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Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan
(© Bundeswehr/Flickr)

Afghanische Flüchtlinge in Deutschland

Eine Zerreißprobe für das deutsch-afghanische Freundschaftsverhältnis?

Von Roswitha Kern

Seit dem Vormarsch der Taliban in Afghanistan, verlassen derzeit monatlich etwa 100 000 Menschen das Land und stellen spätestens seit Sommer 2015 die zweigrößte Gruppe unter den Flüchtlingen, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen. Die steigende Zahl afghanischer Asylanträge in Deutschland spiegelt nicht Präsident Aschraf Ghani Ahmadsai im Juli 2014
© Foto: U.S. Department of State, Wikimedia Commons | Lizenz:Public domain / CC0
zuletzt auch die prekäre Sicherheitslage des Landes wider. Konservativen Einschätzungen zur Folge, kontrolliert die Taliban mindestens ein fünftel des Landes. Viele Sicherheitsexperten gehen aber aktuell sogar davon aus, dass sich der Einfluss der Taliban bereits auf die Hälfte des Landes erstreckt. Will Steul, ein langjähriger Afghanistanexperte, vermerkte im Gegensatz zum öffentlichen Diskurs der Bundesregierung gegenüber dem Deutschlandfunk hierzu: „Es gibt keine sicheren Gebiete in Afghanistan. Das ist ein zusammengebrochener Staat. Präsident Aschraf Ghani versucht, mit allen Möglichkeiten das Land irgendwie zusammenzuhalten.“

Der Einsatz der deutschen Bundeswehr in Afghanistan, seit dem Sturz der Taliban 2001 fester Bestandteil der westlichen ISAF-Allianz, mit dem Ziel der Bekämpfung von Aufstandsbewegungen und dem Wiederaufbau staatlicher Strukturen im Land, wirft in Anbetracht dessen eine ernüchternde Bilanz auf. Denn vor allem das Wiedererstarken der Taliban, eine Reihe von VBIED Angriffen in Kabul, die Angriffe auf indische Konsulate in Mazar-e Sharif und ähnlichen Bedrohungsszenarien in Kandahar sowie eine nahezu völlige Machtübernahme der Taliban in Helmand prägten die vergangenen Monate.

Der Arm der afghanischen Regierung unter dem gegenwärtigen Präsidenten reicht nach wie vor kaum bis an die Stadtgrenzen der Hauptstadt Kabul. Zudem werden trotz aller Bemühungen auf militärischer und auch ziviler Ebene – seit Ende der 70er Jahre ist Afghanistan der drittgrößte Empfänger deutscher Entwicklungshilfegelder – auch Deutsche immer häufiger zur Zielscheibe terroristischer Angriffe und Entführungen seitens aufständischer Gruppen. Wie sehr der Abzug westlicher Truppen im Oktober 2014 die Taliban stärkte, bemisst sich auch in der Tatsache, dass die Anzahl der Todesopfer in den vergangenen acht Monaten insgesamt höher war, als in den letzten drei Jahren zusammen.

Die Grundpfeiler des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr

Auf der Flucht vor den Taliban und den Missständen im Land, fliehen die meisten Afghanen nach wie vor nach Deutschland. Jedoch sind afghanische Sowjetischer Soldat bei der Überwachung einer Straße in Afghanistan, 1988
© Foto: RIA Novosti archive, image #21225 / A. Solomonov, Wikimedia Commons | Lizenz: CreativeCommons by-sa-3.0
Flüchtlingsbewegungen nach Deutschland keine neue Entwicklung. Spätestens seit dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan in den 80-er Jahren empfing Deutschland tausende afghanische Flüchtlinge. Ein seit 100 Jahren bestehendes freundschaftlich geprägtes Verhältnis zwischen Deutschland und Afghanistan spielt hierbei sicherlich eine Rolle. Im Vergleich zu anderen Ländern erhob Deutschland nie koloniale Ansprüche gegenüber Afghanistan, was ihr Respekt, eine Zusammenarbeit auf einer partnerschaftlichen Ebene, sowie einen Ruf von Zuverlässigkeit erntete. So ist es kaum verwunderlich, dass ausgerechnet die wiedereröffnete deutsche Botschaft nach dem Sturz der Taliban als „Verbindungsbüro“ fungierte, und eine Einladung zu Friedensgesprächen auf den Petersberg bei Bonn von afghanischer Seite bereitwillig angenommen wurde.

Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan
(© Bundeswehr/Flickr)
Im militärischen Bereich ist die Sicherheit im Norden des Landes und die physische Sicherung von Entwicklungshilfeprojekten, vorwiegend in Kundus und Faizabad, seit 2003 im Rahmen der ISAF Mission "Operation Enduring Freedom" der Arbeitsschwerpunkt mehrerer tausender Bundeswehrsoldaten. Obwohl auch die Bundeswehr im Zusammenhang mit dem geplanten Abzug aller westlichen Sicherheitskräfte aus Afghanistan ihr Kontingent auf 850 Soldaten reduzieren wollte, musste diese Entscheidung seitens der Bundesregierung in Anbetracht einer sich zusehends verschlechternden Sicherheitslage vor Ort kürzlich revidiert werden. Somit wurde die Truppenanzahl kurzer Hand auf 920 erhöht und das Bundeswehr Mandat auf 2017 ausgeweitet. Unter dem Folgeeinsatz "Operation Resolute Support" obliegt deutschen Sicherheitskräften dabei mittlerweile vor allem die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte wie z. B. der afghanischen Polizei.

Zunehmende Flüchtlingsströme aufgrund einer fehlerhaften Afghanistanpolitik

Inwieweit die sich verschlechternde Sicherheitslage in Afghanistan und der in nächster Zeit nicht abreißende afghanische Flüchtlingsstrom nach Deutschland Resultate einer fehlerhaften westlichen Außenpolitik und Militärkampagne in Afghanistan sind, verdeutlicht am besten die Situation in der strategisch gewichtigen Provinz Helmand. In dem entlang von Ethnien, Stämmen, Familienclans und Unterclans stark fragmentierten Afghanistan stellt Helmand die größte, und eine mit bis zu 92% von Paschtunen besiedelte Provinz Afghanistans dar. Paschtunen sind nicht nur die größte Ethnie im Land, sondern darüber hinaus besteht auch die Taliban mehrheitlich aus Paschtunen. Als solches ist Helmand eine Taliban-Hochburg und mit dem weltweit größten Opiumanbauzentrum auch eine wichtige Einnahmequelle Paschtunen in Kandahar
© Foto: Mark O’Donald (Petty Officer 1st Class of the U.S. Navy), Wikimedia Commons | Lizenz: CreativeCommons by-2.0
der aufständischen Gruppe. Genau aus diesem Grund versuchte die ISAF-Allianz seit 2006 in einer Reihe militärischer Kampagnen Helmand unter Kontrolle zu bekommen. Laut der Aussage des Provinzgouverneurs Miraz Khan Rahimi im Dezember 2015 steht Helmand aber trotzdem kurz vor einer Machtübernahme durch die Taliban. Eine stetig steigende Zahl an desertierenden afghanischen Sicherheitskräften sowie eine Weigerung, die Taliban in ihrem Kernland zu bekämpfen, intensivieren dieses Bedrohungspotential. Der chronische Mangel an Waffen, Ausrüstung, Essen oder auch Notfallmedizin erklärt unter anderem, warum allein im November 2015 mehr als 60 Soldaten dem afghanischen Militär den Rücken zuwandten und zur Taliban überliefen. Bei der Ursachenforschung werden häufig Einflussfaktoren wie Stammesloyalitäten, Angst vor Vergeltung und eine realistische Einschätzung von Afghanen, dass die Präsenz und Unterstützung westlicher Sicherheitskräfte im Land lediglich eine zeitlich beschränkte ist, oft außer Acht gelassen. Aus genau diesen Gründen aber weigern sich die Bewohner von Helmand, auf die Aufforderung von ausländischen Truppen hin, Waffen gegen die Taliban zu richten. Wie der Shura-Führer in Helmand erklärt: „ Auf die Anordnung von ausländischen Truppen hin haben wir in der Vergangenheit unsere eigenen Brüder getötet und wir sind nicht bereit dies wieder zu tun.“

In diesem Zusammenhang spielt auch die strategische Lage von Helmand entlang der Grenze mit Pakistan eine tragende Rolle. Obwohl sich Paschtunen grob in Integrierte, Nationalisten und Islamisten teilen lassen, ist den Paschtunen-Stämmen in der Grenzregion die Nichtanerkennung der Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan mehrheitlich gemein. In ihren Bemühungen das Land zu befrieden und zu stabilisieren entging der westlichen Afghanistanpolitik aber zu oft die Tatsache, dass eine Gewährleistung der Unterstützung von Paschtunen bei der Regierungsbildung in Afghanistan nur eine marginale Wirkung entfalten kann, solange sich die Mehrheit aller in Pakistan lebenden Paschtunen entfremdet fühlt. Die Taliban hingegen genießt im Gegenzug hierzu unter Paschtunen Grenzen übergreifend breite Unterstützung. So ist es nicht überraschend, dass ausgerechnet in Helmand der Rückhalt in der Bevölkerung für die Taliban besonders groß ist. Die Taliban kann problemlos terroristische Anschläge in pakistanischen Verstecken planen, in Afghanistan ausführen und im Anschluss wieder sicher nach Pakistan zurückkehren. Forciert wird dieses Verhaltensmuster zusätzlich durch die weitreichende Unterstützung von Elementen der pakistanischen Sicherheitsbehörden, und insbesondere der des pakistanischen Geheimdiensts ISI, für die Taliban. Die Popularität der Taliban in Helmand ist jedoch vielseitig und lässt sich nicht nur durch ethnische Zugehörigkeit erklären. Nach jahrelangen Kämpfen sehnen sich in vielen Provinzen, darunter auch Helmand, die Einwohner vor allem nach Stabilität und Sicherheit. Dabei machen viele Afghanen vor allem aber das afghanische Militär für die anhaltende Instabilität und Unsicherheit verantwortlich, da es vielerorts mit Menschenrechtsverletzungen sowie der Zerstörung von Häusern und dem Lebensunterhalt assoziiert wird. Der Schulterschluss zwischen westlichen Truppen und den als korrupt angesehenen lokalen Machthabern hat das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in die vom Westen aufgebauten und unterstützten afghanischen Sicherheitskräfte dabei von Anfang an US-Marine-Soldaten mit Kindern in einem Opiumfeld
© Foto: ISAF Headquarters Public Affairs Office from Kabul, Afghanistan, Wikimedia Commons | Lizenz: Public domain / CC0
erodiert. Eine oft enge Zusammenarbeit zwischen dem Westen, Warlords, Drogenbaronen und Stammesführern, welche außerdem nur allzu oft durch Einschüchterung und Gewaltandrohung bei den Wahlen in den Provinzen und für die Zentralregierung gewählt wurden, führte zur schleichenden aber nachhaltigen Entfremdung großer Bevölkerungsteile. Feudale Gesellschaftsstrukturen wie auch die Konzentration wirtschaftlicher Macht in den Händen einiger weniger ‚Feudalherren’ führte die vom Westen ins Leben gerufene Ausradierung der Kultivierung von Mohnpflanzen zu breitem Widerstand in der verarmten Bevölkerung. 50% der Bevölkerung in Helmand sind Subsistenzbauern, deren einzige Lebensunterhaltsgrundlage Mohnanbau ist. Jahrzehntelange Kriege und politische Instabilität, die eine geldarme Wirtschaft, das Einstellen staatlicher Unterstützung für Bauern und einen Mangel an verfügbaren Krediten nach sich zogen, gekoppelt mit verheerenden Dürreperioden zwang viele Landwirte auf Mohnanbau umzusatteln. Das aus Mohn hergestellte Opium ist dabei für die Ärmsten Handelsware, eine Währung und ein Mittel um Kredite zu erhalten gleichzeitig. In manchen Fällen stellt der Mohnanbau gar eine Quelle für Nahrungsmittelsicherheit dar. Denn reichere Mohnbauern beschäftigen nicht nur ärmere Bauern zur Bewirtschaftung ihrer Felder, sondern erlauben ihren Angestellten darüber hinaus, Teile der Felder, welche nicht für den Mohnanbau genutzt werden, für den Lebensmittelanbau zu verwenden solange sie eine Opium Quote erfüllen. Ähnlich verwenden Bauern die Gewinne aus dem Mohnverkauf häufig um Grundnahrungsmittel zu kaufen, welche sie sich anderweitig nicht leisten könnten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn aufgrund unzureichender Bewässerungssysteme die Ernte von Nutzpflanzen unzureichend ist, um die gesamte Familie zu ernähren. Letztendlich werden geschätzte Opiumerträge wegen des brachliegenden Bankensystems aber auch als Bürgschaft bei der Vergabe von Krediten eingesetzt, mittels derer Bauern an Geld kommen um Landwirtschaftswerkzeuge, wie zum Beispiel Samen oder Düngemittel, zu erstehen. Ein Mangel an Alternativprogrammen für Mohnbauern oder schlecht ausgeführte Initiativen, als integraler Bestandteil der aggressiven Ausrottungskampagne von Mohnkultivierung durch den Westen, intensivierte folglich die Not, der ohnehin verarmten Bauern. Derartige Realitäten in Helmand erlaubten der Taliban ein einfaches Spiel. Zum Schutz ihrer eigenen Einnahmequelle schützten sie die Bauern nicht nur erfolgreich vor der Zerstörung ihrer Mohnanbaufelder, sondern konnten so auch ihren Rückhalt in der Bevölkerung weiter ausbauen. In der Tat erleichterte diese Form der Unterstützung den Taliban auch in der Provinz, eine steigende Zahl junger Männer in ihre Ränge zu rekrutieren.

Die strategischen Interessen der Taliban

Die Kontrolle über Helmand ist für die Taliban von wirtschaftlicher, strategischer und symbolischer Relevanz. Die islamische ‚Zakatsteuer’, eine der fünf Pflichten im Islam, sieht vor, dass Muslime jährlich einen gewissen Prozentsatz ihres Vermögens an religiöse Instanzen entrichten. Entgegen dem Glauben vieler wird diese Steuer auch auf Viehbestand und die Ernte sämtlicher Nutzpflanzen erhoben. Die Taliban erhob seit ihrer Machtenthebung 2001 die Zakat dabei auf Weizen, Gerste und Mohn gleichermaßen, und konnte so eine zuverlässige und ertragreiche Einkommensquelle generieren. Gerade die auf Mohn erhobene Zakat ist dabei so hoch – laut der Aussage von Talibananhängern stellt die auf Mohn enthobene Zakat 40% des Gesamteinkommens der Taliban dar – dass die Taliban den Bauern seit 2001 lediglich zum Mohnanbau ermutigten. Eine während ihrer Amtszeit von 1996 bis 2001 sorgfältig erstellte Liste an Bauern erweist sich beim Sammeln der Zakat dabei als äußerst nützlich.

Durch die Kontrolle von Drogenschmuggelrouten Richtung Pakistan und Iran profitiert die Taliban zusätzlich durch die Erhebung einer Transitgebühr von 15% des Wertes der geschmuggelten Ware. Sofern die Taliban von Drogenschmugglern zusätzlich für Schutzdienstleistungen angeheuert werden, erhöht sich die Gebühr um weitere 15%. Essentiell bedeutet die Kontrolle von Helmand für die Taliban somit die Sicherstellung ihrer zuverlässigsten und beständigsten Einnahmequelle. Dass die Taliban in der Vergangenheit nicht nur die Opferzahlen auf der gegnerischen Seite, sondern auch die Beschlagnahme großer Mengen an Waffen, Ausrüstung und ähnlichem, öffentlich über ihre Medienkanäle bekannt gab, lässt außerdem vermuten, dass sie es bei der Rückeroberung von Helmand auch auf die Übernahme strategischer Militärgüter abgesehen hat. Denn immerhin haben westliche Truppen bei ihrem Abzug aus Helmand afghanischen Sicherheitskräften Ausrüstung, Fahrzeuge und Besitz im Wert von 230 Millionen Dollar überlassen.

Schlussendlich hatte die Rückeroberung von Helmand für die Taliban einen hohen symbolischen Stellenwert. In kaum einer anderen afghanischen Provinz investierte das westliche Bündnis mehr Ressourcen, während es vor Ort gleichzeitig die höchste Opferzahl verzeichnen musste. Sollte es der Taliban daher gelingen, die Provinz zurückerobern, wäre dies mit einem immensen Hieb für die Afghanistanpolitik des Westens und damit einem bedeutenden taktischen Sieg für die Taliban in ihrem Kampf gegen die „ausländischen Invasoren“ gleichzusetzen.

Ein Blick in die Zukunft

In absehbarer Zukunft werden weder Angriffe von Seiten aufständischer Gruppen, die sich gegen Zivilisten, ausländische Truppen und afghanische Sicherheitskräfte richten, noch der Flüchtlingsstrom von Afghanen nach Deutschland abnehmen. Solange das westliche Bündnis, und somit auch die Bundeswehr sich weigern, eine angemessene Truppenzahl zur Gewährleistung der Sicherheit und Stabilität des Landes zur Verfügung zu stellen, und weder die Provinzregierungen noch die Zentralregierung Rückhalt in der Bevölkerung genießt, wird sich die afghanische Regierung in Kabul nur solange halten können, wie der Westen sie künstlich am Suche nach Sprengfallen am Helmand Fluß
© Foto: Public Affairs Office from Kabul, Afghanistan (2010-TFH-029-182), Wikimedia Commons | Lizenz: CreativeCommons by-2.0
Leben erhält. Der Fall von Kunduz und Kandahar sowie der bevorstehende Fall von Helmand sind Beleg für die ausweitende Einflussnahme der Taliban im gesamten Land. Ein Zustand geprägt durch konstante Instabilität und Unsicherheit durch die anhaltenden Kämpfe, dient dabei der Taliban am meisten. Denn bereits in den 90-er Jahren konnte die Taliban trotz ihrer radikalen Gesetzeslehre eine breite Unterstützerbasis innerhalb der Bevölkerung aufbauen, indem es ihr gelang, einen durch die Herrschaft von Warlords hervorgerufenen Zustand an Instabilität, Unsicherheit und Straffreiheit zu beenden. Im Austausch für mehr Recht und Ordnung, dem bedingten Wiederaufleben der Wirtschaft und der Beseitigung korrupter und brutaler Warlords, nahmen viele Afghanen die strengen Sharia Gesetze und eine kompromisslose Herrschaft der Taliban damals billigend in Kauf. Viele dieser von der Taliban abgesetzten Warlords wurden vom Westen jedoch wieder an die Macht befördert. Solange also die derzeitigen Konfliktdynamiken gekennzeichnet durch Stammesrivalitäten, die Einflussnahme von Warlords, eine Klientelpolitik sowie Vetternwirtschaft und ein florierender Drogenhandel fortbestehen, ist eine Rückkehr der Taliban, basierend auf der gleichen Strategie,, mehr als wahrscheinlich. Dies bezeugt mittlerweile auch das Drängen des Westens auf Friedensverhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und der Taliban. Zu guter Letzt wirken anti-westliche Bestandteile der Jihad Ideologie der Taliban bevölkerungsgruppenübergreifend vereinend. Keiner anderen aufständischen Gruppe gelang es bisher, wie der Taliban in ihrer strategischen Argumentation gegenüber der Bevölkerung die „ausländischen Invasoren“ für den gegenwärtig desolaten Zustand des Landes derart überzeugend verantwortlich zu machen.

Da Ideologien nicht mit konventioneller Kriegsführung bekämpft werden können und eine wesentliche Veränderung der Afghanistanstrategie des Westens nicht absehbar ist, wird der Flüchtlingsstrom vorerst eher zunehmen. Eine Weigerung der afghanischen Regierung, deportierte und abgelehnte afghanische Asylbewerber zurück zu nehmen, unangemessene Bemerkungen und Beschönigungen des deutschen Innenministers Thomas de Maizière in Bezug auf die Sicherheitslage Afghanistans, als auch Androhungen des deutschen Außenministeriums bei einem Nichtentgegenkommen bezüglich der Rückführung von Afghanen, Entwicklungshilfegelder zu kürzen, stellen daher die bilateralen freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf eine harte Probe.

Über den Autor
Roswitha Kern
Roswitha Kern
Roswitha Kern lebte und arbeitete bis 2014 acht Jahre vorwiegend im Nahen Osten und Nordafrika. Sie war die meiste Zeit journalistisch tätig, arbeitete aber auch als Security und Political Risk Consultant. Darüber hinaus ist sie auch in West-/Ostafrika gut vernetzt sowie in Teilen Asiens. Zurück in Deutschland ist sie weiter journalistisch tätig, arbeitet aber auch als Beraterin für verschiedene Unternehmen.
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