Ist diese Roboter besser als jeder Kellner?
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Wie digital sind wir?

Von Niels Stokholm

Was bringt uns die Digitalisierung? Macht sie unser Leben wirklich einfacher? Entstehen neue gesellschaftliche Gräben? Ist die Welt, wie wir sie kennen, vom Untergang bedroht? An der digitalen Revolution scheiden die Geister. Wohin der digitale Weg führt, wird sich noch weisen, aber Tendenzen sind schon zu erkennen. Die Digitalisierung scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein.
Immer mehr Bereiche unseres Alltags werden digital, oft völlig unbemerkt. Dabei ist es gar nicht so lange her, da gab es das Wort «digital» gar nicht. Teile der aktuellen Gesellschaft – auch viele Leser dieses Journals – haben tatsächlich in einer Zeit gelebt, da war alles noch weitgehend analog.

Was aber genau bedeutet Digitalisierung? Ist alles, was neu ist, per se schon digital? In der Diskussion über Sinn und Unsinn der digitalen Revolution, in der wir uns derzeit befinden sollen, gehen Verständnis und Wissen darüber, was eigentlich digital bedeutet und ist, weit auseinander. Dieser Artikel soll Fragen in den Raum stellen und zum Nachdenken anregen. Der Artikel hat nicht den Anspruch, alle Facetten der digitalen Welt zu beleuchten. Die vielen Möglichkeiten in der Gebäudeautomation oder im Sicherheitsmanagement werden beispielsweise absichtlich ausgeblendet, da dies Themen sind, welche in den anderen Rubriken dieser Mitarbeiterzeitschrift fortdauernd zur Sprache kommen.

Wo ist die digitale Welt?

Wenn man über die digitale Welt spricht, dann bezeichnet dies laut Definition eigentlich alles, was im Zusammenhang mit digitalen Sachverhalten steht. Genauer gesagt: Der Begriff «digitale Welt» umfasst die Gesamtheit aller Einzelerscheinungen, die mit sogenannten Digitalsignalen beschrieben oder von diesen beeinflusst werden. Die digitale Welt ist also im Kern etwas sehr technisch-wissenschaftliches und verdankt ihren Siegeszug vor allem der technischen Entwicklung in den 1970er-Jahren. Dannzumal gelang es nämlich, die integrierten Schaltkreise in Maschinen immer kleiner, aber gleichzeitig leistungsfähiger zu machen. Dies verhalf zunächst Taschenrechnern zu grossem Erfolg und war für die Weiterentwicklung von Computern von entscheidender Bedeutung: Immer kleiner, immer leistungsfähiger, immer günstiger, immer universeller – digitale Daten wurden zu einer Schlüsseltechnologie der modernen Wirtschaft. Die Tatsache, dass Daten plötzlich ohne Informationsverlust kopiert und zudem in grossen Mengen in Speichern aufbewahrt und von dort rasch abgerufen werden konnten, beschleunigte die Entwicklung zusätzlich. Datenbanken wurden angelegt, Betriebssysteme für Computer entwickelt, Anwendungsprogramme für die Benutzung von Computern für jedermann angefertigt und schliesslich Apps für die Anwendung auf mobilen Geräten kreiert.

Um die digitalen Daten für die vielen Geräte weltweit, für die sie entwickelt wurden, auch sinnvoll und effizient einsetzen zu können, wurde zu guter Letzt an der Zusammenarbeit all dieser Daten gearbeitet. Mit dem Entstehen des Internets wurde ein weltweites Netzwerk geboren, in dem die Datenübertragung zu jedem Zeitpunkt zwischen beliebigen Netzwerkknoten und Servern erfolgen konnte. Digitale Funknetze ermöglichten schliesslich eine drahtlose Datenübertragung auch mit mobilen Geräten. Dazu wurde die Übertragungstechnik ständig intensiver einsetzbar. Diese Netzwerke (GSM 2G, UMTS 3G, LTE 4G) erleben derzeit die nächste, heiss diskutierte Entwicklungsstufe auf 5G.

Digitale Anwendungsgebiete

Viele Bereiche unseres privaten und berufstätigen Lebens werden schon heute digital gesteuert. Radio, TV und Zeitungen werden grösstenteils nur noch digital konsumiert, Bestellungen oder Bankgeschäfte online getätigt, Arbeitsprozesse an Computern berechnet und ausgeführt, Logistikzentralen digital gesteuert, Bücher und Musik auf Tablets oder via Smartphone bestellt, gelesen und gehört, und so weiter und so fort.

Spricht man über die digitale Welt, kommt man unweigerlich auch aufs Thema Roboter zu sprechen. Dabei reden wir jetzt aber nicht von den weltbeherrschenden Tötungsmaschinen aus unzähligen Hollywoodfilmen, sondern über intelligente Computersysteme, welche in Produktionsketten eingesetzt werden (Beispiel Automobilproduktion), als unterstützende Hausgeräte fungieren (Beispiel Roboterstaubsauger) und in vielen weiteren Bereichen zum Einsatz kommen.

Computer lernen selbstständig

Gerade bei der Entwicklung von Robotern, die von den Entwicklern auch mal in optisch humaner Form erbaut werden, manifestiert sich derzeit unsere digitale Welt auf sehr sichtbare Art und Weise. Dabei ist die Entwicklung bereits viel weiter, als allgemein bekannt ist. Roboter und Computer können heute schon selbständig lernen, entscheiden und handeln. Um dies zu können, werden sie mit sogenannten neuronalen Netzen ausgestattet. So wie die Nervenzellen des menschlichen Gehirns sind auch die künstlichen Neuronen komplex vernetzt. Als Bausteine moderner neuronaler Netze dienen leistungsfähige Grafikkarten. Gelernt wird durch Versuch, Irrtum und Rückmeldung. Damit diese Systeme auch Bedeutungen erkennen können, müssen ihre neuronalen Netze mit Fähigkeit zu Logik, Wissensrepräsentation und regelbasiertem Schlussfolgern kombiniert werden. Zwar steckt die Forschung hier noch in den Kinderschuhen, doch Beispiele wie das IBM-Computersystem Watson zeigen bereits, dass es möglich ist.

Menschliches Gehirn nachbilden

© ShutterstockUnser Gehirn besteht aus 86 Milliarden Neuronen und mehreren Hundert Billionen Synapsen. Dies digital nachzubilden ist heute unmöglich. Im Kleinen haben Forscher jedoch schon Erfolge erzielt. Im Human-Brain-Projekt arbeiten Wissenschaftler beispielsweise mit Hochdruck daran, dieses extrem leistungsfähige System zu simulieren und in Medizin oder Robotik zur Anwendung zu bringen. Dabei werden drei Methoden erforscht, die sich zudem gut ergänzen. Einerseits lässt sich mit Supercomputern ein neuronales Netz simulieren, dessen Grösse etwa 1 Prozent des menschlichen Gehirns entspricht. Allerdings benötigen solche Computer für die Berechnung von einer Sekunde neuronaler Aktivität 40 Minuten und riesige Mengen an Strom. Ein anderes Computersystem ist zwar energiesparender und im Gegensatz zu den Supercomputern arbeiten hier die Prozessoren nicht nacheinander, sondern parallel. Einen vollkommen anderen, nämlich analogen Weg, beschreiten die Wissenschaftler mit neuromorphen Chips. Dafür haben sie Nervenzellen aus Rattenhirn geschichtet, elektrisch stimuliert, die Reaktion analysiert, dies in ein mathematisches Modell umgewandelt und dann technisch in einem Chip nachgebildet. Alle drei Methoden kommen jedoch nicht ansatzweise an die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns heran, aber wie so oft ist davon auszugehen, dass die Forschung in ein paar Jahren auf diesem Gebiet grosse Fortschritte erzielen wird, und wer weiss, irgendwann könnte es durchaus möglich sein, dass Computer das menschliche Gehirn überflügeln werden.

Künstliche Intelligenz

Wie weit die digitale Entwicklung bereits ist, zeigt sich in den unterschiedlichsten Bereichen, die bereits heute mit künstlicher Intelligenz arbeiten. Autonome Autos fahren schon testweise auf unseren Strassen, zahlreiche Logistiker setzen auf selbstständig fliegende Drohnen, die bestellte Ware an die Kunden ausliefern oder medizinische Proben zwischen Labor und Krankenhaus transportieren. In verschiedenen medizinisch-sozialen Einrichtungen wie beispielsweise Seniorenheimen sind heute bereits Serviceroboter im Einsatz, die Trinkbecher selbständig auffüllen können und diese den Bewohnern bringen oder Türen öffnen und Bedienknöpfe drücken. Emsig sind die Logistikroboter in Lagergebäuden von Onlineversandhändlern wie Amazon.

Zwar steckt die Forschung noch im Anfangsstadium, doch Beispiele wie das IBM-Computersystem Watson zeigen bereits, dass es möglich ist, künstliche Intelligenz nutzbar zu machen. Watson ist ein Supercomputer, der Technologien mit künstlicher Intelligenz (KI) und anspruchsvolle analytische Software kombiniert. Das System wird unter anderem als "Frage-Antwort"-Maschine eingesetzt. Watson verarbeitet 80 Teraflops (Billionen Gleitkommaoperationen pro Sekunde). Zur Beantwortung von Fragen in natürlicher Sprache greift das System auf 90 Server mit einem kombinierten Datenspeicher von mehr als 200 Millionen Seiten an Informationen zurück. Diese werden auf der Basis von etwa sechs Millionen logischer Regeln verarbeitet. Die Luzerner und Zürcher Polizei setzen Watson bei der Analyse grosser Datenmengen ein, um Inhalte von Festplatten, Handys oder digitalen Dopkumenten rasch in ein Verzeichnis zu übertragen. Lufthansa möchte mit Watson den Kundenservice verbessern und im medizinischen Bereich wird Watson bereits seit Jahren dafür eingesetzt, um Ärzten bei konkreten Fällen evidenzbasiert weitere Untersuchungsmethoden vorzuschlagen.

Grosse Herausforderungen

Die fortwährende Digitalisierung der Gesellschaft stellt uns vor Fragen, auf die es nicht immer abschliessende Antworten gibt. Bei diesem Prozess, der Gesellschaftsbilder und Selbstverständlichkeiten im privaten, beruflichen und sozialen Umfeld umkrempelt, gibt es Gegner, Kritiker, Befürworter und Anhänger. Und wie immer bei solchen Diskussionen befindet sich die Wahrheit vermutlich irgendwo dazwischen. Wo führt uns die Digitalisierung hin? Was sind die Gefahren? Hat der Prozess nur Vorteile oder Nachteile?

Die digitale Entwicklung ist sicherlich nicht aufzuhalten, die Technologie ist in unserem Alltag allgegenwärtig. Die öffentliche Debatte und die wissenschaftlichen Perspektiven beispielsweise in Zusammenhang mit sozialen Medien sind stark von Problematiken bestimmt – Stichworte Depressionen, Essstörungen, Narzissmus, Mangel an Empathie, Suchtverhalten, Fake News. Diese Perspektive ist sehr durch den Vorher-Nachher-Vergleich geprägt, woraus zwangsläufig Bewertungen und Ängste entstehen. Dabei stehen sich zwei Parteien gegenüber: Die «digital immigrants» sind diejenigen, die die digitale Welt erst im Erwachsenenalter kennengelernt haben. Ihnen gegenüber stehen die «digital natives», die digital Eingeborenen, die ausschliesslich in der digitalen Welt aufgewachsen sind. Für die digital natives ist der Vergleich zu einer vor-digitalen Welt irrelevant, da sie die Welt schlicht nicht anders kennen und deshalb viele neue Sachen mit einer gewissen Leichtigkeit und Kreativität beherrschen, während die digital immigrants oft jeden Schritt hinterfragen und die Verbesserung zur analogen Welt zuerst herausfinden möchten.

Digitale Herrschaft?

Ein Gesellschaftswandel birgt immer Chancen und Gefahren. Die Angst bei solchen Veränderungen ist oft, dass der Menschen in der «neuen Welt» an Bedeutung verliert oder nur wenige wirklich davon profitieren. Gerade in der Diskussion um Sinn und Unsinn von Robotern kommt immer wieder die Frage auf, ob die Maschinen die Menschen ersetzen. Ja, dies ist so, wie Beispiele aus der Wirtschaft zeigen. Roboter in der Industrie übernehmen zunehmend manuelle Arbeiten. Was aber nicht bedeutet, dass wir in dieser Produktionskette einfach ersatzlos gestrichen werden. Statt mit Hammer und Schraubenzieher steht der Mensch nun vielmehr mit Tablet und Sensoren im Arbeitseinsatz. Handwerkliches Geschick wird immer weniger benötigt, dafür die Fähigkeit im Umgang mit Computern. Die Arbeit wird dadurch körperlich leichter. Aber auch geistige Arbeit wie Routinetätigkeiten von Buchhaltern, Rechtsanwaltgehilfen oder Kreditanalysten werden immer mehr digitalisiert. Früher nach Asien ausgelagerte Arbeiten werden deshalb vermehrt wieder in Europa ausgeführt, da sich hier gut ausgebildetes Personal befindet, welches die billig arbeitenden Maschinen bedienen kann. Wer also in Zukunft einen guten Job haben will, muss nicht gegen, sondern mit den Maschinen arbeiten und dafür bereit sein, ein Leben lang zu lernen.

Die digitalen Schattenseiten

Die Digitalisierung ist in aller Munde, man kann sich ihr nicht entzeiehen, obwohl das Ganze eine noch relativ junge Entwicklung ist und wir uns in vielen digitalen Bereichen noch im Kindergarten-Stadium befinden. Apropos Kindergarten: Kleine Kinder wachsen mit der Digitalisierung auf und sind im Umgang mit beispielsweise neuen Medien dementsprechend weniger gehemmt. Frühere Medien wie Bücher oder Zeitungen sind für manche Kinder heute beinahe unbekannt. Es kann also durchaus vorkommen, dass ein Kind, das zum ersten Mal ein Comic in den Händen hält, krampfhaft versucht, die Bilder besser zu sehen, indem es die Bilder mit Daumen und Zeigefinger berührt und mit einer auseinanderziehenden Bewegung so vergrössern will. Altbewährtes wird immer mehr und schneller in Frage gestellt. Der Zugang zur digitalen Welt wird einfacher und nimmt immer mehr (Frei-)Zeit in Anspruch, Internetabhängigkeit und Cyber-Mobbing sind neue Phänomene, mit denen Kinderpsychologen zu kämpfen © Shutterstockhaben.

Die Sicherheit der digitalen Welt ist zudem unter ständigem Beschuss: Cyberattacken, Computerkriminalität und Datendiebstahl nehmen ständig zu. Die Gefahr, dass digital gesteuerte Maschinen von Unberechtigten «gekapert» werden, stellt eine immer grössere Gefahr dar. Die digitale Welt hat also schon heute ein grosses Sicherheitsproblem: Cyberattacken verursachen der globalen Wirtschaft jährlich einen Schaden in der Höhe von bis zu 400 Mia. US-Dollar, Tendenz steigend. Mehr als 4,5 Mia. Datensätze wurden allein in der ersten Hälfte des Jahres 2018 von Schadsoftware attackiert, im ganzen Jahr 2017 waren es noch 2,7 Mia.

Eine weitere Herausforderung für die digitale Welt stellen Unabhängigkeit, Datenschutz oder Urheberrecht dar. Jeder Form von Kommunikation wohnen Barrieren inne, die alle Kommunikationspartner überwinden müssen, um miteinander in Austausch treten zu können. In der digitalen Welt ist der freie Zugang zum Internet Voraussetzung. Es gibt aber grosse Landstriche auf der Weltkarte, die dies aus geografischen, politischen oder wirtschaftlichen Gründen verhindern. In Afrika beispielsweise hatten Ende 2018 nur gerade 22 Prozent der Einwohner einen Internetzugang, in Europa waren es 88 Prozent.

Zudem ist die Monopolisierung in der digitalen Welt ein grosses Hindernis für faire digitale Diversität. Grosskonzerne wie Google, Facebook oder Apple dominieren den Markt und zwingen den Anwendern ihre Systeme und Apps auf. Viele Schullklassen hierzulande kommunizieren beispielsweise via Messengerdienst WhatssApp von Facebook. Hat ein Schüler kein Smartphone oder kein WhatsApp, ist er automatisch benachteiligt. Zudem ist bekannt, dass die drei grossen Smartphone-Betriebssysteme (iOS von Apple, Android, Windows) alle persönlichen Daten ihrer Anwender auf Server in den USA lagern, der für die Nutzer weder verhinder- noch einsehbar ist. Deshalb werden Stimmen lauter, die einen Kodex für digitale Kommunikation verlangen, der über Fragen der Anrede in nicht-privater Mailkommunikation hinausgeht.

Zu guter Letzt sei noch die Problematik des hohen Stromverbrauchs der digitalen Welt erwähnt. Unsere digitale Welt ist also eine große Bereicherung, aber zugleich eine riesige Herausforderung für unser aller Zukunft. Wohin es führt, ist nicht vorauszusagen, aber da es uns alle betrifft, wird eine ständige Auseinandersetzung mit dem Thema vonnöten sein, um die positiven Entwicklungen zu fördern und den negativen Tendenzen kritisch entgegenzutreten.

 

Über den Autor
Niels Stokholm
Niels Stokholm
  • 1969 geboren in Zürich, verheiratet, zwei Kinder.
  • 1988: Abitur in Roskilde, Dänemark.
  • 1988-1995: Studium der Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Konstanz.
  • 1995-2002: Moderation und Redaktion in diversen Schweizer Radios.
  • 2003: PR/Medien Blaues Kreuz der deutschen Schweiz.
  • 2004: Chefredaktion Radio Freiburg, Schweiz.
  • Ab 2005: 4-monatiger uniformierter Einsatz als Sicherheitsspezialist bei der Securitas AG, danach und seither Fachredaktor der Securitas Gruppe Schweiz.
  • Als Hobby betätigt sich Niels Stokholm als Sprecher für das Radio Swiss Classic.
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