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 Fahrradfahrer auf Radwegen

Von Ewald Ternig, Dozent für Verkehrsrecht
Fachhochschule Rheinland-Pfalz, - Fachbereich Polizei –

In § 2 StVO wird die Straßenbenutzung durch Fahrzeuge behandelt. Dabei ist zunächst nach Abs. 1 festzustellen, dass Fahrzeuge die Fahrbahn benutzen müssen. Da Fahrzeuge alle Fortbewegungsmittel mit Ausnahme der in § 24 Abs. 1 StVO genannten sind, fallen somit auch Fahrräder darunter. § 2 Abs. 4 StVO behandelt Rad Fahrende nun aber besonders. Zunächst muss mit Fahrrädern einzeln hintereinander gefahren werden; nebeneinander dürfen sie nur fahren, wenn dadurch der Verkehr nicht behindert wird (beachte dazu auch § 27 Abs. 1 StVO, wenn Radfahrer einen geschlossenen Verband bilden). Eine Pflicht Radwege zu benutzen, so weiter in Abs. 4, besteht nur, wenn diese durch Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat bezüglich der Anordnung von Radwegen eine Entscheidung getroffen, die den engen Bezug zu § 45 Abs. 9 StVO herstellt. Die Richter führen aus:

 

Eine Radwegebenutzungspflicht darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt (§ 45 Abs. 9 Satz 2 der Straßenverkehrs-Ordnung - StVO). [1]

 

Ausgangssachverhalt:

Zwischen zwei Kommunen wurde von der zuständigen Straßenverkehrsbehörde ein gemeinsamer Fuß- und Radweg (Z. 240) angeordnet. Der Weg beginnt am östlichen Ortsrand eines Ortes und geht von dort durch ein im Wesentlichen unbebautes Gebiet; dieser Abschnitt endet kurz nach Beginn der geschlossenen Ortslage des nächsten Ortes. Vom östlichen Rand dieses Ortsteils durchquert der Weg ein ebenfalls überwiegend unbebautes Gelände und führt bis in die geschlossene Ortslage vom nächsten Ort. Die Ortsdurchfahrten sind als Tempo-30-Zonen ausgewiesen; außerorts ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h beschränkt. Die Beklagte ordnete 1987 an, den Fuß- und Radweg zwischen den beiden erst genannten Orten in beiden Richtungen mit dem damaligen Zeichen 244 (Gemeinsamer Rad- und Fußweg; vgl. VkBl 1976 S. 767) zu beschildern und setzte dies im selben Jahr um. Im Jahr  2002 ordnete sie an, den Fuß- und Radweg zwischen den beiden nächsten Orten in beiden Richtungen mit den Zeichen 240 (Gemeinsamer Fuß- und Radweg) sowie den Zusatzzeichen 1022-11 (Mofas frei) und 1000-31 (frei in beide Richtungen) zu beschildern; dies wurde im Jahr 2002 umgesetzt.

Im Januar 2003 legte der Kläger Widerspruch gegen diese Anordnung ein und beantragte die Anordnung aus dem Jahr 1987 aufzuheben. Die Behörde half dem Widerspruch nicht ab, da bei einer Fahrbahnbreite von 5,50 m wegen des dort stattfindenden Schwerlast- und Omnibusverkehrs eine Mischnutzung nicht länger vertretbar gewesen sei. Den Widerspruch des Klägers wies die Regierung der Oberpfalz hinsichtlich beider Streckenabschnitte zurück. Seine Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Radwegebenutzungspflicht diene im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs der Trennung von motor- und muskelbetriebenen Fahrzeugen und damit der Ordnung des Verkehrs. Dieser Regelungszweck dürfe nicht unter Hinweis auf § 45 Abs. 9 StVO unterlaufen werden. Auf die Berufung des Klägers hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die erstinstanzliche Entscheidung mit Urteil vom 11. August 2009 geändert und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung wird u. a. ausgeführt:

„Die Voraussetzungen von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO seien bei den hier in Rede stehenden Streckenabschnitten nicht erfüllt. Die Fahrbahn sei kurvenarm und übersichtlich; durch die angebrachte Beleuchtung seien die Sichtverhältnisse auch nachts überdurchschnittlich gut. Die Unfallzahlen zeigten, dass auch ansonsten keine überdurchschnittliche Unfallgefahr für Radfahrer bestehe. Auch nach den von der Forschungsstelle für Straßen- und Verkehrswesen herausgegebenen "Empfehlungen für Radverkehrsanlagen" (ERA 1995) könne keine besondere Gefahrenlage angenommen werden. Danach sollten, wenn der Radverkehr außerhalb bebauter Gebiete auf der Fahrbahn geführt werde, die Verkehrsstärke 2 500 Kfz/Tag und die zulässige Höchstgeschwindigkeit in kurvenreichen Strecken 70 km/h nicht überschreiten. Beides sei hier aber der Fall. Auch wenn ein nicht unerheblicher Teil der Kraftfahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreite, sei eine Trennung der Verkehrsarten nicht angezeigt, da die Empfehlung kurvenreiche Strecken betreffe. Ebenso wenig seien die in § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO genannten Voraussetzungen in Bezug auf die Straßenbreite erfüllt. Zwar heiße es in den "Richtlinien für die Anlage von Straßen - Teil: Querschnitte" (RAS-Q 96), dass eine vom Kraftfahrzeugverkehr getrennte Führung der Radfahrer und Fußgänger aus Gründen der Verkehrssicherheit anzustreben sei und dass an außerorts gelegenen Straßen der Fußgänger- und Radfahrerverkehr in der Regel auf einseitig angelegten gemeinsamen Geh- und Radwegen geführt werde. Doch hätten die Richtlinien keinen normativen Charakter. Zudem reiche die Fahrbahnbreite von 5,50 m für die hier zu erfüllende untergeordnete Verkehrsfunktion aus. Die in der Richtlinie genannte Verkehrsmenge von täglich 3 000 Kraftfahrzeugen werde bei Weitem nicht erreicht. Der deutlich über dem in der Richtlinie angegebenen Schwellenwert liegende Schwerverkehr bestehe hier im Wesentlichen aus den Bussen des öffentlichen Nahverkehrs, deren Fahrer sich gegenüber Radfahrern in der Regel aufmerksam und rücksichtsvoll verhielten. Komme kein anderes Fahrzeug entgegen, könne selbst ein Bus oder ein ähnlich breites anderes Fahrzeug einen ausreichenden Sicherheitsabstand beim Überholen eines Radfahrers einhalten. Bei Gegenverkehr müsse abgewartet werden, bis das entgegenkommende Fahrzeug vorbeigefahren sei. Die Zahl der Radfahrer und die Verkehrsdichte seien so gering, dass das zu keinen nennenswerten Erschwernissen führe.“

Die beklagte Behörde ging aber u. a. davon aus, dass § 45 Abs. 9 S. 2 StVO hier nicht zur Anwendung kommen dürfte, weil das Verbot keine Beschränkung des fließenden Verkehrs wäre, denn die Z. 237, 240 und 241 dienten als Sonderwege nur der Verkehrsführung, denn sie dürften in diese Richtung auf den Wegen weiter fahren. An § 45 Abs. 9 S. 1 StVO, wonach Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen sind, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist, habe man sich orientiert.

Gegen dieses Urteil haben die Beklagte und die Landesanwaltschaft Bayern Revision eingelegt, die jedoch nicht begründet ist, denn das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit Bundesrecht. Die Richter des BVerwG weisen darauf hin, dass zunächst § 45 Abs. 1 StVO zu beachten ist, der den Straßenverkehrsbehörden die Möglichkeit einräumt, die Benutzung bestimmter Straßen aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs zu beschränken oder zu verbieten. § 45 Abs. 9 StVO ergänze diese Möglichkeit. Die Radwegbenutzungspflicht nach den  Zeichen 237, 240 und 241 ist eine Beschränkung des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO und eine Beschränkung der Benutzung der Straße im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Denn das Gebot der Nutzung dieser Wege ist gleichzeitig ein Verbot der Nutzung der Fahrbahn, was vom Grundsatz her die eigentliche Örtlichkeit des Fahrens für Fahrzeuge darstellt. Weiter wird festgestellt, dass in § 45 Abs. 9 S. 2 StVO Ausnahmen festgehalten werden, allerdings keine für Radfahrer, somit ist die Bestimmung auch hier anzuwenden.

Da  § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO anwendbar ist, scheidet damit § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO als Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht aus. Die Voraussetzungen aus Satz 2 liegen hier nicht vor, wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof festgestellt hat. Ein besonderes Gefahrenpotential kann hier nicht ausgemacht werden. Es gab dort keinen Unfall zwischen Nov. 2004 und Juni 2009. Daher durfte für das BVerwG dort kein Radweg angeordnet bzw. gekennzeichnet werden.

Interessant in dem Zusammenhang erscheint auch noch eine Entscheidung des VG Dresden. Hier lagen wohl die Voraussetzungen aus § 45 Abs. 9 StVO vor, aber der Radweg war nicht in dem Zustand, wie er nach der VwV sein müsste. Die Richter entschieden:

Erweisen sich in einer Situation, in der wegen der besonderen Verkehrssituation eine Radwegebenutzungspflicht in Betracht zu ziehen ist, die vorhandenen Radwege als nicht den Verwaltungsvorschriften entsprechend und als die Verkehrsteilnehmer gefährdend, so ist eine Abwägung geboten, ob der beabsichtigte Vorteil die zu erwartenden Nachteile bei Befolgung der Radwegebenutzungspflicht überwiegt. Ein überwiegender Vorteil ist nicht anzunehmen, wenn die Radwege eine sehr geringe Breite haben, schlechte Oberflächen aufweisen, mangelhaft vom Fußgängerverkehr getrennt sind und häufig im Türöffnungsbereich parkender Wagen geführt werden.[2]

 

Anmerkung:

In den zurückliegenden Jahren gab es eine Vielzahl von Entscheidungen, die sich mit der Problematik der Anordnung von Radwegen beschäftigt hat. Auch wenn die verantwortlichen Straßenverkehrsbehörden häufig in gutem Glauben gehandelt haben, den Radfahrern mit der Erschließung von Radwegen und damit verbunden mit der Nutzungspflicht einen Gefallen zu tun, hat man wohl nicht in allen Fällen die Bestimmung des § 45 Abs. 9, insbesondere Satz 2 beachtet. Die Richter des BVerwG machen in ihrer Entscheidung deutlich, dass vom Grundsatz her, der Radfahrer im Sinne des § 2 Abs. 1 StVO die Fahrbahn benutzen muss. Eine Benutzungspflicht und damit die Anordnung der Zeichen 237, 240 oder 241 hat sich dabei an der Bestimmung des § 45 Abs. 9 S. 2 StVO zu orientieren. Aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse muss eine Gefahrenlage bestehen, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorher stehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Auch an die Anordnung von Radwegen sind solche Anforderungen zu stellen. Die Behörden müssen sich der Problematik bewusst sein. Die StVO sieht in § 2 Abs. 4 auch Radwege vor, die die genannten Zeichen nicht haben. Rechte Radwege dieser Art dürfen benutzt werden, linke nur dann, wenn dies durch ein Zusatzzeichen „Radverkehr frei“ allein angezeigt ist. Die Nutzung dieser Wege ist der Eigenverantwortlichkeit dann dem einzelnen Fahrradfahrer zuzuschreiben. Im Rahmen der Präventionsarbeit der Polizei und anderer Träger der Verkehrssicherheitsarbeit muss offensiv mit der Entscheidung umgegangen werden. Wenn die rechtliche Möglichkeit für die Benutzungspflicht nicht besteht, ist auf jeden Fall auf die Freiwilligkeit bei vorhandenen Radwegen hinzuweisen. Dabei ist aber die Entscheidung des VG Dresden zu beachten, dass die Wege auch in Bau und Unterhaltung der VwV entsprechen, damit nicht auf dem Radweg größere Gefahren entstehen als auf der Fahrbahn, vor dem man die Radfahrer runter nehmen möchte, weil die das allgemeine Risiko dort eigentlich das übliche Maß erheblich übersteigt.

Dass bei korrekt angelegten Radwegen ALLE Radfahrende den Weg zu nutzen haben, hat das BVerwG bei einem Liegefahrradfahrer vor vielen Jahren schon festgestellt.[3]

In dem Zusammenhang sei ein Hinweis auf Rennradfahrer erlaubt. Lediglich wenn Ausnahmegenehmigungen im Sinne des § 46 StVO vorliegen, darf davon abgewichen werden. Auch in Bezug auf die Beleuchtung für Radfahrer ist der Verordnungstext des § 67 StVZO eindeutig, wenn der Begriff des Rennrades denn eindeutig ist. Nach Abs. 1 benötigen Fahrräder eine Lichtmaschine. Es darf zusätzlich eine Batterie-Dauerbeleuchtung genutzt werden. Beide Betriebsarten dürfen sich gegenseitig nicht beeinflussen. Für Rennräder gilt jedoch Abs. 11 und 12.

XI. Für Rennräder, deren Gewicht nicht mehr als 11 kg beträgt, gilt abweichend Folgendes:

  1. Für den Betrieb von Scheinwerfer und Schlussleuchte brauchen anstelle der Lichtmaschine nur eine oder mehrere Batterien entsprechend Absatz 1 Satz 2 mitgeführt zu werden;
  2. Der Scheinwerfer und die vorgeschriebene Schlussleuchte brauchen nicht fest am Fahrrad angebracht zu sein; sie sind jedoch mitzuführen und unter den in § 17 Absatz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung beschriebenen Verhältnissen vorschriftsmäßig am Fahrrad anzubringen und zu benutzen;
  3. Scheinwerfer und Schlussleuchte brauchen nicht zusammen einschaltbar zu sein;
  4. Anstelle des Scheinwerfers nach Absatz 1 darf auch ein Scheinwerfer mit niedrigerer Nennspannung als 6 V und anstelle der Schlussleuchte nach Absatz 4 Nummer 1 darf auch eine Schlussleuchte nach Absatz 5 mitgeführt werden.

XII. Rennräder sind nur für die Dauer der Teilnahme an Rennen von den Vorschriften der Absätze 1 bis 11 befreit.

Was ist nun ein Rennrad? Ist dies ein Fahrrad mit dem man Rennen fährt? Fallen dann auch Mountainbikes, BMX-Räder und ähnliche darunter?

Die Absätze 11 und 12 wurden im Jahr 1988 geändert. Dabei wurde zu Abs. 11 festgehalten: Die Ausrüstung von reinen Rennrädern mit einer ordnungsgemäßen Beleuchtung war bisher nicht immer möglich, weil übliche Lichtmaschinen Rennreifen unverhältnismäßig stark schädigen. Nachdem nun durch die Änderung des Abs. 1 auch eine Batterie-Dauerbeleuchtung zusätzlich zulässig ist, können auch reine Rennräder mit Scheinwerfer und Schlussleuchte beleuchtet werden… eine generelle Befreiung der Rennräder von der Ausrüstungspflicht ist auf keinen Fall vertretbar[4]

Daher dürfte als Rennrad nur das Rad gelten, das sehr schmale Reifen hat, die durch einen Dynamo geschädigt werden können.

Wenn der Verordnungsgeber hier eine Änderung haben möchte, sollte der dies im Text der Bestimmung klarstellen.

Auch § 23 StVO stellt in Abs. 1 fest, dass am Tage an Fahrrädern die Beleuchtungseinrichtungen vorhanden und betriebsbereit sein müssen. 

 

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Quellen

[1] BVerwG, 18.11.2010,  3 C 42.09

[2] VG Dresden, 25.08.2010, 6 K 2433/06, Jurion

[3] 31.05.2001 - 3 B 183/00, Beck-Online.de

[4] VkBl. 1988, S. 476