Soziale Medien – Fluch oder Segen?
Von Niels Stokholm
Soziale Medien haben in den letzten zwei Jahrzehnten eine beispiellose Transformation in der Art und Weise bewirkt, wie Menschen weltweit kommunizieren, Informationen austauschen und interagieren. Sie bieten immense Möglichkeiten, werfen jedoch auch ernsthafte Fragen zu Privatsphäre, psychischer Gesundheit und gesellschaftlichem Einfluss auf. Sind soziale Medien ein Fluch oder ein Segen? Nachfolgend beleuchten wir die verschiedenen Facetten und Auswirkungen dieser modernen Kommunikationsmittel.
Die Einführung von Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram und TikTok hat die Kommunikationslandschaft revolutioniert. Mit mehr als 3,8 Milliarden aktiven Nutzern weltweit sind soziale Medien aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch während sie auf der einen Seite die Vernetzung und den Informationsaustausch fördern, gibt es auch zahlreiche negative Begleiterscheinungen, die immer wieder kontrovers diskutiert werden. Die Geschichte der sozialen Medien begann in den frühen 2000er Jahren. Plattformen wie MySpace und Friendster legten den Grundstein für das heutige Social-Media-Universum. 2004 revolutionierte Facebook die Branche und setzte neue Standards in Bezug auf Benutzerfreundlichkeit und Netzwerkbildung.
Mit dem Aufkommen von Twitter (2006) und Instagram (2010) wurden die sozialen Medien diversifizierter und interaktiver. Die jüngste Welle wird von Plattformen wie TikTok angeführt, die kurze Videoformate und algorithmische Inhalte in den Vordergrund stellen.
Vernetzung und Kommunikation
Einer der größten Vorteile der sozialen Medien ist die Möglichkeit, weltweit in Kontakt zu bleiben. Familien und Freunde, die geografisch weit voneinander entfernt leben, können durch Plattformen wie WhatsApp, Facebook und Instagram miteinander kommunizieren und ihr Leben teilen. Diese globale Vernetzung fördert zudem den kulturellen Austausch und das Verständnis zwischen verschiedenen Gesellschaften. Soziale Medien haben also den Zugang zu Informationen demokratisiert. Nachrichten, wissenschaftliche Erkenntnisse und Bildungsinhalte sind jetzt nur einen Klick entfernt. Plattformen wie YouTube und LinkedIn Learning bieten umfangreiche Möglichkeiten zur Weiterbildung und zum Erwerb neuer Fähigkeiten.
Social Media hat sich somit als mächtiges Werkzeug für sozialen und politischen Aktivismus erwiesen. Bewegungen wie der Arabische Frühling, Black Lives Matter und Fridays for Future haben unter anderem soziale Medien genutzt, um Menschen zu mobilisieren, Bewusstsein zu schaffen und politische Veränderungen anzustoßen.
Gefahr für die Demokratie?
Einige Betreiber sozialer Medien, allen voran X-Besitzer Elon Musk, pochen darauf, die Meinungsfreiheit auf ihren Kanälen und somit demokratische Prinzipien zu garantieren. Viele der über 230 Millionen aktiven X-Nutzer sehen die Entwicklung mit Sorge. Sie fürchten, dass sich Hatespeech und Fake News unter dem Deckmantel der freien Rede weiter ausbreiten. Internationale Konzerne haben ihre Werbemaßnahmen auf der Plattform eingefroren, weil sie um ihr Image fürchten. Doch Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit diskutieren die Rolle digitaler Medien schon länger. Wohin steuern Online-Dienste wie X, Telegram oder Facebook? Fördern sie die Demokratie oder schaden sie ihr? Eignen sie sich für konstruktive Debatten und einen fairen Meinungsaustausch? Oder verkommen sie zum Sammelbecken für Hass und Hetze, Fehlinformationen und Verschwörungserzählungen? Sind sie sogar mitverantwortlich für die gegenwärtige Krise liberaler Gesellschaften? Eine Studie unter Beteiligung des deutschen Max-Planck-Instituts zeigt: Digitale Medien können tatsächlich demokratiefeindliche Entwicklungen befeuern. Eine Ursache dafür liegt im «News-finds-me»-Effekt. Hiernach tendieren Social-Media-Nutzer dazu, sich nicht mehr aktiv und ausgewogen zu informieren. Der Grund: Sie gehen davon aus, dass wichtige Informationen sie automatisch erreichen, beispielsweise über die Newsfeeds ihrer Social-Media-Kanäle. Nach Ansicht von Experten kann es auf diese Weise zu den viel diskutierten Filterblasen und Echokammern kommen. Demzufolge entstehen sie dadurch, dass Internetdienste Daten über unser Nutzungsverhalten sammeln. Mit speziellen Algorithmen zeigen sie uns dann vorrangig diejenigen Nachrichten, die zu unseren vermeintlichen Bedürfnissen und Überzeugungen passen. Abweichende Meinungen erreichen uns so kaum noch. Die personalisierten Informationen führen dazu, dass die eigene Weltsicht wie in einer Echokammer ständig wiederholt und damit verstärkt wird. Nach Worten des Forschungsteams können sich digitale Medien aber auch durchaus positiv auf die Demokratie auswirken: Das sei vor allem in aufstrebenden Demokratien in Südamerika, Afrika und Asien der Fall. Dort steigern digitale Medien idealerweise die Nachrichtenvielfalt und damit die politische Beteiligung. In autoritären Staaten profitiere die Opposition durch Vernetzungsmöglichkeiten. Nach Einschätzung der Forschenden sind digitale Medien also ein zweischneidiges Schwert. Je nach politischer Realität können sie der Gesellschaft nutzen oder schaden.
Datenschutz und Privatsphäre
Mit der zunehmenden Nutzung sozialer Medien sind aber die Bedenken hinsichtlich Datenschutzes und Privatsphäre gewachsen. Plattformen sammeln nämlich immense Mengen an Daten über ihre Nutzer, die oft zu kommerziellen Zwecken verwendet werden. Skandale wie der Cambridge-Analytica-Skandal, bei dem vor wenigen Jahren die inzwischen insolvente Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica unrechtmäßig Daten von Millionen Facebook-Nutzern erwarb, verarbeitete und
für politische Zwecke missbrauchte, haben das Vertrauen der Nutzer in den Schutz ihrer Daten erheblich erschüttert. Der ständige Vergleich mit idealisierten Darstellungen in den sozialen Medien kann zu negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit führen. Studien zeigen, dass exzessive Nutzung von Plattformen wie Instagram und Facebook mit erhöhten Raten von Depression, Angst und niedrigem Selbstwertgefühl verbunden ist. Ein Beispiel ist der «Selbstvergleich». Man vergleicht sich mit den Leuten im Internet. Egal ob makelloser Körper oder aufregende Hobbys. Das führt zu Selbstzweifeln an sich selbst. Da das Gehirn nur begrenzt Informationen aufnehmen kann, kann es zu einer sogenannten Reizüberflutung kommen. Eine Studie von der Universität Wien zeigt, dass vor allem audiovisuelle Eindrücke zu einer Reizüberflutung führen können. Die sozialen Medien sind ein Filter, man flüchtet sich in eine nicht reale Welt, man spricht von Realitätsverlust. Cybermobbing ist ein weiteres ernstes Problem, das besonders Jugendliche betrifft.
Die Problematik geht aber noch wesentlich weiter: Soziale Medien sind ein fruchtbarer Boden für die Verbreitung von Fehlinformationen und Verschwörungstheorien. Algorithmen, die darauf abzielen, Nutzer länger auf der Plattform zu halten, begünstigen oft die Verbreitung sensationalistischer und irreführender Inhalte. Ein bekanntes Problem sind dabei Cyber-Kriminelle oder Schwindler. Cyber-Kriminelle, die Accounts hacken oder übernehmen, fälschen unter anderem Inhalte oder Daten. Sie sind eine Gefahr, denn so können auch Fake News entstehen. Auch Schwindler sind eine Gefahr, gerade für Minderjährige oder bei Jugendlichen. Sie geben sich im Internet als jemand anderes aus und können so die betroffene Person um viel Geld bringen. Dies alles kann ernsthafte gesellschaftliche Konsequenzen haben, wie etwa die Polarisierung der Öffentlichkeit und das Misstrauen gegenüber etablierten Medien und Institutionen.
Marketing und Werbung
Für Unternehmen bieten soziale Medien beispiellose Möglichkeiten für gezieltes Marketing und Werbung. Durch detaillierte Nutzerprofile können Unternehmen ihre Zielgruppen präzise ansprechen und ihre Markenbekanntheit steigern. Sogenanntes Influencer-Marketing hat sich zu einer milliardenschweren Industrie entwickelt, die neue Karrierewege eröffnet hat.
Plattformen wie LinkedIn haben die Jobsuche und die Karriereentwicklung revolutioniert. Sie ermöglichen es Arbeitssuchenden sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, sich zu vernetzen, und bieten wertvolle Tools für die berufliche Weiterentwicklung. Gleichzeitig hat jedoch die ständige Erreichbarkeit über soziale Medien zu einer Vermischung von Berufs- und Privatleben geführt, was zu Stress und Burnout beitragen kann.
Veränderungen in der Kommunikation
Die Art und Weise, wie wir kommunizieren, hat sich folglich durch soziale Medien grundlegend verändert. Kürzere, oft visuelle Kommunikationsformen wie Emojis und Memes haben Einzug in unsere tägliche Kommunikation gehalten. Diese Veränderungen haben nicht nur die zwischenmenschliche Interaktion beeinflusst, sondern auch die Sprache und Kultur. Soziale Medien spielen eine immer größere
Rolle in der politischen Kommunikation und Meinungsbildung. Politikerinnen und Politiker nutzen Plattformen, um direkt mit ihrer Wählerschaft zu kommunizieren und ihre Botschaften, ohne die Filterung durch traditionelle Medien, zu verbreiten. Dies hat zu einer größeren Unmittelbarkeit in der politischen Kommunikation geführt, birgt aber auch Risiken wie die Verbreitung von Propaganda und die Manipulation der öffentlichen Meinung.
Beliebt, und doch suspekt
Insgesamt sind die sozialen Medien aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. So nutzen laut einer aktuellen Umfrage beispielsweise drei Viertel der Schweizerinnen und Schweizer soziale Netzwerke mindestens einmal täglich. Nur fünf Prozent geben an, diese Plattformen nie zu nutzen. Gemäß der Umfrage sind Frauen häufiger in sozialen Netzwerken unterwegs als Männer. 71 Prozent der Frauen geben an, «mehrmals täglich» auf Social Media zu sein, bei den Männern sind es 62 Prozent. Wenig überraschend nutzen junge Menschen die sozialen Plattformen viel häufiger als ältere. 81 Prozent der 16- bis 39-Jährigen tun das «mehrmals täglich», verglichen mit 47 Prozent bei den über 65-Jährigen. Das Smartphone ist heute in der Schweiz das mit Abstand am häufigsten genutzte Gerät, um ins Internet zu gelangen. Neun von zehn Befragten nutzen es dafür mehrmals täglich. Bei den jüngeren Befragten (16–39 Jahre) liegt dieser Anteil bei 96 Prozent. Die Hälfte der Befragten in dieser Altersgruppe gibt an, «fast ständig» mit dem Handy online zu sein, Frauen noch mehr als Männer. Doch trotz dieser intensiven Nutzung stehen die Schweizerinnen und Schweizer den sozialen Plattformen kritisch gegenüber. Nur eine Minderheit ist der Meinung, dass sie ihr Leben bereichert hätten. Vier Prozent stimmen dieser Aussage voll zu, 30 Prozent eher.
Nicht einmal bei den Jüngeren findet sich eine Mehrheit, die voll oder eher mit dieser Aussage einverstanden ist. Darüber hinaus finden 17 Prozent der Befragten voll oder eher, sie seien abhängig von sozialen Medien. Bei den Jüngeren (16–39 Jahre) steigt der Anteil auf fast ein Drittel. 69 Prozent stimmen eher oder voll zu, dass Kinder so lange wie möglich von sozialen Medien ferngehalten werden sollten. 71 Prozent stimmen eher oder voll zu, dass die sozialen Medien unsere Gesellschaft spalten würden. Forscher interpretieren das so, dass die Gefahren der sozialen Netzwerke und des Internets tendenziell «eher für andere als für sich selbst wahrgenommen werden». Man spricht von einem «Third-Person-Effekt». Diese kognitive Verzerrung führt also dazu, dass wir den Einfluss von Medienbotschaften auf andere überbewerten und gleichzeitig den Einfluss auf uns selbst unterschätzen.
Regulierung und Ethik
Die Regulierung sozialer Medien bleibt somit eine der größten Herausforderungen. Regierungen weltweit arbeiten daran, Gesetze und Richtlinien zu entwickeln, um die negativen Auswirkungen zu minimieren, ohne aber die positiven Aspekte zu beeinträchtigen. Dabei stehen Fragen der Meinungsfreiheit, des Datenschutzes und der Verantwortlichkeit der Plattformen im Vordergrund. Die technologische Weiterentwicklung wird die sozialen Medien weiter transformieren. Künstliche Intelligenz, Augmented Reality und Virtual Reality bieten neue Möglichkeiten für
Interaktion und Kommunikation. Diese Technologien könnten die Art und Weise, wie wir soziale Medien nutzen, revolutionieren, stellen aber auch neue ethische und gesellschaftliche Fragen.
Soziale Medien sind demzufolge weder rein ein Fluch noch ein Segen. Sie bieten immense Möglichkeiten für Vernetzung, Bildung und sozialen Wandel, bringen aber auch erhebliche Herausforderungen mit sich. Der Schlüssel liegt darin, einen bewussten und reflektierten Umgang mit diesen Plattformen zu finden, der die positiven Aspekte maximiert und die negativen Auswirkungen minimiert. Es liegt an uns als Gesellschaft, die Balance zu finden und die Zukunft der sozialen Medien verantwortungsvoll zu gestalten.