Die automatische Kennzeichenerfassung (AKE)

Ein polizeiliches Erfolgsmodell mit Hindernissen

Von Polizeidirektor Stefan Pfeiffer

Ende Oktober 2014 wurde ein als Autobahnschütze bekannter 57-jähriger Mann vom Landge­richt Würzburg unter anderem wegen versuchten Mordes in vier Fällen zu zehneinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Täter, der zwischen 2008 und 2013 über 700 mal aus seinem fahrenden Lkw aus Frust auf der Autobahn auf andere Verkehrsteilnehmer geschossen hatte, konnte in erster Linie aufgrund des Einsatzes von automatisierten Kennzeichenlesesystemen dingfest gemacht werden. „Die heutige Verurteilung des sogenannten Autobahnschützen zeigt, wie sehr die automatische Kennzeichenerfassung unseren Polizisten helfen kann, Straftäter zu fassen.“ Mit diesen Worten begrüßte Dr. Florian Herrmann, der Vorsitzende des Ausschusses für Kom­munale Fragen, Innere Sicherheit und Sport im Bayerischen Landtag das Würzburger Urteil.

Dass die Serie bereits sehr viel früher durch eine Auswertung von Mautdaten hätte beendet werden können, ist insbesondere in Insiderkreisen der zuständigen Ermittlungsbehörden seit längerem Thema. Doch da ist die Rechtslage eindeutig im Bundesfernstraßenmautge­setz geregelt. Die zur Mautfestsetzung benötigten Daten dürfen ausschließlich zum Zweck der Überwachung der Einhaltung der Mautvorschriften verarbeitet und genutzt werden. Eine Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme nach anderen Rechtsvorschriften ist un­zulässig. Der durch den damaligen BKA-Präsidenten Jörg Ziercke gegenüber der Welt am Sonntag formulierten Hoffnung, dass nach der Einführung einer Pkw-Maut, die dadurch erlangten Daten in besonderen Ausnahmefällen der Schwerstkriminalität zu Fahndungszwecken genutzt werden könnten, erteilte der Bundesverkehrsminister eine klare Absage. „Die Mautdaten werden ausschließlich für die Mautentrichtung aufgenommen und unter keinen Umständen anderen Zwecken zur Verfügung gestellt, auch nicht dem BKA oder anderen Sicherheitsbehörden“, sagte der CSU-Minister der Süddeutschen Zeitung.  

Durch die Schüsse des verurteilten Lkw-Fahrers waren zwei Frauen zum Teil schwer ver­letzt worden und man muss nicht vom Fach sein, um sagen zu können, dass es pures Glück war, dass es nur bei diesen beiden folgenschweren Fällen blieb. Das sah wohl auch das Landgericht Würzburg so, als es bei der Urteilsverkündung ausführte, dass der Täter bei jedem Beschuss den Tod eines Menschen billigend in Kauf genommen hat. „Jedem intel­ligenten Menschen müsste das doch klar sein!“ sagte der Richter. Selbst wenn er nie vorge­habt habe, zu töten, gäbe es zu viele Unwägbarkeiten wie Dunkelheit, Geschwindigkeit oder Schlaglöcher, die jeden Schuss zu einem unkalkulierbaren Risiko gemacht hätten.

Als Erkenntnis bleibt, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Deutsch­land nicht nur auf dem Papier ein hohes Rechtsgut ist und auch durch Sicherheitsinteressen nicht ohne Weiteres beiseite geschoben werden kann. Das führt in Ermittlerkreisen anderer europäischer Länder immer wieder zu Kopfschütteln und Unverständnis. Dort werden datenschutzrechtliche Aspekte sowohl im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung als auch bei der Verkehrssicherheitsarbeit zwar berücksichtigt, spielen aber oftmals nicht eine so ausschließende Rolle wie in Deutschland. Hier sei beispielhaft die Section Control genannt.

In der Bundesrepublik Deutschland melden sich dagegen bei Themen wie automatische Kennzeichenerfassung, Section Control oder Maut regelmäßig Politiker, Juristen, Bürger und andere zu Wort, um datenschutzrechtliche Bedenken gegen sicherheitspolitische Vorhaben vorzubringen und haben damit auch regelmäßig Erfolg. Umso positiver ist daher aus Sicht der Polizei die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.10.2014 zu bewerten, welches die Revision gegen eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungs­gerichtshofes zur automatischen Kennzeichenerfassung nicht zugelassen hat. Geklagt hat­te ein Pendler aus Regensburg, der auf seiner Strecke regelmäßig Geräte zur automati­sierten Kennzeichenerkennung passiert. Mit seiner Klage wollte der Software-Entwickler erreichen, dass der Freistaat Bayern Kennzeichen von auf ihn zugelassene Fahrzeuge nicht mehr durch den verdeckten Einsatz automatisierter Kennzeichenerkennungssysteme erfas­sen und mit polizeilichen Dateien abgleichen darf. Es ging ihm darum, eine vermeintliche polizeiliche Überwachung in der Art eines „Bewegungsbildes“ zu verhindern. Laut dem Kläger habe die Maßnahme „abschreckende Wirkung“ auf die Gesellschaft und keinen nennenswerten Nutzen.

Mit dieser Aussage liegt der Mann falsch. Dort wo sie eingesetzt werden darf, ist die Technik sehr erfolgreich. Die automatische Kennzeichenerfassung hilft, Straftäter zu fassen und dadurch die Bevölkerung zu schützen. In Bayern wird die dafür günstige Infrastruktur auch von international und grenzüberschreitend agierenden Tätern intensiv genutzt: So in den Bereichen Kfz-Verschiebung, Schleusung, Menschenhandel, interna­tionaler Waffen- und Sprengstoffhandel, die illegale Ein- und Durchfuhr von Betäubungs­mitteln, das Verschieben von Diebesgut durch international organisierte Banden und im internationalen Terrorismus.

Die Technik wird nach streng einzuhaltenden Vorgaben hinsichtlich der Örtlichkeit und den abzugleichenden Fahndungsbeständen eingesetzt. Die dafür notwendigen, polizei­rechtlichen Grundlagen wurden den bayerischen Polizisten 2006 an die Hand gegeben und 2008 nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nochmals modifiziert. Es liegt auf der Hand, eine AKE in erster Linie auf Hauptverkehrsstraßen wie Autobahnen und grenznahen Bundesstraßen einzusetzen. Auch handelt es sich dabei keinesfalls um anlassunabhängige polizeiliche Maßnahmen. Den jeweiligen Länderpolizeien liegen grundsätzliche Erkenntnisse vor, beispielsweise über Verschiebungsrouten, die von international agierenden Tätern benutzt werden. Dabei macht es keinen Sinn, jede eine Kenn­zeichenausschreibung nach sich ziehende Straftat als Anlass für einen Anhalteversuch auszulegen. Wer die Gegebenheiten auf diesen Straßen, insbesondere den Autobahnen kennt, weiß, dass dort für eine sichere Anhaltung mit nachfolgender ganzheitlicher Kontrolle ein weitaus größerer Sicherheits- bzw. Zeitansatz zu berücksichtigen ist als im Stadtgebiet. Allein deswegen wird der darüber entscheidende Disponent sehr sorgsam abwägen, ob und wann er eine Fahndung aufgrund eines AKE-Treffers einleitet. In Bayern wurde bereits der INPOL-Bestand der Pflichtversicherungsverstöße aus dem AKE-Trefferbild herausgenommen, zumal diese Ausschreibungen oftmals nicht mehr aktuell sind.
Die Digitalkamera der AKE erfasst das Kennzeichen der vorbeifahrenden Fahrzeuge von hinten, so dass die Fahrzeuginsassen nicht erkannt werden können. Dann wird das Kenn­zeichen ausgelesen und an entsprechender Stelle mit den Fahndungsbeständen abgeglichen. Dies dauert im Regelfall ca. 0,5 Sekunden. Liegt eine Übereinstimmung vor, wird von der Stelle, wo der Treffer aufläuft, nochmals eine manuelle Nachkontrolle vollzogen. Erst nach erneuter Bestätigung des Treffers werden die entsprechenden polizeilichen Maßnahmen eingeleitet. Wird im ersten oder zweiten Schritt keine Übereinstimmung mit dem Fahn­dungsbestand festgestellt, werden die Kennzeichen unverzüglich unwiederbringlich ge­löscht. Schon deshalb ist bei Nichttreffern das Erstellen eines Bewegungsbildes unmöglich.

Die zwischen den benachbarten bayerischen Autobahnpolizeien abgestimmten Fahndungs-, Anhalte- und Festnahmekonzepte stellen darüber hinaus sicher, dass nach AKE-Treffern und missachteten Anhalteversuchen gefährliche Situationen durch mitten in der Fahrbahn abgestellte Fahrzeuge und quer über die Autobahn flüchtende Straftäter oder riskante Ver­folgungsfahrten vermieden werden.

Die Polizei jedenfalls geht von einem erheblichen Nutzen automatisierter Kennzeichener­kennungen aus. Regelmäßige Nachfragen nach diese Auffassung stützenden Statistiken mögen den neutralen Betrachter durchaus erstaunen. Wie soll man über Vorgänge Statis­tiken führen, deren Daten nicht gespeichert werden dürfen? Zudem hat jede Täterfestnah­me erwiesenermaßen auch präventive Wirkungen, die sich nur selten in Zahlen darstellen lassen. Aber es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Täter bewusst manche Routen in Deutschland im Wissen über dort rechtlich mögliche, technische und personelle Fahn­dungsmaßnahmen meiden. Dabei besteht die Gefahr von Verdrängungseffekten zu Un­gunsten der Bundesländer, welche die AKE nicht einsetzen.

Nachdenklich macht die Reaktion eines der schwer verletzten Opfer des Autobahnschützen auf dessen Entschuldigung vor Gericht. Geschosssplitter hatten die Frau am Hals getroffen, nur Millimeter von ihrer Wirbelsäule entfernt. Sie lehnte die Entschuldigung mit der Be­gründung ab, dass sie seit dem Ereignis Probleme mit ihrer normalen Lebensgestaltung hat und nach wie vor schwer traumatisiert ist. Ein Moment hat ihr ganzes Leben dauerhaft ver­ändert und für sie sei einzig positiv, dass der Täter zumindest gefasst wurde und für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird.

Wie würde der mit seiner Klage gegen die automatische Kennzeichenerfassung gescheiterte Software-Entwickler wohl argumentieren, wenn er von einem derartigen Ereig­nis betroffen wäre und die Polizei ihm sagen müsste, dass der Täter trotz guter Ermittlungsansätze aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken eventuell nicht gefasst werden kann?

 

Über den Autor
Stefan Pfeiffer
Stefan Pfeiffer
Polizeidirektor Stefan Pfeiffer, Einstellungsjahr 1985 im mittleren Dienst, ist seit 2008 Leiter der Verkehrspolizeiinspektion Feucht und Mitglied der Fachkommission Verkehr der Deutschen Polizeigewerkschaft.
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