Skip to main content

Die Feldjäger zählen zu den Gewinnern der Transformation. Neue, attraktive Aufgaben – wie der Personenschutz – und eine moderne Ausrüstung ziehen Nachwuchs an.

Bundeswehr im steten Wandel

Von Dr. Reinhard Scholzen

Zu allen Zeiten mussten Armeen auf Veränderungen reagieren. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts reduzierte die Bundeswehr die Zahl ihrer Soldaten drastisch und schaffte einen Großteil ihrer schweren Waffen ab. Die Truppe wurde seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts schwerpunktmäßig für Einsätze in asymmetrischen Konflikten ausgebildet. Demgegenüber nahm die Landesverteidigung in den Köpfen der Planer im Bendlerblock einen immer geringeren Stellenwert ein. Russlands Streben nach mehr Macht scheint jetzt eine weitere Wende einzuläuten. Befindet sich die Bundeswehr auf dem Weg zurück in die Zeiten des Kalten Krieges?

 

Im letzten Jahr geriet die Bundesministerin der Verteidigung in die Kritik. Politiker der Opposition und zahlreiche Medienvertreter stellten fest, die Bundeswehr könne ihre Aufgaben nicht bestmöglich erfüllen. Auch einige Ursula von der Leyen, Bundesministerin der VerteidigungKollegen aus der Regierungskoalition warfen der Tochter des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht vor, Flugzeuge und Hubschrauber seien nur zu einem geringen Teil einsatzbereit. Gleiches gelte für Fahrzeuge des Heeres und Boote der Marine.

Die Ministerin hatte, nachdem sie nach der letzten Bundestagswahl den Bendlerblock und die Hardthöhe übernommen hatte, vieles bewegt und dabei häufig recht schneidig agiert. So entließ sie in ihrem Ministerium zwei Staatssekretäre und degradierte einen Abteilungsleiter, weil diese die multiplen Risiken von Rüstungsprojekten heruntergespielt hätten. Obwohl einige konservative Soldaten murrten, berief sie eine Frau zur Staatssekretärin, der Kritiker vorwarfen, sie verstünde von Unternehmensberatung viel, vom Militärischen jedoch nur wenig. Besonders rüde ging die fast immer lächelnde Ministerin mit dem „Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr“ um. Dieser in Koblenz ansässigen Behörde, die bis zum Jahr 2013 „Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung“ hieß, stellte sie bei einem Besuch im März 2014 ein vernichtendes Zeugnis aus, indem sie öffentlich verkündete: „Wir brauchen Hilfe von außen“. Diese Hilfe versprach sich Frau von der Leyen von einer Unternehmensberatungsfirma. Nachdem die Prüfung der Rüstungsprojekte abgeschlossen war, stellte die Ministerin am 8. Oktober 2014 im Deutschen Bundestag fest, die Probleme würden nun „geballt auf dem Tisch liegen, transparent und ungeschminkt, aber das war auch der Sinn des Gutachtens.“

Einige intime Kenner der Bundeswehr stellten fest, es sei altbekannt, dass die Beschaffung neuen Geräts in der Bundeswehr sehr viel Zeit in Anspruch nehme und daher alte Hubschrauber, Flugzeuge und Panzer noch für lange Zeit verwendet werden müssten. Sie sahen weitaus größere Probleme in einem Bereich, der für die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr von entscheidender Bedeutung ist.

Wandel als Konstante

Zu allen Zeiten charakterisierte der kontinuierliche Wandel das Militärische. Im Jahr 1959 stand in der Der Infanterist der Zukunft wird möglicherweise auf weniger statt mehr Technik setzen.Führungsvorschrift des Heeres unmissverständlich: „Das Bild des Krieges ist ständigem Wandel unterworfen. Neue Kriegsmittel geben ihm immer wieder veränderte Formen, doch bleiben Wesen und Gesetz des Krieges stets die gleichen.“ Nur für sehr kurze Zeit schien es so, als habe der Bau der Atombombe diese Gesetzmäßigkeit verändert, da manche Militärstrategen dachten, mit dieser Waffe könnten Kriege mit einem Schlag beendet werden, bei sehr geringen eigenen Verlusten. Nachdem seit Herbst 1949 die USA nicht mehr das Atombombenmonopol besaßen, zeigten sich rasch die Grenzen dieser Option. Im Korea Krieg, der im Jahr darauf ausbrach, durchdachten die Amerikaner zwar den taktischen Einsatz der Atombombe gegen größere Truppenkontingente, jedoch waren sich die Planer im Pentagon bereits sicher, dass dies nicht kriegsentscheidend sein würde.

Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen in diesem Krieg setzten die Staaten der NATO bereits vor der Mitte der 1950er Jahre wieder auf eine starke, auch konventionell bewaffnete Luftwaffe, gepanzerte Fahrzeuge und eine leistungsfähige Artillerie. Vor 50 Jahren ergab sich in der Bundeswehr ein vielfarbiges Bild: Heer, Luftwaffe und Marine standen gleichberechtigt nebeneinander, da sie allesamt als unverzichtbar in einer modernen Kriegsführung erachtet wurden.

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts glaubten manche Beobachter, der Krieg sei endgültig überwunden. Auch diese Annahme erwies sich als falsch. Mit einem zeitlichen Abstand von mehr als zwei Jahrzehnten scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Das Ende des sogenannten Gleichgewichts des Schreckens führte dazu, dass Kriege auch im Einflussgebiet der ehemaligen Supermächte wieder führbar wurden. Der Bürgerkrieg in Jugoslawien zeigte in den 1990er Jahren zudem, dass überwunden geglaubte nationalistische Bestrebungen immer noch wirkmächtig waren. Auch in Afrika brachen Fehden verfeindeter Volksstämme aus und nahmen zum Beispiel in Somalia und Ruanda ungeahnte Dimensionen an. Neue Bedrohungen traten auf, allen voran der internationale islamistische Terrorismus.

Mehr als nur Landesverteidigung

Am ersten Golfkrieg beteiligte sich Deutschland im Jahr 1991 nur finanziell. Umgerechnet rund 8,5 Milliarden Euro Zu allen Zeiten war die mentale Stärke der Soldaten ein wichtiges Kriterium, das über Sieg oder Niederlage entschied.überwies die Bundesregierung an die kriegführenden Nationen. Danach ging man in den Planungsabteilungen der Hardthöhe davon aus, angesichts der neuen Bedeutung Deutschlands in der internationalen Politik würde sich das Aufgabenspektrum der Truppe wandeln, mit weitreichenden Konsequenzen. So stellte der damalige Inspekteur des Heeres, General Hartmut Bagger, bereits im Jahr 1993 in öffentlichen Vorträgen fest, man habe sich darauf einzustellen, dass mit der gestiegenen Verantwortung Deutschlands auch die Pflicht zum Eingreifen der Bundeswehr in Krisengebieten einhergehe. Bagger sah voraus, damit würden auch Opfer unter den deutschen Soldaten verbunden sein. Ein Jahr später ging der damalige Generalinspekteur Klaus Naumann noch einen deutlichen Schritt weiter, indem er unter dem Titel „Die Bundeswehr in einer Welt im Umbruch“ vieles von dem bei Seite wischte, was in den Jahrzehnten zuvor die Truppe ausgemacht hatte. Der ranghöchste deutsche Soldat stellte heraus, die Bundeswehr sei immer als Armee im Bündnis konzipiert gewesen, deren Horizont stets an den Grenzen des eigenen Staatsgebietes endete. Dennoch sei sie zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen, das eigene Land selbst zu verteidigen. Recht einseitig sei sie auf die Abwehr eines gepanzerten Angriffs aus dem Osten ausgerichtet worden. Dies spiegele sich in der Ausbildung, Dislozierung und Gliederung der Bundeswehr wider. Gegenwärtig sei alles anders und die Bundeswehr stehe vor der  Aufgabe, sich „auf eine Bandbreite von Risiken auszurichten.“ In dem im gleichen Jahr erschienenen Weißbuch der Bundeswehr hieß es klar und deutlich formuliert, es gelte: „Risiken schon am Ort ihres Entstehens und vor ihrer Eskalation zu einem akuten Konflikt mit Angehende Feldwebel in der Ausbildung in Hammelburg. Die Unteroffiziere mit Portepee tragen im Kampf die Hauptlast.einer vorbeugenden Politik aufzufangen. Sicherheitsvorsorge muss als erweiterte Schutzfunktion verstanden werden. Die Fähigkeit zur Verteidigung bleibt auch in diesem sicherheitspolitischen Konzept das Fundament der Sicherheit Deutschlands und der Nordatlantischen Allianz. Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im erweiterten geographischen Umfeld unter einem völkerrechtlich legitimierenden Mandat müssen aber im Vordergrund der Sicherheitsvorsorge stehen.“

Diese zum Teil neuen Aufgaben der Bundeswehr gingen deutlich über deren rechtliche Grundlagen hinaus. Dies änderte sich im Juli 1994, als das Bundesverfassungsgericht erklärte, Kriseneinsätze der Bundeswehr seien im Rahmen von friedenserhaltenden Maßnahmen außerhalb der deutschen Grenzen und sogar außerhalb der Grenzen der NATO zulässig.

Mit der zunehmenden Zahl der Einsätze der Bundeswehr im Ausland verwischten die klaren definitorischen Trennungen: Humanitäre Aufgaben, friedenserhaltende und friedenschaffende Maßnahmen gingen ineinander über. Sanitäter der Bundeswehr betrieben in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh ein Feldhospital; in Somalia unterstützte die Luftwaffe die UN-Truppen; ebenfalls aus der Luft brachten die Deutschen Hilfsgüter nach Bosnien; in der Adria und über dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien überwachten deutsche Piloten den Luftraum. Ende 1995 entsandte der Deutsche Bundestag 3600 Soldaten der Bundeswehr zur Unterstützung des NATO-Einsatzverbandes nach Kroatien.

52 Jahre nach Kriegsende schossen deutsche Soldaten in einem Einsatz: Im März 1997 evakuierten sie durch die „Operation Libelle“ vom Flughafen der albanischen Hauptstadt Tirana 120 Europäer, unter denen sich 20 Deutsche befanden, nach Montenegro. Während des Feuergefechts auf dem Flughafen Labrak im Nordwesten Tiranas gaben die deutschen Soldaten – wie später exakt erfasst wurde – 188 Schüsse ab. Im Frühjahr 1999 beteiligte sich die deutsche Luftwaffe im Rahmen des NATO-Unternehmens „Allied Force“ an den Bombardements im Kosovokrieg. 14 deutsche Tornados stiegen auf, weil die aus Sozialdemokraten und Grünen gebildete Bundesregierung dies für den einzigen Weg hielt, um in dieser Region Frieden zu schaffen. Vor dem Hintergrund der veränderten Aufträge der Bundeswehr stellte Verteidigungsminister Rudolf Scharping im Jahr 1999 heraus: „Landes- und Bündnisverteidigung bleibt gleichwohl wesentliche Aufgabe der Streitkräfte. Ihre Ausgestaltung unterliegt jedoch weiterem Anpassungsbedarf.“

Im Herbst 2001 – nach den Terroranschlägen auf New York und Washington – entsandte der Bundestag Die Ausbildung der Scharfschützen führte in der Bundeswehr lange Zeit ein Schattendasein. Afghanistan lehrte, wie wichtig deren Einsatz ist. Sie können „Kollateralschäden“ vermeiden und den „chirurgischen Schnitt“ führen.deutsche Soldaten nach Afghanistan. Dort sollten sie mithelfen, das internationale Netzwerk des Terrors zu zerschlagen. Bundeskanzler Gerhard Schröder skizzierte im November 2001 in einem Focus-Interview die veränderte Bedeutung Deutschlands und der Bundeswehr: „Die Veränderung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik begann schon mit unserer Regierungsübernahme, mit der Beteiligung am Kosovo-Krieg. Deutschland konnte sich früher vor der militärischen Lösung von Konflikten drücken, weil es ein geteiltes Land war. Das Argument der Teilung haben wir glücklicherweise nicht mehr. Mit dieser Entscheidung betreten wir wirklich Neuland, weil es erstmals darum geht, Bündnisverpflichtungen außerhalb Europas und des Nato-Gebiets wahrzunehmen. Früher hieß es, Deutschland sei wirtschaftlich ein Riese, politisch ein Zwerg. Unsere Partner akzeptieren nicht mehr, dass wir nur Schecks herüberreichen.“

Verteidigung am Hindukusch

Kein Zweifel, die Aufgaben der Bundeswehr wandelten sich innerhalb weniger Jahre grundlegend. Von der deutschen Öffentlichkeit wurden diese Veränderungen jedoch kaum zur Kenntnis genommen, obwohl die Politiker bald kein Blatt mehr vor den Mund nahmen. So stellte Verteidigungsminister Peter Struck in einer Pressekonferenz am 5. Dezember 2002 fest, Deutschlands Freiheit werde auch am Hindukusch verteidigt. Ohne Zweifel forcierte der Minister damit eine seit längerer Zeit schwelende öffentliche Diskussion über die neuen Aufgaben der Bundeswehr. Daraus entwickelte sich eine Debatte, die bald auch zur Frage führte, welchen Platz die Bundeswehr in der deutschen Gesellschaft einnimmt, das Für und Wider der Wehrpflicht waren ebenso Themen wie das Konzept der Inneren Führung. Zu Recht fasste der Politikwissenschaftler Wilfried von Bredow zusammen: „Wie in allen westlichen Gesellschaften hat sich auch in Deutschland die Erfahrungs- und Verständnislücke zwischen ziviler Gesellschaft und Streitkräften verbreitert.“

Im August 2004 ging Struck noch einen deutlichen Schritt weiter. Bei der Vorstellung der „Grundzüge der Konzeption der Bundeswehr“ mahnte der Verteidigungsminister: „Die Bundeswehr benötigt nach Einsatzbereitschaft und Fähigkeiten konsequent differenzierte Streitkräfte. Sie müssen schnell, wirksam, durchsetzungsfähig und durchhaltefähig gemeinsam mit Streitkräften anderer Nationen eingesetzt werden können. Dazu ist ein Fähigkeitsprofil erforderlich, das sechs miteinander verzahnte Fähigkeitskategorien umfasst: Führungsfähigkeit, Nachrichtengewinnung und Aufklärung, Mobilität, Wirksamkeit im Einsatz, Unterstützung und Durchhaltefähigkeit, Überlebensfähigkeit und Schutz.“

An anderen Stellen ließ das neue Konzept diese Deutlichkeit vermissen, oder zeichnete aus der Perspektive der Gegenwart ein geradezu naiv anmutendes Bild. So hieß es dort: „Eine Gefährdung deutschen Territoriums durch konventionelle Streitkräfte gibt es heute (im Sommer 2004, d. Verf.) und auf absehbare Zeit nicht. Auch für die Verbündeten erkennt die NATO derzeit und für die nächsten zehn Jahre keine existenzbedrohende Gefährdung durch traditionelle Kräfte, der sie nicht gerecht werden könnte.“ Einige Seiten später war aus Gewissheit bereits Zweifel geworden: „Für den zwar unwahrscheinlichen, aber grundsätzlich nicht auszuschließenden Fall einer herkömmlichen Landesverteidigung gegen einen Angriff mit konventionellen Kräften wird die Rekonstitution konzeptionell vorbereitet. Die grundsätzliche Befähigung hierzu wird durch die allgemeine Wehrpflicht erreicht.“ Bekanntermaßen wurde die Wehrpflicht unter der Ägide des Verteidigungsministers zu Guttenberg im Jahr 2011 abgeschafft.

Die Bundeswehr reformierte ihre Schießausbildung von Grund auf. Seither wird mehr und auf kürzere Entfernungen geschossen.Die ersten Erfahrungen im Krieg in Afghanistan führten bei manchen Theoretikern und auch Praktikern zu einer Neubewertung der Lage. Manche waren sicher, der Krieg sei zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder dort angekommen, wo er einst begann: Beim Kampf Mann gegen Mann. Sie verwiesen in diesem Zusammenhang auf den clausewitzschen Grundsatz, den Kampf im Gebirge und in unübersichtlichem Gelände charakterisiere, dass dort „jeder Soldat seine eigene Schlacht liefere.“

In den Augen des Bundespräsidenten war die Bundeswehr für die „neue“ Form der Kriegsführung bestens geeignet. Horst Köhler beschrieb dies in einer Rede, die er im September 2007 vor der Führungsakademie der Bundeswehr hielt: „Die Bundeswehr ist darauf gut vorbereitet: durch ihre Tradition der Auftragstaktik; durch Soldatinnen und Soldaten, die als Bürger in Uniform das Mitdenken nicht lernen mussten, sondern niemals aberzogen bekamen und darum auch ein besonders gutes Verständnis für die politischen und kulturellen Zusammenhänge am Einsatzort entwickeln.“

Im Bundesministerium der Verteidigung nahm man mit Freude diese Mut machende Rede des Staatsoberhaupts zur Kenntnis, wusste aber um die Herkulesaufgabe, eine nach wie vor auf Landesverteidigung, Abschreckung und Rüstungskontrolle ausgerichtete Armee in eine Truppe umzuformen, die in asymmetrischen Bedrohungen bestehen konnte. Dies erforderte eine Anpassung der Strukturen und insbesondere anders ausgebildete und ausgerüstete Soldaten.

Transformation

Für den zu bewältigenden Wandel wählte man auf der Hardthöhe den Begriff Transformation. Diese Bezeichnung stammt aus dem Lateinischen und bedeutet ins Deutsche übersetzt: Umformung oder Umwandlung. In dem im Viele Beobachter glauben, dass die Bedeutung von Spezialkräften – wie dem KSK – in asymmetrischen Konflikten noch deutlich wachsen wird.Jahr 2006 erschienenen aktuellen Weißbuch der Bundeswehr wird erklärt: „Transformation ist die vorausschauende Gestaltung eines fortlaufenden Prozesses der Anpassung an die sich permanent verändernden Rahmenbedingungen, mit dem Ziel, die Wirksamkeit der Bundeswehr im Einsatz zu erhöhen.“ Das klingt gut. Näher betrachtet, zeigen sich innere Widersprüche, wie die „vorausschauende Gestaltung“. Gerade die letzten beiden Jahrzehnte zeigen, wie schwer das Vorausschauen in der Politik fällt.

Auch an anderen Stellen bot das Weißbuch viel Wunschdenken, das häufig den Praxistest nicht bestand. So klang es gut, dass darin wuchtig gefordert wurde, die Wirksamkeit der Bundeswehr im Einsatz solle erhöht werden. Jedoch blieb unerwähnt, welcher Einsatz denn da gemeint war und bis zu welchem Punkt die Wirksamkeit der deutschen Truppe gesteigert werden sollte. Unbeantwortet blieben ebenso die Kernfragen, wie das hierfür erforderliche Personal angeworben und wie die mit dieser Effizienzsteigerung zwangsläufig verbundenen höheren Kosten gestemmt werden sollten. An einer anderen Stelle des Weißbuches hieß es, „den sich ständig verändernden Herausforderungen für die Sicherheit in einer globalisierten Welt“ könne „wirksam nur mit anpassungsfähigen und flexiblen Sicherheitsstrukturen begegnet werden.“ Es wurde konkretisiert: „Politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und nicht zuletzt technische Rahmenbedingungen ändern sich immer schneller.“ Diese Worthülsen waren manchen Beobachtern zu wenig. Allen voran merkte eine Arbeitsgruppe der Bertelsmann-Stiftung kritisch an, es fehle eine nationale Sicherheitsstrategie. Darin sollten klar die deutschen Interessen festgelegt und die operativen Handlungsschwerpunkte der Bundeswehr beschrieben werden.

Das Dekontaminationsmodul 4 verwendet die ABC-Abwehr-Truppe. Damit können mit heißem Dampf bis zu vier Fahrzeuge in einer Stunde gereinigt werden. Momentan werden diese Fähigkeiten kaum nachgefragt.Die Transformation machte vor keiner Truppengattung halt und umfasste alle Bereiche der Bundeswehr. Es war daher konsequent, im Jahr 2006 das Zentrum für Transformation zu schaffen, das sich mit den damit zusammenhängenden Fragen und Problemen befasste. In den Standorten Strausberg, Gelsdorf, Ottobrunn, Potsdam und Berlin arbeiteten fast 300 Mitarbeiter daran, die schnellen Entwicklungen im Bereich der Technik, der Wirtschaft und innerhalb der Gesellschaft mit der Fortentwicklung der Bundeswehr zu synchronisieren. Der erste Mann des Zentrums für Transformation, Brigadegeneral Erhard Drews, brachte die Anforderungen auf den Punkt: „Die Streitkräfte müssen sich kontinuierlich anpassen, weil sich die Welt ständig verändert und immer komplexer wird. Die Transformation der Bundeswehr trägt diesen technologischen, sicherheitspolitischen und gesellschaftlichen Veränderungen aktiv und vorausschauend Rechnung.“ Dieser Institution war nur eine kurze Lebenszeit gegönnt. Bereits im Jahr 2012 ersetzte man sie im Rahmen der Reform der Armee durch das Planungssamt der Bundeswehr in Berlin-Köpenick.

Die Neuetikettierung brachte in einigen Bereichen bisher nur kleine Fortschritte. So ist es auch nach vielen Jahren in Deutschland nur eine Forderung, die unterschiedlichen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse zu bündeln, um sie zu einem wichtigen Pfeiler für zukünftige Entscheidungen werden zu lassen. Es mag sein, dass Entwicklungen gehemmt werden, weil sich auch der Bundesnachrichtendienst in einem Prozess der Transformation befindet.

An kritischen Beobachtern der Transformation herrschte zu keiner Zeit ein Mangel. Es waren nicht nur Traditionalisten die betonten, der Wandlungsprozess fördere innerhalb der Bundeswehr eindeutig Verlierer, wozu Zukünftig sollen weniger Panzer verschrottet oder verkauft werden: Leopard 2 A 6 in Munster.zum Beispiel die Panzertruppe oder die Artillerie gehöre. Für letztere brachte es der damalige General der Artillerietruppe, Brigadegeneral Heribert Hupka, im Jahr 2011 auf den Punkt. Auf die Frage, ob die Artilleristen, die innerhalb weniger Jahre von vordem 42.000 Soldaten auf nur noch rund 4000 eingedampft wurden, die eigentlichen Verlierer der Transformation seien, antwortete er: „Die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen Deutschlands haben sich in den letzten gut 20 Jahren deutlich verändert. Die Bundeswehr wurde von einer Verteidigungsarmee in einem Bündnis nach und nach zu einer Armee umstrukturiert, die weltweit im internationalen Rahmen eingesetzt werden kann. Dabei erfordern die heutigen Krisen- und Konfliktszenare weniger die umfangreichen panzerstarken Kampfverbände unterstützt von ebenso starken Kampfunterstützungskräften, wie zum Beispiel der Artillerietruppe, sondern eine funktionsfähige Mischung aus geschützten Bodentruppen, und reaktionsschnellen, zur unmittelbaren Unterstützung fähigen, boden-, luft- und seegestützten Kräften.“

Manche Kritiker weisen auf permanente Überlastungen anderer Truppengattungen hin. Neben den Spezialkräften wird dabei fast immer der Sanitätsdienst der Bundeswehr genannt, aber nur selten zum Beispiel die raren Spezialisten der Elektronischen Kampfführung (EloKa) erwähnt. Andere Skeptiker prangern an, die Transformation werde gebremst, weil neue Technik zu lange brauche, um zur Truppe zu gelangen. Einige Großprojekte stützen diese Behauptung: Die endlosen Geschichten um die Hubschrauber „NH-90“ und „Tiger“ und das Transportflugzeug „A 400 M“ lassen Zweifel an der Professionalität der Entscheidungsfindungsprozesse innerhalb der Bundeswehr aufkeimen. Mit der Marinevariante des Hubschraubers MH-90 zeichnet sich ein neuer Höhepunkt der Pleiten und Pannen ab. Bereits im Jahr 2013 wurde gemunkelt, dieser Helikopter werde der teuerste seiner Art in der Bundeswehr werden. Dennoch wurde offenbar nicht an alles gedacht, denn nach einem Gutachten des Luftfahrtamtes der Bundeswehr darf der MH-90 nicht über Nord- und Ostsee eingesetzt werden, da er lediglich die Flugleistungsklasse 3 erreiche. Damit ginge auch einher, dass der Betrieb einer Rettungswinde, die im Rettungsdienst unverzichtbar ist, nur mit Einschränkungen zulässig wäre.

Woanders setzt sich die Erkenntnis durch, dass es auch ein Zuviel an Technik im Militärischen geben kann. In den USA stieß der permanente technologische Fortschritt nach den Erfahrungen im Irak und in Afghanistan an Grenzen, daher wurden Projekte wie das „Future Combat System“ auf Eis gelegt. Dabei handelt es sich um ein System von elektronisch miteinander vernetzten sowohl bemannten als auch unbemannten Panzer- und Luftfahrzeugen. Immer mehr Skeptiker warnen davor, den Krieg lediglich als ein technisch-taktisches Problem zu deuten und somit im Krieg so etwas wie ein großes Schachspiel zu sehen, in dem ja mittlerweile Computer dem Menschen überlegen sind. Sie heben hervor, dies widerspreche der Natur des Krieges; denn eine noch so ausgefeilte Technik könne letztlich nur schematische Verhaltensmuster entwickeln. Gerade asymmetrische Konflikte zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie frei von Regeln und Schemata sind.

In der deutschen Armee war die Technikeuphorie nie so weit verbreitet und sie nahm angesichts der Erfahrungen in Afghanistan noch ab. Die Praktiker setzen aus Erfahrung auf die einfachen Dinge, die immer funktionieren. Darüber hinaus zeigt sich, dass eine noch so gute Technik weder Ausbildungsmängel noch mentale Schwächen ausgleichen kann. Konzepte wie der Infanterist der Zukunft – der zeitweise zum Symbol der Transformation erhoben wurde – werden in der Bundeswehr nicht mehr mit hoher Priorität weiter verfolgt.

Man sucht hingegen Frauen und Männer die das Kämpfergen in sich tragen. Im Jahr 2012 gab die Bundeswehr mehr als 20 Millionen Euro für die Personalwerbung in Fernsehen, Internet und Zeitungen aus. Trotz „Wir – dienen Die Bedeutung der Fallschirmjäger soll steigen. Sie bieten hohe Kampfkraft und sind nahezu überall schnell einsatzbereit.– Deutschland“ blieben viele tausend Stellen in der Armee unbesetzt. Seit Herbst 2013 untersteht die Suche nach Soldaten dem stellvertretenden Generalinspekteur, Peter Schelzig. Er soll das Kunststück vollbringen, trotz des in der Bundeswehrreform geplanten weiteren Sinkens der Personalstärke auf nur noch 170.000 Soldaten, besonders befähigte und leistungswillige Männer und Frauen in die Kasernen zu bringen. Schelzig muss dabei auch gegen die schlechte Stimmung in den eigenen Reihen ankämpfen; denn jeder vierte aktive Soldat bewertet die Bundeswehrreform negativ, fand der konservativ ausgerichtete Bundeswehr-Verband (DBwV) heraus, der die Interessen der deutschen Soldaten vertritt. Eine Untersuchung der TU Chemnitz unter 1700 hochrangigen Militärs brachte ans Licht, dass fast jeder zweite von ihnen gravierende Mängel in der Umsetzung der Bundeswehrreform sieht.

Zweifel am Erfolg der Transformation, die ja die Soldaten auf die neuen Aufgaben mit ihren besonderen Belastungen vorbereiten soll, schüren auch die hohen Fallzahlen der posttraumatischen Belastungsstörungen. Im Jahr 2012 wurde nach Auslandseinsätzen bei 192 Soldaten eine solche Störung diagnostiziert. Die Dunkelziffer „dürfte deutlich höher liegen“, stellte die Ärzte Zeitung im Sommer 2013 fest.

Noch im Dezember 2014 hatte die Verteidigungsministerin während einer Tagung des Bundeswehr-Verbandes geäußert, sie könne nicht verstehen, dass es Beobachter gäbe, die Investitionen in Gerät den Vorzug vor dem im Herbst 2014 vorgestellten Attraktivitätsprogramm geben wollten. Damit sollte eine Wochenarbeitszeit von 41 Stunden für die Soldaten festgeschrieben und mehr Sold gezahlt werden. Einige Monate zuvor hatte von der Leyen angekündigt, bald sollte den Soldaten in jeder Stube ein Flachbettbildschirm zur Verfügung stehen und für weibliche Soldaten sollte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert werden. Die Ministerin fasste zusammen, „wenn es uns gelingt, Menschen und Material nicht als Gegensätze und Konkurrenten, sondern als zwei Seiten einer Medaille zu sehen, mache ich mir um unsere Zukunft keine Sorgen.“

Ende Februar 2015 läutete die Verteidigungsministerin eine Wende ein, als sie sich in einem Interview mit der „Redaktion der Bundeswehr“ für die Besinnung auf alte Stärken aussprach. Da Deutschlands Bündnisverpflichtungen innerhalb der NATO gestiegen seien, sollten die Fähigkeiten der Bundeswehr an die Der Transporthubschrauber CH - 53 soll noch bis zum Jahr 2030 auch die Spezialkräfte zum Einsatz bringen.tatsächlichen Aufgaben angepasst werden. Die Zukunft sei in vielen Bereichen multinational, zum Beispiel bei einem neu aufzustellenden Hubschrauberverband. Die Ministerin hob hervor, die Truppe merke, dass ihr Material durch Reduzierungen zu gering geworden sei. Man dürfe nicht in eine Mangelverwaltung steuern und müsse daher das dynamische Verfügbarkeitsmanagement – das mit einem modernen Wort den Mangel verdecken sollte – gar nicht erst einführen. Damit sollten sich, vereinfacht ausgedrückt, mehrere Einheiten der Bundeswehr Großgerät, wie etwa Panzer, teilen. Von der Leyen betonte, die Bundeswehr wolle sich schnell an veränderte Rahmenbedingungen anpassen. Die Armee benötige mehr Panzer, die direkt zur Verfügung stehen müssten. Sie kündigte an, weitere Leopard 2 würden nicht verschrottet oder an andere Länder abgeben, sondern für Grundbetrieb und Ausbildung behalten. Offensichtlich soll auch die Bedeutung der Fallschirmjäger, denen seit Urzeiten eine herausragende Kampfkraft unterstellt wird, nicht sinken. Deren Ausbildungsstätte soll Altenstadt bleiben, obwohl deren Umzug nach Oldenburg geplant war, und die Standorte Saarlouis und Lebach sollen sogar vergrößert werden.

Diese Modifizierungen müssen auch als Reaktion auf das Vorgehen Russlands in der Ukraine gesehen werden. Die NATO hatte bereits im September 2014 bei ihrem Gipfeltreffen in Wales den Aufbau einer neuen Eingreiftruppe beschlossen, an der sich auch die Bundeswehr beteiligen wird. Insgesamt sollen darin 7000 Soldaten dienen. Aus Deutschland sollen 2700 Soldaten kommen, die Niederlande beteiligen sich mit 2500 und Norwegen mit 1000 Soldaten. Als Ziel wurde definiert, dass innerhalb von nur zwei Tagen die ersten Einheiten dieser Truppe verlegt werden können, das Gros der Truppe soll innerhalb von fünf Tagen einsatzbereit sein. In einem ersten Zwischenergebnis zeigte sich der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Bruno Kasdorf, im März diesen Jahres zufrieden. In der „Zeit“ wird er zitiert: „Wir wollen zusehen, dass unsere Truppe ab Anfang April innerhalb von fünf bis sieben Tagen marschieren kann“.

(Alle Fotos: Verfasser)

 

nach oben