Schweizerische Verhältnisse
Im Vergleich mit anderen europäischen Staaten gilt das Schweizer Waffenrecht als liberal. Näher betrachtet, stimmt das nur zum Teil.
Von Dr. Reinhard Scholzen
Der private Waffenbesitz hat in der Schweiz eine sehr lange Tradition. Während anderswo in Europa Ritter im Kriegshandwerk Führungspositionen übernahmen und den einfachen Bauern und Bürgern über lange Zeit allenfalls Nebenrollen zugewiesen wurden, setzten die Eidgenossen im Kriegsfall voll und ganz auf eine bewaffnete Bevölkerung. Dieser Miliz-Gedanke wurde nach allen Kräften gefördert. So galt in Bern ab dem Jahr 1712 die Regelung, dass nur ein bewaffneter Mann heiraten durfte. Die Regelungen aller Belange rund um den Erwerb, das Tragen und den Gebrauch von Waffen lagen in den Händen der Schweizer Kantone. In Appenzell durften bis weit in das 20. Jahrhundert hinein die wahlberechtigten Männer nur mit Säbel, Degen oder Seitengewehr zur Landsgemeinde – also den Versammlungen und Wahlen unter freiem Himmel – erscheinen.
Eine merkliche Änderung erfolgte im Jahr 1999. Wer eine Waffe führen, also ständig bei sich tragen möchte, benötigt seither eine Waffentragebewilligung. Zudem ist für den Schusswaffenkauf in einem Waffengeschäft ein staatlicher Waffenerwerbschein erforderlich. Hingegen blieb der Verkauf von privat an privat zunächst von jeglicher Kontrolle unberührt.
Schengen bringt Änderungen
Der Beginn der operationellen Kooperation zwischen der Schweiz und der Europäischen Union im Rahmen der Schengen- und Dublin-Abkommen und der im Jahr 2004 vollzogene Beitritt zum Schengen-Verbund brachte für legale Waffenbesitzer Änderungen. Das Waffenrecht der Eidgenossen näherte sich schrittweise an die in den Staaten der Europäischen Union geltenden Regelungen an. So traten am 1. Januar 2010 neue Bestimmungen für den Besitz und Erwerb von Ordonnanzwaffen in Kraft. Seither kann jeder Armeeangehörige seine Dienstwaffe freiwillig und kostenlos bei der Retablierungsstelle – einer Abteilung des Amtes für Militär und Zivilschutz – hinterlegen. Somit ist die „Heimabgabe“ des Gewehrs nicht mehr zwingend vorgeschrieben. Die gleichzeitig von mehreren Parteien und Interessengruppen vorgebrachten Forderungen, „Pump-Action“-Waffen und „Seriefeuerwaffen“ – der in der Schweiz gebräuchliche Begriff für vollautomatisch schießende Waffen – für Privatpersonen grundsätzlich zu verbieten, fanden keine Mehrheit.
Was ist eine Waffe?
Auch das Schweizer Waffengesetz führt sogenannte gefährliche Gegenstände auf, deren Tragen und Mitführen verboten ist. Ausnahmen gibt es nur in den Fällen, in denen ihr Besitzer glaubhaft darlegen kann, dass er sie zum Beispiel für berufliche Zwecke, zum Sport oder Hobby benötigt. Im Einzelnen fallen unter diese Reglung: Hämmer, Äxte, Baseballschläger, Fahrradketten, Scheren und Schraubenzieher. Ausdrücklich nicht als gefährlicher Gegenstand ist das Schweizer Armeetaschenmesser eingestuft.
Drei Kategorien
Beim Erwerb von Waffen unterscheidet das Schweizer Recht drei Kategorien: meldepflichtige, bewilligungspflichtige und verbotene Waffen. Wer eine meldepflichtige Waffe – z. B. ein Ordonnanzrepetiergewehr wie den K 11 oder K 31, ein Sportgewehr, eine Paintballwaffe oder eine Schreckschusspistole – erwerben möchte, muss mit dem Verkäufer einen schriftlichen Vertrag abschließen und bei einer Feuerwaffe innerhalb von 30 Tagen eine Kopie des Kaufvertrages und einen Strafregisterauszug seiner kantonalen Meldestelle vorlegen.
Bewilligungspflichtige Waffen sind unter anderem Pistolen und Revolver, Selbstladebüchsen, Vorderschaftrepetierer und halbautomatische Gewehre. Den dafür notwendigen Antrag auf einen Waffenerwerbschein gibt es beim kantonalen Waffenbüro. Dort muss der Erwerber nach dem Kauf der Waffe darüber hinaus einen Auszug aus dem schweizerischen Strafregister und eine Kopie seines Passes vorlegen.
Während zum Beispiel in Deutschland sehr strenge Bestimmungen für die Aufbewahrung von Waffen gelten, ist dies in der Schweiz nur allgemein formuliert. Art. 26 WG schreibt vor, dass sie sorgfältig aufzubewahren und vor dem Zugriff Dritter zu schützen sind.
Art. 27 WG regelt die Voraussetzungen, die für die Erlaubnis, eine Waffe ständig im gesamten Gebiet der Schweiz zu tragen, notwendig sind. Der Antragsteller muss dazu glaubhaft machen, dass er „eine Waffe benötigt, um, sich selbst andere Personen oder Sachen vor einer tatsächlich drohenden Gefahr zu schützen. außerdem muss er eine Prüfung über die Kenntnis des Umgangs mit Waffen und die rechtlichen Voraussetzungen des Waffengebrauchs ablegen.“ Ohne Antwortvorgaben muss der Kandidat 40 von 45 Fragen aus einem mehrere hundert Fragen umfassenden Katalog beantworten können. Zum Beispiel muss er wissen, „was ist der Unterschied zwischen den Patronen Kaliber 7,65 Parabellum und .30 Luger“. Oder er wird nach der Berechtigung eines Schusswaffengebrauchs gefragt: „A begibt sich auf eine Wanderung. Als er an einem Bauernhof vorbeikommt, sieht er, wie ein weiterer Wanderer von einem großen Hund angegriffen und zu Boden gedrückt wird. Um den Wanderer zu retten, erschießt A den Hund mit seiner Pistole. Ist das Verhalten des A zulässig? Antwort: Ja, es handelt sich um eine angemessene Notstandshandlung.“ Unverhältnismäßig wäre es aber, auf einen fremden Hund zu schießen, der „Ihren Grillbraten stiehlt und damit davonrennt.“ Darüber hinaus beinhaltet die Prüfung noch einen praktischen Teil, der bei der zuständigen Kantonspolizei abgelegt wird. Dabei werden jeweils drei Doubletten innerhalb von vier Sekunden auf eine Distanz von sieben Metern, in dreieinhalb Sekunden auf fünf Meter und in drei Sekunden auf drei Meter abgegeben. Von den insgesamt 18 Schüssen müssen mindestens 14 das Ziel – den Oberkörper- und Kopfbereich einer Mannscheibe – treffen.
Allgemein verbotene Waffen wie etwa schwere Maschinengewehre oder Elektroschocker kann erwerben, wer eine kantonale Ausnahmebewilligung erhalten hat, die unter anderem für sportlich verwendete Waffen erteilt wird. Detaillierte Bestimmungen hat die Schweiz über verbotene Munition erlassen. Unter anderem sind der Erwerb, Besitz und die Herstellung von Hartkern-, Explosiv-, Brand- und Deformationsgeschossen verboten.
Für manche Ausländer verboten
Art. 9a, 10 Abs. 2 WG und Art. 21 WV (Waffenverordnung) regeln die Bedingungen, unter denen Personen, die ihren Wohnsitz außerhalb der Schweiz haben oder die nicht über eine Niederlassungsbewilligung verfügen, eine Waffe erwerben können. Sie benötigen dafür einen Waffenerwerbschein und darüber hinaus eine Bestätigung ihres Heimatstaates, der ihnen dort den Erwerb einer Waffe gestattet. Diese Regel gilt jedoch nicht für alle Ausländer: „Erwerb, Besitz, Anbieten, Vermitteln, Übertragung von Waffen, Waffenbestandteilen, Waffenzubehör, Munition, Tragen von Waffen und Schießen mit Feuerwaffen ist Angehörigen folgender Staaten grundsätzlich verboten: Albanien, Algerien, Sri Lanka, Kosovo, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Serbien und Türkei.“ Ende der 1990er Jahre stellte der Schweizer Bundesrat diese Liste zusammen und reagierte damit auf Kriege, Bürgerkriege oder bürgerkriegsähnliche Zustände in den einzelnen Ländern. Das Verbot für Türken erklärte das Bundesamt für Polizei vor Jahren mit den „Unruhen mit der PKK“. Allgemein gilt, dass die Schweiz mit diesem Verbot erreichen will, dass Konflikte im Ausland nicht durch Schweizer Waffen unterstützt werden. Es sollen darüber hinaus ausländische Konfliktparteien an gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Schweiz gehindert werden. Diese Kriterien sah der Bundesrat im Frühjahr 2014 nicht mehr für Bürger aus Kroatien und Montenegro erfüllt und hob daher das für sie geltende Verbot auf.
Das private Sturmgewehr
Mit den Rechten sind auch Pflichten verbunden. Angehörige der Mannschaft, Unteroffiziere und Subalternoffiziere müssen bis zum vollendeten 34. Lebensjahr jährlich von April bis August in einem anerkannten Schießverein an einer Übung mit dem Sturmgewehr teilnehmen, wobei insgesamt 20 Schuss auf unterschiedliche Scheiben auf eine Entfernung von 300 Metern abgegeben werden. Dabei müssen mindestens 42 Ringe erreicht werden und es dürfen nicht mehr als drei Patronen das Ziel verfehlen. Bei Nichterfüllen können die Übungen zweimal wiederholt werden. Die dafür benötigte Munition muss allerdings vom Schützen gekauft werden.