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Skyline von Peking (Foto: Wikipedia)

Teufelstraining in Peking

Von Sascha Montag

Zhon Ting ist eine zierliche junge Frau. 22 Jahre alt, die schwarzen Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Unauffällig, so wie der Chef sie für den Job mag. Sie steht im schwarzen Anzug mit ihren zwei Freundinnen vor einem Tisch mit halbvollen Weinflaschen und dreckigen Gläsern. Beim ersten Schluck muss sie ein wenig würgen, es ist der erste Wein ihres Lebens, aber sie hat sich schnell im Griff. Die nächsten drei Gläser fließen stoisch auf ex, so wie Chen Yongqing, ihr Trainer, das von ihr verlangt. Der Blick nun einen Hauch glasig, die Bewegungen unsicher.

 

Zhon Ting möchte Bodyguard werden, deswegen ist sie hier beim dreiwöchigen Intensivtrainingskurs von Chen Yongqings „Tianjiao International Security Academy“, einer der bekanntesten und ersten Ausbildungsstätten für Bodyguards in China. Ausdauer, Krafttraining, Kampftraining, Fahrtraining und Unterwassertraining stehen auf dem Stundenplan. Morgens um sechs geht es los, abends um elf ist meistens Schluss. Und eben Weinverkostung und Kurse in gutem Benehmen, denn da Chinas neue Reiche ihre Bodyguards selten aus Sicherheitsgründen benötigen, sondern viel mehr als Statussymbol betrachten, müssen diese auch vorzeigbar sein, müssen sich auskennen in den Ritualen und Gepflogenheiten der mondänen Oberschicht. Trinken, so sieht das Chen Yongqing, der Gründer der Akademie, ist dabei sehr wichtig. Gerade Wein, denn reiche Chinesen spielen gerne Europa.

19 junge Leute, 16 Männer und drei Frauen leben für 3 Wochen in der Trainingshalle am Rande des Pekinger Bankenviertels. Ein Flachbau neben den Hochspannungsmasten, unter denen das Land so billig ist, das arme Großfamilien gegenüber den Glastürmen der Deutschen Bank in kleinen, einstöckigen Steinhäusern wohnen.

Nobler Eingangsbereich, Parkett, Rezeption, ein Café mit kleinen, goldenen Kaffeemaschinen, die aussehen wie aus dem Chemielabor auf jedem Tisch. Ein Motorrad mit SS-Runen, hängt neben einem riesigen Kühlschrank voll europäischem Importbier an der Wand. Dahinter der Trainingsraum, grüne und rote Gummiplatten auf dem Boden, Sandsäcke flankieren die Längsseiten, ein Boxring am Ende. Neben den Schlafräumen an den Seiten, der Seminarraum, in dem nun geübt wird, zu trinken wie die Reichen und Schönen das in China tun: Ein bisschen wie in Europa, und ein bisschen maßloser: Denn Trinken ist hier auch Kräftemessen.

Trinken ist auch Kräftemessen.Nach dem vierten Glas wanken die Frauen zurück zu ihren Plätzen. „Eigentlich trinke ich ja nicht“, sagt eine von ihnen, während sie sich wieder zu ihren 16 männlichen Ausbildungskollegen setzt. Chen, der vorne die Reste verschiedener Flaschen für die nächste Gruppe zusammengießt, schaut irritiert auf. Er stellt den billigen Shiraz neben den billigen Bordeaux und den Chardonnay der Marke „Great Castle“ und läuft durch den Raum, schlägt einen jungen Mann, der nicht gerade sitzt, mit der flachen Hand und vollem Schwung auf den Hinterkopf, und sagt der jungen Frau dann: „Dass du nicht trinken kannst, ist schlimm genug. Aber du darfst deine Schwäche nie zeigen und schon gar nicht zugeben. Soll euer Boss etwa wissen, dass er von einem Schwächling beschützt wird, der nicht trinken kann?“ Chen, die blondierten Haare nach oben gebürstet, in grün-schwarzen Neoprenhemd schaut kopfschüttelnd in die Runde.

Die Bosse von denen er redet, das ist die Nouveau Riche Chinas. Die Reichen, die Städte wie Shanghai und gerade Peking wachsen und strahlen lassen. Eine Stadt, in ihren guten Gegenden, aus Glas und Prunk. Luxusshoppingmalls neben Wolkenkratzern und sich ewig den fernen Bergen entgegenstreckenden Wohnvierteln. Chen, die blondierten Haare nach oben gebürstetLaut dem Hurun Research Institute gibt es 1,09 Millionen Dollar-Millionäre in China, 192.000 alleine in Peking. Ziel von Millionen Wanderarbeitern die auf dem Land ihre Familien ernähren müssen, aber auch Sehnsuchtsort für viele junge Chinesen. Der Ort an dem Zhon Thing ihren Traum verwirklichen will.

Deswegen hat sie vor zwei Jahren im Alter von 20 Jahren Qiujiapo verlassen, ein kleines Dorf in den Bergen 700 km südwestlich der Hauptstadt: für Stärke und Selbstständigkeit. All das sieht sie in der Ausbildung zum Bodyguard. Zhon Ting steht symbolisch für Millionen junger Chinesinnen, die es vom Land in die Städte zieht, die nicht in den Dörfern heiraten wollen, die sich ein neues Leben, ein aufregendes, fern ab der alten Traditionen wünschen.

„Ich war 20, als ich ging. Das ist das Alter, in dem die Eltern anfangen einen Ehemann zu suchen. Das wollte ich nicht.“ Nachdem ihr Vater über einen Vermittler auf dem Markt des Nachbardorfes den dritten Anwärter in das kleine Steinhaus der Familie am Rande des Dorfes neben der großen Eiche schleppte, da reichte es der jungen Frau. Sie packte ihre Sachen, ging nach Peking. Verließ das kleine Dorf mit seinen Stein- und Holzhäusern, die sich an die Hänge über dem Tal schmiegen, in dem der Vater Baumwolle anpflanzt.

Sie rief einen befreundeten Wanderarbeiter aus dem Nachbardorf an, der in Peking lebte und mietete sich in eine kleine Wohnung ein, die sie sich mit vier anderen Frauen aus der gleichen Provinz teilte. Sie fand einen Job in einem Laden, der Touristen alte chinesische Münzen verkauft und sparte, bis sie das Geld für das Training zusammen hatte, von dem sie in einer Fernsehsendung gehört hatte. Umgerechnet knapp 1300 Euro.

Seit fünf Tagen ist sie jetzt hier. „Das härteste waren die ersten 24 Stunden an der Akademie“, erzählt sie während der Mittagpause. Der erste Tag, das ist das sogenannte Teufelstraining. 24 Stunden kein Essen, kein Schlaf, stundenlanges Robben durch Schlamm, hunderte Liegestütze, drei Sunden rennen, Hanteltraining, wieder eine Stunde rennen, eine Stunde stillliegen im Schlamm, Liegestütze, bis zur totalen Ermüdung. Schläge und Tritte vom Trainer, für die, die nicht mehr können. „Da wollen sie testen, wie man sich emotional im Griff hat. Die wollten, dass wir sie hassen und schauen, wie wir reagieren.“ Sie selbst habe gut durchgehalten. „Obwohl die Trainer keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen machen. Einige Jungs sind in Ohnmacht gefallen. Mehrmals sogar“, sagt sie mit einem stolzen Lächeln, das vom neuen Selbstverständnis der Chinesinnen spricht. Schon länger gibt es mehr Frauen an den Universitäten, machen Frauen noch verbissener Karriere als Männer. War bis zur Öffnung des Landes vor 30 Jahren klar, dass eine Frau Anfang 20 heiratet, dem Mann Kinder gebiert, so wollen junge Chinesinnen heute, was die Männer auch wollen: stark sein, aufsteigen, sich selbst verwirklichen.

Der Markt für weibliche Bodyguards in China ist ein Zeichen dafür. Er ist neu und wächst schnell. Private Sicherheitskräfte sind erst seit 2010 legal. Frauen sind besonders gefragt, weil viele reiche Unternehmer die Bodyguards nicht für sich haben wollen, sondern für ihre Familien. „Da sind ihnen Frauen lieber“, erklärt Chen. Sie sind unauffälliger, bieten keinen Grund zur Eifersucht, sie können gleichzeitig noch Sekretärin, Kindermädchen und Küchenhilfe sein. Außerdem steigt die Zahl weiblicher Millionäre stärker als die männlicher, ein Drittel aller Millionäre in China sind mittlerweile Frauen. „Und Frauen haben lieber Frauen als Bodyguards um sich. Sie geben ihnen ein größeres Gefühl von Privatsphäre“, sagt Chen. „Es ist eine große Chance, in eine Welt zu kommen, in die ich sonst nie kommen würde“, erklärt Zhon Ting, während sie die letzten Nudeln aus einer Aluminiumschüssel schlürft. „Man kommt viel herum, lebt zwischen den Reichen und Schönen.“

Für sie ist die Akademie eine Chance aufzusteigen, rauszukommen, in Kreise zu kommen von denen ihre Altersgenossinnen nur Träumen können. Für Chen Yongqing, den ehemaligen Soldaten, war sie die Chance selber reich zu werden. „Wenn sich erst mal die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass man als anständiger Reicher einen Bodyguard braucht, dann wollen alle welche.“ Und so wie er seine Landsleute kennt, wird auch die Anzahl der Bodyguards den Reichtum widerspiegeln sollen. In den nächsten Jahren plant er mit seiner Firma den Börsengang, schon diesen Oktober fährt er nach Indien, auf der Suche nach Partnern für lokale Trainingscamps. Innerhalb der nächsten fünf Jahre will er die Umsatzmarke von 100 Millionen Yuan jährlich durchbrechen, das sind knapp 13 Millionen Euro. 63.000 Euro berechnet er seinen Kunden jährlich für einen Personenschützer. Ungefähr 250 arbeiten heute Vollzeit für ihn. 70 davon sind Frauen.

Die meisten Teilnehmer erhoffen sich nachdem Kurs einen Job bei ihm, aber seine Akademie ist nicht nur Ausbildungsstätte für seine Agentur, sondern vor allem eine Geldmaschine. Ein Spiel mit den Aufstiegsträumen junger Chinesen vom Land. Junger Soldaten und junger Bauernkinder. Er selbst sieht in diesem Kurs niemanden, der das Potential hat für ihn zu arbeiten. „Drei oder vier können noch mal den gleichen Kurs machen, dann könnte aus ihnen vielleicht ein Bodyguard werden.“ Auch Zhon Ting wird seiner Meinung nach noch mindestens einmal das Grundtraining absolvieren müssen. Sagen tut er ihr das noch nicht.

Nach dem Weintesten gibt es noch sechs Stunden Training, Israel Martial Arts nennen sie es. Nahkampf, Mann gegen Mann, Frau gegen Frau, es wird geschlagen und getreten bis einer nicht mehr kann. Am Abend veranstaltete der Chef ein kleines Dinner für die Kursteilnehmer. Es gibt wieder viel Wein und Bier, trinken müssen wieder alle. Als sie um 23:00 im Bett liegen, schallen Trillerpfeifen durch die Halle, die Trainer jagen sie aus den Wer schlapp machte, bekommt wie immer Prügel.Schlafsälen: Überraschungstraining. „Ihr müsst auch betrunken arbeiten können“, sagt Chen den überraschten Schülern, und dann müssen sie bis morgens um drei kämpfen, Liegestütze machen und Gewichte stemmen. Wer schlapp machte, bekommt wie immer Prügel.

Seine Meinung über die Qualität des aktuellen Kurses kleidet Chen nicht in Worte. Es geht auch anders. Er zeigt sie beim Fahrtraining am nächsten Tag auf einem Teerplatz vor den Toren Pekings, an einer der vielen achtspurigen Ausfallstraßen. Der Motor des weißen BMW 318i heult auf, beschleunigt auf 70, dann Vollbremsung. Das Aufwärmtraining. Dann Slalom, mit quietschenden reifen driftet der Wagen an Verkehrshütchen vorbei. Wer eines der Hütchen umfährt, bekommt es danach auf den Kopf gesetzt und muss neben der Gruppe in der prallen Sonne warten, bis der nächste einen Fehler macht. Chen liegt die meiste Zeit im Kofferraum seines Landcruisers und döst.

Nur einmal schreckt er auf, panisch lösen sich die zwei Reihen auf, in denen die Bodyguards auf ihre Fahrten warten, Flammen schießen aus der Motorhaube des Wagens, Feuerlöscher werden geholt. Chen ist außer sich. Einer seiner Trainer hat den Kühler zum Schutz vor den Hütchen mit schwarzen Gummimatten zu geklebt. Darunter hat es nun die Scheinwerfer versengt. „Weiß du was das kostet?“ Schreit er. „Das ist ein BMW.“ Er schlägt ihn mit der flachen Hand auf den Kopf und man hört den Schlag noch 50 Meter entfernt. Zehn Minuten später liegt er wieder im Kofferraum.

Sein Umgang mit den Auszubildenden scheint eine Mischung aus persönlichem Sadismus, viel mehr aber Vorbereitung auf den absoluten Gehorsam und die Unterwürfigkeit, die Chinas Reiche von ihren Angestellten einfordern. Einer Klasse, die nicht den Eindruck erweckt, dass sie nach dem Wegfall der sozialistischen Moral, überhaupt noch besonders viele moralische Grenzen kennt. „Wer Geld hat bestimmt“, fast Chen es in knappen Worten zusammen. Sein Umgang mit den eigenen Angestellten ist Beleg dafür.

Irgendwann holt er ein kleines Rallyeauto samt Fernbedienung hervor, wartet, bis ein paar Bedienstete das kleine Vehikel gestartet haben, mit dessen Vergaser etwas nicht zu stimmen scheint, um dann grinsend die Wege des BMW mit dem kleinen, driftenden und röhrenden Auto zu kreuzen. Ernst sieht anders aus. Die Männer in Schwarz, einer noch immer mit dem Verkehrshütchen auf dem Kopf, verziehen keine Miene. Er lacht und spielt die nächsten dreißig Minuten, bis das Training beendet ist, mit seinem Spielzeug. „Die können doch eh nicht fahren“, sagt er grinsend.

Die drei Mädchen sitzen neben ihm. Sie haben keinen Führerschein, sie dürfen nicht fahren. Zhon Ting schaut neidisch auf den weißen BMW. „Wenn ich es schaffe die Ausbildung hier gut abzuschließen und dann als Bodyguard arbeiten kann, will ich schnell meinen Führerschein machen. Das sieht nach ziemlich viel Spaß aus“, sagt sie und lächelt. Aber nicht alle Frauen, die hierher kommen, wollen tatsächlich Bodyguards werden, auch nicht Zhon Tings zwei Kolleginnen. Sie werden danach wieder Musik studieren und im Kindergarten arbeiten. Für sie ist das Training vor allem eins: eine Herausforderung die sie meistern wollen. Selbstbestätigung und die Möglichkeit sich selbst verteidigen zu können. „Man härtet sich ab, lernt durchzuhalten. Das kann man immer brauchen“, sagt eine der beiden.

Es ist für viele auch einfach eine Art Empowerment-Seminar. Nötig, da die Emanzipation zwar bei den chinesischen Frauen angekommen ist, noch lange aber nicht bei den Männern. Selbst in den modernen Finanzzentren Peking und Shanghai gilt bei Männern: Frauen müssen kleiner sein. Körperlich sowie von der sozialen Stellung her. Sich da zu behaupten ist schwer für die vielen jungen, aufstrebenden Chinesinnen, die deswegen immer mehr Probleme mit dem anderen Geschlecht haben.

Am frühen Abend geht es weiter zum Unterwassertraining. Eine heruntergekommene Schwimmhalle in einem ansonsten scheinbar wenig frequentierten alten Luxusresort. An der Decke löst sich die Plane, die einen Himmel abbildet, das Wasser riecht muffig und schimmert leicht grünlich.

Auch hier kann Zhon Ting nicht mitmachen: Sie kann nicht schwimmen. Ihre beiden Kolleginnen ebenfalls nicht. Sie setzt sich auf eine alte Liege. Sie ist müde. Ein paar Stunden später liegt sie mit ihren drei Leidensgenossinnen in ihren Kiefernholzdoppelstockbetten neben dem kleinen Schreibtisch, auf dem ein bisschen Kosmetik, ein Bügeleisen und drei Notizbücher liegen. Normalerweise würde sie jetzt ihren Freund anrufen, so wie sie es sonst immer abends tut, aber die Handys müssen bei Kursbeginn abgegeben werden. Damit niemand zu Hause anrufen kann und jammert. Chen glaubt, dass die Leute dadurch länger durchhalten. Zhon Ting findet, dass auch das sie nur noch stärker machen kann. „Auch in Beziehungen muss man doch Unabhängig sein.“

(Alle Fotos: Verfasser)

 

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