Skip to main content

Chemische Struktur der DNA mit farbigen Beschriftungen um die 4 Basen,
Foto: © Madeleine Price Ball, User:Madprime CC BY-SA 2.5

Dank DNA: Die späte Strafe nimmt zu

Wenn der Mörder erst nach Jahrzehnten verurteilt wird

Von Horst Zimmermann

Muss es für späte Strafen einen Zuschlag oder einen Rabatt geben?
Es war einer jener Tage, an denen alles schief zu laufen scheint. Krach mit der Partnerin, mit etlichen Gläsern Alkohol betäubt. Prompt alkoholisiert am Steuer erwischt. Doch dieses Stoppzeichen wirkte nicht. Der Mann setzte sich wieder ans Steuer und wurde wieder erwischt. „Da könnte ich euch etwas viel Schlimmeres erzählen“, sagte der 52jährige zu den Polizeibeamten. „Ich will einen Mord gestehen.“

Am 12.Dezember 2017 wurde der Mann einer späten Strafe zugeführt. Das Bonner Schwurgericht verhängte wegen des Mordes mit 75 Messerstichen an der 38jährigen Monika F. am 11.November 1991 Lebenslänglich. Der Fall ist ein Paradebeispiel für die Fälle, in denen Aufklärung und Ahndung erst nach vielen Jahren oder sogar Jahrzehnten stattfinden.

Beispiele aus den letzten Monaten:

Am 23.Novmber 2017 verurteilte das Schwurgericht Zwickau einen 38jährigen wegen Raubes mit Todesfolge zu zwölfeinhalb Jahren Haft. Der Täter hatte im März 2011 eine Frau aus ihrem Bett gezerrt und zu Tode gequält. Erst ein Herzinfarkt erlöste das Opfer. Die späte Aufklärung gelang durch einen DNA-Abgleich.

23 Jahre nach einem Mord in Soest verurteilte das Landgericht Arnsberg einen 41jährigen zu sechseinhalb Jahren Jugendstrafe. Er hatte 1987 eine 26jährige Frau in ihrer Wohnung getötet.

Im September 2017 wurde ein 58jähriger nach einem Mord an einer 36jährigen Frau, der vor 36 Jahren verübt wurde, entdeckt. Der Mann befand sich da bereits in anderer Sache in Strafhaft. Ein DNA-Abgleich brachte die späte Erkenntnis.

Andrea war 16, als sie am 7.Oktober 1993 ermordet wurde. Ein DNA-Abgleich brachte den Beweis gegen den Onkel.

Für die Zunahme der Fälle später Entdeckung und Strafe gibt es mehrere Gründe.

Ein Grund, der sich kaum verändert haben dürfte, ist das späte Gewissen, das den Täter zu einem Geständnis treibt. Angeblich spielen dabei neuerdings vereinzelt auch Versorgungsüberlegungen eine Rolle. Dabei geht es um Täter, die im fortgeschrittenen Alter keine Altersversorgung in Aussicht haben und deshalb auf die Versorgung in der Zelle setzen. Dieses Motiv wurde bisher, so weit bekannt, noch nie offen gestanden.

Seitdem 1979 die Verjährung für Mord aufgehoben wurde, gibt es keine zeitliche Begrenzung für die Strafverfolgung mehr.

Der Hauptgrund dürfte jedoch in den Fortschritten der DNA-Technik liegen. Vor etwa 25 Jahren begannen weitsichtige Kriminalisten damit, DNA-Spuren von Tatorten auf Vorrat einzulagern: Für den Fall, dass irgendwann einmal eine Zuordnung gelingen sollte. Diese Weitsicht hat inzwischen vielfältig Früchte getragen.

Der Anstieg der Fälle später Aufklärung hat vorübergehend zu Überlegungen geführt, ob eine späte Strafe nicht reduziert oder aber sogar erhöht werden sollte. Die Überlegungen führten jedoch zu nichts.

Der junge Täter, der erst 25 Jahre nach der Tat ermittelt wird, konnte bis dahin die besten Jahre seines Lebens nutzen. Das wäre für ihn ein Vorteil. Oft haben sie Familien gegründet und Existenzen aufgebaut, die wegen des „Alt-Falles“ zerbrechen. Das wäre ein Nachteil, der mit einem Strafrabatt ausgeglichen werden könnte. Der spät überführte Täter, der mit 65 nach Verbüßung einer lebenslangen Haft freikommt, hat sein Leben weitgehend hinter sich. Müsste deshalb die gegen einen älteren Täter verhängte Strafe doppelt zählen? Alle Überlegungen scheitern zwangsläufig an der Tatsache, dass der Täter in der Regel nichts dafür kann, dass er erst spät entdeckt wird.

Über den Autor
Horst Zimmermann
Horst Zimmermann
Horst Zimmermann, schon während des Studiums (Jura und Politik) an der Uni Bonn Mitarbeit bei mehreren Tageszeitungen, dann Mitglied der Bundespressekonferenz (bis 2010), bis 1999 NRW-Korrespondent der WELT am Sonntag und freier Mitarbeiter von zeitweise bis zu 14 Tageszeitungen. Schwerpunkt: Innere Sicherheit und speziell Terrorismus. In den letzten Jahren Schwerpunkt Sicherheit auf Reisen.
Weitere Artikel des Autoren