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Spionage und Sabotage gegen Deutschland – Aktuelle Akteure und Trends

Von Prof. Dr. Stefan Goertz, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei

Nach aktuellen Angaben der drei deutschen Nachrichtendienste des Bundes – des BfV, des BND und des BAMAD – hat das Niveau der Spionageaktivitäten gegen Deutschland das des Ost-West-Konflikts bis 1990 zumindest erreicht, wegen der neuen technologischen Möglichkeiten womöglich bereits überschritten.

Dieser Beitrag stellt zu Beginn die wesentlichen Ziele und Akteure der aktuellen Spionage gegen Deutschland dar, dabei auch das Thema Wirtschaftsspionage. Abschließend werden dann aktuelle Bedrohungen durch (potenzielle) Sabotage gegen Deutschland thematisiert.

Spionage gegen Deutschland – Aktuelles Bedrohungsniveau

„Das Niveau der Spionageaktivitäten gegen Deutschland steht dem während des Ost-West-Konflikts bis 1990 in nichts nach. Wir haben es mit einem klaren Systemwettbewerb zu tun!“ Thomas Haldenwang im Herbst 2024, damaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz1

Als Spionage definieren die deutschen Verfassungsschutzbehörden „die Erkundung der politischen Faktoren sowie der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und militärischen Potenziale eines anderen Staates durch ausländische Nachrichtendienste oder in deren Auftrag – zumeist mit verdeckten Mitteln und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß § 93 ff. StGB in Betracht.“2

Das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stellen – spätestens seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – fest, dass die Hauptakteure der gegen Deutschland gerichteten Spionage, für geheimdienstlich gesteuerte Cyberattacken, Proliferation und Einflussnahme – mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten – Russland, China, Iran und die Türkei sind.3

Bei der jährlichen öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, zuletzt am 14.10.2024, erklärte der damalige Präsident des BfV: „Insbesondere nehmen russische Spionage und Sabotage in Deutschland zu, sowohl qualitativ als auch quantitativ“.4 Alle drei deutschen Nachrichtendienste des Bundes, also das BfV, der Bundesnachrichtendienst (BND) sowie das Bundesamt Militärischer Abschirmdienst (BAMAD), beobachten ein „aggressives Agieren“ der russischen Geheimdienste. Das System Putin sehe „Deutschland als Gegner“.5

In diesem Zusammenhang erwähnte der damalige Präsident des BfV den Brand eines Luftfrachtpakets im DHL-Logistikzentrum im Juli 2024 in Leipzig. Deutschland sei „damals nur knapp an einem Flugzeugabsturz vorbeigeschrammt.“ Es sei „nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass das Paket damals noch am Boden im DHL-Logistikzentrum Leipzig und nicht während des Fluges in Brand geraten sei“. Der glückliche Zufall bestand darin, dass der Weiterflug des aus dem Baltikum stammenden Frachtpakets sich in Leipzig verzögerte. Das Paket hatte einen Brandsatz enthalten, der dort zündete und einen Frachtcontainer in Brand setzte. In Sicherheitskreisen wird davon ausgegangen, dass der Vorfall im Zusammenhang mit russischer Sabotage stehe.6


 

Der Präsident des BND, Bruno Kahl, erklärt in Bezug auf die Spionageaktivitäten Russlands, diese hätten aktuell „ein bisher ungekanntes Niveau“ erreicht und „Putin wird rote Linien des Westens austesten“. Die Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), Martina Rosenberg, wies wiederum darauf hin, dass die Zahl der Ausspähversuche der sogenannten kritischen Infrastruktur „besorgniserregend“ hoch sei und zu erhöhter Wachsamkeit zwinge. „Die Bundeswehr stehe dabei im Fokus. Sei es, um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine, Ausbildungsvorhaben oder Rüstungsprojekte aufzuklären, oder um durch Sabotagehandlungen das Gefühl der Unsicherheit zu vermitteln“.7

Die Präsidentin und die Präsidenten der deutschen Nachrichtendienste des Bundes, BAMAD, BfV und BND mahnten in der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages am 14.10.2024 an, dass die deutschen Sicherheitsbehörden „mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet werden müssten, um die Gefahren abwehren zu können“. BAMAD-Präsidentin Rosenberg sagte, sie hoffe auf „eine Realitätsanpassung der Gesetzeslage, um unseren Auftrag bestmöglich erfüllen zu können“. Ähnlich äußerte sich BND-Chef Kahl. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte noch wenige Tage vor der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages am 14.10.2024 erklärt, dass „Spionage und Sabotage durch Russland nicht unterschätzt werden“ dürfe. Es gebe eine „deutliche Zunahme von solchen Vorfällen“, erläuterte die Bundesinnenministerin: „Wir sehen dort eine große Bedrohung seitens Russlands“, betonte Faeser.8

Gegen die deutsche Politik, deutsche Behörden und deutsche Unternehmen gerichtete Spionageaktivitäten ausländischer Geheimdienste werden seit 2022 vielgestaltiger und ausgefeilter, umfassen menschliche Quellen genauso wie Cyber-Attacken, erklärt das BfV und bewertet die augenblicklichen Spionagetätigkeiten als „ernsthafte Bedrohung für Deutschland und deutsche Interessen“.9 Deutschland als einflussreiches Mitglied der Europäischen Union, als Mitglied der NATO und in anderen internationalen Organisationen ist Ziel vielfältiger politischer Spionage. Die geopolitischen und geoökonomischen Umbrüche infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sowie Chinas offensive Geheimdienstaktivitäten stellen ein neues Bedrohungsniveau dar. Zudem stehen auch deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen weiterhin im Fokus von Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage und auch strategisch motivierter ausländischer Direktinvestitionen.10

Sitz BAMAD
© Bundeswehr

Ziele und Hauptakteure

Die gegen Deutschland gerichteten Ziele von Spionage durch ausländische Geheimdienste sind zahlreich: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, Kritische Infrastrukturen (KRITIS), Energieversorgung und die Bundeswehr. Das klandestine Vorgehen ausländischer Geheimdienste gegen Deutschland dient der Informationsbeschaffung, der illegitimen politischen Einflussnahme durch Desinformation, dem illegalen Erwerb von Waffen und Know-how sowie der Vorbereitung von Sabotage. Durch das Fortschreiten der Digitalisierung und neuer Technologien haben Geheimdienste weltweit seit Beginn des 21. Jahrhunderts neue, mehr und qualitativ sehr hochwertige Mittel, um Deutschland durch Spionage zu schwächen. Die Geheimdienste anderer Staaten, u.a. Systemrivalen, haben ein großes Interesse an Know-how aus Deutschland. Daher forschen ausländische Geheimdienste auch deutsche Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen aus. Diese Form der Spionage wird als Wirtschafts- beziehungsweise Wissenschafts- und Technologiespionage beschrieben.11

Die Hauptakteure der gegen Deutschland gerichteten Spionage sind nach Angaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden Russland, China, Iran und die Türkei. Spionageaktivitäten ausländischer Geheimdienste gehen oft von deren Legalresidenturen aus. Diese sind in ganz Deutschland verteilt und beispielsweise in offiziellen diplomatischen und konsularischen Vertretungen untergebracht. Die ausländischen Geheimdienstangehörigen versuchen unter Ausnutzung ihres diplomatischen Status mit konspirativen Methoden, aber auch mittels harmlos wirkender Kontaktpflege – sogenannter Gesprächsabschöpfung –, Informationen zu politischen, militärischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Themen zu erlangen. Im Ausland nehmen die Geheimdienste gezielt deutsche Staatsangehörige ins Visier, die sich für längere Zeit beruflich oder privat dort aufhalten oder regelmäßig dorthin reisen. Dazu zählen vor allem Angehörige diplomatischer Vertretungen und anderer Behörden oder Firmen, aber auch Wissenschaftler und Studierende.

Geheimdienste Russlands und Chinas

Die Aktivitäten russischer Geheimdienste in Deutschland bewegten sich bereits in den Monaten und Jahren vor dem Beginn des Ukrainekrieges auf hohem Niveau und dieses Niveau wird seither noch übertroffen. Die russischen Spionageaktivitäten erstrecken sich mit unterschiedlicher Intensität auf die Zielbereiche Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie (u.a. Rüstung und Energie) sowie die Bundeswehr und Sicherheitsbehörden. Schon vor Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine waren Deutschland durch russische Spionageaktivitäten erhebliche außen- und sicherheitspolitische sowie wirtschaftliche Schäden entstanden, stellt das Bundesamt für Verfassungsschutz aktuell fest. Aufgrund des seit Kriegsbeginn noch deutlich intensivierten Aufklärungsinteresses russischer Geheimdienste, der offensiveren Desinformationsaktivitäten sowie der Cyberangriffe auf deutsche Behördennetze, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ergibt sich nunmehr eine weiter angestiegene Gefährdung. Nach Angaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden betreibt Russland gegen Deutschland politische, militärische und wirtschaftliche Spionage, hinzu kommt die Aufklärung Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) für potenzielle Sabotageakte.12

Die Aufgabentrennung der russischen Geheimdienste in innere und äußere Sicherheit, zivil und militärisch, ist deutlich weniger ausgeprägt als bei westlichen Geheim- bzw. Nachrichtendiensten. Russland verfügt über mehrere sehr große Geheimdienste, darunter über den FSB (Federalnaja Sluschba Besopasnosti, auf Deutsch „Föderaler Dienst für Sicherheit“), dem 2003 die FAPSI (Federalnoje Agentstwo Prawitelstwennoi Swjasi i Informazii, auf Deutsch „Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information“) mit ca. 120.000 Mitarbeitern angegeliedert wurde. Auch der FPS (Federalnaja Pogranitschnaja Sluschba, auf Deutsch: „Föderaler Dienst für Grenzschutz“) wurde im Jahr 2002 Teil des FSB. Die GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije, auf Deutsch: „Hauptverwaltung für Aufklärung“) ist der militärische Geheimdienst und der SWR (Sluschba wneschnei raswedki, auf Deutsch „Dienst für Außenaufklärung“) der Auslandsgeheimdienst Russlands.13

Der FSB ist grundsätzlich der Inlandsgeheimdienst Russlands und einer der Hauptnachfolger des früheren KGB. Sein Zuständigkeitsbereich erstreckt sich jedoch auf die gesamte Staatssicherheit, die zivile und militärische Spionageabwehr, die Kontrolle der Internetkommunikation, die Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität. Der FSB hat die Aufgabe, Oppositionelle und Regierungskritiker zu überwachen und im Zweifel – mit unterschiedlichen Mitteln – zu „neutralisieren“. Tatsächlich betreiben einzelne Abteilungen des FSB, vor allem die 5. Direktion, auch gezielt Spionage in den ehemaligen Sowjetrepubliken, somit auch seit Jahren in der Ukraine. Hier gibt es also Überschneidungen mit der Arbeit des Auslandsgeheimdienstes SWR. Der russische Präsident Putin war von 1998 bis 1999 selbst Direktor des FSB. Die Macht des FSB in Russland, aber auch innerhalb der russischen Geheimdienste, wurde in den vergangenen Jahren durch mehrere Reformen immer stärker ausgeweitet.14

Im November 2018 feierte die GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije, Deutsch für „Hauptverwaltung für Aufklärung“) ihr 100-jähriges Jubiläum. Wie der gesamte Sicherheitsapparat Russlands hat die GRU ihre Wurzeln tief im kommunistischen Staat der Bolschewiki nach der Oktoberrevolution 1917. Während der mächtige KGB jahrzehntelang In- und Auslandsgeheimdienst, Personenschutz, Grenztruppen und technische Abteilungen mit mehreren hunderttausend Mitarbeitern vereinte, war und ist die GRU dem russischen Verteidigungsministerium unterstellt. Personell soll die GRU mit rund 12.000 Mitarbeitern ungefähr die gleiche Mitarbeiterzahl wie der Auslandsgeheimdienst SWR haben. Während der Tschetschenienkriege übernahm die GRU „Spezialaufgaben“ (häufig gezielte Tötungen), in Dubai soll die GRU im Jahr 2009 den Anführer tschetschenischer Rebellen, Sulim Jamadajew, in einer Kommandoaktion getötet haben. Auch bei der russischen Annexion der Krim 2014 wurde ein Teil der „grünen Männchen“, „Soldaten“ ohne Kombattantenstatus, später als GRU-Kräfte identifiziert. In den letzten Jahren wurden geheimdienstliche Cyberangriffe der GRU ein weiteres wichtiges Standbein.15

Der SWR ist zuständig für die zivile Auslandsspionage in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie und Politik, u.a. mit Hilfe von angeworbenen Agenten im Ausland, auch innerhalb ausländischer Nachrichtendienste. Der SWR ist außerdem für die Gegenspionage zuständig. Der SWR hat ca. 12.000 bis 15.000 Mitarbeiter.

Die Geheimdienste Chinas sind nach Angaben des BfV mit höchst umfangreichen Befugnissen ausgestattet und dienen maßgeblich dem Machterhalt der Kommunistischen Partei Chinas. Sie spielen sowohl eine entscheidende Rolle beim Ziel, den globalen Führungsanspruch Chinas durchzusetzen als auch die chinesische Volkswirtschaft zu einer führenden Industrienation umzubauen und die Markt- und Technologieführerschaft in entscheidenden Sektoren zu erlangen.

Der Bedarf der chinesischen Regierung und ihrer Behörden an Informationen über die EU, die UN sowie westliche Staaten wie Deutschland wächst seit Jahren deutlich. Die Hauptziele chinesischer Spionage in Deutschland sind Politik und Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie die Bundeswehr.16

Die chinesische Regierung verfolgt weiterhin ein sehr ambitioniertes und strategisch-langfristiges Programm, um in zukunftsweisenden Bereichen der Hochtechnologie Anschluss an die führenden, westlichen Industrienationen zu finden. Die chinesische Regierung strebt spätestens für das Jahr 2049 – zum 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China – eine globale Technologieführerschaft an. Im Fokus stehen vor allem Emerging Technologies wie Quantentechnologie, Künstliche Intelligenz, Hyperschalltechnik, Überwachungstechnologie sowie Biotechnologie, denen militärisch eine immer größere Bedeutung zukommt.17

Geheimdienstliche Operationen zur verdeckten Informationsbeschaffung werden nach Angaben des BfV vor allem unmittelbar aus den Hauptquartieren der Dienste in China gesteuert. Bei Aufenthalten in China werden Zielpersonen aus Deutschland, die entweder über hochwertige Zugänge verfügen oder eine aus Sicht der chinesischen Geheimdienste aussichtsreiche künftige Entwicklung versprechen, kontaktiert und mit der Aussicht auf Entlohnung angeworben. Die in der Folge stattfindenden Treffs werden überwiegend in Drittländern oder in China durchgeführt, um operative Risiken in Deutschland zu reduzieren. Die Steuerung erfolgt meist persönlich, teilweise aber auch über webbasierte verschlüsselte Kommunikation, vor allem über den chinesischen Messengerdienst WeChat, erklärt das BfV aktuell. Neben dem technologisch-wissenschaftlichen Umfeld bieten vor allem die umfassenden Überwachungsmaßnahmen in China weitere Ansätze für geheimdienstliche Operationen, erläutert das BfV. So erleichterten es die Angaben bei der Beantragung eines Visums für Reisen nach China den chinesischen Geheimdiensten, für sie interessante Personen automatisiert herauszufiltern.1

Wirtschaftsspionage

Nach aktuellen Angaben der Verfassungsschutzbehörden haben ausländische Staaten großes Interesse an deutschem Know-how in Bereichen Wirtschaft, Technik, Energie und Wissenschaft. Daher zähle für fremde Nachrichtendienste auch das Ausforschen von deutschen Unternehmen zum Aufgabenprofil. Ziel von Wirtschaftsspionage sei es vor allem, die technologische Entwicklung der eigenen Volkswirtschaft zu unterstützen oder einen anderen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, so das BfV aktuell. Dieses Vorgehen wird als Wirtschafts- beziehungsweise Wissenschafts- und Technologiespionage beschrieben. Bei der Wirtschaftsspionage fokussieren sich die Ausforschungsaktivitäten auf alle Entwicklungsstufen von der Forschung und Entwicklung bis hin zur Fertigung und Vermarktung neuer Produkte sowie von der Infrastruktur bis zum Management eines Unternehmens. Das Ziel von Wirtschaftsspionage ist vor allem, die Entwicklung der eigenen Volkswirtschaft zu unterstützen oder einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. 19

Besonders wertvolle Spionageziele innerhalb der deutschen Wirtschaft sind aktuell Informations- und Kommunikationstechnik, Biotechnologie, Optoelektronik, Automobil- und Maschinenbau, Luft- und Raumfahrttechnik, Energie- und Umwelttechnologie sowie Kritische Infrastrukturen.

Potenzielle Einfallstore für (vorsätzliche) Spionage durch Innentäter sind grundsätzlich alle Personen mit individuellen Zugangsmöglichkeiten auf Unternehmensdaten. Daher (potenziell) auch firmenfremde Dienstleister. Bei der Frage nach dem warum? sind verschiedene Faktoren zu identifizieren:

Sog. Selbstanbieter, Personen die (potenzielle) Informationen einem Spionageakteur proaktiv anbieten, können beispielsweise von Unzufriedenheit und einer fehlenden Identifikation mit dem Unternehmen oder der wissenschaftlichen Einrichtung geprägt sein. Auch das Persönlichkeitsmerkmal thrill seeking bzw. excitement seeking kann hier ein auslösender oder verstärkender Faktor sein.

Der finanzielle Aspekt ist seit langer Zeit ein wichtiger Faktor. Der Einstieg kann von Seiten des anbahnenden Geheimdienstes mit teuren Reisen, Essenseinladungen, Luxusgeschenken gemacht werden. Aus dem Faktor Belohnung kann dann schnell der Faktor Kompromittierung und Erpressung werden, wenn der Geheimdienst den Innentäter damit bedroht, einen Geheimnisverrat dem geschädigten Unternehmen mitzuteilen. Auf der Ebene Kompromittierung stellen Informationen über sexuelle Vorlieben, die potenzielle Bedrohung von Familienangehörigen, die beispielsweise im Land oder in der Einflusszone des Geheimdienstes leben weitere Möglichkeiten der Erpressung dar.

In Zeiten großer Krisen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Konflikten und Kriegen, einer dualistischen Situation „neuer Ost-West-Konflikt“ wächst der Faktor „politisch-weltanschauliche Überzeugungen“ als Motivation, um zum Innentäter zu werden und geheime Informationen aus dem Unternehmen, der wissenschaftlichen Einrichtung oder einer Behörde an einen fremden Geheimdienst zu übermitteln.

Ärmelabzeichen
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(Potenzielle) Sabotage gegen Deutschland

Sabotage ist die bewusste Beeinträchtigung von militärischen oder politischen Prozessen oder von Produktionsabläufen. Dazu kann das Beschädigen oder Zerstören wichtiger Anlagen und Einrichtungen beispielsweise im Bereich Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) zählen (z.B. Kraftwerke, Verkehrsverbindungen und Kommunikationsanlagen). Sabotageakte durch Geheimdienste ausländischer Staaten oder von Extremisten (die potenziell auch als Proxy-Akteure fremder Geheimdienste agieren könnten) können nach aktuellen Angaben des BfV weitreichende Auswirkungen haben und zu schwerwiegenden Schäden führen. Dies gilt vor allem mit Blick auf Kritische Infrastrukturen (KRITIS) und KRITIS-nahe Unternehmen, die essenziell für ein funktionierendes Gemeinwesen sind.20

Zum Sabotageschutz gehört der Schutz von KRITIS wie beispielsweise der Energie- und Wasserversorgung, Informationstechnik und Telekommunikation. Sabotage stellt für viele relevante Bereiche eine ernst zu nehmende Gefahr dar. Politik und Verwaltung, das öffentliche Leben, aber auch Unternehmen und Forschungseinrichtungen können betroffen sein. Staatliche Akteure aus dem Ausland, aber auch Extremisten aus dem Inland könnten relevante Einrichtungen und Anlagen ins Visier nehmen, um diese zu schädigen. Ziele von Sabotage könnten beispielsweise sein: Die Störung Kritischer Infrastrukturen, wie z.B. Internet, Energie, Treibstoff- und Wasserversorgung. Hinzu kommt aber auch eine potenzielle Störung von Arbeitsabläufen und Kommunikation in Politik und Verwaltung sowie die Störung von Betriebsabläufen in Wirtschaftsunternehmen.21

Die Gefahr von Sabotage durch Cyberattacken gilt vor allem für Kritische Infrastrukturen (KRITIS), beispielsweise für Energieversorgungsunternehmen. Bei einer erfolgreichen Cyberattacke besteht ein umfassender und schneller Zugriff auf große Datenmengen. Cyberspionageattacken sind auch deswegen so gefährlich, weil sie von den Betroffenen oftmals nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt erkannt werden. Mehrere vergangene Angriffe auf KRITIS, z.B. Krankenhäuser und Wasserwerke, zeigen, dass erfolgreiche Ransomware-Attacken drastische Folgen für die Zivilbevölkerung nach sich ziehen und elementare Services des öffentlichen Geschehens sabotieren können.

Weil die nächste Bundestagswahl ganz besonders im Fokus der Öffentlichkeit steht, könnte „ein ausländischer Akteur deshalb auch Sabotageaktivitäten in Erwägung ziehen. Denn solche Aktivitäten richten nicht nur Schaden an, sie haben auch eine propagandistische Dimension“, erklärt das BfV aktuell. So sei es seit 2022 in Bezug auf potenzielle Sabotageakte durch ausländische Geheimdienste zu einer Verschärfung der Gefährdungslage in Deutschland und Europa gekommen. Neben konkreten Schäden beziehungsweise Störungen von Abläufen in Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) wie Kommunikation, Verkehr und Logistik durch Sabotage dürften die psychologischen Auswirkungen eines Sabotageaktes in der Öffentlichkeit wie auf politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger im Sinne einer Verunsicherung nicht außer Acht gelassen werden.22

Fazit

Im Bereich der Gefahren durch Spionage und Sabotage gegen Deutschland befinden wir uns nach aktuellen Angaben der Präsidentin und der Präsidenten der drei deutschen Nachrichtendienste des Bundes (BAMAD, BfV und BND) – in der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages – auf dem Niveau des Kalten Krieges.

Entsprechend müssen die Bedrohungslage, die Akteure sowie deren aktuellen Strategien und Taktiken realistisch analysiert werden. An eine solche realistische Analyse der aktuellen und zukünftigen (potenziellen) Bedrohungslage muss das Mindset der politisch Verantwortlichen sowie der Verantwortlichen in der Wirtschaft sowie in wissenschaftlichen Einrichtungen adaptiert werden. Dafür bedarf es angemessene Befugnisse, technische sowie finanzielle Mittel, gerade auch für kompetentes Personal sowie dessen Aus- und Fortbildung.

- Dieser Beitrag stellt die persönliche Auffassung des Autors dar.-

Quellen:

1  https://www.verfassungsschutz.de/DE/verfassungsschutz/der-bericht/vsb-spionageabwehr/vsb-spionageabwehr-node.html#doc1036458bodyText1 (21.10.2024).
2  https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/spionage-und-proliferationsabwehr/begriff-und-hintergruende/begriff-und-hintergruende_node.html (2.12.2024)
3  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2023): Verfassungsschutzbericht 2022, S. 278-288.
4  https://www.tagesschau.de/inland/geheimdienste-russische-sabotage-deutschland-100.html (2.12.2024).
5  Vgl. ebd.
6  Vgl. ebd.
7  Vgl. ebd.
8  Vgl. ebd.
9  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2023): Verfassungsschutzbericht 2022, Berlin Juni 2023, S. 278.
10  Vgl. Goertz, S. (2024): Öffentliche Sicherheit in Gefahr? Stuttgart: Kohlhammer, S. 262.
11  Vgl. ebd., S. 262-263.
12  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2024): Verfassungsschutzbericht 2023, S. 311-312.
13  Vgl. Goertz, S. (2024): Öffentliche Sicherheit in Gefahr? S. 264-265.
14  Vgl. ebd., S. 265.
15  Vgl. ebd., S. 266-267.
16  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2023): Verfassungsschutzbericht 2022, S. 288-290.
17  Vgl. ebd., S. 291.
18  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2024): Verfassungsschutzbericht 2023, S. 320.
19  Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/spionage-und-proliferationsabwehr/begriff-und-hintergruende/begriffe-und-hintergruende_artikel.html (3.12.2024).
20  Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/wirtschafts-wissenschaftsschutz/2024-07-26-sicherheitshinweis-schutz-vor-sabotage.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (3.12.2024).
21  Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/geheim-und-sabotageschutz/begriffe-und-hintergruende/Begriffe-und-Hintergruende_node.html#doc721820bodyText2 (4.12.2024); Goertz, S. (2024): Öffentliche Sicherheit in Gefahr? Stuttgart: Kohlhammer, S. 282-283.
22  Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/spionage-und-proliferationsabwehr/gefaehrdung-der-bundestagswahl-2025-durch-unzulaessige-auslaendische-einflussnahme.html#doc2014594bodyText5 (4.12.2024).

 

Über den Autor
Prof. Dr. Stefan Goertz
Prof. Dr. Stefan Goertz
Prof. Dr. Stefan Goertz, Professor für Sicherheitspolitik, Schwerpunkt Extremismus- und Terrorismusforschung, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei
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