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ISIS. Der globale Dschihad.

Bruno Schirra: ISIS. Der globale Dschihad. Wie der „Islamische Staat“ den Terror nach Europa trägt.
336 Seiten. Econ Verlag, Berlin, 3. Aufl. 2015. ISBN 3-430-20193-3. Ladenverkaufspreis 18 €.

 

Islamischer Staat.

Behnam T. Said: Islamischer Staat. IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden. 238 Seiten. Verlag C. H. Beck, München, 4. erweiterte Aufl. 2015. ISBN 3-406-67210-1. Ladenverkaufspreis 14,95 €.

 

Vordergründig betrachtet, sind dies zwei Bücher zum gleichen Thema, jedoch gehen die beiden Autoren aus einer unterschiedlichen Perspektive und auch mit einer unterschiedlichen Methodik an ihr Thema heran.

Bruno Schirra ist Journalist und beschäftigt sich seit den 1980er Jahren mit den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen in zahlreichen arabischen Ländern. Aufgrund seiner profunden persönlichen Erfahrungen sieht er als Ursache für die Radikalisierung der arabischen Welt nicht etwa die Sünden des Westens wider die arabische Welt. Diese waren lediglich ein Katalysator. Die Ursache liegt vielmehr darin, dass viele Araber die Lust am Leben verloren hätten, an dessen Stelle sei die Kultur des Todes getreten. Des ungeachtet kritisiert Schirra die Sicht des Westens auf die Revolutionen in mehreren arabischen Staaten Anfang des Jahres 2011, die naiv bejubelt und als „arabischer Frühling“ tituliert wurden. Diese Umwälzungen öffnete IS die Tür, der erstmals im Jahr 2011 in Syrien in Erscheinung trat. Als dahinter stehende Geldgeber identifiziert der Autor die Golfstaaten, die unterschiedliche dschihadistische Gruppen in ihrem Kampf gegen den syrischen Diktator Assad unterstützen. Dahinter stehe die saudi-arabische Strategie, die Achse Teheran-Bagdad-Damaskus zu brechen. Dieses Vorhaben werde durch die in weiten Teilen der arabischen Welt vertretene Auffassung verstärkt, dass die USA an Führungsstärke verloren hätten. Erst dies machte es möglich, dass Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten, Tunesien und Marokko ihre Nuklearprogramme ausweiteten. Eine besondere Rolle in dem komplexen Beziehungsgeflecht nimmt die Türkei ein. Schirra sieht die Unterstützung Ankaras für IS als erwiesen an, da ihm der Kampf gegen die Kurden der PKK wichtiger sei, als die Eindämmung der IS. Trotz alledem führe die EU unverdrossen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Schirra zeichnet in sehr drastischen Bildern, die auf persönlichen Erfahrungen basieren, das Schreckensregime des IS nach und kontrastiert, dass dennoch der Zulauf für diese Terrororganisationen ungebrochen sei.

Behnam T. Said ist Islamwissenschaftler und nähert sich der Thematik, indem er intensiv die Geschichte Syriens und dessen Literaturszene in den letzten fünf Jahrzehnten betrachtet. Aus diesen Wurzeln leitet sich das jihadistische Denken ab. Neben diese strukturellen Elemente stellt Said mehrere biographische Skizzen, so von Abu Mus‛ab al-Suri und Abu Mus‛ab al-Zarqawi. Als ein zentrales Datum in der Entwicklung des IS sieht der Autor die Ausrufung des Kalifats im Irak und Syrien mit Kalif Ibrahim an der Spitze am 29. Juni 2014. Dennoch – oder gerade deshalb – setzten sich die Streitigkeiten in den islamistischen Gruppen in der Folgezeit fort. Dabei ging es insbesondere um die Frage der richtigen Ideologie, wobei hier pars pro toto der Streit zwischen al Quaisa und ISIS zu nennen ist. Die Reaktion des Westens gipfelte in der Annäherung der USA zum Iran, da beide an einem kompletten Staatszerfall im Irak und in Syrien kein Interesse hätten. Einen weiteren Schwerpunkt legt der Autor auf die Unterstützung des IS durch internationale Brigaden und hierbei besonders auf Deutsche, die am syrischen Jihad teilnehmen. Ausführlich beschreibt er das Netzwerk des Millatu-Ibrahim und die Radikalisierung des Rappers Denis Cuspert, der bei einem Islam-Seminar in der Eifelstadt Mayen seinen Durchbruch erlebte. Nachdem er 2013 nach Syrien gekommen und dort verwundet worden war, war er immer wieder in Videos zu sehen unter anderem in der syrischen Provinz Homs, wo IS mehr als 300 Syrer ermordete. Des Weiteren beschreibt er die Radikalisierung des Deutschen David G. und seinen Tod im Jahr 2014. Said geht auch der populären Frage nach, ob Heimkehrer aus dem Jihad eher eine Gefahr darstellen oder ob sie in der Mehrzahl durch das Erlebte traumatisiert seien. Beides sei der Fall und auf beide Varianten müsse der Staat angemessen reagieren. Der Autor resümiert, IS sei militärisch schlagbar, da es sich mittlerweile mit allen Staaten der Region und auch mit potentiellen Verbündeten verfeindet habe. Er sieht durchaus Chancen, dass die Radikalität des IS zu einer breiten Welle der Solidarität gegen Fanatismus und Terrorismus führt, wobei die Reaktionen auf die Anschläge in Paris vom Januar 2015 durchaus Mut machen.

Beide Bücher zusammen zeichnen ein sowohl verstörendes Bild, das aber durchaus Raum für Hoffnung lässt, wenn es gelingt, gegen die fundamentalistische Barbarei die westlichen Werte zu stellen, die in der Aufklärung und den Idealen der Französischen Revolution wurzeln.

Dr. Reinhard Scholzen

 

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