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Drei Phasen eines Blackouts
Foto: © Herbert Saurugg

Blackout: Ein gesellschaftlicher Kollaps

Von Herbert Saurugg

Die Transformation des Stromversorgungssystems, vulgo Energiewende, ist voll im Gange. Mancherorts wird sie bereits als große Erfolgsgeschichte gefeiert. Doch nicht alles was glänzt ist auch Gold. So leider auch bei diesem Thema. Was mit großer Euphorie und Versprechungen betrieben wird, könnte in der größten Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg enden. Denn das europäische Verbundsystem ist ein hochsensibles Gebilde.

Einseitige Systemeingriffe gefährden nicht nur das Stromversorgungssystem, sondern unsere gesamte Gesellschaft.
Das europäische Stromversorgungssystem zählt zu den verlässlichsten der Welt. Dennoch steigt seit Jahren die Gefahr für einen großflächigen Ausfall, einem sogenannten Blackout oder europaweiten Strom- und Infrastrukturausfall. Das klingt paradox. Doch eine steigende Anzahl von unterschiedlichen Faktoren führen dazu, dass der sichere Netzbetrieb immer schwieriger und aufwendiger wird. Zudem fehlt in vielen Bereichen das notwendige Wissen um die technischen und physikalischen Zusammenhänge. Gleichzeitig verlassen wir uns völlig auf die sehr hohe Versorgungssicherheit. In der gesamten Gesellschaft fehlen adäquate Rückfallebenen, um mit größeren Störungen umgehen zu können. Eine sehr gefährliche Kombination.

Marktaufsplittung

Das Ganze begann mit der europäischen Marktliberalisierung um die Jahrtausendwende, um die bestehen-den Monopole aufzubrechen und die Preise für die Kunden zu senken. Bisherige Strukturen wurden zerschlagen und aufgeteilt. Der Kraftwerks- und Netzbetrieb sowie der Vertrieb sind nun voneinander getrennte Gesellschaften. Damit ging auch die Gesamtsicht und -verantwortung verloren. Jedes Unternehmen ist dazu angehalten, seine betriebswirtschaftliche Eigenoptimierung durchzuführen. Der sogenannte Energy-only-Market kümmert sich per Definition nicht um die infrastrukturellen Voraussetzungen oder um physika-lische Grenzen. Auf der Strombörse wird Strom wie eine Ware gehandelt, die zu jeder Zeit überall gleich verfügbar sein kann, was jedoch nicht der technischen Realität entspricht.

Permanente Balance

Unser Stromversorgungssystem funktioniert nur, wenn sich Erzeugung und Verbrauch permanent im Einklang befinden. Diese Balance wird über die Frequenz gemessen und sie muss 50 Hertz betragen. Eine Abweichung von 0,2 Hertz, also zwischen 49,8 und 50,2 Hertz ist zulässig und notwendig, damit das System „at-men“ kann. Darunter oder darüber spricht man bereits von einem gestörten Betrieb, wo stufenweise automatisiert Verbraucher bzw. Erzeuger vom Netz getrennt werden, um möglichst rasch die Systemstabilität wiederherzustellen. Steigt die Instabilität weiter und fällt oder steigt die Frequenz unter 48 bzw. über 52 Hertz, kommt es zum Kollaps, also dem Totalausfall („Blackout“). Alle Betriebsmittel, wie Kraftwerke oder Umspannwerke, müssen sich spätestens dann aus Eigenschutzgründen abschalten, da es andernfalls zu physischen Schäden kommen würde. Wenn mehr verbraucht wird, als geliefert werden kann, sinkt die Frequenz. Wenn zu wenig abgenommen wird, steigt die Frequenz.

Am 10. Jänner 2019: 49,8 Hertz

© netzfrequenz.infoDurch den Fahrplanwechsel von Kraftwerken zum Stundenwechsel kommt es fast täglich in den Morgen- und Abendstunden zu Frequenzeinbrüchen, die in der Regel bis 49,9 Hertz reichen. Offensichtlich wird das durch den Stromhandel ausgelöst und stellt in der Regel kein Problem dar. Anders am 10. Jänner 2019. Durch weitere Ereignisse, die noch von den europäischen Übertragungsnetzbetreibern untersucht werden, kam es zu einem weiteren Frequenzeinbruch, der genau bei 49,8 Hertz gestoppt werden konnte. Die Sicherheitsmechanismen haben gegriffen. Jedoch hätte ein weiteres unvorhergesehenes Ereignis einen Dominoeffekt mit unvorhersehbaren Folgen auslösen können, wie zuletzt am 4. November 2006. Damals ereignete sich die bisher größte Großstörung im europäischen Stromversorgungssystem. Eine geplante Leitungsabschaltung und das Zusammentreffen von unerwarteten Ereignissen führte dazu, dass binnen 19 Sekunden 10 Millionen Haushalte in Westeuropa vom Netz getrennt werden mussten. Es gelang zum Glück noch in letzter Sekunde den Totalkollaps abzuwenden. Dass das unter den heutigen Rahmenbedingungen nochmals gelingen könnte, wird stark bezweifelt.

Infrastruktur

Heute kann kaum mehr ein erforderliches Infrastrukturprojekt ohne massive Bürgerwiderstände umgesetzt werden. Alle möchten zwar den damit verbundenen Komfort nutzen, aber kaum jemand die damit verbundenen Nebeneffekte akzeptieren. Ein Paradoxon, das sich nicht auflösen lässt. Zudem wird gerne übersehen, dass für eine funktionierende Stromversorgung nicht nur Erzeugungsanlagen erforderlich sind. Aber die Energiewende dreht sich bisher fast ausschließlich um die Erzeugung von Strom aus regenerativen Quellen, also aus Wind und Sonne. Diese Produktion ist jedoch sehr volatil, also schwer planbar, weil Wind und Son-ne nicht verlässlich verfügbar sind. Oft wird übersehen, dass der in fossilen Energieträgern immanent vorhandene Energiespeicher (Kohle, Gas, Uran) kompensiert werden muss. Speicher bzw. besser gesagt eine Energiebevorratung, die über mehrere Zeitintervalle von sofort bis saisonal reicht, sind für eine sichere Stromversorgung unverzichtbare Voraussetzung. Ersatzlösungen sind zwar absehbar, jedoch weit entfernt von einer breiten Umsetzung. Besonders kritisch ist dabei auch noch, dass das bisherige System durch die rotierenden Massen der Generatoren (Momentanreserve) permanent stabilisiert wird. Diese werden jedoch in den kommenden Jahren durch die Stilllegung von Kern- und Kohlekraftwerken deutlich reduziert, womit zwangsläufig die Systemstabilität sinkt. Derzeit gibt es keinen Ersatz.

Herausfordernder Netzbetrieb

Die europäischen Netzbetreiber machen daher tagtäglich einen hervorragenden Job, ohne dem es bereits längst zum Blackout gekommen wäre. Die Rahmenbedingungen machen es jedoch zunehmend schwieriger, die Systemsicherheit aufrechtzuerhalten, was von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Allein in Österreich sind die Engpassmanagementkosten von zwei Millionen Euro im Jahr 2011 auf 319 Millionen Euro im Jahr 2017 explodiert.

Sonstige Umfeldbedingungen

Hinzu kommen eine Reihe von weiteren Faktoren, wie neue Marktplayer, steigender Kostendruck, die „Digitalisierung“, Cyber-Angriffe, Extremwetterereignisse, alternde Infrastrukturen, usw. All dies führt in der Kombination dazu, dass die Anfälligkeit gegenüber Großstörungen bis hin zum Blackout steigt. Ein Blackout wird nicht durch ein Einzelereignis ausgelöst. Diese werden tagtäglich beherrscht. Ein System, das jedoch bereits laufend unter schwierigen Bedingungen betrieben werden muss, ist anfälliger gegenüber Störungen. Gleichzeitig wissen wir, dass ein europaweiter Strom- und Infrastrukturausfall („Blackout“) katastrophale Auswirkungen auf unsere moderne und stromabhängige Gesellschaft hätte. So wie die Entwicklungen bisher gelaufen und in den nächsten Jahren geplant sind, erwartet der Autor, dass es binnen der nächsten fünf Jahre zum Eintritt kommen wird.
Ein europaweiter Strom- und Infrastrukturausfall („Blackout“)

Bei einem Blackout würde binnen weniger Sekunden in weiten Teilen Europas die Stromversorgung ausfallen. Zeitgleich bzw. zeitnah würden damit auch so gut wie alle stromabhängigen Infrastrukturen ausfallen. Beginnend mit der Telekommunikationsversorgung, womit sämtliche Produktions- und Logistikprozesse wie auch das Finanzwesen abrupt stoppen würden. Ein völliger gesellschaftlicher Stillstand wäre die Folge. Je nach Region würde es auch zeitnah zu Problemen oder sogar zum Ausfall der Wasserversorgung kommen. Auf jeden Fall sind Probleme in der Abwasserentsorgung zu erwarten, da hier häufig Hebewerke zum Einsatz kommen. Kliniken verfügen zwar über eine Notstromversorgung. Sie haben jedoch wie viele andere Bereiche sehr viele externe Abhängigkeiten. Damit könnte, wenn überhaupt nur mehr ein sehr eingeschränkter Notbetrieb sichergestellt werden. Gleichzeitig wird die „Lichtinselfunktion“ unterschätzt. Gerade in der kalten Jahreszeit würden beleuchtete Objekte rasch hilfesuchende Menschen anziehen. Auf das ist jedoch kaum eine Einrichtung vorbereitet. Der Pflege- oder Medikamentenversorgungsbereich ist noch viel weniger auf eine solche Störung vorbereitet. Damit steigt rasch die Chaosgefahr.

Auf europäischer Ebene wird mit einer Wiederherstellungszeit der Stromversorgung von rund einer Woche gerechnet. Das wird natürlich regional sehr unterschiedlich ausfallen, da der Netzwiederaufbau sukzessive Abschnitt für Abschnitt erfolgt. Zugleich kann beim Zusammenschalten von Teilnetzen immer etwas schief gehen, da es sich dabei um keinen trivialen Vorgang handelt. Die Konsequenz wäre ein erneuter Ausfall.

Phasen eines Blackouts

Dabei ist die Phase 1, also während des Stromausfalls, die noch am besten bekannte und abschätzbare. Denn die Netzbetreiber bereiten sich seit Jahren auf den Tag X vor. Das was aber völlig unterschätzt wird, ist die Phase 2. Wenn also die Stromversorgung wieder weitgehend funktioniert, die Telekommunikations-

versorgung jedoch noch nicht. Wie lange es dauern könnte, bis diese über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen wieder halbwegs stabil funktionieren, kann niemand absehen. Das wird auch wesentlich von der Stromausfallsdauer bzw. der Verfügbarkeit von Notstromeinrichtungen abhängen. Denn nach verschiedenen lokalen Stromausfällen wurde festgestellt, dass im IT-Hardwareumfeld bei einem Infrastrukturbetrieb (24/7/365) bis zu 30 Prozent Hardwareschäden auftreten können. Bei einem Blackout kann man weder kommunizieren, um Ersatzteile zu organisieren, noch gibt es diese in dieser Menge. Weltweit nicht. Zum anderen müssen massive Überlastungen beim Wiederhochfahren der Netze erwartet werden, wenn alle gleichzeitig telefonieren wollen. Ohne Telekommunikation funktioniert jedoch weder eine Produktion noch eine Logistik, ja nicht einmal eine Treibstoffversorgung.

Unzureichend Vorsorge

Gleichzeitig wissen wir aus Untersuchungen, dass sich rund ⅓ der Bevölkerung maximal vier Tage und rund ⅔ maximal sieben Tage selbst über Wasser halten kann. Es wird in dieser Zeit niemand verhungern. Aber es macht die Situation nicht einfacher. Schon gar nicht, wenn die Mitarbeiter, welche die Systeme wieder-hochfahren sollen, sich um ihre eigenen Familien kümmern müssen.

Die fehlende persönliche Vorsorge ist daher der absolute Knackpunkt in der Krisenbewältigung. So lange diese nicht wesentlich verbessert wird, werden organisatorische Maßnahmen kaum greifen. In der Regel hängen diese noch dazu von funktionierenden Kommunikationskanälen ab.

Sicherheitsparadoxon

Truthahn-Illusion
Foto: © Herbert Saurugg
Ohne dass uns Bewusst ist, haben wir uns in den vergangenen Jahrzehnten in eine sehr gefährliche Sackgasse manövriert. Auf der einen Seite haben wir durch die massiv gestiegene Vernetzung nicht nur eine bisher nicht bekannte Wohlstands- und Komfortzone geschaffen, sondern auch die Verwundbarkeit massiv erhöht. Durch den sehr hohen Optimierungs- und Effizienzsteigerungsdruck haben wir gleichzeitig so gut wie alle Rückfallebenen, also Reserven und Redundanzen, wegoptimiert und eingespart. Der Klassiker sind Krankenhäuser, wo die diversen Leistungen outgesourct wurden, jedoch nicht die Verfügbarkeitsanforderungen, weil das dann ja meistens keinen Kostenvorteil mehr gebracht hätte. Ähnliche Beispiele gibt es fast überall.

Wie bereits eine Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung beim deutschen Bundestag 2010 festgestellt hat, verfügen wir über keine gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit mehr. Doch was ist seither passiert? Sind wir wesentlich besser vorbereitet? Nein, ganz im Gegenteil. Wir können uns leider nach wie vor nicht vorstellen, dass so etwas möglich ist. Eine (lebens-) gefährliche Truthahn-Illusion. Ein Truthahn, der Tag für Tag von seinem Besitzer gefüttert wird, nimmt aufgrund seiner täglich positiven Erfahrung an, dass die Wahrscheinlichkeit, dass etwas gravierend Negatives passiert, von Tag zu Tag kleiner wird. Sein Vertrauen steigt mit jeder positiven Erfahrung (Fütterung). Am Tag vor Thanksgiving (bei dem traditionell die Truthähne geschlachtet werden) erlebt er allerdings eine fatale Überraschung.

Was ist nun zu tun?

Der wichtigste Schritt beginnt bei der Akzeptanz, dass so etwas überhaupt möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich ist. Danach folgt die persönliche Vorsorge, damit man zumindest zwei Wochen ohne Einkaufen gehen zu müssen, überleben kann. Dazu gehört auch eine allfällig notwendige Medikamentenversorgung. Bei allen weiteren Überlegungen geht es vor allem um Einfachheit. Wie kann mit möglichst wenig Aufwand zusätzlicher Schaden verhindert werden? Wie kann eine infrastrukturelle Notversorgung aufrechterhalten werden? Welche Maßnahmen sind erforderlich, um einen Betrieb rasch und sicher ohne Strom und Telekommunikation herunterfahren zu können? Welche Voraussetzungen sind überhaupt erforderlich, um nach dem Ereignis wieder möglichst rasch hochfahren zu können? Ab wann ist das überhaupt sinnvoll?

Mittel- bis Langfristig geht es auch darum, wie wir wieder aus dieser Sackgasse herauskommen können und was dazu erforderlich ist, um die Robustheit unserer Infrastrukturen wieder zu erhöhen. So lange der Preis ausschlaggebend ist und Robustheit nicht viel zählt, wird das nur schwer gelingen. Daher bleibt kurzfristig nur, sich auf den Ausfall vorzubereiten. Gleichwohl sind Überlegungen, wie es danach weitergehen kann, unverzichtbar. Im Optimalfall beginnen wir bereits jetzt damit. Infrastrukturprojekte dauern Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte. Die Geschwindigkeit, mit der die Dinge aktuell schieflaufen, lässt jedoch nur wenig Spielraum und für viele Akteure ist die bisherige Versorgungssicherheit ein ausreichender Beweis dafür, dass die Sicherheit eh gegeben ist und dass das so bleiben wird. Womit wir wieder bei der Truthahn-Illusion wären.

 

Über den Autor
Herbert Saurugg
Herbert Saurugg ist internationaler Blackout- und Energiewende-Experte, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie gefragter Keynote-Speaker und Interviewpartner zu einem europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall. Seit rund 10 Jahren beschäftigt er sich mit der steigenden Komplexität und Verwundbarkeit lebenswichtiger Infrastrukturen sowie mit den möglichen Lösungsansätzen, wie die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wieder robuster gestaltet werden kann. Er betreibt dazu einen umfangreichen Fachblog unter www.saurugg.net und unterstützt Gemeinden und Organisationen bei der Blackout-Vorsorge. Fachpublikationen sowie gefragter Keynote-Speaker und Interviewpartner zu einem europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall. Seit rund 10 Jahren beschäftigt er sich mit der steigenden Komplexität und Verwundbarkeit lebenswichtiger Infrastrukturen sowie mit den möglichen Lösungsansätzen, wie die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wieder robuster gestaltet werden kann. Er betreibt dazu einen umfangreichen Fachblog unter www.saurugg.net und unterstützt Gemeinden und Organisationen bei der Blackout-Vorsorge.
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