Leben im Ausnahmezustand.

Maren Richter: Leben im Ausnahmezustand. Terrorismus und Personenschutz in der Bundesrepublik Deutschland. 368 Seiten, mehrere schwarz-weiß Abbildungen. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2014. ISBN 3–593–50085–0, 34,90 Euro.

Maren Richter wurde mit der vorliegenden Arbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zum Dr. phil. promoviert. Die Autorin macht kein Hehl daraus, dass sie viel Mühe auf sich nehmen musste und es vieler Unterstützer bedurfte, um diese Arbeit schreiben zu können. Dieser Dank geht weit über das hinaus, was sich wohl bei jeder Dissertation als Dankesschuld ergibt. Denn für Maren Richter galt es zunächst nicht nur die vielfältigen Quellen über ihr Thema zu sichten, sondern es bedurfte dazu der Genehmigung, Schutzfristen für einzelne Dokumente zu verkürzen und Einblick in bestimmte „Verschlusssachen“ zu erhalten. Nicht zuletzt musste die Autorin das Vertrauen zahlreicher Frauen und Männer erlangen, mit denen sie über deren individuelle Erfahrungen über den Personenschutz sprechen durfte. Zudem ist der Zugang zu allen Themen aus dem weiten Feld der „Polizei“ für Außenstehende schwierig; denn Polizisten sprechen nun mal ihre eigene Sprache und befassen sich beruflich mit Dingen, die einem Normalbürger im Regelfall verschlossen bleiben.

 

Ein weiteres Problem kommt für die Autorin hinzu, das in seinen Auswirkungen keineswegs unterschätzt werden sollte. Unter den Publikationen über den Personenschutz finden sich nur wenige, die wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden. In der Regel handelt es sich um mehr oder weniger ausgiebig recherchierte Stimmungsbilder, insbesondere, wenn das Thema aus der Perspektive der Schutzpersonen beschrieben wird. Häufig vermischen sich Dichtung und Wahrheit und so musste Maren Richter sich zunächst durch einen Wust nicht selten belletristischer Literatur hindurchkämpfen, um zu ihrem eigentlichen Thema zu gelangen.

Es soll hier nicht der Ort sein, die Probleme, die sich der Autorin in den Weg stellten, in Gänze zu erfassen, jedoch soll ein Aspekt noch angesprochen werden: Es ist schwierig, ein solches Thema „sine ira et studio“ zu behandeln, also der Grundforderung gerecht zu werden, die sich jedem Geschichtswissenschaftler stellt: sein Thema ganz bewusst sachlich anzugehen. Wer, wie die Autorin, zahlreiche Gespräche mit direkt Betroffenen – also mit Schutzpersonen – führte, wird sich dem Schrecken und auch ein wenig der Faszination, die von diesem Thema ausgeht, kaum entziehen können.

In zwei Kapiteln geht Maren Richter klassisch an ihr Thema heran: Zum einen beschreibt sie den Aufbau des Personenschutzes zwischen 1951 und 1975, zum anderen skizziert sie die grundlegenden Entwicklungen im Linksterrorismus, wobei sie sich auf die von der RAF und anderen Terrororganisation in Deutschland begangenen Attentate konzentriert. Mancher Praktiker wird an dieser Stelle bereits kritisch einwenden, dass die Autorin sich ja nur auf die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes beschränkt und den Personenschutz in den Bundesländern außen vor lässt. Diese Verkürzung erscheint jedoch aus der Sicht der Wissenschaftlerin gerechtfertigt als Gebot der Arbeitsökonomie. Eine Arbeit, die auch noch den Personenschutz in den Bundesländern mit behandelt hätte, hätte sicherlich den Rahmen einer Dissertation gesprengt und es ist anzuzweifeln, ob damit in den Grundfragen ihrer Arbeit ein Erkenntnismehrwert hätte erreicht werden können. Es ist jedoch schwierig, dem methodischen Ansatz der Autorin zu folgen, wenn sie die parallele Entwicklung des Linksterrorismus und des Personenschutzes beschreibt. Hier gerät sie bisweilen in das weite Feld der Spekulation, weil es ihr an aussagekräftigen Quellen fehlt. Zudem begibt sich Maren Richter aber an mehreren Stellen in die Rolle einer Schiedsrichterin über taktische Fragen des Personenschutzes, zum Beispiel, wenn sie der Frage nachgeht, ob und wie das Attentat auf Hanns Martin Schleyer und seinen Fahrer und seine Personenschützer hätte verhindert werden können. Sehr zu Recht kritisiert die Autorin jedoch den gewaltigen Personalaufwuchs in der SG, der sich nach dem Heißen Herbst des Jahres 1977 vollzog und sie spricht auch den gigantischen Überstundenberg der Personenschützer an, die „pro Mann und Jahr eine Mehrarbeit von 1,78 Jahren erbrachten“. Mit sicherer Hand erfasst sie die Zuständigkeitsvielfalt im Personenschutz vor dem Hintergrund einer in den 1970er Jahren weit verbreiteten „Schutzhysterie“.

Sehr gefühlvoll beschreibt Maren Richter die Bemühungen, den Personenschutz effizienter zu gestalten, wobei sie auch die Idee erwähnt, diese Aufgabe in die Hände des Bundesgrenzschutzes zu legen. Dies ist übrigens ein Reformvorhaben, das seither immer wieder ins Gespräch gebracht wurde und in der kommenden Zeit wohl neue Nahrung erhalten wird. Nicht zuletzt durch den Umstand, dass unlängst mit Olaf Lindner der ehemalige Kommandeur der zur Bundespolizei gehörenden GSG 9 zum Nachfolger von Heinz-Werner Aping ernannt wurde, der von 2001 bis 2014 die SG in Berlin-Treptow leitete.

Mit wenigen Sätzen charakterisiert die Autorin die in den späten 1970er Jahren erfolgte Abwendung des Personenschutzes vom reinen Bodyguarding hin zu einem neuen Schutzkonzept, das als „erweiterter Personenschutz“ bezeichnet wird und wenig später in das vom BKA entwickelte „Konzept 106“ mündete. Sie lässt unerwähnt, dass bereits viele Jahre zuvor die Präventionsarbeit der SG an der fehlenden rechtlichen Ausstattung der Beamten des BKA gescheitert war. An einer anderen Stelle geht sie kurz auf die ungenügenden rechtlichen Möglichkeiten der Personenschützer des BKA in den 1950er Jahren ein.

Im folgenden Kapitel beschreibt Richter „Personenschutz zwischen Emotion und Statussymbol“. Wie wichtig es manchen Politikern aus der zweiten und der dritten Reihe war, Personenschutz zu erhalten, kann die Autorin plausibel nachzeichnen. Darüber hinaus erfasst sie das Spannungsfeld, das sich aus dem Gegensatz ergibt, wo auf der einen Seite der individuelle Wunsch nach Personenschutz steht und auf der anderen Seite die zu allen Zeiten begrenzten Ressourcen eine Konzentration auf einige wenige Schutzpersonen erfordern. Ebenso kann sie eindrucksvoll aufzeigen, dass die Kritik, beim Personenschutz handele es sich um ein Statussymbol, häufig von Journalisten vorgebracht wird. Ohne Zweifel kämpften aber viele Politiker um ihren Personenschutz, etwa wenn dieser in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren reduziert werden sollte. Dass an dieser Stelle Maren Richter einige besonders bekannte Politiker nicht erwähnt, obwohl sie die betreffenden Akten eingesehen hat, verwundert ein wenig. Ein wenig überpointiert erscheint schließlich Richters Zwischenresümee, der Personenschutz habe die Abschottung der Elite von der Öffentlichkeit befördert. Dass sich eine zahlenmäßig sehr kleine Oberschicht vom Rest der Gesellschaft separiert, geschah auch in Zeiten, in denen vom Linksterrorismus keine Bedrohung ausging.

In den folgenden Kapiteln geht die Autorin der Frage nach, was Personenschutz mit den geschützten Personen macht. Dazu sprach sie unter anderem mit dem ehemaligen BKA-Präsidenten Hans-Ludwig Zachert und dessen Ehefrau Christel, mit dem ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum und dessen Tochter Julia und den früheren Bundesminister der Justiz Hans-Jochen Vogel und seine Ehefrau Liselotte.

Ein eigenes Kapitel widmete sie dem „Bewegen in privaten und öffentlichen Räumen“. Auch hier wandte sie wieder das Mittel des Interviews an, um die ganz persönlichen Befindlichkeiten der Schutzpersonen zu erfahren. Hierbei reichen die Erkenntnisse von allgemein bekannten Dingen – wie dem Umstand, dass ein beschützter Spitzenpolitiker sich am Flughafen nicht in die Reihe der wartenden einreihen muss – über die Erfahrungen des ehemaligen Präsidenten des OLG Stuttgart, Kurt Breucker, der auf Nachfragen seine Personenschützer häufig als seine Söhne bezeichnete, bis hin zu kuriosen Szenen, etwa wenn der BKA-Präsident Ludwig Zachert und seine Ehefrau bei gemeinsamen Radtouren mit Freunden von Personenschützern begleitet wurden. Eindrucksvoll beschreibt die Autorin, wie bei den Schutzpersonen jedwede Form von Spontaneität geopfert wird und lediglich eine gespielte Leichtigkeit noch möglich war, etwa wenn der Alt-Bundespräsident Roman Herzog in seiner ihm eigenen Art spontan bei seinen Personenschützern anrief, um ihnen mitzuteilen: „Morgen Abend gehen wir ins Kino.“

Maren Richter beschreibt extreme Nähe und demonstrative Distanz zwischen Schützern und Beschützten, die auch die Lebenspartner und deren Kinder mit einschließt. Sie bildet aus diesen unterschiedlichen Verhaltensmustern einen emotionalen Habitus heraus und stellt die These auf, im Umgang mit dem Personenschutz spiegele sich die eigene Lebenserfahrung wider, die man verkürzt so beschreiben könne, dass diejenigen, die der Kriegsgeneration angehören in der Regel schweigend die Maßnahmen über sich ergehen lassen, während die jüngeren eher zum Klagen neigen würden.

Maren Richter schrieb eine facettenreiche Arbeit, die durchaus Blicke auf Bereiche des Personenschutzes beinhaltet, die bisher allenfalls ansatzweise unternommen wurden. Letztlich wird aber vieles im Geheimen bleiben müssen; denn die Geheimhaltung ist nicht nur ein wichtiges Moment, um den Einsatzerfolg des Personenschutzes zu erreichen, sondern auch eine Grundvoraussetzung, um ein so tiefes Eindringen von Fremden in das eigene Privatleben akzeptieren zu können.

Dr. Reinhard Scholzen, Daun-Waldkönigen

 

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