Sabine Rau (Mitte), ARD-Korrespondentin, moderierte das Streitgespräch zwischen Prof. Louise Shelley und Prof. Dr. Florian Kühn, Humboldt Universität Berlin (Fotos: Jörg Rohne).

Korruption, Organisierte Kriminalität und Terrorismus - ein unheiliges Dreieck

„Wir bekämpfen den Terrorismus des 21. Jahrhunderts bislang mit Mitteln des 19. und 20. Jahrhunderts. Damit werden wir scheitern.“

Von Leo Kaiser

Was hat der Kauf einer illegal kopierten DVD, einer gefälschten Prada-Handtasche oder einer geschmuggelten Stange Zigaretten mit dem internationalen Terrorismus zu tun?
Folgt man den Ansichten der renommierten US-Wissenschaftlerin Louise I. Shelley, eine ganze Menge. Ihrer These nach bilden Korruption, Organisierte Kriminalität und Terrorismus, ein Netz weltweiter „schmutzige Verstrickungen“ und damit die Grundlage, dass Terrorismus überhaupt erfolgreich funktioniert.

 

Shelley besuchte Ende 2014 für drei Tage Berlin und informierte bei dieser Gelegenheit Ministerien, Abgeordnete und Behörden über ihre Erkenntnisse. Abschließend hielt sie einen Vortrag beim „Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit e.V.“ und gewährte dabei einen aufschlussreichen Blick in die organisatorischen Hintergründe des Terrorismus.

Die Bekämpfung des Terrorismus gehört zu den herausragenden sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Denn die Bedrohungen gelten nicht allein für die Herkunftsstaaten dieser terroristischen Gruppen, sondern zunehmend ist auch für die westliche Welt. Um sinnvolle Gegenstrategien entwickeln zu können, ist deshalb eine Analyse der Ursachen, Hintergründe und Zusammenhänge – insbesondere in Bezug auf die Finanzierung der Terrorgruppen – von enormer Wichtigkeit. Folgenden Fragen gilt es dabei nachzugehen: Wie finanzieren sich terroristische Gruppen? Wie sind sie vernetzt? Und welche sinnvollen Gegenmaßnahmen können wir ergreifen, um dem Terrorismus entgegenzuarbeiten?

Prof. Louise Shelley beim Vortrag in Berlin vor dem Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit

Louise I. Shelley ist Professorin am Fachbereich Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der George Mason University in Fairfax, Virginia, USA. Sie ist außerdem Gründerin und Direktorin des Terrorism, Transnational Crime and Corruption Center (TraCCC) an derselben Universität. In früheren Publikationen hat sich Shelley bereits mit Menschenhandel (2010) sowie mit der Überwachung der sowjetischen Gesellschaft (1996) gewidmet. Darüber hinaus hat sie in den vergangenen Jahren intensiv zu den Themen transnationale Kriminalität, Schwarzhandel und Geldwäsche geforscht und ist unter anderem Mitglied in den Global Agenda Councils „Illicit Trade“ wie auch „Organized Crime“ des Weltwirtschaftsforums in Davos. Ihr aktuelles Buch „Dirty Entanglements: Corruption, Crime and Terrorism“ ist bei Cambridge University Presse erschienen.

Louise Shelley dokumentiert, wie das schmutzige Geflecht aus Terrorismus, Organisierter Kriminalität und Korruption sowohl die Entwicklungsländer wie auch die entwickelten Länder miteinander verbindet. Sie räumt dabei rigoros mit der Vorstellung auf, Terrorismus sei ausschließlich ideologisch motiviert und Organisierte Kriminalität ausschließlich profitorientiert.

Terroristen entdeckten ebenso die lukrative Seite ihrer ursprünglich politisch oder religiös motivierten Ambitionen, wie sich andererseits organisierte Kriminelle sich vermehrt „politisch engagieren“ würden, da sich die politische Instabilität mancher Länder positiv auf das finanzielle Geschäft auswirkten. Die Strukturen von organisierter Kriminalität und terroristischen Vereinigungen sind dagegen oftmals gleich und haben eines gemeinsam: sie sind gut und weltweit vernetzt und werden durch Korruption begünstigt. Durch ihr weltweites Operieren in verschiedenen Rechtssystemen, in Ländern mit verschiedenen Entwicklungsstufen, unterschiedlichen Häfen und Großstädten mit divergierenden Einkommensniveaus verteilt und reduziert sich jegliches finanzielle oder justizielle Risiko.

Dass sich Terrororganisationen wie der Islamische Staat (IS) überhaupt in diesem Maße ausbreiten können und dass die Politik sich so schwer damit tut, sie zu bekämpfen, hat jedoch tiefere und komplexere Ursachen, wie die Politikwissenschaftlerin Shelley erklärt. Shelleys Kerngedanke: Terroristische Gruppen, wie der IS, sind heutzutage ähnlich strategisch aufgestellt wie Unternehmen, ähnlich gut ausgerüstet wie staatliche Militärs und finanzieren ihre Aktivitäten zu großen Teilen durch weltweit organisierte Kriminalität und Schmuggel. Shelley: „Wir erleben – nicht nur, aber vor allem beim IS – ein ungeheuer professionalisiertes „business of terrorism“.

Will man den Terrorismus vonseiten der Politik westlicher Staaten wirksam bekämpfen, muss man das internationale Zusammenspiel zwischen organisierter Kriminalität, Korruption und Terrorismus verstehen. Shelley weiter: „Wenn die Politik von Staaten und supranationalen Organisationen weiterhin nicht den Dreiklang zwischen Terrorismus, organisierter Kriminalität und Korruption sondern nur den Terrorismus im Blick habe, dann bekämpft sie lediglich die Phänomene, nicht aber die Ursachen und wird bei der Aufgabe, dem Terrorismus nachhaltig Einhalt zu gebieten, unweigerlich scheitern.“

Das Problem der Staaten im Umgang mit modernen Terrororganisationen bringt die US-Wissenschaftlerin wie folgt auf den Punkt: „Wir bekämpfen den Terrorismus des 21. Jahrhunderts bislang mit Mitteln des 19. und 20. Jahrhunderts. Damit werden wir scheitern.“

Shelley weiter: „Wir müssen erkennen, dass der Terrorismus, wie wir ihn beim IS, aber etwa auch bei Boko Haram in Nigeria oder Abu-Sayyaf auf den Philippinen beobachten können, in Wirklichkeit nur eine Seite eines dreiseitigen Problem darstelle, dessen Bestandteile sich kontinuierlich gegenseitig beeinflussen.“ Gerade die „schmutzigen Verstrickungen" (dirty entanglements) zwischen Terrorismus, Korruption und organisierter Kriminalität, machen das Problem so komplex und dessen Bekämpfung so kompliziert. Die Wissenschaftlerin konnte dabei ihren Zuhörern ein eindrucksvolles Beispiel dieser Verstrickungen aufzeigen. Der finanzielle Erfolg von Organisationen wie dem IS beginne immer mit der Sicherung von Start-Kapital. Hier seien vor allem die Gewinne aus Erpressung und Raub, aber auch aus dem illegalen Handel mit Waren wie Zigaretten, jeglicher Art von Konsumartikeln bis hin zum Öl zu nennen. Allein letzteres, so Shelley, bringe dem IS bis heute jeden Tag eine Million US-Dollar ein. Mit diesem Kapital könne die Terrororganisation viele ihrer Anhänger überdurchschnittlich gut bezahlen und sich so deren Loyalität sichern. Später werden die Geschäftsfelder ausgedehnt. Drogen, Menschenhandel, Prostitution, Kidnapping, Erpressung. Die traditionelle geografische Verbundenheit zwischen dem Irak, Syrien und der Türkei sei dabei sehr hilfreich. Längst sei klar, so die Wissenschaftlerin, dass IS wie ein normales Unternehmen geführt werde: „Dazu gehört eine korrekte Buchhaltung über Einnahmen und Ausgaben!“

„Terroristen denken inzwischen wie global agierende Geschäftsleute.“ Im Zusammenhang dieses komplexen Ursachenkonstruktes appelliert Shelley auch an die Gesellschaften der entwickelten westlichen Industriestaaten. Die Politik könne die Finanzierungskanäle eines modernen Terrorismus nicht ohne die Unterstützung von Wirtschaft und Gesellschaft trocken legen. Aus diesem Grund müsste jeder die Zusammenhänge zwischen Terrorismus und Organisierter Kriminalität zur Kenntnis nehmen, fordert die US-Forscherin: „Weil der Schwarzhandel von gefälschten Waren – Zigaretten, Medikamenten oder DVDs – ein zentrales Element der Finanzierung des Terrorismus des 21. Jahrhunderts ist, müssen Konsumenten verstehen, dass der Kauf dieser Waren Kosten hat, die sie möglicherweise nicht unmittelbar sehen.“ Gemeint sind die Kosten für den Kampf gegen den Terror. Wenn keiner der Käufer frage, woher die Produkte kämen und was mit dem Geld finanziert werde, dann könne sich dieser Mangel an Bewusstsein, schnell als gefährlich erweisen.

Darüber hinaus fordert Shelley ein unterstützendes Handeln in den Entwicklungsländern: „Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir uns um die Jugend in den Ländern kümmern, wo Terrorismus entsteht. Sie benötigen Bildung und Arbeit, sonst werden Kriminalität und Terrorismus als einzige Lebensunterhaltsmöglichkeiten immer Zulauf erhalten.“ Der militärische Ansatz, so Shelley, IS zu bombardieren, um ihn zu vernichten, löse nicht das Problem, vielmehr sollten die wirtschaftlichen Strukturen der Terroristen zerstört werden. Shelleys Appell: „Wir müssen bei all unseren Bestrebungen immer den historischen und kulturellen Hintergrund dieser Länder beachten und würdigen, nur so kann es gelingen, terroristische Bedrohungen einzudämmen, die die Sicherheit und Nachhaltigkeit auf unserer gemeinsamen Welt gefährden.“

 

nach oben