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Die Methodik der Near Repeat Prediction

Musterbasierte Prognosetechnik bei der Kriminalitätsbekämpfung

Von Dr. Thomas Schweer  

PRECOBS (Pre Crime Observation System) ist eine Software, um Techniken und Methoden der geografisch, mathematisch und sozialwissenschaftlich unterstützten Kriminalitätsanalyse zu kombinieren und damit neue manuelle und automatische Prognosetechniken für die Bekämpfung des Wohnungseinbruchs bereitzustellen.

PRECOBS grenzt sich ganz bewusst von Systemen ab, die ausschließlich mathematisch-statistisch basiert sind, in dem es auch kriminalistische, soziologische und psychologische Elemente in die Methodik einbindet (z. B. die Rational-Choice-Theorie oder die Routine-Activity-Theorie). An der Entwicklung dieser neuen GIS-basierten Prognosemethode waren deshalb auch Polizeibeamte beteiligt, deren langjährige Erfahrung maßgeblich die Methodik geprägt hat.

PRECOBS arbeitet ausschließlich mit Falldaten aus den polizeilichen Vorgangserfassungssystemen. Dazu gehören Angaben zur Tatzeit[1] und Tatort sowie katalogisierte beschreibende Deliktmerkmale wie Modus Operandi und Beute. Das System verarbeitet grundsätzlich keine personenbezogenen Daten.  

Near Repeats 

Deliktkonzentrationen in engen zeitlichen und geografischen Räumen bilden die Grundlage der near repeat prediction. Das Phänomen der near repeats wurde weltweit in mehreren wissenschaftlichen Studien, vor allem im Bereich des Wohnungseinbruchs, untersucht und nachgewiesen. Dabei gingen Geografen, Mathematiker und Kriminologen der Frage nach, in welchen Intervallen near repeats auftreten bzw. wie hoch die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens ist, wobei mit unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Größen gearbeitet wurde. Auch die Auswertung von Daten über Wohnungseinbrüche in Duisburg, Zürich, London und München belegen, dass geografische Bezirke, in denen ein Einbruch erfolgt ist, häufig in kurzer Zeit und im direkten Umfeld mit Folgedelikten rechnen müssen („near repeat victimization“).

„Near repeats“ können mehrere Delikte umfassen, während „near repeat pairs“ aus zwei Delikten gebildet werden. Das schließt nicht aus, dass ein und dasselbe Delikt Teil mehrerer „near repeat pairs“ sein kann. Die Anzahl der „near-repeat-Paare“ ist für die qualitative Bewertung eines geografischen Raumes hinsichtlich seiner Bedeutung für die „near repeat prediction“ vorteilhafter als die Betrachtung der reinen „near repeats“.

Die Herausforderung ist es, „near repeats“ richtig und ad hoc zu prognostizieren. Dabei setzt die „near repeat prediction“ auf empirische Erkenntnisse aus dem spezifischen Deliktfeld und erarbeitet Unterscheidungsmerkmale für Gelegenheits- und Wiederholungstäter. Die Gebiete, in denen zweitgenannter Typus verstärkt auftritt, werden als „near repeat areas“[2] identifiziert. 

 

Deliktkonzentrationen und Ruheintervalle in einer „near repeat area“

 

Das near-repeat-Phänomen lässt sich aber nicht nur in Großstädten beobachten, sondern auch in eher ländlich geprägten Gebieten wie den Kantonen Aargau und Basel-Landschaft, wo PRECOBS derzeit im Pilotbetrieb getestet wird.

Triggerkriterien

Bei der near-repeat-prediction-Methodik werden Triggerkriterien zu verschiedenen Deliktmerkmalen festgelegt. Die Vorgehensweise entspricht dem folgenden Prinzip: Ein Triggerfilter enthält eine Liste von gleichtypigen Merkmalen (z. B. Liste von Modus Operandi). Wird bei einem Delikt ein Element aus der Liste gefunden, gilt der Trigger als positiv. Ein Triggerdelikt setzt sich aus verschiedenen Triggermerkmalen zusammen, sprich „Tatzeit“, „Beute“ und „Modus Operandi“.

Ein Triggerdelikt ist ein (auslösendes) Delikt, dem potenziell in kurzer Zeit weitere Delikte in der Nähe folgen. Es stellt das erste Delikt in einem „near repeat“ dar. Triggerdelikte sind Delikte, die anhand ihrer Tatmerkmale eine überdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit aufweisen, dass sie in „near repeats“ auftreten. Genau umgekehrt ist es bei den Antitriggern. Antitrigger sind Delikte, die anhand ihrer Tatmerkmale eine Wiederholungstat unwahrscheinlich erscheinen lassen. Als Beispiel für einen Antitrigger seien Beziehungstaten genannt, die sich u.a. an der Begehungsweise identifizieren lassen. Modus Operandi wie „Stumpfe Gewalt“ oder die Benutzung von Schlüsseln weisen auf Täter hin, die aus dem sozialen Nahraum der Opfer kommen (Kawelovsli 2012: 647). In solchen Fällen wird davon ausgegangen, dass diese Tatmerkmale nicht zu einem klassischen Wiederholungsmuster passen. Antitrigger verhindern das Auslösen einer Prognose, auch wenn alle anderen Kriterien dem eines Triggerdeliktes entsprechen. Der Nachweis, dass Antitriggerdelikte weniger Folgetaten aufweisen, wurde in den bisherigen IfmPt-Projekten empirisch belegt.

Anhand ausgewählter Tatmerkmale wird also ein Delikt als Trigger- oder Antitriggerdelikt klassifiziert. In einer zur Prognose geeigneten „near repeat area“ sollte der Anteil der als Triggerdelikte klassifizierten Taten signifikant hoch sein.           

Near Repeat Area mit near repeatDas “Triggerdreieck”


Die Verwendung von Triggern verdeutlicht, dass im Gegensatz zu anderen Systemen, bei denen zur Generierung einer Prognose alle Delikte einfließen, bei PRECOBS im Vorfeld mittels o.g. Filters nur solche Delikte für eine Prognose verwandt werden, bei denen man von einem Wiederholungstäter ausgehen kann. Ohne einen solchen „Filter“ würden zwangsläufig auch solche Delikte Eingang finden, bei denen dieser Hintergrund nicht besteht, was unmittelbar zu einer deutlichen Verschlechterung der Prognoseergebnisse führen würde.

Simulation

Sind die relevanten Trigger und Antitrigger sowie die „near repeat areas“ ausgewählt, wird die Analysesoftware konfiguriert und eine retrospektive Simulation gestartet. Hierbei werden ein täglicher Prognosebetrieb über einen vorgebbaren Zeitraum in der Vergangenheit zu den ausgewählten „areas“ durchgeführt und die Ergebnisse dokumentiert. Zur Optimierung können weitere Filter hinzugefügt, bestehende gelöscht und neue Konfigurationen im Simulationsmodus iterativ für die „areas“ ausgetestet werden. So können Modelle sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft erstellt werden. Ziel ist es, für jede „near repeat area“ die beste Konfiguration zu finden, um später im Echtbetrieb einen stabilen Prognoseerfolg zu gewährleisten.

Es hat sich gezeigt, dass es sinnvoll ist, mit unterschiedlichen Konfigurationen und Gebieten für die Sommer- und die Wintermonate zur arbeiten, da das Täterverhalten jahreszeitlich variiert.

Erfolgsversprechende „areas“ werden für den Tagesbetrieb freigeschaltet. Zentrales Kriterium für eine „near repeat area“ ist die Vermeidung von Fehlprognosen, um operative Kräfte der Polizei nicht unnötig zu binden.

Eine „near repeat area“ sollte insbesondere in den letzten drei Vergleichsperioden bzgl. der relevanten Kriterien (hohe Trefferquote, hoher Anteil an Triggerdelikten, hoher Anteil an (Trigger-) Delikten in „near repeat pairs“, wenige Einzeldelikte) gute bis sehr gute Ergebnisse erzielt haben. „Areas“, die über die analysierten Zeiträume nur mittelmäßige bis schlechte Resultate aufweisen, kommen für die „near repeat prediction“ nicht in Frage. Eine „area“, die nur in einer Saison positive Prognoseergebnisse erzielt hat, muss aber nicht zwangsläufig für die Methode der „near repeat prediction“ ungeeignet sein. Es gibt Gebiete, die nicht jedes Jahr von Wiederholungstätern heimgesucht werden (Wanderungsbewegungen). Diese „areas“ produzieren in solchen Ruhephasen aber keine oder kaum Fehlprognosen, da die Deliktzahl – dies liegt in der Logik der Methodik – dann deutlich sinkt, weil Gelegenheits- und Spontantäter in diesen geografischen Räumen eher die Ausnahme als die Regel sind. In „kalten“ Phasen ist die Anzahl der Delikte also gering, was aber nicht ausschließt, dass alle anderen Kriterien für eine „prediction area“ erfüllt sein können. Das Problem in „kalten“ Phasen besteht vornehmlich darin, dass im Extremfall keine Prognosen generiert werden, respektive unter Umständen die eine oder andere Fehlprognose ausgeworfen wird. Dieses Risiko wird aber dadurch minimiert, dass „prediction areas“ ein geringes „Grundrauschen“ aufweisen, und zusätzlich die Konfiguration von Antitriggern hilft, Fehlprognosen zu vermeiden.

Die Bedeutung der richtigen Konfiguration, insbesondere was die Trigger und Antitrigger anbelangt, zeigt sich darin, dass die Trefferquoten sinken, führt man die Simulation ohne aktive Konfiguration durch. Gerade bei Prognosen, die engen zeitlichen und geografischen Bedingungen genügen sollen, ist dieser Effekt signifikant.

PRECOBS im Tagesbetrieb

Der automatisierte Prognoseprozess wird in den Tagesbetrieb der jeweiligen Polizeibehörde integriert. „Predictive policing“ schafft neue Verantwortlichkeiten und neue Ereignisse, die verarbeitet werden müssen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Operator. Hierbei handelt es sich um technisch affine Beamte, die sich auch in dem jeweiligen Deliktfeld gut auskennen. Der Operator nimmt die täglich auf der Basis der aktuellsten Falldaten von PRECOBS bereitgestellten Prognosen entgegen, validiert sie, gibt sie zur weiteren Einsatzplanung frei oder zieht sie zurück. Gibt der Operator die Prognose frei, leitet er sie an die relevanten lokalen Einsatzkräfte weiter. Über die operative Umsetzung hinsichtlich Art, Dauer und Umfang der Einsätze entscheidet ausschließlich die Behörde.

Diese Prozesskette verdeutlicht, dass bei der „near repeat prediction“ - im Gegensatz zu vollautomatisierten Prognosesystemen - der Mensch als letzte Analyse- und Entscheidungsinstanz im Vordergrund steht. PRECOBS ist leicht zu bedienen und birgt darüber hinaus den Vorteil, dass es auch bei der Bekämpfung anderer Phänomene der Massenkriminalität (z. B. Diebstahl aus oder von Kfz) einsetzbar ist. Jede Behörde ist technisch in der Lage den Prognosebetrieb in Eigenregie durchzuführen.

Zusammenfassung

In Gebieten mit hohen Anteilen an „near repeats“ und Triggerdelikten ist die Methodik der „near repeat prediction“ erfolgreich einsetzbar. Operative Einheiten können somit automatisiert unterstützt bzw. gezielt in Räume geleitet werden, in denen die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten weiterer Delikte empirisch nachweisbar signifikant steigt. Somit hilft die „near repeat prediction“, die Einsatzplanung zu optimieren, wobei der Anpassungsaufwand für eine Behörde technisch und personell gering ist. Ein weiterer positiver Effekt ist, dass im Bereich der Analysetätigkeit Beamte entlastet werden und somit Personalressourcen für andere Aufgaben freigesetzt werden.

Datenschutzrechtliche Bedenken, die häufig im Zusammenhang mit dem Einsatz von Prognosesystemen im Bereich des „Predictive Policing“ geäußert werden, sind verständlich und ernst zu nehmen. Deshalb wurde bei der Entwicklung der „near repeat prediction“ sichergestellt, dass das System auch ohne die Verwendung personenbezogener Daten qualitativ hochwertige Prognosen liefern kann. PRECOBS ist daher datenschutzrechtlich unbedenklich, da das System sich nur auf anonymisierte Daten ausschließlich aus polizeilichen Erfassungssystemen stützt.  

 

Literatur:

Balogh, D. A. (2013): Untersuchung des Phänomens der sogenannten Near-Repeat-Wohnungseinbruchsdelikte am Beispiel der Stadt Zürich: Möglichkeiten und Grenzen des Prospective Crime Mappings, Zürich 2013.
Balogh, D. A. (2013): Untersuchung des Phänomens der sogenannten Near-Repeat-Wohnungseinbruchsdelikte am Beispiel der Stadt Zürich: Möglichkeiten und Grenzen des Prospective Crime Mappings, Zürich 2013.
Clages, H. u. E. Zimmermann (2010): Kriminologie. VDP, Hilden/Rhld.
Kawelovski, F. (2012): Verräterische Fußtritte: Wie sich eine Täter-Opfer-Beziehung beim Wohnungseinbruch am Eindringmuster erkennen lässt. In: Kriminalistik, Nr. 11, S. 645-648.
Kawelovski, F. (2013): Studie zur Wirksamkeit polizeilicher Maßnahmen bei Wohnungseinbrüchen. In: der kriminalist, Nr. 4, S. 8-17.
Kersting, St. u. J. Kiefert (2013): Das Deliktspektrum von Wohnungseinbrechern. In: Kriminalistik Nr.7, S. 468-472.
Polizeiliche Kriminalstatistik Jahrbuch 2013 (2014): Hrsg.: Bundeskriminalamt Wiesbaden.
Wollinger et al. (2014): Wohnungseinbruch: Tat und Folgen - Ergebnisse einer Betroffenenbefragung in fünf Großstädten. Hrsg.: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V., Hannover.

 Quellen

[1] Ein Problem beim Wohnungseinbruch besteht darin, dass nur selten exakte Tatzeiten vorliegen, sondern in der Regel die Tatzeiträume mehrere Stunden, wenn nicht gar Tage umfassen.
[2] Eine near repeat area ist ein geografisches Gebiet, in dem die Gefährdungslage, aber auch die Wahrscheinlichkeit für prognostizierbares, musterhaftes Täterverhalten und die Zahl der zu erwartenden near repeats besonders hoch eingeschätzt wird.