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Zwischen Kölner Dom und dem Hauptbahnhof kam es in der Silvesternacht zu erheblichen Ausschreitungen, die zu einer Wende in der Flüchtlingsdiskussion führten.
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Nebeneinander leben

Parallelgesellschaften in Deutschland?

Von Dr. Reinhard Scholzen

Für zahlreiche Beobachter markieren die Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht einen Wendepunkt: Multikulti sei gescheitert, die Existenz von Parallelgesellschaften eine nicht mehr zu leugnende Tatsache.

In einer Pressemitteilung der Kölner Polizei vom Neujahrsmorgen 2016 hieß es unter anderem: „Wie im Vorjahr verliefen die meisten Silvesterfeierlichkeiten auf den Rheinbrücken, in der Kölner Innenstadt und in Leverkusen friedlich. Die Polizisten schritten hauptsächlich bei Körperverletzungsdelikten und Ruhestörungen ein. ... Kurz vor Mitternacht musste der Bahnhofsvorplatz im Bereich des Treppenaufgangs zum Dom durch Uniformierte geräumt werden. Um eine Massenpanik durch Zünden von pyrotechnischer Munition bei den circa 1000 Feiernden zu verhindern, begannen die Beamten, kurzfristig die Platzfläche zu räumen. Trotz der ungeplanten Feierpause gestaltete sich die Einsatzlage entspannt – auch weil die Polizei sich an neuralgischen Punkten gut aufgestellt und präsent zeigte.“

Information scheibchenweise

OB Henriette Reker
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Während deutschlandweit die Terrordrohung vom Münchener Hauptbahnhof das Thema Nummer Eins war, ging die Kölner Lokalpresse am Abend des 1. Januar auf die Ereignisse im Bereich des Bahnhofs ein. Die Boulevard-Zeitung „Express“ schrieb über Opfer sexueller Gewalt, der „Kölner Stadt-Anzeiger“ und die „Kölnische Rundschau“ berichteten von Beschimpfungen und Drohungen, Diebstahl, Raub und diversen sexuellen Übergriffen. Als Täter wurden größere Männergruppen genannt.

Erste Hinweise darauf, dass die Täter ein nordafrikanisch-arabisches Aussehen gehabt hätten, meldeten wiederum Kölner Zeitungen am 2. Januar. Auch einen Tag später – an einem Sonntag – war aber bundesweit die Millionenstadt am Rhein noch kein großes Thema. Nachdem die Nachrichtenagentur dpa eine Meldung über die Ereignisse in Köln verbreitet, diese aber selbst als nicht besonders bedeutsam eingestuft hatte, griff die „Süddeutsche Zeitung“ die Geschehnisse der Silvesternacht auf. Aber noch nicht einmal nach der gemeinsamen Pressekonferenz der Kölner Oberbürgermeisterin, Henriette Reker, und des damaligen Polizeipräsidenten der Domstadt, Wolfgang Albers, am Montagnachmittag erkannten alle Medien die Brisanz des Themas. Zu dieser Zeit brachten in den sozialen Wolfgang Albers bei der Pressekonferenz zur Silvesternacht
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Netzwerken manche User ihren Unmut derart unflätig zum Ausdruck, dass der Betreiber des populären „Nett-Werk-Köln“ den Stecker zog und die Seite für mehrere Tage schloss. Phil Daub begründete dies mit der ausufernden verbalen Gewalt, die sich durch „Aufrufe zur Lynchjustiz, Beleidigungen, Pöbel, Hetze und Rassismus“ charakterisieren lasse.

Reaktionen der Politik und Polizei

Ralf Jäger, Innenminister in NRWSchrittweise reagierten die zuständigen Politiker. Sehr bald forderten der Bundesjustizminister und der Bundesinnenminister härtere Strafen für straffällige Asylbewerber und Flüchtlinge. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob eine schnellere Abschiebung auch bei geringen verhängten Strafen möglich sei. Rasch wurde der Kölner Polizeipräsident von NRW-Innenminister Ralf Jäger entlassen.

Polizeipräsident Jürgen Mathies
(© Polizei Köln)
Einige Tage später wurde Albers Nachfolger ernannt: Der 54-jährige Jürgen Mathies, der vormalige Direktor des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste. Mathies hat das Handwerk des Polizisten von der Pike auf gelernt und bewiesen, dass er die ganz großen Dinge denken kann. So war er in führender Position in einer Arbeitsgruppe für das Sicherheitskonzept der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland zuständig.

Nachdem Bundesinnenminister Thomas de Maizière Kritik an der Arbeit der Kölner Polizei geäußert hatte, meldete sich Ralf Jäger am 11. Januar ausführlich zu Wort.

In einer Pressekonferenz stellte er nach einer Sondersitzung des Innenausschusses des Düsseldorfer Landtags heraus, die Tatverdächtigen der Silvesternacht von Köln seien fast nur Menschen mit Migrationshintergrund. Zu diesem Zeitpunkt seien 19 Tatverdächtige ermittelt worden, von denen 14 aus Marokko oder Algerien stammten. Von diesen hätten zehn den ausländerrechtlichen Status eines Asylbewerbers, vermutlich hätten sich sieben Verdächtige illegal in Deutschland aufgehalten. Gleichzeitig kritisierte er die Polizeiführung und die Öffentlichkeitsarbeit der Kölner Polizei. Er betonte, die Leitung der Kölner Polizei habe die „angebotene und dringend benötigte Verstärkung für diese unerwartete Lageentwicklung nicht abgerufen“, zitiert ihn „Focus“.

Mitte Januar zog der „Spiegel“ eine Zwischenbilanz der Kölner Silvesternacht: 650 Strafanzeigen waren bis dahin eingegangen, wovon etwa die Hälfte sexuelle Übergriffe betrafen, darunter drei Vergewaltigungen. In 103 Fällen kam es gleichzeitig zu einem Diebstahl und einer sexuellen Belästigung.

Andreas Pein
(© Gewerkschaft der Polizei Bundesvorstand)
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte sich, noch bevor die Fakten auf dem Tisch lagen, entschlossen vor die am Hauptbahnhof eingesetzten Kollegen gestellt. Es sei „ungeheuerlich“ stellte der GdP-Vorsitzende von Köln, Andreas Pein, heraus, zu behaupten, die Polizei habe am Hauptbahnhof versagt. Solches Gerede „vom Rednerpult oder aus dem warmen Bürosessel“ wertete der Gewerkschaftsmann als „Augenwischerei“.

Einige Tage nach den Taten tauchte ein Einsatzbericht eines dank seiner 29 Dienstjahre sehr erfahrenen Bundespolizisten auf, den die Presse durchgängig als Beleg für ein kollektives Versagen der Polizei wertete. Der Beamte führte darin unter anderem aus, für einzelne Frauen und auch Frauen in männlicher Begleitung sei es ein „Spießrutenlauf durch die stark alkoholisierten Männermassen (gewesen), wie man es nicht beschreiben kann“. Ein anderer Polizist kritisierte, zu wenige seiner Kollegen seien im Einsatz gewesen, um der Täter habhaft werden zu können. Ernst G. Walter, der für den Bereich Bundespolizei zuständige Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft stellte in einem ARD-Brennpunkt heraus, Reserven der Bundespolizei hätten nicht zum Kölner Bahnhof zugeführt werden können, da rund 2000 Beamte an den südlichen Grenzen der Republik im Einsatz seien.

Auch in anderen Bereichen wurden Probleme festgestellt. Kein Beamter des höheren Dienstes sei in der Silvesternacht im und am Kölner Hauptbahnhof gewesen, kritisierte der Inspekteur der nordrhein-westfälischen Polizei, Bernd Heinen. Dieses Argument mag in manchen Ohren plausibel klingen, da der Schluss nahe liegt: Mit einem hochrangigen Beamten an der Spitze wäre es besser gelaufen. Jedoch sieht die Wirklichkeit anders aus. Bereits im Jahr 2010 legte die GdP ein Positionspapier zu der bereits damals in vielen Bereichen desolaten Lage der Beamten des höheren Dienstes in NRW vor. Darin rechnete Bernd Heinen
(© MIK NRW)
die Gewerkschaft vor, dass zwar 713 Polizisten in Besoldungsstufe A 13 und höher eingruppiert waren, davon aber weniger als 400 im operativen Dienst eingesetzt werden konnten. Die GdP beklagte das neu geschaffene Direktionsmodell der Polizei – das in seiner praktischen Umsetzung mehr Beamte des höheren Dienstes erforderte – und die bereits damals ständig steigenden Aufgaben. In einem Nebensatz der Denkschrift riss die GdP das Problem an, die Erwartungen der Politik hätten einen direkten Einfluss auf die Arbeit der Polizisten: „Beamtinnen und Beamte, die sich nicht im Sinne des Ministeriums ‚bewegen’, werden als unflexibel abgestempelt.“ Und mit Blick auf die praktische Polizeiarbeit ergänzte die GdP: „Hier scheint die operative Tätigkeit eher hinderlich zu sein bzw. nicht als gleichwertige Tätigkeit angesehen zu werden.“ Knapp formuliert: In einem Einsatz wie dem am Hauptbahnhof in Köln kann ein Polizist keine Meriten einheimsen, allenfalls Kritik von Seiten der Politik ernten.

Das Schweigen der Polizisten

Zu all dieser zum Teil heftig öffentlich geäußerten Kritik kam nach wenigen Tagen immer öfter die Frage auf, warum die ersten von Polizisten Rainer Wendt
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verfassten Pressemitteilungen nur einen kleinen Teil der Ereignisse berücksichtigten. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, verblüffte manchen Zuseher der ARD-Fernsehsendung „hartaberfair“ mit der keineswegs neuen Aussage, es brauche keinen ministeriellen Erlass, „weil jeder Beamte weiß, dass er eine bestimmte politische Erwartungshaltung erfüllen muss“. Aus diesem Grund würden seit vielen Jahren die Herkunftsländer von Tätern nicht mehr dokumentiert und bestimmte Dinge von den Polizisten verschwiegen.

Die Journalistin Martina Fietz hatte sich bei Focus-online im Zusammenhang mit den Vorgängen am Kölner Hauptbahnhof ähnlich geäußert. Sie hatte ein Schweigekartell ausgemacht und beklagt, die Political Correctness fessele das Land. Zu lange seien Probleme im Bereich der Inneren Sicherheit „totgeschwiegen worden. Der Blick durch die rosarote Multi-Kulti-Brille erlaubte nicht, klar zu benennen, wenn Zuwanderer Straftaten begingen und sich Parallelgesellschaften entwickelten. Wer hier den Finger in die Wunde legte, fand sich schnell in der rechten Ecke wieder“.

Diese Kritik mag als journalistische Zuspitzung erlaubt sein, jedoch gibt dies nicht die ganze Wahrheit wieder.

Probleme seit langem bekannt

Der Bereich zwischen dem Kölner Hauptbahnhof und der Domplatte gilt nicht nur unter Polizisten seit vielen Jahren als problematisch. Unter anderem suchen und finden hier Handtaschendiebe ihre Opfer. Dabei fällt auf, dass stetig die Zahl der Täter zunimmt, die aus dem nordafrikanischen Raum stammt. Im Jahr 2014 ermittelte die Polizei 1800 Tatverdächtige, die aus dieser Region nach Deutschland kamen. Dies entsprach 40 Prozent der Gesamtzahl aller Kölner Taschendiebe. Sorgen bereitet der Polizei die kontinuierlich steigende Aggressivität, mit der sie dabei vorgehen. Immer öfter stellen die Beamten einen Modus Operandi fest, bei dem die Opfer zunächst „angetanzt“ werden, also ein enger körperlichen Kontakt zu ihnen gesucht wird, und ihnen während dieser Umklammerung Geldbörse oder Telefon entwendet werden.

Die Kriminalität beschränkte sich zu allen Zeiten in der Millionenstadt Köln nicht nur auf das Gebiet zwischen Hauptbahnhof und Dom. Bereits vor 15 Jahren strahlte „Phoenix“ eine Reportage über den Kölner Stadtteil Ossendorf aus. Dort lieferten sich zwischen heruntergekommenen Mietskasernen türkische Gangs Straßenschlachten mit Spätaussiedlern aus Kasachstan. Drogendealer, Zuhälter und Waffenschieber prägten das Straßenbild im Nordwesten der Rheinmetropole. Über die Stadtgrenzen hinaus war bekannt, dass Ossendorf, wie das angrenzende Bickendorf, zu den mit sozialen Problemen überfrachteten Wohnvierteln gehörte. Die Reportage beschrieb, nachts würden Schlägerbanden durch die Viertel ziehen und in Hinterhöfen oder auf ehemaligen Kinderspielplätzen ihre Rangkämpfe austragen. Dabei kämen Baseballschläger, Messer und Gaspistolen, aber in zunehmender Zahl auch scharfe Waffen zum Einsatz. Wer es sich leisten konnte, zog weg aus diesen Hochburgen der Kriminalität. Jedoch sorgten Stadtverwaltungen für stetigen Nachzug, da sie trotz warnender Gegenstudien die Problemfälle in bestimmten Vierteln konzentrierten: Spätaussiedler, Asylbewerber, aber auch alleinstehende, von der Sozialhilfe lebende Mütter mit mehreren Kindern. Damit sei auch eine Abgrenzung gegenüber denen verbunden, die draußen leben. Es würden Ghettos geschaffen und es entstehe unter den Bewohnern eine ebensolche Mentalität. Dieses Verhalten erschwere die Ermittlungen der Polizei, verhindere sie teilweise sogar.

Experten mahnten damals bereits, in diesen Vierteln sei die Anzeigebereitschaft der Opfer von Gewalttaten sehr gering, aus berechtigter Furcht vor weiteren, noch einschneidenderen Repressalien durch die Täter. Rechtsfreie Räume seien im Kölner Weichbild links und rechts der Bundesstraße 59 nicht eine theoretische Metapher, sondern tagtägliche Realität. Der Begriff „No-Go-Area“ wurde zunehmend verwendet, womit ein Gebiet bezeichnet wird, in das man sich als Normalbürger nicht vorwagen sollte und in das selbst die Polizei nur in großer Zahl vorrückt. Jedoch beschränkten sich die Problembezirke nicht nur auf das Kölner Stadtgebiet. In Nordrhein-Westfalen galten bereits vor 15 Jahren unter anderem Teile des Essener und Dortmunder Nordens sowie die Duisburger Stadtteile Hochfeld oder Marxloh als Hochburgen der Kriminalität.

Die Städte wehren sich. Sie sanieren verwahrloste Straßenzüge, zeigen mehr Polizeipräsenz, bieten diverse Integrationskurse an. Aber überall wird das fehlende Geld beklagt. Daher sind private Initiativen gefragt. In Köln-Bickendorf wirbt die GSG-Immobilien AG in glänzenden Broschüren um neue Mieter und zeichnet das Bild einer gelungenen Integration. Gegründet wurde die Gemeinnützige AG für Wohnungsbau im Jahr 1913. Das Ziel war nach eigenen Worten, „privates Kapital für den Massenwohnungsbau zu bündeln und damit das Kölner ‚Wohnungselend’ ... für ärmere Bevölkerungsschichten zu beenden“. In einer im Jahr 2014 erschienenen Broschüre werden die Probleme der Vergangenheit, insbesondere die aus dem Ruder geratene Kriminalität, nicht verschwiegen. Anschließend wird mit schönen Worten die gegenwärtige Existenz einer Parallelgesellschaft ins Feld der Dichtung verwiesen. So etwa, wenn ein türkischer Mieter, der seit 1983 mit seiner Familie in Bickendorf wohnt, betont: „Früher waren hier viele Gruppen, die unter sich blieben – die Deutschen, die Türken, die Italiener. Heute gibt es viele Kontakte zwischen den Kulturen, das Miteinander hat sich deutlich verbessert.“

Der Aussagewert der Kriminalstatistik

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) spricht in weiten Teilen eine andere Sprache. Jedoch bestand über die Möglichkeiten und Grenzen des Aussagewerts derartiger Auflistungen unter den Fachleuten nie ein Zweifel. So findet sich in der Einleitung zu der im Mai 1998 publizierten Kriminalstatistik unter anderem der Hinweis, mit dieser Erhebung könne man keine Aussagen über das Dunkelfeld treffen, jene Straftaten also, die der Polizei nicht angezeigt oder bekannt werden. Zudem sei das Anzeigeverhalten der Bevölkerung und die Verfolgungsintensität der Polizei ganz wesentlich für den Erfolg der Strafverfolgung verantwortlich. Dies bedeutet: Wenn sich die Schwerpunkte der polizeilichen Arbeit verschieben, dann ändert sich zwar dadurch nicht zwingend die Gesamtzahl der Straftaten in diesem Bereich, aber die Zahl der Verbrechen, die den Ordnungshütern bekannt werden, erhöht beziehungsweise verringert sich. Nicht eindeutig definierte oder deliktübergreifende Tatbestände – wie etwa die sogenannte Organisierte Kriminalität – zeigen der PKS ebenso die Grenzen des Möglichen auf. Und gerade bei der Beurteilung der Kriminalität ausländischer Tatverdächtiger müssten nach Aussage der Autoren des Berichts von 1998 diverse Bewertungsprobleme berücksichtigt werden.

In den offiziellen Kommentaren zu den statistischen Erhebungen über die Kriminalität in Deutschland wurden die damit verbundenen Probleme nicht verschwiegen. Grund zur Besorgnis lieferte seit vielen Jahren der hohe Anteil der Ausländerkriminalität. So besaßen 23,5 Prozent der von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen im Jahr 2003 nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, obwohl der Anteil der Nichtdeutschen an der Gesamtbevölkerung damals lediglich neun Prozent betrug. Bei der Interpretation der Zahlen wurden von dieser Gesamtzahl häufig die Straftaten gegen das Ausländergesetz und Asylverfahrensgesetz abgezogen, da sie ja lediglich von Ausländern begangen werden können. Unberücksichtigt blieb bei dieser Argumentation, welche weiteren Straftaten in den Zahlenwerken unter diesen ausschließlich von Ausländern begehbaren Straftaten subsumiert wurden. Aber selbst wenn man diesen Argumentationsweg mitgeht, bleibt nach dem Abzug der ausländertypischen Straftaten immer noch ein Anteil von 19 Prozent übrig. Betrachtete man die einzelnen Straftaten, so stach ins Auge, dass in einigen Bereichen der Anteil der Nichtdeutschen an der Gesamtzahl der Straftäter noch weitaus höher lag: Rund ein Drittel der Morde, Totschläge, Vergewaltigungen und Raube ging auf das Konto von Ausländern. Jedes vierte Rauschgiftdelikt und jeder fünfte schwere Diebstahl wurden von einem Ausländer begangen.

Es war im Jahr 2003 keineswegs so, dass der Löwenanteil der nichtdeutschen Straftäter aus den Reihen der illegal nach Deutschland Eingereisten stammte: 82,6 Prozent der nichtdeutschen Straftäter lebten legal in Deutschland. Ebenso wenig belegte das Zahlenwerk die These, der Großteil der von den legal in Deutschland lebenden Ausländern begangenen Verbrechen entfalle auf Asylbewerber: Deren Quote am kriminellen Geschehen dieser Gruppe lag bei 13,3 Prozent. Es war darüber hinaus bemerkenswert, dass die an deutschen Schulen und Universitäten lernenden Ausländer acht Prozent aller Straftaten begingen.

Wissenschaftlich betrachtet

Insbesondere Geisteswissenschaftler sollen sine ira et studio forschen, also an ihr Thema ohne Zorn und auch ohne Eifer herangehen. Diese gebotene emotionale Distanz wurde gerade dann auffallend häufig aufgegeben, wenn es um die Interpretation von Kriminalstatistiken ging. Was nicht ins ideologische Weltbild des jeweiligen Autors passte, wurde nicht selten als quantité négligeable erklärt und damit außen vor gelassen. Des Weiteren war häufig festzustellen, dass die Betrachtungsperspektive und die Bezugsgröße verändert wurden, bis unterm Strich das Wunschergebnis stand. Dieser eigenwillige Umgang mit dem Handwerkszeug des Wissenschaftlers war sowohl bei Autoren feststellbar, die dem linken politischen Lager zugeordnet werden können als auch bei solchen, deren politische Gesinnung als rechts bezeichnet werden kann. Am Ende blieb ein eher verstörendes Bild und keine klare Antwort.

Diese unklare Gemengelage rief zahlreiche Deuter auf den Plan. Häufig entzündeten sich Kontroversen an der Frage, ob der starke Zuzug von Ausländern nach Deutschland eher positiv zu bewerten sei oder dessen Folgen für das Gemeinwesen eher negativ seien. Auf der einen Seite stand der Begriff „Multi-Kulti“, auf der anderen die „Parallelgesellschaften“, als dessen Urheber der deutsche Soziologe Wilhelm Heitmeyer gilt. In einer Mitte der 1990er Jahre erschienenen Untersuchung über das Entstehen eines islamistischen Fundamentalismus unter Jugendlichen beschrieb er den Umstand, dass eine große Zahl türkischstämmiger Jugendlicher keine wirkliche Bindung zur autochthonen Gesellschaft aufbaut, sondern vielmehr nahezu berührungslos in ihr lebt. In der sozialwissenschaftlichen Forschung bildeten sich rasch mehrere Lager heraus, die zum Teil sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage fanden, wie die Integration ausländischer Mitbürger gelingen beziehungsweise deren Desintegration vermieden werden kann.

Wie nicht anders zu erwarten, besteht unter den Wissenschaftlern keine Einigkeit darüber, was als Parallelgesellschaft zu bezeichnen ist. Die umfassendste Definition, die in der Praxis aufgrund ihrer vielfältigen Implikationen kaum erreichbar erscheint, legte im Jahr 2002 Thomas Meyer in seinem Aufsatz „Parallelgesellschaft und Demokratie“ vor. Fünf Indikatoren für die Existenz einer Parallelgesellschaft sieht Meyer: eine ethno-kulturelle oder kulturell-religiöse Homogenität; eine fast vollständige lebensweltliche, zivilgesellschaftliche und ökonomische Segregation; nebeneinander bestehen die gesellschaftlichen Institutionen doppelt – für Migranten und für die alteingesessene Gesellschaft; die Segregation erfolgt freiwillig und schließlich kann eine siedlungsräumliche oder zumindest sozial-interaktive Segregation festgestellt werden. Andere Forscher, so etwa Hartmut Esser, stellten nicht eine Begriffsdefinition in den Vordergrund, sondern befassten sich mit den Auswirkungen einer gelungenen oder misslungenen Integration. So betonte Esser, auf Dauer könne eine Sozialintegration nur durch Assimilation gelingen. Nur dann sei zum Beispiel sozialer Aufstieg für die Zuwanderer möglich.

Im Jahr 2006 gingen Dirk Halm und Martina Sauer in ihrem Aufsatz „Parallelgesellschaft und ethnische Schichtung“ unter anderem der Frage nach, ob es in Nordrhein-Westfalen eine türkische Parallelgesellschaft gebe. Dabei leiteten sie aus Thomas Meyers Definition einen Fragenkatalog ab. Sie fanden keine Anhaltspunkte für die Entwicklung von Parallelgesellschaften. Sie stellten sogar eine Zunahme der gesellschaftlichen Durchmischung fest. Allerdings konstatierten sie, dass sich die Identifikation mit dem Islam vergrößerte, „womit zugleich die religiös-kulturelle Homogenität der Gruppe sowie die Empfindung von Diskriminierung im Untersuchungszeitraum gewachsen sind“. Sie fassten zusammen: „Die vorgestellten Daten sprechen dafür, dass es bei der Integration der Türkischstämmigen eher an Möglichkeiten als am Willen der Betroffenen fehlt.“

9/11 als Wendepunkt

Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA veränderten vieles und brachten neue Fragen auf. Einige der Attentäter von New York hatten jahrelang in Deutschland gelebt, ohne dabei auffällig geworden zu seien. Sie hatten sich reibungslos in die deutschen Lebensverhältnisse eingefügt. Von dieser Feststellung war es Friedrich Merz
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ein gar nicht so weiter Weg, diejenigen Ausländer näher zu betrachten, die sich nicht in die Gesellschaft einfügten, sondern die Art und Weise des Zusammenlebens, die sie aus ihrer Heimat kannten, nach Deutschland transportierten und hier fortlebten. Als Gruppe gerieten dabei besonders die Muslime in den Fokus des öffentlichen Interesses. Bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt setzte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily in der aufkommenden Debatte einen deutlichen Akzent. Er forderte im Sommer 2002 von den Ausländern, die nach Deutschland kamen, die Assimilation, was von den meisten Kritikern als die Aufgabe des eigenen Kulturgutes gedeutet wurde. Dies war nicht weit entfernt von der deutschen Leitkultur, an der sich die Neuankömmlinge orientieren sollten. Der CDU- Politiker Friedrich Merz hatte diesen Begriff kurze Zeit zuvor in die Integrationsdebatte eingebracht und damit aus dem linken, aber auch Teilen des liberalen politischen Lagers heftige Kritik geerntet.

Theo van Gogh
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Berichte über muslimische Mädchen, denen ihre Väter den Besuch des Sport- und Schwimmunterrichts verbieten, Zwangsheiraten, Ehrenmorde, hohe Kriminalitätsraten und eine vom deutschen Rechtsstaat losgelöste eigene Rechtsprechung, die auf der Scharia beruht, suchten nach einer griffigen Überschrift und fanden sie in der „Parallelgesellschaft“. Einen regelrechten Boom erlebte die in populären Beschreibungen bald stark emotional aufgeladene Bezeichnung nach der Ermordung des niederländischen Journalisten Theo van Gogh im November 2004. Dieser hatte immer wieder durch seine Kritik am Islamismus und dem Scheitern der Integration in den Niederlanden für Aufsehen weit über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus gesorgt.

Ziemlich genau ein Jahr später kam es zu bürgerkriegsähnlichen Ereignissen in Pariser Vororten, in Marseille und auch in Straßburg. Jugendliche zogen durch die Banlieu, plünderten, steckten Autos in Brand und lieferten sich Straßenschlachten mit Polizei.
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Gruppen von zum Teil mehreren hundert Jugendlichen zogen durch die Banlieu, plünderten, steckten Autos in Brand und lieferten sich Straßenschlachten mit Polizei und Gendarmerie. Der Auslöser der Aufstände war der Tod zweier Jugendlicher, die Gründe jedoch lagen sehr viel tiefer. Nach einer Aufbauphase in den 1950er Jahren, in deren Verlauf an den Rändern der großen französischen Städte relativ günstiger Wohnraum in Hochhäusern geschaffen wurde, zogen seit Mitte der 1960er Jahre innerhalb von zwei Jahrzehnten die meisten weißen Franzosen aus diesen Vierteln weg und an ihre Stelle zogen Menschen Nicolas Sarkozy
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aus den ehemaligen Kolonien, insbesondere aus Nordafrika ein. Der durchschnittliche Bildungsstand und das Einkommen dieser Franzosen war deutlich geringer als im Rest des Landes und bald entwickelten sich die Banlieu zu sozialen Brennpunkten mit hoher Kriminalitätsbelastung. Der französische Staat reagierte darauf, indem er die Zahl der Polizisten drastisch erhöhte und sie so gliederte und ausbildete, dass sie in der Lage waren, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Die daraus folgende übergroße Polizeipräsenz führte – so die Meinung zahlreicher Soziologen – unter den Bewohnern der Banlieus zu Angst und Unsicherheit und Heinz Buschkowsky
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provozierte Gegenbewegungen. Die Sprache verrohte, so kündigte der damalige Präsident Nicolas Sarkozy vor den Wahlen im Jahr 2007 an, er werde die Vorstädte mit dem Hochdruckreiniger von dem „Gesindel“ säubern lassen.

Die Ereignisse in Frankreich wirkten auch auf Deutschland, wo eine angsterfüllte Diskussion über Parallelgesellschaften geführt wurde. Als Galionsfigur der Debatte, aber auch als Brückenbauer zwischen den politischen Lagern fungierte über viele Jahre Heinz Buschkowsky, der als Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln immer wieder auf diverse Missstände hinwies. In einem Buch fasste er seine Erfahrungen aus einer mehr als zehnjährigen Tätigkeit als Bürgermeister zusammen und scheute sich nicht, von Räumen in deutschen Innenstädten zu sprechen, die rechtsfrei seien – nicht nur in Berlin-Neukölln. Die Integration der Zuwanderer, insbesondere der Muslime, sei vielerorts gescheitert. Buschkowsky beschrieb auch die Ausweichstrategie. Wer die finanziellen Möglichkeiten hätte, ziehe in ein anderes Viertel, in dem es schlichtweg schöner sei, in einen der noch dörflich geprägten Vororte oder gleich in den mondänen Grunewald.

Das Buch der Jugendrichterin Kirsten Heisig, in dem sie das Ende der Geduld thematisierte und forderte, konsequent gegen jugendliche Gewalttäter vorzugehen, sorgte nach dem Suizid der Autorin für großes Aufsehen. Heisig war über Jahre hinweg am Amtsgericht Berlin-Tiergarten tätig. Sie hatte sich mehrfach zu Wort gemeldet und angesichts zunehmender Jugendgewalt, die zu einem großen Teil von muslimischen jungen Männern ausging, härtere und schnellere Strafen gefordert: das Neuköllner Modell.

Für noch größere mediale Aufmerksamkeit sorgte das Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin, eines ehemaligen Vorstandsmitglieds der Deutschen Bundesbank. Er griff darin im Jahr 2010 Themen auf, die nicht wenigen auf der Seele brannten. So beklagte er, zu viele deutsche Politiker würden es nicht wagen, die Sarrazin bei der Buchvorstellung von Deutschland schafft sich ab
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wirklichen Probleme dieser Gesellschaft beim Namen zu nennen, weil dies der politischen correctness widersprechen würde. Der Autor beschrieb die durchweg schlechten Chancen von Muslimen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, was er mit deren mangelnder Intelligenz begründete. Die FAZ kam nicht zuletzt deshalb zu dem Ergebnis, Sarrazin habe mit seinem Buch ein antimuslimisches Dossier verfasst.

Wege aus der Angst

Die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln schürten Angst. In den Tagen danach schossen die Umsätze von Waffenhändlern in die Roger Lewentz
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Höhe, weil Reizgasdosen und Schreckschusspistolen Verkaufsschlager waren. In Köln wurden die zuständigen Stellen mit Anträgen auf die Ausstellung eines sogenannten „kleinen Waffenscheins“ überhäuft. Diese Erlaubnis ist erforderlich, um eine Waffe ständig mit sich führen zu dürfen, aus der Schreckschuss- und auch Reizgaspatronen abgefeuert werden können. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz zeigte in einem Fernsehinterview Verständnis für Frauen, die jetzt Angst hätten. Auch seine Ehefrau und seine beiden Töchter würden sich ein Reizgas einstecken, wenn sie aus dem Haus gingen, um zum Beispiel zu joggen.

Medienberichte, die von einer groß angelegten Planung der Vorfälle am Silvesterabend sprachen, sorgten sicher nicht für Beruhigung. Ebenso Bundesjustizminister Heiko Maas
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wenig der bereits in der ersten Aufregung von Bundesjustizminister Heiko Maas gebrauchte Begriff der „Organisierten Kriminalität“. Danach stand für einige Tage der aus dem Arabischen stammende Begriff „Taharrush gamea“ im Mittelpunkt der Berichterstattung. Damit werden Massenvergewaltigungen beschrieben, wie sie zum Beispiel im Jahr 2013 in Ägyptens Hauptstadt Kairo auf dem Tahrir Platz stattfanden. Tage später wurde bekannt, dass es bei großen Musikfestivals in Stockholm zu zahlreichen sexuellen Übergriffen durch Flüchtlinge und Asylbewerber aus dem arabischen Raum gekommen war. Die Ereignisse in Köln verloren ihre Einzigartigkeit und es wurde die These aufgestellt, muslimische Männer seien aufgrund ihrer patriarchalischen Erziehung eher als andere geneigt, gegen Frauen Gewalt anzuwenden. Zudem, so wurde beschrieben, sei die Sexualität in der islamischen Religion mit zahlreichen Tabus belegt. Prallten diese Vorstellungen auf den im Westen üblichen liberalen Umgang mit der Sexualität, so seien damit Probleme unausweichlich. Deniz Baspinar schrieb in der „Zeit“, eine tabuisierte Sexualität suche sich ihren Weg.

Bundeskanzlerin Angela Merkel
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Die ersten Meinungsumfragen des Jahres 2016 verzeichneten für Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Umfragetief. Die Willkommenskultur für ankommende Flüchtlinge, die noch wenige Wochen zuvor überall anzutreffen war, wich einer ständig sich steigernden Skepsis, ob Deutschland das wirklich schaffen kann. Nahrung erhielten die Kritiker von dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Hans-Jürgen Papier stellte fest, die Stimmung im Land sei gekippt, die Geschehnisse in Köln hätten „ein partielles Versagen des Staates als Garant von Freiheit und Sicherheit gegenüber seinen Bürgern“ belegt. Die bereits erwähnten, Sofortmaßnahmen zur Beruhigung der Öffentlichkeit – neue Gesetze, härtere Strafen, mehr Polizisten – seien zwar nicht falsch, sagte er in einem Interview mit dem „Handelsblatt“, jedoch treffe man damit nur die Symptome. Der Staatsrechtler forderte, die Bundeskanzlerin müsse für eine deutliche Trennung von Asylgewährung und Migrationspolitik sorgen und die Außengrenzen des Landes sichern. Er spitzte zu: „Wir haben rechtsfreie Räume bei der Sicherung der Außengrenzen, das darf nicht sein.“

Andere Aspekte brachte Heinz Buschkowsky ein. Im Deutschlandfunk mahnte er eine schnelle und harte Antwort des Staates an und fuhr fort: „Das ist auch ein Produkt von Parallelgesellschaften, das ist ein Produkt davon, dass Integration zur Spaßveranstaltung erklärt wurde, die für die ist, die darauf Lust haben. Ich bin ja seit Langem ein Vertreter der Forderung, dass Integration Staatsaufgabe sein muss und verbindlich. ... Man muss Integrationsvereinbarungen treffen mit Menschen, die neu hinzukommen.“

Mit diesen Gedanken liegt der SPD-Mann Buschkowsky ganz nah bei Julia Klöckner, der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU, die zurzeit mitten im Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz steckt. Sie forderte bereits im Oktober 2015, Flüchtlinge sollten eine Integrationsverpflichtung unterzeichnen. Darin „müssten die Asylbewerber darüber informiert werden, dass in Deutschland Staat und Kirche getrennt seien, Gesetze über den Regeln heiliger Schriften stehen und die Gleichberechtigung der Geschlechter gelte. Wer Probleme damit habe, diese und weitere Grundwerte wie die Toleranz gegenüber Menschen anderer sexueller Bodycam
(© Reveal/Wilmink)
Orientierung, das Verbot von Zwangsehen und die Anerkennung Israels zu akzeptieren, müsse sich fragen, ob Deutschland das richtige Zielland für ihn sei“.

Die rheinland-pfälzische Regierung blickt nicht so weit in die Zukunft, sondern versucht, irgendwie die unmittelbar bevorstehende Herausforderung zu überstehen. Es steht der Höhepunkt der tollen Tage an, der Rosenmontagszug in Mainz, der bereits in den Vorjahren die Polizei bis an die Grenzen des Machbaren belastete. In einem neuen Sicherheits-Konzept, das in seinen Grundzügen veröffentlicht wurde, sollen die Schutzpolizisten nicht mehr wie bisher nur an festen Orten präsent sein, sondern das gesamte Feiergebiet abdecken. Dabei sollen sie auch Bodycams tragen, kleine Kameras, die an der Uniform befestigt werden, mit denen Straftaten und Täter beweissicher dokumentiert werden können. Bereits an den Bahnhöfen soll ein Frühwarnsystem eingerichtet werden, um potenzielle Gefährder gar nicht erst zur Feiermeile gelangen zu lassen. Diverse Spezialeinheiten – unter ihnen das Spezialeinsatzkommando und die Beweis- und Festnahme-Einheiten – sollen uniformiert, aber auch in Zivil an den tollen Tagen für mehr Sicherheit sorgen. Speziell für Frauen sollen während der Rosenmontagszüge Rückzugsräume geschaffen werden.

Niemand kann heute sagen, ob die getroffenen Maßnahmen den gewünschten Effekt erzielen werden: Friedlich verlaufende Rosenmontagszüge mit vielen fröhlich feiernden Menschen. Langfristig werden wohl höhere Investitionen in die Innere Sicherheit unumgehbar sein. Allem anderen voran mehr Polizisten, die besser ausgebildet und ausgerüstet sind. Es wird darüber hinaus notwendig sein, Personen, die straffällig geworden sind, schneller und auch härter zu bestrafen. Aber all diese Maßnahmen werden nur dann einen Beitrag zu einer gelungenen Integration leisten können, wenn der Antrieb, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, von den Zuwanderern selbst kommt. Wenn sich die Neuankömmlinge jedoch systematisch vom Rest der Gesellschaft isolieren, also Parallelgesellschaften bilden, werden all diese Maßnahmen nicht fruchten. Darüber hinaus wird der gegenwärtig noch ungebremste Zuzug reduziert und die Belastung auf mehr Schultern in der Europäischen Union verteilt werden müssen. Die Politiker werden im Auge behalten, dass sie keine Politik gegen den Willen des Volkes betreiben können. Aber das ist ein anderes Thema.

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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