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Abschied von einem Mahner

Was wir vom Gründer der GSG 9 Ulrich Wegener lernen können

Von Thomas Lay

Ulrich K. Wegener 2012 anlässlich der 19. Fachkonferenz Personenschutz
Foto: © Helmut Brückmann
Mit dem Tod des Gründers und ersten Kommandeurs der GSG 9, Ulrich K. Wegener, endete wenige Tage nach Weihnachten 2017 eine Ära. Drei Wochen später kündigte Jérôme Fuchs, Kommandeur des Eliteverbandes der Bundespolizei eine personelle Aufstockung der GSG 9 und die Einrichtung eines zweiten Standortes an. Die drei Ereignisse waren für die Redaktion Veko-online Anlass für eine Replik.
Den Anlass für den Aufbau der Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) lieferte das Attentat von München im September 1972. Damals überfielen palästinensische Terroristen das olympische Dorf und nahmen israelische Sportler als Geiseln. Einen Tag später endete der Terrorakt auf dem Flughafen von Fürstenfeldbruck. Bayerische Polizisten unternahmen dort einen Befreiungsversuch, der aber tragisch endete: Alle israelischen Geiseln sowie ein bayerischer Polizist kamen zu Tode.

Der damalige Bundesinnenminister, Hans-Dietrich Genscher, reagierte auf die Ereignisse in München unmittelbar, indem er die Aufstellung einer Anti-Terror-Einheit unter dem Dach des Bundesgrenzschutzes befahl. Zum ersten Kommandeur ernannte er Ulrich K. Wegener.

Der erste Kommandeur der GSG 9

Ulrich Klaus Wegener wurde 1929 in Jüterbog in Brandenburg geboren. Sein Vater war Soldat – zuletzt im Rang eines Generals –, die Mutter kaufmännische Angestellte mit französischen Wurzeln. Am Zweiten Weltkrieg nahm er als 15-Jähriger im Raum Berlin teil. Er kam in amerikanische Gefangenschaft, aus der er im August 1945 entlassen wurde. Wenig später zog er nach Belzig um, wo er 1949 an der „Geschwister-Scholl-Oberschule“ das Abitur bestand. Anschließend arbeitete er zunächst in der Landwirtschaft und immatrikulierte sich 1950 für ein Studium der Rechtswissenschaft und Betriebswirtschaftslehre an der Universität in Berlin. Weil er politische Flugblätter verteilte, wurde Wegener verhaftet und zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt. Nach der Entlassung floh er im April 1952 nach West-Berlin und bewarb sich, nachdem er zu Verwandten in Baden-Württemberg gereist war, bei der dortigen Bereitschaftspolizei in Göppingen. 1958 wechselte er zum Bundesgrenzschutz. In seinem im Jahr 2017 erschienenen Buch1 stellte er heraus, dass ihm der Geist der Truppe gefiel, weil dort das Motto galt: „Wir sind die Besten“. Rasch stieg er in der Hierarchie auf und führte als Hauptmann eine Hundertschaft in Coburg. Von dort kam er Anfang der 1970er Jahre ins Bundesministerium des Innern nach Bonn und wurde wenig später Verbindungsoffizier bei Minister Genscher.

2012 bei einem Interview mit Helmut Brückmann
Foto: © Helmut Brückmann
In der Aufbauphase der GSG 9 war Kommandeur Wegener häufig im Ausland unterwegs. Besonders enge Kontakte knüpfte er zu Spezialeinheiten in Israel, zum britischen SAS und zu Einheiten in den USA. Er ging somit bei denen in die Lehre, die zu dieser Zeit über die intensivsten Erfahrungen im Kampf gegen Terroristen verfügten. Parallel dazu lief die Rekrutierung für die GSG 9 und deren Ausbildung. In der Frühzeit setzte Wegener auf Männer, die er persönlich gut aus seiner Offiziersausbildung kannte: Zu seinem Stellvertreter ernannte er Klaus Blätte, während für die Personalrekrutierung Hubertus Grützner zuständig war.

Der Schock von München führte dazu, dass die bürokratischen Hürden beim Aufbau der GSG 9 sehr niedrig waren. Mehr als sechs Millionen D-Mark wurden in die neue Einheit investiert. Zur Überraschung vieler Fachleute konnte sich ein effizienter Führungsstil etablieren, der zudem für eine deutsche polizeiliche Einheit ohne Vorbild war: In der GSG 9 wurde „von vorne“ geführt, das heißt, bei Einsätzen befand sich der Polizeiführer in der ersten Reihe bei seinen Beamten. Zudem wurde die Einheit in Spezialeinsatztrupps gegliedert, deren Männer das gesamte Einsatzspektrum beherrschen mussten. Von Beginn an galt, dass in der GSG 9 der Mensch das Wichtigste ist. Daher maß man der Personalauswahl größte Bedeutung bei. Deshalb wurden sehr bald externe Psychologen in das Auswahlverfahren mit eingebunden.

Der Mythos Mogadischu

Die Landshut (hier 1975 am Flughafen Manchester)
Foto: © Ken Fielding /wikipedia  www.inforadio.de CC BY-SA 3.0
Dass das Einsatzkonzept, die Personalauswahl, die Ausbildung und auch Ausrüstung der GSG 9 richtig waren, zeigte sich im Oktober 1977. Vier palästinensische Terroristen hatten eine deutsche Passagiermaschine entführt. Während eines mehrtägigen Irrflugs hatte der Anführer des Terrorkommandos den Flugkapitän, Jürgen Schumann, ermordet. Nachdem Einsatzkräfte der GSG 9 tagelang der Passagiermaschine gefolgt waren, kam es am 18. Oktober zum Showdown. Auf dem Flughafen der somalischen Hauptstadt Mogadischu befreite die GSG 9 alle 90 Geiseln aus der Lufthansamaschine „Landshut“. Drei der vier Terroristen wurden bei dieser „Operation Feuerzauber“ getötet, eine deutsche Geisel und ein GSG 9 Mann verwundet.

Der Einsatz in Mogadischu brachte der GSG 9 und ihrem Kommandeur weltweite Anerkennung. Wegener erhielt von den Medien den Beinamen „Held von Mogadischu“, eine Bezeichnung, die er stets ablehnte. Für ihn war der Einsatz in Ostafrika Pflichterfüllung. Sein hoher Bekanntheitsgrad und seine fachliche Kompetenz führten dazu, dass er bis zu seiner Pensionierung und selbst im Ruhestand als Berater in Sicherheitsfragen gefragt war. So baute er unter anderem in Saudi-Arabien eine Spezialeinheit auf und beriet nach den Anschlägen von Luxor im Jahr 1997 die ägyptische Regierung in Sicherheitsfragen. Über viele Jahre war er der Vorsitzende des Sicherheitsbeirates der Essener Sicherheitsfirma KÖTTER. Immer wieder trat Wegener als Mahner auf. So forderte er im Jahr 2007, die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und der Bundeswehr müsse in Teilbereichen ermöglicht werden. Zudem verlangte er in einem Interview: „Die Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten und der Polizei muss verbessert werden. … Keine Frage. Wenn wir das nicht erreichen, dann werden wir wieder Schiffbruch erleiden.“2

Rückkehr der „Landshut“

Die Landshut im Bauch einer gewaltigen Antonow AN 124
Foto: © Dornier Museum Friedrichshafen
Die Befreiung der Geiseln in Mogadischu nimmt in der Ikonographie der Bundesrepublik Deutschland einen festen Platz ein. Dennoch wurde die Lufthansamaschine „Landshut“ über viele Jahre hinweg kaum beachtet. Nach ihrer Ausmusterung bei der Lufthansa wurde die Boeing 737 in mehreren Ländern unter anderem als Passagier-, später dann als Frachtmaschine eingesetzt und stand danach jahrelang auf einem Flughafen in Brasilien. Dort geriet sie in den Mittelpunkt des Interesses, als Außenminister Sigmar Gabriel sie als „lebendiges Symbol einer freien Gesellschaft“ Die Landshut auf ihrem letzten Weg br>Foto: © Dornier Museum Friedrichshafenbezeichnete, „die sich von Angst und Terror nicht unterkriegen lässt“. Das Auswärtige Amt setzte alle Hebel in Bewegung, um die Maschine zurück in die Heimat zu holen. Das zerlegte Flugzeug wurde im Spätsommer 2017 nach Friedrichshafen gebracht. Dort soll es zusammengebaut und ab Herbst 2019 der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden.

Tod des „Helden von Mogadischu“

An der Begrüßung der „Landshut“ in Friedrichshafen wollte Ulrich Wegener teilnehmen; dies war ihm aber aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Wenige Tage nach Weihnachten verstarb Ulrich Wegener. Er wurde 88 Jahre alt. Der Direktor des Dornier Museums, David Dornier, sagte dazu: „Wir haben einen großen Unterstützer unserer Bemühungen, die Erinnerung an die Ereignisse aus dem Jahr 1977 wachzuhalten, verloren.“ Das Museum betonte, es werde Wegeners Lebensleistung „ausführlich würdigen“.3

Auch der aktuelle Kommandeur der GSG 9, Jérôme Fuchs, drückte sein Bedauern aus: „Der Verlust unseres Gründers und ersten Kommandeurs der GSG 9 trifft unseren Verband und auch mich ganz persönlich“, sagte er in einem Zeitungsinterview. Der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Dr. Dieter Romann, hob die besondere Bedeutung Wegeners für den ehemaligen Bundesgrenzschutz und jetzige Bundespolizei hervor: „Der charismatische Grenzschutzoffizier und Gründungskommandeur der GSG 9“ habe „weit über unsere Behörde hinaus gewirkt – national wie international, stets zum Wohle unseres Landes.“ Ähnlich äußerte sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière, indem er herausstrich, Deutschland verliere mit Wegener „einen hervorragenden Polizisten, der enorm viel für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland geleistet“ habe.4

Neuer Standort der GSG 9

Tätigkeitsabzeichen der GSG 9 der Bundespolizei
Foto: © des Logoentwurfs ist unbekannt, diese Datei: Moe S. Wikimedia Gemeinfrei
Wenige Wochen nach Wegeners Tod stellte der aktuelle Kommandeur der GSG 9 die Zukunftspläne seines Verbandes vor. Angesichts der anhaltenden Bedrohung durch den Terrorismus sei geplant, die Personalstärke der GSG 9 um ein Drittel zu erhöhen und einen zweiten Standort in Berlin aufzubauen. Er beschrieb in einem Interview für das „rbb Inforadio“ das Kernproblem dieser Erweiterung. Es sei „die große Herausforderung für die Einheit, den geeigneten Nachwuchs zu bekommen.“ In einem Nebensatz erwähnte er, für den Dienst in der Anti-Terror-Einheit könnten sich „ausschließlich Polizisten“ bewerben.5 Diese Pläne fügen sich in die Neuorientierung der Bundespolizei ein, die im Sommer 2017 mit der Schaffung der Direktion 11 vollzogen wurde. Dort sind mehrere Spezialkräfte zusammengefasst, unter anderem die GSG 9, die Bundespolizeifliegergruppe, die für polizeiliche Schutzaufgaben im Ausland zuständigen Kräfte sowie die Air Marshals.

Manche Medienvertreter lobten die Schaffung eines zweiten GSG 9 Standortes. Zu ihnen gehört auch Gerwald Herter, der im Deutschlandfunk lediglich anmahnte: „Aber die deutsche Sicherheitsarchitektur braucht noch weitere Veränderungen.“ Sehr viel pointierter äußerte sich Bernd Walter, ein ehemaliger Präsident im Bundesgrenzschutz. Er stellte heraus: „Andererseits wären angesichts zunehmender terroristischer Bedrohungen und knapper werdender finanzieller Mittel aber auch Überlegungen angezeigt, ob nicht im Bereich der Sondereinheiten in den Ländern, bei den Bundeseinrichtungen und der Bundeswehr sinnvollere und Synergien betonende Möglichkeiten der Zusammenarbeit angezeigt wären.“6

Noch weiter war Ulrich Wegener in einem Interview für die Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift im Frühjahr 2013 gegangen: „Ich halte eine engere Zusammenarbeit zwischen GSG 9 und KSK für absolut notwendig.“7 Bis dahin ist es aber noch ein sehr weiter Weg.

 

Quellen:

1 Ulrich Wegener: GSG 9. Stärker als der Terror, hrsg. Von Ulrike Zander und Harald Biermann. Münster 2017.
2 Ulrich Wegener: Im Visier von Terroristen. In: Mut, Nr. 479, Juli 2007, S. 56-64. Hier 62.
3 Vgl. Dornier Museum trauert um Ulrich Wegener. In: Austrian Wings, Österreichs Luftfahrtmagazin vom 8. 1. 2018.
4 Vgl.: Daniela Greulich: Weggefährten trauern um früheren GSG-9-Chef. In: General Anzeiger vom 3. 1. 2018.
5 Vgl.: www.inforadio.de vom 15. 1. 2018: GSG 9 soll vergrößert werden.
6 Bernd Walter: Die GSG 9 der Bundespolizei – Mythos und Realität. In: Polizei Info Report 1, 2018, S. 32-35. Hier S. 35.
7 Ulrich Wegener: Ich halte vieles für überholt. In: ASMZ, 4, 2013, S. 16-17. Hier S. 16.

 

Über den Autor
Thomas Lay
Thomas Lay
Thomas Lay ist Mitglied der Redaktion von Veko-online. Aufgrund seiner langjährigen polizeilichen Erfahrung im In- und Ausland widmet er sich vornehmlich Sicherheitsthemen.
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