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Alte Wiener Polizeidirektion: Kamilla Rybiczkas Vater war Polizeihofrat.

Schüsse und Säure für den geliebten Prinzen

Von Werner Sabitzer

Die Polizeihofratstochter und der Prinz: Vor 100 Jahren schoss eine Wiener Schauspielerin mehrmals auf Prinz Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha, schüttete ihm Säure ins Gesicht und brachte sich um.

Prinz Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha Die Bewohner des Hauses Marokkanergasse 13 im dritten Wiener Bezirk hörten am 17. Oktober 1915 Schüsse und Schreie aus einer Wohnung im ersten Stock. Helfer brachen die Wohnungstür auf und trafen auf einen Mann in Armeeuniform, dessen Gesicht blutverschmiert und entstellt war. Auf dem Boden lag die blutüberströmte Leiche einer jungen Frau. Es handelte sich um die Bühnenkünstlerin Kamilla Rybiczka, Tochter des Wiener Polizeihofrats Clemens Rybiczka. Der Schwerstverletzte war ihr Geliebter, Prinz Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha, Rittmeister bei der k. k. Armee in Wien. Er stammte aus der europäischen Hocharistokratie, das Haus Sachsen-Coburg und Gotha stellte einige Monarchen in Europa.

Europäischer Hochadel

Prinz Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha, geboren am 9. Juli 1878 in Szent-Antal in Ungarn, war der einzige Sohn von Prinz Philipp von Sachsen-Coburg und Gotha und Prinzessin Louise aus der belgischen Königsfamilie. Er war als Erbe des großen ungarischen Koháry-Besitzes vorgesehen. Damit hätte er einer der bedeutendsten Magnaten in Ungarn werden sollen.

Die Eltern Leopolds: Prinz Philipp von Sachsen-Coburg und Gotha und Prinzessin Louise aus der belgischen Königsfamilie Der Offizier eines Husarenregiments lernte Kamilla Rybiczka 1913 bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennen und verliebte sich in die Schauspielerin. Sie verließ ihr Elternhaus, reiste mit ihrem Geliebten durch die österreichisch-ungarische Monarchie und zog in die vom Prinzen finanzierte Wohnung in der Marokkanergasse.

Mehrmals forderte Kamilla ihren Geliebten auf, das Liebesverhältnis zu „legalisieren“, was ihr der Prinz versprach. In einem mit 1. Juli 1914 datierten Brief aus Paris teilte er Kamilla mit, sie innerhalb eines halben Jahres heiraten zu wollen. Er ersuchte seinen Vater, für die künftige Ehefrau zwei Millionen Kronen zur Verfügung zu stellen, eine enorme Summe. Ein Offizier musste damals in der Regel eine Heiratskaution stellen, bevor er von der vorgesetzten Dienststelle die Heiratserlaubnis erhielt. Das Geld war zur Versorgung der Hinterbliebenen bereitgestellt, sollte der Offizier im Kampf fallen.

Als Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha 1915 an die Front beordert wurde, forderte Kamilla ihn auf, sie noch vor seiner Abreise zu heiraten. Die Hochzeit scheiterte am großen Standesunterschied. Das Haus Sachsen-Coburg und Gotha verbot dem Prinzen die Ehe mit der Bürgerlichen aus Wien.

Dramatisches Ende einer ungewöhnlichen Beziehung

Gleichzeitig bot die Hochadelsfamilie der Schauspielerin vier Millionen Kronen an, mit der Auflage, dass sie die Beziehung mit dem Prinzen beendet. Am 17. Oktober 1915 besuchte Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha seine Geliebte in der Wohnung in der Marokkanergasse, um ihr einen Scheck auszuhändigen und sich von ihr zu verabschieden. Kamilla Rybiczka wies das Geldgeschenk zurück. Als der Prinz die Wohnung verlassen wollte, schoss sie fünfmal auf ihn und schüttete ihm Säure ins Gesicht. Mit der sechsten und letzten Patrone schoss sie sich ins Herz.

Zwei Projektile trafen das Opfer in die Brust, ein Projektil ging durch ein Auge in den Kopf und ein weiteres Projektil verletzte die Schulter des Prinzen. Trotz der schweren Schussverletzungen überlebte Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha, er blieb aber blind. Ein halbes Jahr später, am 27. April 1916, starb er bei einer Operation, durch die er das Augenlicht wiedererlangen hätte sollte. Die Leiche des Prinzen wurde in der Koháry-Gruft in St. Augustin in Coburg beigesetzt. Sein Cousin August Leopold erbte den Koháry-Besitz in Ungarn.

Eheskandal bei Hof

Schon Leopolds Mutter hatte für einen Skandal gesorgt, der jahrelang Psychiater, Polizei, (Zivil-)Gerichte und die Sittenwächter des österreichischen und des belgischen Hofes beschäftigte. Prinzessin Louise Marie Amélie, Tochter von König Leopold II. von Belgien und seiner Frau Marie Henriette, einer Habsburgerin, hatte 1875 Prinz Philipp von Sachsen-Coburg und Gotha geheiratet. Die Hochzeitsnacht war für die in sexuellen Angelegenheiten nicht aufgeklärte Prinzessin ein derartiges traumatisches Erlebnis, dass sie aus dem Haus flüchtete und erst auf Drängen ihrer Mutter wieder zu ihrem Ehemann zurückkehrte. Louise hatte eine Reihe von Verehrern, darunter ihr Schwager Prinz Ferdinand, ab 1887 Fürst von Bulgarien, und der Habsburger Erzherzog Ludwig Viktor.

Ab 1883 hatte die Prinzessin eine Affäre mit Baron Daniel d’Ablaing van Giessenburg, dem Adjutanten ihres Mannes. Als d’Ablaing van Giessenburg 1888 starb, wurde sein Nachfolger als Adjutant, Baron Nikolaus Döry de Jobahaza, auch Nachfolger als Louises Geliebter. 1895 lernte die Prinzessin in Wien den kroatischen Ulanenoffizier Geza Graf von Mattachich-Keglevich kennen und lieben. Kaiser Franz Joseph verbannte sie daraufhin vom Hof.

Louise verließ im Frühjahr 1897 ihren Mann und zog mit ihrem Geliebten durch Europa, verschwendete Unsummen und erhielt hohe Kredite, da ihr Vater König Leopold II. als einer der reichsten Monarchen der Welt galt – der Freistaat Kongo war sein persönlicher Besitz. Im Februar 1898 duellierte sich Louises Ehemann Prinz Philipp mit ihrem Geliebten und verletzte ihn an der rechten Hand.

Prinzessin Louise und Geza von Mattachich-Keglevich wurden 1898 in Kroatien verhaftet. Man warf ihnen Wechselfälschungen vor. Der Graf wurde zu sechs Jahren schweren Kerkers verurteilt und in der Militärstrafanstalt Möllersdorf bei Baden inhaftiert. Der Adelstitel wurde ihm aberkannt.

Louise wurde auf Anordnung des Kaisers Franz Joseph in eine Anstalt in Wien-Oberdöbling gebracht. Anstaltschef Prof. Heinrich Obersteiner diagnostizierte bei der Prinzessin eine „intellektuelle und moralische Minderwertigkeit“. Prof. Richard von Krafft-Ebing, Inhaber des Lehrstuhls für Geisteskrankheiten an der Universität Wien, erklärte Louise 1899 für schwachsinnig. Daraufhin wurde sie unter Kuratel gestellt und in die geschlossene Abteilung einer Anstalt in Sachsen gebracht – die Monarchen Belgiens und Österreichs, ihre Verwandten, wollten sie außer Landes haben. Bei einer neuerlichen Begutachtung 1904 befand eine Psychiaterkommission, der Prof. Julius Wagner-Jauregg angehörte, dass der Zustand „krankhafter Geistesschwäche“ bei Prinzessin Louise weiter bestehe und sie nach wie vor unfähig sei, ihre Angelegenheiten zu besorgen. Die Kommission hielt eine weitere Anhaltung in einer geschlossenen Anstalt für notwendig.

Prinzessin Louise gelang im Herbst 1904 die Flucht aus einem Hotel in Bad Elster, wo sie sich unter Bewachung zur Kur befand. Obwohl sofort nach ihr gefahndet wurde, gelangte sie nach Frankreich, wo sie im Mai 1905 von zwei französischen Psychiatern ein Gegengutachten erstellen ließ. Das Obersthofmarschallamt in Wien sah sich daraufhin veranlasst, die Kuratel aufzuheben. 1906 folgte die Scheidung Louises von ihrem Mann Prinz Philipp; ihr Vater verbot ihr die Einreise nach Belgien. Nach dem Tod König Leopolds von Belgien erkämpfte sie sich zwar eine ansehnliche Summe als Erbe, ihre Schulden waren aber beträchtlich höher.

Graf Geza von Mattachich-Keglevich wurde im Ersten Weltkrieg verhaftet und in der Nähe von Budapest interniert. Prinzessin Louise, aus Österreich ausgewiesen, wurde 1919 von den Bolschewiken in Ungarn wegen angeblicher Spionage zum Tod verurteilt und kurz vor der Hinrichtung begnadigt. Sie kam nach Wien zurück und flüchtete mit Mattachich-Keglevich vor den Gläubigern nach Paris, wo ihr Geliebter 1923 starb. Louise reiste daraufhin durch Deutschland und starb 1924 verarmt in Wiesbaden.

(Alle Fotos © wikipedia)

Über den Autor
Werner Sabitzer
Werner Sabitzer
Werner Sabitzer, MSc, 63, war 30 Jahre lang Pressereferent im österreichischen Bundesministerium für Inneres (BMI) und Chefredakteur der Fachzeitschrift „Öffentliche Sicherheit“. Er ist seit 2018 Referent für Polizeigeschichte und Traditionspflege im BMI und leitet das Polizeimuseum Wien.
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