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„LKA-Beamter als Chef“ Über die Bluttat von Hartmannsdorf berichtete das Kanibalenforum Zambian Meat, in dem sich Täter und Opfer kennengelernt hatten.(screenshot:khg)

Ein Fall voller Rätsel

Von Klaus Henning Glitza

Hartmannsdorf im östlichen Erzgebirge. Eine idyllisch gelegene kleine Ortschaft, etwa 35 Kilometer von Dresden entfernt. Dort, am Ende einer kaum befahrenen schmalen Asphaltstraße, wurde eine Tat verübt, die selbst hartgesottene Kriminalisten erschaudern lässt. Im Keller eines ehemaligen DDR-Ferienheims kam ein Mensch zu Tode, der Leichnam wurde anschließend zerstückelt und an mehreren Stellen vergraben. Der Verdacht des Kannibalismus steht im Raum, doch Beweise hierfür gibt es bis heute nicht.

Der Täterschaft dringend verdächtig ist nicht etwa ein erkennbarer Außenseiter der Gesellschaft, sondern der Das ehemalige DDR-Ferienheim im November 2013 aus dem Polizeihubschrauber aufgenommen. 56-jährige Kriminalhauptkommissar Detlev G., seines Zeichens Schriftsachverständiger des Landeskriminalamtes Sachsen. Auch das Opfer, der zum Zeitpunkt seines Todes 59-jährige Geschäftsmann Wojciech S. aus Hannover, lebte keinesfalls am Rande der Gesellschaft, sondern war ein geachteter Geschäftsmann, Kommunalpolitiker und Familienvater. Als sich die beiden Männer begegneten, trafen zwei zutiefst bürgerliche Existenzen aufeinander.

Der Fall von Hartmannsdorf, er ist ein Fall voller Rätsel. Was konkret am Tattag, dem 4. November 2013, geschah, kann mit Sicherheit nur einer sagen: Detlev G. Doch dessen Aussagen taugen kaum zur Wahrheitsfindung. Zunächst gestand er, Wojciech S. getötet zu haben, dann räumte er auf Anraten seines Verteidigers nur noch das Zerteilen des Leichnams ein. Davon unbeeindruckt hat die Staatsanwaltschaft Dresden inzwischen Anklage wegen Mordes und Störung der Totenruhe erhoben.

Es bleibt die Spurensuche. Unzweifelhaft steht fest, dass sich der mutmaßliche Täter und das Opfer in einem Internetforum namens „Zambian Meat“ kennenlernten. Fast 3.000 registrierte Nutzer aus aller Welt frönen auf dieser Website kannibalistischen Phantasien, sprich der perversen Lust am Verspeisen von Artgenossen respektive dem Verspeistwerden. Eine ekelerregende Internetseite mit einer schaurigen Tradition. Dort lernte 2001 der „Kannibale von Rotenburg“, Armin Meiwes, sein späteres Opfer Bernd Brandes kennen. An der Existenz dieser Webseite, ohne die diese Tathandlung so sicherlich nicht möglich gewesen wäre, hat dies nichts geändert.

„Zambian Meat“, von Insidern sarkastisch als „Online-Speisekarte für Kannibalen“ bezeichnet, nennt sich selbst „The # 1 site für exotic meat“. Zu Deutsch: Die führende Seite für exotisches Fleisch - eine nur schwach verschleiernde Chiffre für Kannibalismus, auch als Anthropophagie bekannt. Zwölf Jahre nach der Bluttat des Armin Meiwes ging Detlev G. auf der „# 1 site für exotic meat“ auf die intensive Suche nach einem „Schlachtopfer“.

Zu 99 Prozent seien die Forenbeiträge pure Phantasien, sagen selbst hochrangige Beamte wie der Dresdner Polizeipräsident Dieter Kroll. Die Diplom-Pädagogin und Kriminologin Petra Klages, die einst auch den Kannibalen Meiwes betreute, charakterisiert „Zambian Meat“ als eine Seite, auf der weitestgehend fehlgeleitete Phantasien kompensiert werden. Doch sie räumt auch ein, dass es zweifellos Menschen gibt, denen das nicht genügt, die mehr wollen als nur Gedankenspiele.

Als sich Kriminalhauptkommissar G. unter dem bezeichnenden Usernamen „Caligula31“ Anfang 2013 bei „Zambian Meat“ registrierte, hatte er bereits beruflich diverse Kenntnisse über perverse Praktiken erworben. So war der Mitarbeiter der Abteilung 6 (Kriminalwissenschaftliches und -technisches Institut, KTI) des Landeskriminalamtes Sachsen im Jahr 2012 als Schriftsachverständiger mit einem Fall befasst gewesen, der auf beklemmende Weise an Ein Gebäudekomplex des LKA Sachsen. die inkriminierte Tathandlung erinnert. G. hatte seinerzeit die zu Papier gebrachten akribischen Planungen des psychopathischen Täters Benjamin Hupel ausgewertet. Nach diesem „Drehbuch“ hatte der homosexuelle Täter in Leipzig einen Bekannten vergewaltigt und anschließend die Genitalien abgeschnitten. Dann tötete er sein Opfer mit 22 Messerstichen und zerstückelte den Leichnam. Den Kopf, der im Übrigen bis heute verschwunden ist, trennte der Mörder ab. Das Gutachten des Detlev G. trug entscheidend dazu bei, den Psychopathen Hupel seiner gerechten Strafe zuzuführen. Heute stellt sich die Frage, ob die Phantasien des damaligen Gutachters und des heutigen Täters allzu weit auseinander lagen.

G., seit 33 Jahren bei der Polizei, hatte sich bei „Zambian Meat“ Anfang 2013 unter falschem Namen, aber eindeutigen Präferenzen registriert. Für jeden User erkennbar, hatte er das Häkchen angeklickt, dass er „real life“-Fälle suchte. Damit gab er eindeutig zu erkennen, dass er nicht nur an Gedankenspielen am Verzehr menschlichen Fleisches interessiert war. Sein selbst gewählter Username „Caligula31“ zerstreute letzte Zweifel an seinen Intentionen. Caligula, das ist der Inbegriff für einen psychisch schwer gestörten Sadisten auf dem Cäsarenthron und dessen zügellose Gewaltherrschaft im alten Rom.

Unmittelbar nach seiner Registrierung geht Detlev G. offensiv auf die Suche nach willigen Opfern. Dabei lässt er an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Nach deinem Tod werde ich dir als Erstes den Kopf abtrennen, dann die Arme, an den Beinen wirst du hängen“, wird er am 6. Oktober 2013 gegenüber dem User „hadrian“ überaus konkret. Doch „hadrian“ ist wohl einer jener Nutzer, die sich allein an den perversen Visionen ergötzen, zu einem real-life-Treffen kommt es offenbar nicht.

Das war auch bei zwei Opfern in spe so, wie „Caligula“ im Zambian-Meat-Forum bitter beklagt. Einer der User bricht offenbar den Chat ab, als es ihm zu konkret wird, der andere lässt ihn vergeblich zweieinhalb Stunden am Dresdner Hauptbahnhof warten, „obwohl schon alles vorbereitet war“. Bei einem weiteren Aspiranten, Username Junjie, geht Detlev G. deshalb auf Nummer sicher und holt ihn persönlich ab.

„Junjie“, das ist der 31-jährige Abwassertechniker Alexander B. aus dem mehr als 550 Kilometer entfernten westfälischen Lotte (bei Osnabrück). „Möchte mich lebend grillen lassen. Ob auf dem Rost oder am Spiess, ist mir egal“, so lautet dessen „Offerte“ in „Zambian Meat“. Seine „Traumvorstellung“: Vom After her über offenem Feuer durchbohrt zu werden und so lange wie physisch möglich aktiv das „Grillfest“ mitzuerleben. Das beherrsche sonst kaum jemand, erklärt B. voller Stolz gegenüber BILD.

Detlev G. an seinem Arbeitsplatz im Fachbereich 64 (Urkunden, Schriften, Neue Technologien) des LKA Sachsen. Detlev G. empfindet die widerwärtigen Spießbraten-Phantasien des Alexander B. offenbar nicht als abwegig. Kurze Zeit, nachdem er den Abwassertechniker abgeholt hat, stoppt Detlev G. auf einem Parkplatz, um sein Opfer in spe für den tödlichen „Grillabend“ zu präparieren. „Junjie wurde von G. mit Essigmarinade oder Öl eingerieben und in Frischhaltefolie verpackt. So lag er fünf Stunden lang auf der Rückbank (…)“, schildert der SPIEGEL das bizarre Geschehen. Doch zum finalen Akt kam es nicht. Angekommen im Gimmlitztal wurden Täter und Opfer in spe von bleierner Müdigkeit übermannt. Auch in den darauffolgenden Tagen geschah, abgesehen von homosexuellen Kontakten, nichts. Detlev G. war zwar sehr nett zu ihm und kochte unter anderem traditionelle DDR-Gerichte und asiatische Menüs, sagte der 31-Jährige aus. Doch den „menschlichen Spießbraten“ verschmähte er und schickte ihn mit der Bemerkung, er sei noch zu jung und habe das ganze Leben noch vor sich, wieder nach Hause.

 

Das Opfer, das sich im Chat „LongPicHeszla“ nennt, wird gegenüber einem anderen User sehr konkret. (screenshot N.N.)

Der fast 60-jährige Wojciech S. aus Hannover-Vahrenwald schien dagegen der richtigen Altersgruppe anzugehören. Detlev G. tauscht mit dem gebürtigen Polen, Mitinhaber einer kleinen Arbeitsvermittlung für osteuropäische Fernfahrer sowie der polnischen Transportfirma Heszlatrans sp. z o.o. seit Anfang Oktober 2013 auf „Zambian Meat“ mehr als 400 eindeutig kannibalistisch geprägte Postings aus. Außerdem schicken sich die beiden Männer Mails und telefonieren miteinander. Wojciech S. macht kein Hehl daraus, dass er bereits seit frühester Jugend davon träumt, von einem Artgenossen verzehrt zu werden. Sein Username „LongPicHeszla“ ist entsprechend eindeutig. „Long Pic“, das ist ein Begriff, unter dem kannibalistisch orientierte Einwohner von Papua-Neuguinea nicht etwa eine besondere Schweinerasse verstehen, sondern „essbare“ Menschen.

Bereits seit sechs Jahren ist Wojciech S. im Kannibalenforum registriert. Dabei musste er bei seiner Suche nach einem „Chef“ (forentypisches Codewort für aktive Kannibalen) diverse Rückschläge einstecken. Als „LongPicHeszla“ dem User „knife“ seine Phantasie offenbart, „abgestochen zu werden“, antwortet dieser wenig charmant „Notschlachtungen sind nicht mein Ding“. Bei „Metzger755“ interessiert sich S. am 7. November 2012 mehr für technische Details: „Kannst Du den Raum und Deine Ausrüstung ein wenig genauer beschreiben? Hast Du die Tragfähigkeit der Stangen überprüft? Werden sie mein Gewicht halten?“, fragt er an. Doch zu einem Treffen kommt es offenbar nicht.

Auch die „Korrespondenz“ mit „Caligula31“ ist an Eindeutigkeit kaum zu überbieten, wie aus der offiziellen Unterlage „Wiederhergestellte Webmails“ hervorgeht. „Sobald du mich zu dir gebracht hast, bereitest du alles vor, dann schlachtest (oder erhängst) du mich“ und „Am selben Tag, am Abend hänge ich dann schon in der Form der zwei Schweinehälften und kühle aus“ postet „LongPicHeszla“. G. antwortet unter anderem: „Noch am selben Tag werde ich dich dann noch aufbereiten und zu Wurst verarbeiten. Das wird sehr lecker.“

Am 4. November 2013 wurden große Teile dieser perversen Phantasien Wirklichkeit. Wojciech S. machte sich vom Zentralen Omnibusbahnhof Hannover aus auf den Weg nach Dresden. Wojciech S. geht bei der Anreise geradezu konspirativ vor. Er fährt nicht direkt in die sächsische Metropole, sondern in zwei Etappen. Zunächst geht es mit dem Fernreisebus nach Berlin. Dort angekommen, legt der Mann aus der niedersächsischen Landeshauptstadt bewusst falsche Spuren. Seiner Freundin schreibt er per Skype „Ich rufe dich morgen an. Ich habe dich lieb!“. Auch gegenüber seiner Mitarbeiterin macht er falsche Angaben. Er habe einen Termin in Berlin, hat er dem kleinen Team hinterlassen. Vom Berliner Busbahnhof meldet er sich noch einmal telefonisch und schildert wortreich, dass sich sein Gesprächspartner verspätet habe. Dabei hat er längst ein weiteres Ticket gelöst. Unmittelbar nach seinem letzten Telefonat deaktiviert der Geschäftsmann sein Smartphone. Letztes Login Berlin, Masurenallee, stellen später die Ermittlungsbehörden fest. Es soll ganz offensichtlich nicht rekonstruierbar sein, wohin die Reise tatsächlich geht. Nämlich mit dem „Berlinlinienbus“ nach Dresden, wo er gegen 15.15 Uhr eintrifft. Eine halbe Stunde später holt ihn Detlev G. mit seinem dunkelfarbenen Honda Civic ab.

Ähnlich konspirativ ging es auch im Fall Alexander B. („Junjie“) zu. Als Detlev G. den Abwassertechniker abholte, lud er dessen PC in den Kofferraum seines Pkw, um laut SPIEGEL die „Spuren ihrer Netzkontakte zu verwischen“. Das macht nach einfacher Logik nur dann Sinn, wenn man einen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes spurlos verschwinden lassen will.

Der Eingang zur Pension. Fahrtziel von G. und S. ist jene Pension in Hartmannsdorf, die der homosexuelle Kriminalhauptkommissar zusammen mit seinem Ehemann Bernd, einem Notar,  vermutlich 2003 erworben hat. Zehn Gästezimmer, 24 Betten, Übernachtungen schon ab 19 Euro, eine weitestgehend komfortfreie Zone. Auf einer inzwischen gelöschten Webpage beschreiben Bernd und Detlev G. den Charakter ihrer Pension, von der sich offenbar auch Gleichgesinnte angezogen  fühlten: „Wir haben (…) das Haus mit viel eigenem Schweiß gemütlicher gemacht. Es bleibt und soll bleiben - ein Haus des einfachen Lebens, der Erholung in absoluter Ruhe, in dem Geselligkeit und Toleranz viel Raum haben, eben kein Haus des neuzeitlichen Luxus. (…) Gemütliche Einzel-, Doppel- und Mehrbettzimmer zum Teil ohne TV und Telefon lassen Sie die Ruhe des Tages genießen und geben Ihnen die Entspannung, die Sie brauchen, um dem Alltag zu entfliehen. Unsere großzügige Freifläche, umgeben von Wald, ist ideal für Grillabende in gemütlicher Runde“.

Eines der Pensionszimmer im Gimmlitztal. Das ehemalige Ferienheim des DDR-Post- und Fernmeldeamtes Riesa ist eine  Örtlichkeit am äußersten Rande der bewohnten Welt, ganz in der Nähe der tschechischen Grenze. Nahezu ideal für Handlungen, die niemand mitbekommen soll. Zum Tatzeitpunkt ist es dort noch einsamer als sonst. Das erkennbar sanierungsbedürftige Objekt ist bereits seit einiger Zeit wegen Rekonstruktionsarbeiten geschlossen.

Was an diesem nachgerade unheimlichen Ort geschehen sollte, hatten G. und S. zuvor in mehr als 400 Postings, Mails und Telefonaten bis ins Detail abgesprochen. Der Geschäftsmann aus Hannover wollte bereits kurz nach seiner Ankunft in der Pension „geschlachtet“ und dann gegessen werden. Das sei sein unerfüllter Traum seit Jugendtagen. Doch alles sollte „relativ human“ ablaufen. Solange er noch lebe und etwas spüren könne, sollte es keine unnötigen Qualen wie Verunstaltungen des Gesichts, Brüche, Verletzungen oder Quetschungen geben.

G. handelt offenbar so, wie es von S. gewünscht ist. Nach einem „Henkerskaffee“ führt er Wojciech S. an den Tatort. Von einer Bar mit farbenfrohen Girlanden, roten Hockern und dem Bildnis eines halbnackten Jünglings mit weichen Zügen an der Wand geht es in den Gewölbekeller, wo sich ein kleines SM-Studio befindet. Es riecht modrig, an den Wänden sind Feuchtigkeitsschäden erkennbar. Eine Unmenge Farbeimer, die vor dem „Folterkeller“ stehen, verströmen einen leicht beißenden Geruch. Eine gruselige Stätte, in der sadistisch veranlagte Menschen mit ihren masochistischen Opfern zusammentreffen. Das „Equipment“: Folter- und Knebelwerkzeuge aller Art, Fesselseile und Handschellen, eine elektrische Seilwinde und an der Wand ein blankpoliertes Henkersbeil. Außerdem ein Käfig mit einem „Plaste-Skelett“, so ein Insider, ein großer, auf der Sitzfläche teilweise offener Stuhl und ein Balken mit großen Ösen, offenbar ein Marterpfahl.

 

Was dann konkret geschah, dafür gibt es zwei Versionen.

Als Detlev G. am 27. November 2013 um 8.20 Uhr in seinem Dienstzimmer im Landeskriminalamt Sachsen von Die Küche der Pension. Dort kochte Detlev G. den Kopf des Opfers in einem großen Topf. Kollegen festgenommen wird, sagt er aus, er habe Wojciech S. schon kurz nach der Ankunft mit einem einzigen Schnitt mit einem Küchenmesser die Kehle durchtrennt. Dann habe er den Leichnam mit einem elektrischen Fuchsschwanz in sehr kleinteilige Stücke zersägt und dabei auch Knochen durchtrennt. Eine schaurige Tathandlung, die gut fünf Stunden in Anspruch nahm. Das Blut hatte er in einem alten Farbeimer aufgefangen, während die Körperteile nach Metzgerart in einer Art Wanne landeten. Den Kopf trennte G. ab und kochte ihn in einem großen Topf. Dort sollen ihn die LKA-Kollegen noch aufgefunden haben, als sie kurze Zeit nach der Festnahme von G. an den Tatort geführt wurden.

Die weiteren Körperteile hatte G. auf dem 6.172 Quadratmeter großen Grundstück der Pension vergraben, etwa 80 Zentimeter tief. Ziemlich alles wurde von der Spurensicherung aufgefunden, doch der Penis und ein Hoden fehlen immer noch. Dennoch gibt es bis heute keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass G. etwas von dem Leichnam verzehrt hat. Sexuelle respektive kannibalistische Motive oder Gelüste stritt „Caligula31“ in der ersten Vernehmung entschieden ab. Es sei Tötung auf Verlangen gewesen, gab er zu Protokoll. Die Frage bleibt, weshalb er sich nichtsdestotrotz in einem eindeutig kannibalistischen Forum registrierte. 

Später widerruft G. auf Anraten seines Verteidigers. seine ursprüngliche Aussage, die angeblich „unter erheblichem Druck“ zu Stande gekommen sei. Die neue Version: Wojciech S. habe sich selbst das Leben genommen. Würde dies stimmen, könnte Detlev G. nur noch Störung der Totenruhe, vulgo Leichenschändung, zur Last gelegt werden. Höchststrafe: drei Jahre Gefängnis.

Jene LKA-Kollegen, die mit der Vernehmung befasst waren, wundern sich nicht wenig über diese plötzliche Kehrtwende. Schon beim Eintreten in G.s Dienstzimmer habe der Tatverdächtige genau gewusst, worum es ging,. und dann nach kurzem anfänglichem Leugnen freimütig ausgesagt. Danach habe er regelrecht erleichtert gewirkt, so als sei er von einer großen Last befreit. Sein Verteidiger erklärte hingegen, dass, was G. gegenüber seinen LKA-Kollegen ausgesagt hat, sei „von A bis Z Käse“ gewesen. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Kriminalhauptkommissar seine ursprüngliche Aussage anfänglich auch seinem Rechtsbeistand gegenüber aufrechterhalten hat. Recht ungewöhnlich für ein „erzwungenes Geständnis“.

Der Widerruf kam nicht von ungefähr, sondern stand im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Rekonstruktion eines Videos, das G. mit einer auf einem Stativ befestigten Kamera von der grausigen Tat gedreht hatte. Diese filmische Aufzeichnung hatte der Kriminalhauptkommissar unter Anwendung aller technischen Finessen gelöscht und in seiner Vernehmung am 27. November überhaupt nicht erwähnt. Dank einer Amtshilfe des LKA Sachsen-Anhalt konnte das Video aber vollständig wiederhergestellt werden.

Der Verteidiger, ein aus Wuppertal stammender, jetzt in Dresden praktizierender Fachanwalt und Honorarprofessor, will in den Sequenzen Indizien dafür erkannt haben, dass S. Selbstmord begangen hätte, und zwar just in dem Augenblick, in dem G. das Kaffeegeschirr abspülte. Beim Einsetzen der Videoaufnahme habe Wojciech S. mit den Beinen Bodenkontakt gehabt, hätte also die offenbar tatsächlich zum Tode führende Strangulation noch unterbrechen können. Ergo habe sich das Opfer selbst das Leben genommen.

Beim Anblick des „grauenhaften Videos“ bot sich den Strafverfolgern und der Haftrichterin allerdings ein weniger eindeutiges Bild. Ein Bodenkontakt wurde zwar gleichfalls festgestellt, jedoch völlig anders bewertet. Wie ein Insider erläutert, wäre dieses Faktum nur dann bedeutsam gewesen, wenn S. zum Zeitpunkt des Bodenkontaktes noch am Leben gewesen wäre. Er hätte dann die offenbar zum Tode führende Strangulation noch unterbrechen können. Genau das aber erschließt sich aus der Aufzeichnung nicht. Wesentlich eindeutiger ist ein teils nackter, teils nur mit einer Unterhose bekleideter G. zu sehen, der das grausige Geschehen als stimulierend zu empfinden scheint.

Dieses videografische Machwerk ist selbst für hartgesottene Betrachter kaum zu ertragen. Schon die Anfangssequenz, in der G. verkündet, morgen werde es „Braten“ geben, lässt nichts Gutes erahnen. Was dann folgt, ist „gut 55 Minuten blanker Horror“, so ein Insider. Das Videoband zeigt unter anderem das an der elektrischen Seilwinde in einer Schlinge hängende, mit Kabelbindern am Rücken gefesselte und mit Panzerband geknebelte Opfer. Mehrfach lässt G. den leblos wirkenden S. hoch und runter fahren, dabei jeweils am Herzen horchend. Die restlichen Sequenzen sollen unter anderem das Zerteilen des Leichnams in all ihren schaurigen Details festhalten.

Ihrem Kollegen waren niedersächsische und sächsische Kriminalbeamte gemeinsam auf die Spur gekommen. Nachdem ein Geschäftspartner des Wojciech S. Vermisstenanzeige gestellt hatte, untersuchte die Kripo Hannover den PC des Wojciech S. Vieles war sorgsam gelöscht, konnte aber wiederhergestellt werden. Darunter eine ganze Reihe von Mails und Postings, die S. und G. ausgetauscht hatten. Entscheidendes Indiz: Im Zusammenhang mit der letzten elektronischen Post des Wojciech S. konnte die IP-Adresse des Detlev G. rekonstruiert werden.  

Zeitgleich wurde in Sachen „Caligula31“ ermittelt. Unter diesem Usernamen hatte sich Detlev G. auf „Zambian Meat“ unter falschem Namen und falscher Adresse registriert, aber er machte einen entscheidenden Fehler. „Caligula31“ nannte er sich auch auf der Plattform „gay.de“ - und dort buchte er sich mit seinen zutreffenden Personaldaten ein. Auch Alexander B., den „verschmähten Spießbraten“, ermittelten die Kriminalisten. Der Abwassertechniker hatte auf Wikipedia einen kenntnisreichen Beitrag über Detlev G. verfasst. So kam ein Mosaiksteinchen zum anderen.

Ein leibhaftiger Kriminalhauptkommissar als mutmaßlicher Täter, das hat in Polizeikreisen bis heute Fassungslosigkeit hinterlassen Als sich der Verdacht gegen G. immer mehr verdichtete, wollten es einige seiner Kollegen zunächst nicht glauben. Denn im Landeskriminalamt Sachsen war er hoch beliebt. „Immer nett, immer gut drauf, immer hilfsbereit“, so erinnert sich ein Kollege an Detlev G. Er galt als umgänglicher Mann, der eher devot als dominant wirkte. Niemand im Amt ahnte, dass der vermeintlich Sanfte in einem Chatroom für Kannibalen unter dem Namen des Gewaltherrschers Caligula auftrat.

G. hatte seinen Beruf von der Pike auf gelernt. Nach dem Besuch einer Polytechnischen Oberschule (POS) in Thüringen und einer Ausbildung zum Galvaniseur machte er ab 1980 Karriere bei der Deutschen Volkspolizei. G., der als Streifenpolizist begann, qualifizierte sich zum Kriminaltechniker und „Sachverständigen für Schreibleistungen“. In letzterer Funktion galt der „VP-Offizier“ als absoluter Experte. Fachleute wie ihn gebe es nur wenige, so ein Kollege. Nach der Wende tat G. zunächst im Landeskriminalamt Thüringen Dienst. Seit 1994 war er für das Landeskriminalamt Sachsen tätig.

 

Schon immer anders als andere – oder nicht?

Dass der Kriminalhauptkommissar homosexuell war, war all seinen Kollegen bewusst und wurde toleriert. „Es kommt immer auf den Menschen an, wir leben schließlich im 21. Jahrhundert“, so ein LKA-Beamter. Der 1957 Geborene machte selbst kein Hehl aus seiner sexuellen Orientierung. Im Jahr 2000 lernt G. seinen späteren Lebensgefährten, einen Notar kennen. Kurz danach lässt er sich von seiner Ehefrau, einer LKA-Kollegin, scheiden. Hauptsächlicher Trennungsgrund: Er habe mehr für Männer übrig und wolle das ausleben. Im Mai 2003 heiratet er seinen Geliebten und nimmt dessen Nachnamen an. 150 Gäste kommen zur Hochzeitsfeier im ehemaligen DDR-Ferienheim in Hartmannsdorf, darunter auch Kollegen.

Auch an seinem Wohnort im Oberen Gimmlitztal, wo er nur „der Detlev“ genannt wird, gilt er als „lieber netter Kerl“. Viele Nachbarn erinnern sich heute noch an die Feier des zehnten Hochzeitstages von Bernd und Detlev G., die in der gemeinsam bewirtschafteten Pension zelebriert wurde. Das war keineswegs die einzige gemeinsame Veranstaltung. Auch Kindergeburtstage wurden in der schätzungsweise 380 Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche umfassenden Immobilie gefeiert. Und in der warmen Jahreszeit wurde gerne auch gegrillt. Detlev G. engagierte sich auch sozial im Förder- und Naturverein Oberes Gimmlitztal e.V. Der gemeinnützige Verein (22 Mitglieder) wurde von G.s Ehemann Bernd geleitet, der sich als Notar an seinem auswärtigen Dienstort aufzuhalten hatte, und deshalb nur am Wochenende ins Gimmlitztal kam. Er habe vom Treiben seines Ehepartners nichts gewusst, sagen Nachbarn, und auch die Ermittlungsbehörden sehen das so. Detlev G. habe auch das Leben seines Ehemanns zerstört, so ein Bekannter.

Auch die bizarren Todessehnsüchte des Wojciech S. hinterlassen in seinem sozialen Umfeld Fassungslosigkeit. Weder seine Ehefrau oder seine 15-jährige Tochter noch seine Freundin, mit der er seit Kurzem zusammenlebte, hatten geahnt, was im Innersten des gebürtigen Polen vorging. Wojciech S., der sich als CDU-Mitglied in der hannoverschen Regionalpolitik engagierte, galt als seriöser, verlässlicher Geschäftsmann. „Er war so lebensfroh“, sagt seine Freundin Svetlana.

Zwei Menschen, denen kaum jemand derart perverse Phantasien oder Neigungen zugetraut hätte, begegneten sich auf schicksalhafte Weise - und am Ende war einer von ihnen tot und wie Schlachtvieh zerteilt. Nur in Sagen und Hollywood-Reißern wohnt das Böse ausschließlich hinter düsteren Gemäuern, in denen Wolfsgeheul schaurig widerhallt. Nur in Hollywood-Reißern ist finsteren Tätern die Mordlust unübersehbar ins Gesicht geschrieben. Im wahren Leben sind es oft unauffällige, gutbürgerliche Fassaden, hinter denen das Grauen nistet. Kannibalismus - eine tödliche Gefahr, die offenbar nicht nur in Randschichten, sondern auch in der Mitte unserer Gesellschaft ihren Ursprung hat.

 

Geschmacklosigkeiten ohne Beispiel

Der Fall Detlev G. ist auch ein Fall voller geschmackloser Peinlichkeiten. Den zur Thematik überaus passenden Vogel schoss dabei die Tierschutzvereinigung PETA Deutschland e.V. ab. Die für spektakuläre und provokante Kampagnen bekannte Schwesterorganisation von „People for the Ethical Theatment of Animals“ (PETA in den USA) ließ dem angeklagten Kriminalhauptkommissar ein „veganes Starterkit“ in das Untersuchungsgefängnis in Dresden schicken. Damit solle, so PETA, die im Übrigen noch nicht bewiesene Lust auf Menschenfleisch therapiert werden. Alles frei nach dem Motto von Wilhelm Busch: „Wahre menschliche Kultur gibt es erst, wenn nicht nur Menschenfresserei, sondern jede Art des Fleischgenusses als Kannibalismus gilt.“

Doch dabei beließ es die nach eigenen Angaben „größte Tierschutzorganisation Deutschlands“ nicht. Als von einer Immobilienfirma in Dresden das ehemalige DDR-Heim in Hartmannsdorf als Objekt mit „jüngster Kriminalgeschichte“ für 170.000 Euro zum Verkauf angeboten wurde, bekundete PETA öffentlichkeitswirksam Interesse. Die Organisation denke darüber nach, dort „ein Schlachtmuseum zu eröffnen“, heißt es in einer Pressemitteilung. In dieser Stätte könnte den Besuchern interaktiv „Mitgefühl für die Tiere vermittelt werden, die täglich als ‚Lebensmittel‘ auf deutschen Tellern landen“, so die angeblichen Planungen. Allerdings ging bei der Immobilienfirma niemals eine ernsthafte Anfrage von PETA ein. 

Mehr als befremdlich sind auch die Hostings, in denen auf „Zamba Meat“ die Tat von Hartmannsdorf kommentiert wird. So gerät ein User namens „Kosan“ regelrecht darüber in Verzückung, dass „Kannibalismus in allen Gesellschaftsschichten“ vorkommt und triumphiert „Wahnsinn, wir Deutschen!“. Gleichzeitig bedauert er, dass G. „die besten Teile vergraben“ habe. „Schade um die Füße“, so „Kosan“ enttäuscht.

Für eine weitere Peinlichkeit sorgte Detlev G. persönlich. Er schreibt aus der Untersuchungshaft einen Brief an den Rechtsextremisten Ralf Wohlleben, der wegen der Unterstützung der Zwickauer NSU-Terrorzelle in München inhaftiert ist. In dem Schreiben heißt es wörtlich: „Lieber Ralf, ich teile zwar Deine Ideologie nicht so ganz, aber ich habe eine andere Form der Sympathie für Dich entwickelt. (…) Bei dem hohen Migrantenanteil in deutschen Knästen wirst Du es wohl auch nicht leicht haben, Freunde zu finden. (…) Andererseits bist Du ein gesunder, junger Mann, nicht zu dünn und nicht zu dick, ich habe ja einen Blick für so was. (…) Bei Lebenslänglichen, die ihre Hormone nicht unter Kontrolle haben, (könne das) schon gewisse Begehrlichkeiten wecken, egal ob sie weiß sind oder schwarz“.

Ihm selbst gehe es dabei „um eine ganz besondere Freundschaft, vor allem aber um dein Innenleben, dein Herz“, so Detlev G. weiter. Er habe bereits seinen Anwalt gebeten, sich um die Verlegung nach München zu kümmern. Er sei als jemand, der mehrere Kampfsportarten beherrscht, sehr wohl in der Lage, Wohlleben gegen zudringliche Mitgefangene zu schützen. Auch in seinem Alter könne er es „noch mit jedem Knacki aufnehmen“. Das mache ihn zum idealen Zellenkameraden, „bis wir unwiderruflich vereint sind“.

Wohlleben hat übrigens nicht geantwortet. Einen Zellengenossen wie G. wünscht man sich selbst in seinen Kreisen nicht.

 
 
 

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