einer Kontrolle festgestellt. Eine Barverwarnung nach § 2 Abs. 1 BKatV kommt in einer Vielzahl von Fällen nicht in Betracht oder wird vom Betroffenen abgelehnt [8], sodass die Polizei zur Durchführung des Bußgeldverfahrens anordnet, dass der Betroffene für die zu erwartende Geldbuße und die Kosten des Verfahrens gem. § 132 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG eine angemessene Sicherheit leistet.
Zeigt sich der Ausländer zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig, obliegt es den einschreitenden Polizeibeamten, inwieweit sie die sofortige Zahlung des fälligen Geldbetrages durchsetzen. Von ihnen sind dabei die Grundsätze des polizeilichen Einschreitens, also Erforderlichkeit, Geeignetheit und Angemessenheit der zu treffenden Maßnahmen zu prüfen. Der Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu und erweist sich regelmäßig als sehr komplex. Dabei sind die Bedeutung des begangenen Verstoßes und die dafür zu erwartende Sanktion Grundlagen der Prüfung. Zur Erinnerung, hier ist von der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten die Rede und in Deutschland sind deren Sanktionshöhen im europäischen Vergleich als niedrig einzustufen. Hier auf zahlungsunfähige oder gar zahlungsunwillige Betroffene mit Durchsuchungen oder Parkkrallen zu reagieren, muss gut abgewogen sein, um damit auch im Nachgang einer juristischen Überprüfung Stand halten zu können.
Jede Streifenbesatzung wird in diesem Zusammenhang aber auch immer wieder mit einem ganz anderen Problem konfrontiert. Nämlich der Abwägung, sich entweder mit dem oft sehr zeitaufwendigen „Eintreiben“ des fälligen Geldbetrages zu binden oder schnellstmöglich wieder für die Kernaufgaben zur Verfügung zu stehen. In Zeiten von Personalknappheit, insbesondere bei Verkehrsdienststellen, eine durchaus wesentliche und alltägliche Problemlage. Als Ausweg bietet sich die Möglichkeit an, den Betroffenen gem. § 96 OWiG im Rahmen der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten über eine mögliche Erzwingungshaft bei nicht fristgerechter Zahlung des fälligen Geldbetrages zu belehren. Im Anschluss kann der Belehrte, wenn dem nicht andere Gründe entgegenstehen, ohne sofortige Zahlung entlassen werden.
Konstellation 2: Ordnungswidrigkeit ohne Anhaltekontrolle
Ein ausländisches Fahrzeug wird beispielsweise im Rahmen einer Geschwindigkeitsüberwachung auffällig, kann in der Folge aber nicht angehalten und wie unter 1. sanktioniert werden. Ist die gefertigte Bilddatei auswertbar, kann der Verstoß unter folgenden Voraussetzungen auch im Ausland verfolgt werden:
a) EU-Enforcementrichtlinie zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte (RL 2011/82/EU) [9]
Die Richtlinie soll den Mitgliedstaaten die Verfolgung von Verkehrsverstößen erleichtern, die von einem Verkehrsteilnehmer mit einem ausländischen Fahrzeug begangen worden sind. Die Richtlinie gilt abschließend für folgende Verkehrsverstöße, unabhängig davon, ob die Sanktion durch Verwarnungsgeld oder Bußgeld vollzogen werden soll.
Ausdrücklich genannt sind die folgenden Delikte:
- Geschwindigkeitsüberschreitung,
- Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes,
- Rotlichtverstoß,
- Trunkenheit im Straßenverkehr,
- Fahren unter Drogeneinfluss,
- Nichttragen eines Schutzhelms,
- unbefugte Fahrstreifenbenutzung und
- verbotswidrige Benutzung des Mobiltelefons oder anderer Kommunikationsgeräte beim Fahren.
Dabei spielt es keine Rolle, ob die Verstöße nach dem Recht des jeweils anderen Mitgliedstaates als Straftat oder Ordnungswidrigkeit eingestuft sind. Hierzu sei am Rand angemerkt, dass es sich bei Trunkenheit im Verkehr und Fahren unter Drogeneinfluss um klassische Kontrolldelikte handelt, welche in diese Vorschrift eigentlich nicht hineingehören.
Diese Richtlinie wurde mit dem 4. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 28.08.2013 in deutsches Recht umgesetzt.[10]
Voraussetzung zur Umsetzung der Richtlinie ist, dass die betroffenen Mitgliedstaaten am elektronischen, automatisierten Datenaustausch der nationalen Fahrzeugregister (European Car and Driving Licence Informations System = EUCARIS) teilnehmen. Das sind mit Stand 01.12.2016 insgesamt 19 Mitgliedsländer.[11]
Verfolgt ein Mitgliedstaat einen Verkehrsverstoß, hat er in Übereinstimmung mit seinen nationalen Rechtsvorschriften den Fahrzeugeigentümer, Fahrzeughalter oder den anderweitig als Fahrzeugführer identifizierten Betroffenen mittels Informationsschreiben detailliert über den begangenen Verstoß und die damit einhergehende Sanktionierung zu unterrichten. Die Unterrichtung hat in der Sprache des Zulassungsdokumentes oder in der Amtssprache des Mitgliedstaates zu erfolgen, in dem das Fahrzeug zugelassen ist. Zahlt der Betroffene daraufhin das Verwarnungs- oder Bußgeld, ist der Vorgang erledigt. Bei Bußgeldern ist dem Betroffenen im Nachgang noch ein Bußgeldbescheid zuzuleiten.
auferlegt b) Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24.02.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (Europäisches Geldsanktionsgesetz)
Die §§ 86 ff. des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) enthalten Vorschriften zur erleichterten Vollstreckung von Geldsanktionen ab 70 € (inklusive Gebühren und Auslagen). Das Gesetz ist am 28.10.2010 in Kraft getreten.[12] Ziel ist die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen innerhalb der Europäischen Union. Damit sind Entscheidungen von Mitgliedstaaten, mit denen dem Betroffenen eine Geldbuße wurde, grundsätzlich anzuerkennen und zu vollstrecken. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die unter a) behandelte Enforcementrichtlinie bereits vom EU-Staat umgesetzt wurde und zu keiner Zahlung des Betroffenen geführt hat. Einschließlich Deutschland wenden inzwischen 25 EU-Mitgliedstaaten den Rahmenbeschluss an. Wenn die von einer deutschen Behörde verhängte Geldsanktion in Deutschland nicht erfolgreich vollstreckt werden konnte, übersendet das Bundesamt für Justiz auf Antrag der deutschen Vollstreckungsbehörde und nach Prüfung die Vorgangsunterlagen an die zuständige Stelle in dem Mitgliedstaat, in dem die Sanktion vollstreckt werden soll. Kommt es in dem angefragten EU-Mitgliedstaat zur Vollstreckung, fließt der Erlös in den Staatshaushalt des vollstreckenden Landes.
c) Vertrag über die Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen vom 31.05.1988 zwischen Deutschland und Österreich [13]
Zusammengefasst ermöglicht dieser Vertrag die Sanktionierung von in Deutschland begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten durch Betroffene, die ihren Wohnsitz in der Republik Österreich haben.[14]
d) Deutsch-schweizerischer Polizeivertrag vom 27.04.1999 [15]
Hier gelten grundsätzlich die gemachten Ausführungen hinsichtlich des mit Österreich bestehenden Vertrages.
Wie ist die aktuelle Situation in Deutschland im Hinblick auf die beschriebenen Sanktionsmöglichkeiten?
Diese Frage kann man ohne Umschweife mit „sehr unbefriedigend“ beantworten.
Um die weiteren Ausführungen verständlicher zu machen, bedarf es zunächst der Klärung, wer im Verfahren zur Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten zuständige Verfolgungsbehörde ist. Für den ersten Angriff ist das gem. § 53 Abs. 1 OWiG grundsätzlich die Polizei. Das weitere Verfahren ist allerdings deutschlandweit von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt.
Das aus polizeilicher Sicht zielführende Modell mit einer zentralen polizeilichen Bußgeldstelle existiert z. B. in den beiden Freistaaten Bayern und Thüringen sowie in Brandenburg. Bei dieser Variante des Ordnungswidrigkeitenverfahrens laufen alle polizeilich veranlassten Verwarnungs- und Bußgeldverfahren zusammen und werden endbearbeitet. Völlig konträr hierzu steht eine Variante bei der die Polizei nach der Erstbeanstandung nur Verfolgungsbehörde im Verwarnungsbereich ist und Bußgeldsachen von der Kreisverwaltungsbehörde weiter bearbeitet werden wie es z. B. in Nordrhein-Westfalen und Sachsen der Fall ist. Dort wird die tatbestandliche Feststellung der Ordnungswidrigkeiten im Bußgeldbereich von den Beamten der Landespolizei durchgeführt, die in einem nächsten Schritt eine Bußgeldanzeige zur kommunalen Bußgeldbehörde adressieren müssen. Die Kommune hört daraufhin den Betroffenen an, falls dies nicht zuvor bereits die Polizei durchgeführt hat und erlässt daraufhin den Bußgeldbescheid.
Dass es bei diesem Modell immer wieder zu Kommunikationsproblemen zwischen Polizei und Verfolgungsbehörde kommen kann, liegt auf der Hand, zumal grundsätzlich auch keine gemeinsamen Fortbildungsveranstaltungen existieren.
Erlass von Erzwingungshaftbefehlen
Leistet der Betroffene also nach Anhaltung, erfolglosem Sanktionierungsversuch mittels Sicherheitsleistung und Belehrung über eine mögliche Erzwingungshaft im Nachgang der Zahlungsaufforderung beharrlich keine Folge, kann die zuständige Verfolgungsbehörde bei Gericht einen Erzwingungshaftbefehl beantragen. Soweit dies aufgrund der gerade geschilderten Kommunikationsprobleme überhaupt angedacht werden kann, kommt man in der bundesdeutschen Gesamtschau zum Ergebnis, dass von dieser rechtlichen Möglichkeit bei Ausländern, wenn überhaupt, nur selten Gebrauch gemacht wird. Dies hat sich insbesondere bei ausländischen Berufskraftfahrern herumgesprochen und erklärt, dass sich diese nach einem Verkehrsverstoß und anschließender Anhaltung durch die Polizei zunehmend als zahlungsunfähig ausgeben und bereitwillig über eine mögliche Erzwingungshaft belehren lassen. Daran ändert auch die eventuelle Möglichkeit der Nutzung mobiler Bezahlsysteme bei der polizeilichen Kontrolle zunächst nicht viel. Bei Inländern dagegen ist der Erlass eines Erzwingungshaftbefehles wegen beharrlicher Nichtbezahlung einer Verwarnung oder Geldbuße nach einer Verkehrsordnungswidrigkeit eine Standardmaßnahme. Es gehört zum Polizeialltag, dass solche Erzwingungshaftbefehle gegebenenfalls bis hin zur Einlieferung des Betroffenen in die Justizvollzugsanstalt vollzogen werden, auch wegen vermeintlich sehr niedriger, nicht gezahlter Beträge.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Vorgehensweise einer angefragten Verfolgungsbehörde, die statt der Beantragung von Erzwingungshaftbefehlen die von Ausländern nicht gezahlten Bußgelder nach drei Mahnschreiben und nochmaliger Androhung einer Erzwingungshaft ab einem Betrag von 200 Euro dem Zoll zur Einstellung in dessen bundeseinheitliche Grenzausschreibungsliste (BENGALI) übermittelt. Kommt es dann zur Kontrolle des Betroffenen durch den Zoll, wird die Forderung ggf. mittels Pfändung vollstreckt, wozu zunächst aber auch einige rechtliche und praktische Hürden zu nehmen sind. Dass die Wahrscheinlichkeit für den Ausländer, über diese Variante seinen Verpflichtungen nachkommen zu müssen, als eher gering eingestuft werden muss, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Zudem sei an dieser Stelle am Rande erwähnt, dass die BENGALI-Datei von den Länderpolizeien nicht eingesehen werden und daher die einliegenden Personen auch nicht erkannt werden können.
Umsetzung der EU-Enforcementrichtlinie
Fragt man diesbezüglich bundesweit bei Verfolgungsbehörden nach, ergibt sich ein völlig unterschiedliches Bild. Im schlechtesten Fall wird die Enforcementrichtlinie überhaupt nicht umgesetzt und Verfahren wegen festgestellter Verkehrsordnungswidrigkeiten erst gar nicht eingeleitet. Beweisfotos nach beweissicher festgestellten Geschwindigkeits-, Rotlicht- oder Abstandsverstößen, auf denen Kfz-Kennzeichen aus den Staaten Polen und Tschechien sowie allen anderen östlichen EU-Staaten werden daher ohne jegliche Ermittlungsversuche gelöscht, und zwar egal, ob es sich um einen Verstoß im Verwarnungs- oder im Bußgeldbereich handelt. So erfasste z. B. die Stadt Düsseldorf in den drei Monaten August – Oktober 2012 insgesamt 5.884 Verkehrsverstöße, die mit Kfz mit ausländischen Kennzeichen begangen wurden und verfolgte mangels Erfolgsaussicht nicht eine dieser Ordnungswidrigkeiten.[16] Die Bundeshauptstadt Berlin erfasste allein in der Woche vom 20.06. – 27.06.2012 mittels mobiler Geschwindigkeitsüberwachungen 1.394 Geschwindigkeitsverstöße ausländischer Fahrer, die ebenfalls allesamt gelöscht wurden.[17]
Es gibt aber auch Bundesländer und Kommunen, die konsequent ausländische Fahrzeughalter oder Eigentümer richtlinienkonform anschreiben und zur Zahlung auffordern. Interessant ist die in diesem Zusammenhang gewonnene Erfahrung, dass es dabei zu einer freiwilligen Zahlung von bis zu 89 % kommt. So leitete die Stadt Leipzig im Zeitraum vom 01.04.2012 – 31.03.2013 insgesamt 1.477 Verfahren gegen Ausländer ein, wovon 552 Verfahren mittels Zahlung eines Verwarnungsgeldes bzw. Bußgeldes abgeschlossen werden konnten, aber auch 919 Verfahren eingestellt werden mussten, weil der Fahrzeugführer auch mit Hilfe der ausländischen Meldebehörden nicht rechtzeitig vor Ablauf der Verjährung ermittelt werden konnte.[18]
Die Begründung einer Verfolgungsbehörde bezüglich ihres Nichthandelns, dass es unter anderem Probleme mit der Erstellung der notwendigen Informationsschreiben in der jeweiligen Landessprache gibt, kann nur Kopfschütteln auslösen, zumal eine andere Behörde in Deutschland genau diese Schreiben bereits erstellt hat. Offensichtlich tritt auch hier bei einigen Verkehrsteilnehmern ein negativer Lerneffekt ein. So fallen regelmäßig ausländische Fahrzeuge bei Messungen mit gravierenden Geschwindigkeitsverstößen auf, welche die sonst üblichen Verhaltensweisen, wie abruptes Abbremsen im Bereich von Messstellen, vermissen lassen. Diese praktischen Erfahrungen aus dem Polizeialltag werden durch regelmäßige Verkehrsbeobachtungen des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen bestätigt, das den Autobahnabschnitt der A 4 von der Anschlussstelle Bautzen West in Fahrtrichtung der Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen bis zur Anschlussstelle Kodersdorf regelmäßig befährt. Dabei wurde im Rahmen einer Langzeitbetrachtung über einen Zeitraum von 2011 – 2016 festgestellt, dass beim Befahren des mehr als 3 km langen Autobahntunnels durch die Königshainer Berge, in dem die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h angeordnet wurde, ca. 80 % der Geschwindigkeitsüberschreitungen durch Fahrzeugführer mit polnischen, niederländischen und tschechischen Kfz-Kennzeichen begangen wurden.
Auch kann bei Kontrollstellen im Nachgang zu Geschwindigkeitsmessungen vermehrt festgestellt werden, dass zunehmend Fahrzeugführer mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland und Migrationshintergrund, nicht nur vorübergehend mit einem ausländischen Fahrzeug in Deutschland unterwegs sind.
Umsetzung des EU-Geldsanktionsgesetzes
Leider muss festgestellt werden, dass diese rechtliche Möglichkeit, zumindest im Bereich der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, derzeit bundesweit wohl kaum bis gar nicht zur Anwendung kommt. In den letzten Jahren seit dem Jahr 2011 sind lediglich 42.000 eingehende und 23.000 ausgehende Ersuchen vom Bonner Bundesamt für Justiz bearbeitet worden.[19] Diese Zahlen entsprechen nicht einmal dem jährlichen Aufkommen an Bußgeldverfahren einer beliebigen deutschen Kleinstadt, die Geschwindigkeitsüberwachung betreibt.
Darauf angesprochen, reagieren die Verantwortlichen verständlicherweise eher zurückhaltend. Inwieweit hier die Verfolgungspraxis des zuständigen Bundesamts für Justiz einen wesentlichen Anteil hat, konnte nicht ermittelt werden. Letztendlich bleibt festzuhalten, dass die seit Ende 2010 in der Öffentlichkeit erzeugte Ansicht, dass Nichtinländer nach in Deutschland begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten, auch ohne gleich folgende polizeiliche Anhaltung ab 70 Euro im Nachgang zur Kasse gebeten werden, so nicht stimmt.
Amtshilfeabkommen mit Österreich
Diese Vereinbarung zwischen Deutschland und der Republik Österreich funktioniert auch nicht immer problemlos. Zwei Finanzgerichte lehnten eine Vollstreckung von verwaltungsrechtlichen Straferkenntnissen aus Österreich gegenüber deutschen OWi-Tätern, die während ihres Urlaubs in Österreich Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen hatten, die festgesetzten Geldstrafen jedoch nicht zahlen wollten, rechtskräftig ab.[20]
Deutsch-Schweizerischer Polizeivertrag
Hier liegt die Problemstellung darin, dass die Schweiz nicht am automatisierten Halteraustausch teilnimmt. Dies hat zur Folge, dass Verstöße nur durch Übernahme ins sogenannte „manuelle Verfahren“ bearbeitet und verfolgt werden können. Dies bedeutet, dass der Vorgang nicht automatisiert, sondern händisch durch einen Sachbearbeiter bearbeitet werden muss. Im Zusammenhang mit dem damit einhergehenden zusätzlichen Verwaltungsaufwand ergeben sich, auch abhängig von den personellen Möglichkeiten in dem jeweiligen Bundesland, bundesweit verschiedene Verfolgungspraktiken. Diese reichen von konsequenter Verfolgung bis zur Nichtahndung.
Fazit
Im Hinblick auf die Zielsetzungen der Europäischen Union [21] und der Bundesrepublik Deutschland, die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland bis 2020 nachhaltig zu senken, kommt allen Interventionsfeldern der Verkehrssicherheitsarbeit eine wachsende Bedeutung zu. Dabei müssen sich die Schwerpunkte der Bekämpfungsstrategie in sinnvoller Weise auf die Hauptunfall- und Todesursachen fokussieren, um den größtmöglichen Effekt zu erreichen. Zu diesen zählen nach wie vor Geschwindigkeitsverstöße. Für die Polizei spielt das Interventionsfeld Enforcement in diesem Zusammenhang eine herausragende Rolle. Darüber hinaus ist die präventive Wirkung einer konsequenten Ahndungspraxis unbestritten. Um die polizeilichen Maßnahmen nicht ins Leere laufen zu lassen, müssen die rechtlichen Möglichkeiten durch die Verfolgungsbehörden und die Justiz zur Ahndung von Verkehrsverstößen konsequent ausgeschöpft werden. Dies auch unabhängig davon, ob es sich bei dem Betroffenen um einen Inländer oder einen Ausländer handelt. Die Erkenntnis, dass Deutschland ein Transitland ist und die hiesigen Sanktionshöhen für Verkehrsverstöße im europäischen Vergleich eher niedrig sind [22], verleiht diesem Anliegen noch mehr Gewicht.
In der Gesamtschau bleibt festzuhalten, dass Ausländer, die in Deutschland nach einem Verkehrsverstoß angehalten werden und die fällige Sanktion nicht bezahlen, bei der Wiedereinreise nach Deutschland grundsätzlich nicht befürchten müssen, dass sie mittels Erzwingungshaftbefehl zur Zahlung gezwungen werden.
Kommt es von vornherein nach einem Verstoß erst gar nicht zu einer Anhaltung des ausländischen Fahrzeugs, sind die Chancen des Betroffenen, überhaupt mit seinem Fehlverhalten konfrontiert zu werden von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausgeprägt. Erhält er Informations- und Mahnschreiben und zahlt die geforderte Sanktion trotzdem nicht, muss er auch ab einem Betrag von 70 Euro nicht damit rechnen, dass diese Forderung in seinem Heimatland vollstreckt wird.
Quellen:
[1] Vgl. dazu die Definition des „ordentlichen Wohnsitzes im Inland“ in § 7 Abs. 1 Satz 2 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV), der immer dann gegeben ist, wenn eine Person mindestens 185 Tagen im Jahr im Inland wohnt.
[2] Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 19.02.1987 (BGBl. I S. 602), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 21.10.2016 (BGBl. I S. 2372).
[3] Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) vom 14.03.2013 (BGBl. I S. 498), zuletzt geändert durch Artikel 3 der Verordnung vom 17.06.2016 (BGBl. I S. 1463).
[4] Kraftfahrt-Bundesamt (Hrsg.), Bundeseinheitlicher Tatbestandskatalog Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten (BT-KAT-OWi), 11. Auflage, Stand: 17.10.2016, Flensburg 2016.
[5] Vgl. dazu die Datensammlungen der BASt auf der Website http://www.bast.de/DE/Statistik/Verkehrsdaten/2015/Manuelle-Zaehlung.html?nn=605200.
[6] Lensing, Norbert, Zählungen des ausländischen Kraftfahrzeugverkehrs auf den Bundesautobahnen und Europastraßen 2008, aus der Reihe Verkehrstechnik der Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach 2010.
[7] Lensing, S. 3, auch zum Folgenden.
[8] Es existiert bislang keine empirische Studie über die Effizienz dieser polizeilichen Tätigkeit.
[9] ABl. L 288 vom 05.11.2011, S. 1.
[10] BGBl. I S. 3310.
[11] Vgl. dazu den Überblick auf der offiziellen Website https://www.eucaris.net/dashboard/.
[12] Vgl. zur Rechtspraxis den Aufsatz von Johnson, Christian, Anerkennung und Vollstreckung von EU-Geldsanktionen nach dem Rahmenbeschluss 2005/214/JI, in: Straßenverkehrsrecht (SVR) 2016, S. 449 ff.
[13] Gesetz zu dem Vertrag vom 31. Mai 1988 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen vom 26. April 1990 (BGBl. 1990 II S. 357).
[14] Die Durchführungshinweise sind publiziert unter http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_16122013_VII1130081OST3.htm.
[15] Gesetz zu den Verträgen vom 27. April 1999 und 8. Juli 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, Auslieferung, Rechtshilfe sowie zu dem Abkommen vom 8. Juli 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Durchgangsrechte vom 25.09.2001 (BGBl. 2001 Teil II S. 946).
[16] Müller, Dieter, Die Ausdehnung der Kostentragungspflicht des § 25a StVG auf den fließenden Verkehr, Bericht M 250 aus der Reihe „Mensch und Sicherheit“ der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach 2014, S. 55.
[17] Müller, Dieter, a.a.O., ebd.
[18] Müller, Dieter, a.a.O., ebd.
[19] Siehe Johnson, Christian, S. 449.
[20] Sächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 01.06.2012 – 4 V 387/12, juris; Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 16.03.2010 – 1 V 289/09, juris.
[21] Europäische Kommission, EU-Leitlinien für die Politik im Bereich der Straßenverkehrssicherheit 2011 – 2020, Brüssel 2010.
[22] Vgl. zu der in Deutschland im europäischen Maßstab geringsten Sanktionshöhe Müller, Dieter, Fortschritt statt Rückzug? Die Rolle der Polizei bei der Verkehrsüberwachung, in: Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (NZV) 2017, S. 19 ff.