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Vom Bundesgrenzschutz zur Bundespolizei.

Eine Chronik

Bernd Walter,
Boorberg Verlag,
Stuttgart 2025,
512 Seiten.
ISBN 978-3-415-07717-1.
128 €.
Der Bundesgrenzschutz wurde im Jahr 1951 gegründet, im Jahr 2005 in Bundespolizei umbenannt.

Der Autor ist ein ehemaliger Bundesgrenzschützer, der in der Hierarchie der Sonderpolizei des Bundes sehr weit oben stand. In seiner letzten Verwendung war er der Präsident des Grenzschutzpräsidiums Ost mit Sitz in Berlin.

Der Verfasser gliedert sein Buch in neun Kapitel, von denen sieben jeweils einen Zeitraum von zehn Jahren behandeln. Die Vorgeschichte umfasst 90 Seiten, die 1950er Jahre handelt er auf etwas mehr als 70 Seiten ab, danach werden die Kapitel nahezu ausnahmslos immer kürzer, wobei die 2000er Jahre mit gerade einmal 40 Seiten das kürzeste Teilstück bilden.

Dass Walter die Anfänge des Bundesgrenzschutzes hoch gewichtet und dabei den gedanklichen Bogen mit der Weimarer Republik beginnt, ist nachvollziehbar. Nur so lassen sich dem Leser die vielfältigen Gründungsprobleme vermitteln. Der Verfasser betrachtet dabei die weiten Felder der deutschen Nachkriegsgeschichte: Den sehr rasch beginnenden Ost-West-Konflikt; das Unbehagen der Alliierten und auch vieler Deutscher gegenüber bewaffneten deutschen Sicherheitsorganen; die Probleme der Auswahl der Männer der ersten Stunde und keinesfalls zuletzt die unterschiedlichen Interessen und Ausrichtungen der deutschen Bundesländer in Fragen der Inneren Sicherheit und hier besonders der Grenzsicherung. Angesichts dieser Gemengelage fällt es schwer, gerade Linien zu ziehen und treffende Überschriften zu finden. Beispielhaft entscheidet sich Walter für das politische Festzurren der ersten Grundlagen in den späten 1940er Jahren für das Rubrum „Sicherheitspolitische Kunstgriffe und vertane Chancen“.

Auch nach der Gründung des BGS war vieles ungeklärt. Der Verfasser arbeitet eindrucksvoll heraus, dass es den ersten Grenzschützern nahezu an allem fehlte: Unterkünfte und Ausrüstung, Bewaffnung und Fahrzeuge überall herrschte ein eklatanter Mangel. Mangelnde rechtliche Regelungen führten zu Problemen, belastend waren archaische Regelungen wie die Zölibatsklausel, wonach ein Grenzschützer, der vor dem 27. Lebensjahr den Bund fürs Leben schließen wollte, einer Genehmigung durch den Dienstherrn bedurfte. Jedoch bestand kein Mangel an hochqualifizierten Führungskräften. Sie prägten dem BGS ihren Stempel ein, man sollte dabei aber nicht übersehen, dass sich auch die Bereitschaftspolizeien der Länder in dieser Zeit durch eine gediegene infanteristische Ausbildung auszeichneten. Gleichwohl heftete die kritische Presse nur den Grenzschützern des Bundes das Etikett „paramilitärisch“ an.

Die chronologische Gliederung innerhalb der jeweils zehn Jahre umfassenden Kapitel hält der Autor vom Jahr 1951 bis zum Jahr 2018 durch. Hierbei betrachtet er bis 1990 – dem Fall der innerdeutschen Grenze, dem Ende der DDR und der Wiedervereinigung – jeweils die „Grenzlage“, die er meist in nur wenigen Zeilen behandelt. Bei diesem Aufbau sind Redundanzen unvermeidlich, gleichwohl ist der Rezensent nicht vollends davon überzeugt, dass eine Betrachtung der Verhältnisse zwischen Bundesrepublik Deutschland und DDR in einem gesonderten Kapitel mehr Vor- als Nachteile gebracht hätte. Die auf den ersten Blick als starr zu empfindende Betrachtung der Grenzlage von Jahr zu Jahr bietet immerhin den Vorzug, dass sich so wie unter einer Lupe die meist nur marginalen Veränderungen erfassen lassen. Wer den Dienst an der Grenze als langweilig empfand, wird hierdurch in seinem Urteil bestärkt. Man muss aber fragen, ob nicht die Langeweile das Ziel jeder staatlichen Grenzsicherung sein sollte. Nicht wenige Deutsche der Gegenwart hätten sich eine solche Langeweile auch in den Jahren nach 2015 gewünscht.

An den markanten Eckpunkten verharrt der Autor und blickt auf die Entwicklung aus unterschiedlichen Perspektiven. So etwa auf das Jahr 1956, das Walter als Aderlass beschreibt. Per Gesetz sollten damals zumindest sehr viele Grenzschützer in die Bundeswehr wechseln. Man tat dies mit sanftem Druck und baute noch eine Finesse in das Gesetz ein. Wer nichts unternahm, kam automatisch zur Bundeswehr. Wer hingegen im Bundesgrenzschutz bleiben wollte, musste für seinen Verbleib optieren, also selbst aktiv werden. Es war am Ende für nicht wenige Ministerialbeamte im Verteidigungsministerium und auch dessen politische Spitze enttäuschend, dass nur 9572 von insgesamt 16614 Vollzugsbeamten im BGS zur Bundeswehr kamen. Darüber hinaus ist es erwähnenswert, dass 67 Prozent der Stabsoffiziere und gar 82 Prozent der restlichen Offiziere zur Bundeswehr gingen. Es lockten die besseren Aufstiegschancen. Die unteren Dienstgrade sahen ihr Heil weniger in der Bundeswehr. Besonders eng war offenbar bei den Meistern und Wacht- und Oberwachtmeistern die Treue zum BGS. Jeder zweite aus dieser Hierarchieebene blieb Grenzschützer.

Ausführlich beschäftigt sich der Verfasser mit einem Verband des BGS, der als Reaktion auf das Münchener Geiseldrama von 1972 geschaffen wurde: Die Grenzschutzgruppe 9, weltbekannt unter ihrem Akronym GSG 9. Jedoch stieß die Einheit, die 1977 die Geiseln aus der Lufthansamaschine „Landshut“ befreite, auch im BGS nicht nur auf Zustimmung. Mag sein, weil sie sich – horribile dictu – als Elite verstand, wobei nicht verschwiegen werden sollte, dass einige der Anti-Terror-Spezialisten aus der Frühzeit ein krudes Verständnis eines elitären Lebens an den Tag legten.

Mehrfach wurde die gesetzliche Grundlage des BGS verändert, die 1976 grundlegende Veränderungen brachte. In einer anderen Reform wurden im Jahr 1994 nach Walters Auffassung Chancen zu einer Konkretisierung der Aufgaben vertan.

Wer in diesem Band larmoyante Geschichten aus der guten alten BGS-Zeit sucht, wird enttäuscht. Das Buch ist zwar von einem geschrieben worden, der selbst dabei war, aber es ist nicht die hier und da zu findende Anekdotensammlung. Walter hält sich mit seiner Kritik an der Institution, den die Weichen stellenden Politikern und einer mit seinen politischen Grundüberzeugungen nicht immer in Einklang zu bringenden Gewerkschaft zwar nicht zurück, aber das Buch ist keineswegs eine Abrechnung. Es ist auch kein Geschichtsbuch. Der Autor ist Polizist, kein Historiker. Man darf zwar hoffen, aber es ist wenig wahrscheinlich, dass sich demnächst ein deutscher Historiker umfassend mit der Geschichte des Bundesgrenzschutzes/Bundespolizei befassen wird. Zu sehr liegt das Thema außerhalb des Zeitgeistes. Vielleicht liegt gerade in dieser Erkenntnis der Reiz des Buches von Bernd Walter.

-Von Dr. Reinhard Scholzen-