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Das legendäre Camp Raffalli / Calvi – Korsika
© Thomas Gast

Einsatz der Fallschirmjäger der Fremdenlegion im Kongo (Zaire).

Kolwesi, Operation Leopard. Mai – Juni 1978. Teil Eins.

Von Thomas Gast

„Das, was in den Geschichtsbüchern unter dem Begriff - Die Schlacht um Kolwesi - zu finden ist, war ein Blitzkrieg. Die Härte, Schnelligkeit und Effizienz, mit denen die Fallschirmjäger der Fremdenlegion diese Operation durchführten, lassen die Militärwelt heute noch sprachlos.“ Der Autor.

Die Umstände, die zur Geiselnahme in Kolwesi führten, konnte man zwar mit wenigen Sätzen erklären, die Problematik und die Verstrickungen der verschiedenen Parteien der Vorgeschichte aber reichen bis tief bis in die Anfänge belgischer Kolonisierung zurück. Es drehte sich stets um Ausbeutung, um Macht und um die schier unermesslichen Bodenschätze der Provinz Katanga (Shaba). Seit der Dekolonisierung von Belgisch-Kongo wurde das Land ständig von heftigen Rebellionen erschüttert. Alles hatte in den 60er Jahren mit der Abspaltung Katangas unter Moishe Tshombe begonnen. Mit Unterstützung westlicher Geheimdienste hatte dieser in einer unilateralen Erklärung die Unabhängigkeit der Provinz von der Demokratischen Republik Kongo proklamiert. Unterstützt wurde diese Sezession von der ´Union Minière du Haut Katanga`, einer einflussreichen Bergwerksgesellschaft, die zu den weltgrößten Kupfer-Produzenten zählte. Von den UN-Truppen jedoch zerschlagen und angeführt von den Söldnerführern Black Jack (Jean Schramme) und Bob Denard (Gilbert Bourgeaud), schlugen sich die Rebellen Tschombés kämpfend über die Grenze nach Angola durch. Tschombé floh ins Exil, wurde jedoch 1964 zurück ins Land beordert.

Es muss für die deutsche Politik ein Schlag ins Gesicht gewesen sein, wenn man bedenkt, dass Joseph Kasavubu, der erste Präsident Kongos, Tschombé zum Ministerpräsidenten machte. Einen Ministerpräsidenten, der einst mit Heinrich Lübke am Verhandlungstisch saß. Warum? Ich erzähle sicher nichts Neues, wenn ich schreibe, dass es Moishe Tschombé war, der, mit dem Wissen der Belgier und der Amerikaner, 1961 die Hinrichtung seines Vorgängers Patrice Lumumba angeordnet hatte. Lumumba war wohl einer der leidenschaftlichsten Kritiker der kolonialen Unterdrückung Afrikas.

1978 kehrten die Katanga-Gendarmen zurück, die Shaba-Invasion begann. Von Kuba und der UdSSR unterstützt, schien es, als hätten sie gleich mehrere Ziele. Katanga zurückerobern, Mobutu destabilisieren, die Clans gegeneinander ausspielen und einen ökonomischen Krieg beginnen. Dank seiner Elite-Division Kamanyola und einem marokkanischen Expeditionscorps gelang es Mobutu, den Aufruhr zunächst niederzuschlagen und die Katanga-Gendarmen in Schach zu halten. Diese jedoch, Nathanael M’Bumba an ihrer Spitze, wollten Lubumbashi um jeden Preis einnehmen. Kolwesi und die Gécamines, beide Symbole des belgischen Kolonialismus, lagen genau auf dem Weg dorthin. Kolwesi zu stürmen bedeutete, einen Dolch mitten ins Herz Mobutus zu stoßen. Wie ein Schwarm wild gewordener Mörderbienen fielen die Katanga-Gendarmen, wegen ihrer Badges auf der Uniform auch Tiger genannt, über die Stadt her, denn genau deshalb waren sie gekommen: Um zu töten! Und so nahmen die Ereignisse ihren Lauf.

Chronologie der „Mission Impossible”
Kolwesi, 13. Mai 1978

Ein Tiger-Rebell bei Kolwesi.
© 2. REP
Samstag, sehr früh am Morgen. Der Mann, ein Belgier, der seit sechs Jahren für das Unternehmen Gécamines arbeitete, stürmte in seine Villa, schloss die Tür und schob beide Riegel vor. Seiner Frau und den beiden Kindern gebot er, still zu sein. Dann betete er. Überall in der Stadt spielten sich ähnliche Szenen ab. Vom Flughafen her, waren an diesem Tag sehr heftige Detonationen zu hören. Schnell wurde klar: es war Krieg! Unter den Bedrohten befanden sich knapp 2000 Europäer. Hauptsächlich handelte es sich um Belgier, Mitarbeiter der Firma Gécamines, etwa vierhundert Franzosen, aber auch Amerikaner, Italiener, Griechen und Libanesen. Gécamines stand für Générale des Carrières et des Mines. Ganz Kolwesi schien damals für dieses gut florierende Bergbauunternehmen zu arbeiten, das hauptsächlich Kupfer und Kobalt abbaute. Ökonomisch gesehen war Zaire ohne Gécamines gar nichts, denn das Unternehmen erwirtschaftete bis zu 70 Prozent der Exporteinnahmen des Landes. Gécamines bedeutete für die dort lebenden, friedfertigen Afrikaner und Europäer also alles. Die „Firma“ bot nicht nur sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze, sondern auch eine relativ moderne Infrastruktur. Es gab Schulen, Krankenhäuser und ein hervorragend ausgebautes Straßennetz. Grüne Hecken und rot-weiß-gelbe Bougainvilleas verbargen oft den Blick auf wundervolle Gärten und auf immergrünen Rasen. Die dahinterliegenden Villen der Angestellten, stattlich, hell und weiträumig, strahlten Wärme aus. Unweit der Stadt lag ein See, in dem die Familien am Wochenende oder in ihrer Freizeit Wasserski fahren oder einfach nur ein Picknick machen und die Seele baumeln lassen konnten. Den europäischen Familien, die hier wohnten, fehlte es an nichts. Sie fühlten sich wohl und in Sicherheit. Sicher, sie waren isoliert, aber sie lebten meist glücklich vor sich hin. Zumindest bis zu dem Tag, an dem Rebellenführer Nathanael M’Bumba und mit ihm der blanke Horror kam. Es war eine Ironie des Schicksals, dass Frankreich nicht von Belgien oder von Mobutu selbst über die Einnahme Kolwesis durch die Katanga-Rebellen erfuhr, sondern von den amerikanischen Geheimdiensten. Der Einmarsch von Truppen aus Angola, es handelte sich um Rebellen der linksgerichteten Front national de libération du Congo (FNLC), erhitzte in den darauffolgenden Tagen die Gemüter der Supermächte und der westlichen Staaten. Die Belgier, die Briten sowie die US-Amerikaner versetzten ihre besten Truppen, mit anderen Worten die Para-Commandos, das Parachute Regiment und die 82. US Airborne Division, in Alarmbereitschaft. Mobutu, Zaires damaliger Präsident, wandte sich aber an Frankreich. Oberst Gras, selbst ein alter Fallschirmjäger und zur Zeit der Geschehnisse Chef der französischen Militär-Kooperation in Zaire, war derselben Meinung. Er wusste, dass der Auftrag höchst delikat sein würde. Und er hatte so seine Idee.

14. Mai 1978

Zeichnung eines ehemaligen Kämpfers des 2. REP.
© l’Amicale des Anciens Légionnaires Parachutistes (A.A.L.P).
Die Nachrichten, die an diesem Tag von Kolwesi an die Medien in Europa drangen, zeugten von Massakern. Die Rebellen hatten angeblich sechs am Vortag entführte französische Techniker einer Militär-Kooperation an Bord eines Jeeps aus der Stadt gebracht und sie tief in den Busch gefahren. Es bestand damals schon kaum ein Zweifel, dass sie dort hingerichtet oder weiter nach Angola verschleppt wurden. In den Militärstäben in Frankreich machte man sich inzwischen ernsthafte Gedanken. Wie, so fragte man sich, konnte man den Tiger-Rebellen beikommen? Die Militärtaktik der Tiger war damals simpel. Sie führten einen Überraschungsüberfall durch, massakrierten die Bevölkerung und gaben sich im Suff und im Drogenrausch wüsten Plünderungen hin. Stießen sie auf einen Gegner, fuhren sie ihre Krallen aus. Meist setzten sie dabei auf ihre zahlenmäßige Überlegenheit. Das sollte Abschreckungsfaktor genug sein. Die Überlegungen der Stabschefs in Frankreich gingen dahin, dass man so einem Gegner nur beikommen konnte, wenn man zumindest die erste Taktik, die des blitzschnellen Angriffes und des rasanten Überfalls, besser beherrschte als er selbst. Deshalb kam weltweit nur eine Einheit in Frage. Die Amerikaner hatten die 82. Airborne Division, das war richtig, aber Frankreich hatte eine ungleich schärfere Waffe: die Legionäre des 2. REP!

 16. Mai 1978

Um 10 Uhr an diesem Morgen sprang eine Kompanie Fallschirmjäger der Armee von Zaire über Kolwesi ab. Die Soldaten der zweiten Kompanie des 311. Bataillons wurden jedoch noch in der Luft an den Schirmen hängend von den Rebellen wie Tontauben auf dem Schießstand abgeschossen. Wer dennoch unversehrt den Boden erreichte, wurde gerichtet. Ohne Pardon. Die Einheit, Mobutus letzter Trumpf gegen die Tiger-Rebellen, wurde dabei total vernichtet. In Kreisen der belgischen Presse wurde irrtümlich laut verkündet, dass hunderten von europäischen Fallschirmjägern in Kolwesi von den Tiger-Rebellen der Garaus gemacht wurde. Diese „Ente“ hatten Vertreter der FLNC in Brüssel in Umlauf gebracht. Der gescheiterte Versuch des 311. Bataillons steigerte die Wut der Rebellen ins Unermessliche. Und ihre Wut ließen sie an den Zivilisten aus. An den afrikanischen Zivilisten zunächst. Diese arbeiteten samt und sonders für Gécamines. Es waren Fahrer, Ingenieure und Grubenarbeiter. Viele wurden aus purer Willkür einfach erschossen.

Einige kubanische Offiziere und ein ostdeutscher Militär-Berater, die die FLNC begleiteten, gaben später zu, dass auch sie völlig überrascht von der Brutalität und dem undisziplinierten Verhalten der Tiger waren.

Bereits zu jenem Zeitpunkt kam es auch zu den ersten Übergriffen auf die meist belgischen und französischen zivilen Geiseln. Einige mussten sich nackt ausziehen und vor den Rebellen, von denen ausfallend viele Portugiesisch sprachen, tanzen. Anderen wurde eröffnet, dass sie zum Tode verurteilt waren. In Scheinexekutionen wurden sie an einer Mauer stehend aufgereiht oder auf die Knie gezwungen, die Mündungen der Waffen ihrer Peiniger im Genick. Kalter Stahl auf warme Haut! Einige Belgier zwang man dazu, in einen See zu steigen. Als sie im Wasser waren, losschwammen und sich etwas vom Ufer entfernt hatten, wurde auf sie geschossen. Trotz oder gerade wegen dieser Demütigungen waren alle Europäer nur von einem Willen beflügelt: Überleben! Dazu gehörte es, sich in Toiletten, in Kellern und in kleinen Kammern zu verbarrikadieren und den Blick zu senken, wenn sie doch gefunden wurden. Nur Unterwürfigkeit wurde toleriert. Wer Mut zeigte, wurde auf der Stelle erschossen. Die Rebellen betranken sich, nahmen Drogen und vergewaltigten Frauen, wo immer sie eine fanden. Sie plünderten jedes Geschäft, jedes Haus, jede noch so kleine Hütte. In ihrer Spur hinterließen sie Blut, Rauch und menschliche Scham. Und im fernen Europa? Belgien schien nur langsam und sehr zögerlich aus einem Tiefschlaf zu erwachen, Paris hingegen war längst hellwach.

Zurück in Zaire, kaum etwas später am selben Tag

Ein Konvoi mit 200 Elitesoldaten des 311. Bataillons unter dem Befehl von Major Mahele verließ die Garnison in Lubumbashi. Die afrikanischen Fallschirmjäger sollten retten, was in Kolwesi noch zu retten war. In den Sümpfen von Kazembe fielen sie jedoch in einen fein ausgeklügelten Hinterhalt der Katanga-Gendarmen. Im Zaire der Jahre danach genoss Mahele den Status eines Helden. Dies war hauptsächlich auf sein Verhalten auf der Strecke zwischen Lubumbashi und Kolwesi an diesem Tag zurückzuführen. Anstatt wie der Großteil seiner Männer einfach davonzurennen, griff er die Katanga-Gendarmen mit der Pistole in der Hand an und riss eine Handvoll seiner Männer mit. Zusammen gelang es ihnen schließlich, die Rebellen mehrmals an diesem Tag in die Flucht zu schlagen. Vier Stunden nachdem sie von Lubumbashi aufgebrochen waren, kontrollierten die Paras der Forces Armées Zaïroises (FAZ) den Flughafen in Kolwesi. Nur den Flughafen, mehr nicht! Gegen den jedoch rannten die Tiger unablässig an, und es war zu diesem Zeitpunkt nur eine Frage von Stunden, bis sie auch die letzten Verteidiger ausgeräuchert hatten.

Kolwesi / Paris, 17. Mai 1978

Es bestand keine Kommunikation mehr zwischen Kolwesi und den belgischen Stäben und Verantwortlichen. Während die Politiker in Belgien noch von einer friedlichen Lösung träumten und ohne Washington nichts unternehmen wollten, machte Frankreich nun Ernst. Ein Sieg und damit das Ende der Willkür, und das wussten die Generäle, kommt nur, wenn man ihn erzwingt. Und so war in den Stäben der Einsatz der Paras Legion längst entschiedene Sache. Staatspräsident Giscard d’Estaing, der übrigens nie der festen Meinung war, dass die Befreiung der Stadt Kolwesi eine Affäre sei, die ausschließlich die Belgier etwas anging, hatte sich von seinen Militärberatern restlos überzeugen lassen. Noch am selben Tag telefonierte er mit dem belgischen Premierminister Leo Tindemans und informierte ihn über ein imminentes Eingreifen Frankreichs. Giscard d’Estaing war fest entschlossen, das Thema wurde nicht diskutiert: Nicht mehr!

Korsika, Calvi

Links im Bild Colonel Erulin
© 2. REP
Wer das Tor zum Camp Raffalli durchschreitet – was nur gelingt, wenn der grimmig aussehende Wachposten mit dem Képi Blanc dies ausdrücklich erlaubt –, dessen Blick fällt als Erstes auf das Mahnmal der Toten der Fallschirmjäger der Fremdenlegion mit der Aufschrift More Majorum. Zwanzig Meter dahinter befindet sich ein zweistöckiges Gebäude. Steht der Besucher unmittelbar davor und hebt seinen Blick etwas an, dann erkennt er hinter dem stets nur angelehnten Fenster in der ersten Etage die Silhouette des Mannes, der alle Fäden in der Hand hält: Oberst Philippe Erulin! Erulin stammt aus einer alt-traditionellen Militärfamilie. Sein Vater, ebenfalls Colonel, starb 1952 an einer Verletzung, die er im Indochinakrieg davongetragen hatte. Ein Jahr nach seinem Tod trat Sohn Philippe der renommierten Offiziersschule Saint-Cyr bei. Kaum die Promotion hinter sich, kämpfte er als junger Leutnant im Algerienkrieg und landete schließlich, wie die meisten Offiziere, die das Außergewöhnliche suchten, in der Fremdenlegion. Nicht bei den Paras, sondern im dritten Regiment. Erst 1972 stieß er als S3-Offizier zu den Parachutisten des 2. REP. Doch er war ehrgeizig, er trachtete nach mehr. 1976 war es schließlich so weit. Er stand ganz oben. Damals schon gab es keine schönere Aufgabe, als Regimentskommandeur der Fallschirmjäger der Legion zu sein. Doch wem man diese Ehre anvertraute, der hatte auch einen enormen Druck auf seinen Schultern. Die Schultern von Oberst Erulin waren eher schmal, was aber nichts zu sagen hatte. Es war fast Mittag, als in seinem Büro das Telefon klingelte.

»Erulin?«

Der Oberst, dem nur noch drei Monate im Regiment blieben, hörte genau zehn Sekunden zu und legte dann mit gemischten Gefühlen wieder auf. Der Anruf kam direkt von der elften Luftlandedivision. Eine Bestätigung per Telegramm sollte folgen. Der Text war militärisch knapp.

´Bonite … 6 Stunden … Guépard plus 2 Kompanien!`

Erulin lehnte sich ein paar Sekunden in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen. Es war die Ruhe vor dem Sturm, das ahnte er. Und er ließ seine Gedanken fliegen. Es gab niemanden im Regiment, der besser als er wusste, dass sich ein normales Guépard-Kontingent aus einem Führungsstab (EMT), zwei Kampfkompanien, einer reduzierten Stabs- und Versorgungseinheit und einem Mörserzug zusammenstellte. Die Guépard- Einheiten trainierten stets nahe der Garnison, hatten eine „Paquetage Guépard“, die individuelle Ausrüstung für den Einsatz, fertig, überprüft, versiegelt und abholbereit in der Kleiderkammer des Regimentes, und in den Lagern des Fallschirmpackerzugs stapelten sich fertig gepackt die notwendigen Fallschirme. Außerdem besaßen die Legionäre einen persönlichen, verplombten Trousse Para-Commando. Es handelte sich hierbei um ein persönliches Erste-Hilfe-Set, das der Legionär an seinem Koppeltragegestell befestigen konnte, nein, musste! In diesem befanden sich Morphium, Schmerztabletten, Pflaster, Verbandszeug und Desinfektionsmittel etc. Die Männer bekamen, sobald sie in den Guépard-Zyklus tauchten, alle notwendigen Auffrischungen, was wichtige Impfungen für den Einsatz in fernen, tropischen Ländern anging. Sie waren also, zumindest aus ärztlicher Sicht, „tauglich“. Waffen, Optik und Funkgeräte waren überprüft, die Pässe der Legionäre waren es auch. Jeder, egal wo er herkam und welchen Status und welchen Dienstgrad er innehatte, besaß einen französischen Pass. Nicht am Mann, aber im Koffer des verantwortlichen Sekretärs des Regimentes. Und natürlich stand die Guépard-Munition auf Paletten im Munitionslager bereit. Die Lastwägen für den Transport waren stets vollgetankt, die Fahrer bestimmt und immer erreichbar. Jeder Mann, der an Guépard teilnahm, wusste, wie er sich verhalten sollte, wenn es mal losging. Die oben eingetroffene Meldung ´Guépard plus zwei Kompanien` sprengte bei weitem den üblichen Rahmen. Im Klartext sollte sie heißen, dass das Regiment, sollte der Mobilmachungsbefehl Zaire (Codename Bonite) eintreffen, innerhalb von sechs Stunden mit Mann und Maus und allem Kriegsgerät am Flughafen Solenzara bereitstehen sollte, um in die Maschinen zu steigen.

Sechs Stunden!

Sollte sich der Einsatz bestätigen, so dachte Oberst Erulin, dann wäre das nur gerecht. Paris hatte das 2. REP, was Einsätze anging, in den letzten Jahren total übersehen. Außer einer Handvoll Legionäre unter dem Befehl von Oberstleutnant Lhopitallier im Tschad, hatte sich, operationell gesehen, wenig getan. Es war bitter genug, zu wissen, dass die Fallschirmjäger des 3. RPIMA gerade als Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon eingesetzt waren, dass andere Einheiten sich gerade in Mauretanien, im Tschad oder anderswo profilierten, während le fleuron – die Elite – der französischen Armee nur Ausbildung betrieb. Das ging gar nicht. Seine Männer waren ungeduldig, ja sie platzten geradezu vor Eifer. Oberst Erulin hätte sich glücklich schätzen können ob der Nachricht, wäre da nicht die Tatsache, dass, was das Personal anging, gerade Flaute im Camp Raffalli herrschte. Die Kompanien waren fast alle außerhalb der Garnison unterwegs. Der Oberst sah auf die Uhr und griff dann hastig zum Telefon. Es war elf, als das gesamte Regiment in Alarmbereitschaft versetzt wurde. Oberst Erulin verbrachte die nächsten zwanzig Minuten am Telefon. Er hatte natürlich so seine Bedenken, denn wie bereits erwähnt waren viele Legionäre weit weg, bei der Ausbildung. Zum Beispiel in Montlouis und Collioure auf dem Kommando-Lehrgang CNEC oder zur Ausbildung der Kader in Castelnaudary. Ein großes Kontingent der zweiten Kompanie befand sich in Bastia, im Nordosten Korsikas. Die erste Kompanie trainierte am Verghio Pass im Schatten des Monte Cinto, und ein anderes Détachement war im Landesinneren, in Corte, am Werke. Erulins Bedenken erwiesen sich jedoch als unbegründet. Er unterschätzte wohl den Willen seiner übergeordneten Dienststelle, der 11. DP, sehr effizient, extrem autoritär und vor allem entscheidend schnell auf die Situation zu reagieren. Wenn jemand begründete Bedenken haben sollte, dann waren es die Legionäre auf dem Kontinent. Ihre Angst, nicht rechtzeitig in Calvi zu sein und den eventuellen großen Coup zu verpassen, war groß. An diesem Tag liefen die Telefone und Funkgeräte zwischen Oberst Erulins Hauptquartier im Camp Raffalli und Toulouse, dem Sitz der elften Luftlandedivision, heiß. Alle Legionäre, die sich in Frankreich befanden, sammelten sich unverzüglich in Toulouse, wo bereits ein Flugzeug Richtung Calvi auf sie wartete. Zehn Stunden, nachdem das Regiment in Alarmbereitschaft versetzt worden war, waren alle Männer in der Garnison und fieberten einem Abenteuer entgegen, das noch kein Gesicht, keinen Namen hatte. An diesem Abend gab es Ausgangssperre. Nur die Kader, die in der Stadt wohnten, durften Camp Raffalli verlassen. Garant, dass dies auch von allen Legionären eingehalten wurde, war die pausenlos umherstreifende Militärpolizei. Viele Legionäre wollten sich gerne noch von ihrem Mädchen verabschieden, doch es sollte wohl nicht sein: Tant pis, Pech gehabt!

Calvi, 18. Mai 1978

Die einfachen Legionäre wussten nicht, ob es sich um eine Übung handelte oder ob tatsächlich mehr dahintersteckte. Selbst die Zugführer konnten höchstens erahnen, was sich da anbahnte. Die Offiziere im Stab hingegen arbeiteten fieberhaft, denn sie mussten alle Eventualitäten vorbereiten. Auch einen Einsatzsprung. Selbst das 2. REP schüttelte einen Einsatzsprung nicht einfach so aus dem Ärmel. Alles musste sorgsam geplant sein, denn es ging nicht zuletzt um Menschenleben. Schlafen war in Colonel (Oberst) Coevoet. Links kurz vor seinem Einsatz in Kolwesi 1978, rechts bei seiner Abschiedsfeier in der Kaserne Sampiero, Calvi 1990
© 2. REP
dieser Planungsphase ein Fremdwort, es gab nur Zeit und das Anrennen dagegen. Zwischen dem ständigen Blick auf die Uhr, sich überschlagenden Neuigkeiten aus Kolwesi und stapelweise eintreffenden Faxen aus Toulouse war Kaffee das beste Mittel, wach zu bleiben. Capitaine Coevoet konnte ein Lied davon singen. Er war verantwortlich für die Verteilung der ganzen Kriegsfracht und der Legionäre in den Flugzeugen. Das hörte sich leicht an, war es aber nicht, denn Zahlen, Zeiten, Sicherheitsmaßnahmen für Munition sowie die Typen der Maschinen änderten sich ständig. Es war zum Haareraufen, auch wenn er, wie fast alle Legionäre, kaum welche hatte.

… kurz nach Mitternacht, gegen 1 Uhr 30

Ich war selbst oft Offizier vom Wachdienst im legendären Camp Raffalli. Auch deswegen kann ich gut nachvollziehen, in welcher Gemütslage sich der Unteroffizier, es war damals wohl Adjudant Hessler, in dem Moment befand, in dem die Funkzentrale plötzlich anrief und ihm eröffnete, dass ein angeblich sehr wichtiges Fax eingetroffen sei. Man begutachtet es, man zögert, hadert mit sich selbst: Soll man den zuständigen Stabsoffizier tatsächlich wecken und somit seinen Zorn provozieren, oder hat es Zeit bis morgen früh? Nun, jedes Fax trägt auf dem Kuvert, sowie auch auf dem Dokument selber, einen roten Stempel. Dieser zeugt vom Dringlichkeitsgrad der Meldung. An diesem Tag des 18. Mai war es eine Immédiat! Eilt! Die Geheimhaltungsstufe in diesem Fall war Confidentiel-Défense. Ein solches Schreiben muss vom Offizier vom Wachdienst oder seinem Stellvertreter abgeholt, gelesen, der Eingang per Fax bestätigt und der Regimentskommandeur via Officier Securité Adjoint unverzüglich informiert werden. Sicher war es am frühen Morgen des 18. Mai kurz nach 1 Uhr 30 nicht anders. Das Hauptquartier in Toulouse hatte Einsatzbereitschaft „drei Stunden“ befohlen. Während der Offizier vom Wachdienst sofort alle notwendigen Schritte veranlasste, informierte sein Stellvertreter die Wache. Der wachhabende Unteroffizier ließ den Clairon (Trompeter) wecken, rannte hinüber zu einem hölzernen Kästchen an der Wand, riss es auf und drückte auf einen Knopf, woraufhin im ganzen Camp die Sirenen ertönten. Sofort glich Camp Raffalli einem Bienenschwarm, dem man einen Fußtritt verpasst hatte. In der gesamten Garnison wurden Funksprüche abgesetzt. Gendarmen schwärmten aus, um die Infos weiterzugeben. Am Kai und in der Bucht von Calvi gingen überall Lichter an. Stimmen wurden laut. Rüde Männerstimmen, die das Befehlen gewohnt waren. Die Soldaten trugen das Képi Blanc, olivfarbene Kampfuniformen und eine grün-rote Armbinde mit zwei weißen, fetten Buchstaben darauf: PM – Militärpolizei! Diese kantigen Typen alarmierten die Legionäre, die, allen Verboten zum Trotz, in der Stadt unterwegs waren. Ein Willys Jeep raste derweil in Richtung Champeau, Santore, entlang des Boulevards Wilson und hinauf in die Haute Ville, in die Stadtteile also, in denen Offiziere, Unteroffiziere und verheiratete Hauptgefreite wohnten. Kaum vor Ort, sprang der Trompeter heraus und blies Alarm. Es war ein Lauf gegen die Zeit. Für die Mannschaftsdienstgrade unter den Legionären, die in Camp Raffalli schliefen, den Obergefreiten einschließlich, gab es jedoch kaum Überraschungen. Jeder wusste, was zu tun war. Man war Situationen wie diese gewohnt.

Ein französischer Fernsehsender sprach an diesem Tag vom imminenten Eingreifen von 1000 Soldaten, die von Korsika aus an Bord von drei DC-8 bald schon Richtung Zaire abheben würden.

Calvi, 18. Mai 1978, kurz vor 4 Uhr morgens

Links im Bild Colonel Erulin, rechts General Lacaze in Solenzara kurz vor dem Besetzen der Maschinen Richtung Kinshasa
© 2. REP
Wie mit einem Strich gezogen, reihten sich die Gebäude der Kampfkompanien Eins bis Vier an der Straße entlang der Sprungzone, bis hin zum Fiume Secco. Sie lagen so dicht beieinander, dass die Befehle an diesem Morgen sich fast schon überschnitten.

»Aufsitzen!«

Die Legionäre kletterten auf die bereitstehenden LKWs und verlegten nach Solenzara, zur Luftwaffenbasis 126. Diese war hundertsechsundfünfzig Kilometer entfernt. Das Legionärs-Kontingent setzte sich wie folgt zusammen:

  • Vier Kampfkompanien zu je 138 Legionären
  • Ein Aufklärungszug / 36 Legionäre
  • Eine Stabs- und Versorgungskompanie (inklusive eines taktischen Führungsstabs plus ein Mörserzug) / 116 Legionäre
  • Ein Unterstützungs-Element / vier Soldaten des 13. RDP (Fernspäh-Luftlandeverband)

Alles in allem standen damit etwa 700 Legionäre bereit.

 -Ende Teil Eins-

 

Über den Autor
Thomas Gast
Thomas Gast
Im Februar 1985 engagierte der Autor in der Fremdenlegion, wo er bis Anfang 2002 blieb. Nach der Legion war Thomas Gast lange Zeit in der Sicherheitsbranche tätig. Er arbeitete und lebte in Saudi Arabien (als Sicherheitsmitarbeiter – Klient: Delegation der Europäischen Kommission in Riad); Haiti (als Security- Country Manager – Klient: Delegation der Europäischen Kommission in Haiti); Israel (als stellvertretender Country Manager am ECTAO – European Commission Technical Assistance Office); Yemen (als Security- Teamleiter für Surtymar / YLNG – Yemen Liquefied Natural Gas); Rotes Meer – Golf von Aden – Arabische See (als Privately Contracted Armed Security Personnel (PCASP) bewacht der Autor seit Juni 2014 Schiffe vor Piratenangriffen. Sein Buch ´PRIVATE SECURITY` findet in der Sicherheitsbranche regen Zuspruch. Foto: Thomas Gast mit seiner Neuerscheinung PRIVATE SECURITY. © Thomas Gast
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