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Geschichte des Parlamentarismus

Band 1: Außereuropäische Vormoderne und vorchristliche Antike
Band 2: Kirchlicher Parlamentarismus von der Antike bis zur Neuzeit

Werner J. Patzelt,
Nomos Verlag,
Baden Baden 2024,
330 Seiten.
ISBN 3-7560-1078-3.
Professor Werner Patzelt lehrte von 1991 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2019 Politikwissenschaft an der TU Dresden. Seit einigen Jahren ist er Direktor am Brüsseler Mathias Corvinus Collegium.

Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die politische Kommunikation sowie Abhandlungen über die Methode der Politikwissenschaft und über den Parlamentarismus.

Patzelt ist Mitglied der CDU. Manche Journalisten stempeln ihn ab als Orbán-Versteher oder als Influencer der Neuen Rechten. Legendär sind manche medialen Auftritte Patzelts, in denen er sich virtuos gegen einen von politisch links stehenden Kräften gelebten Mainstream wendet. Er polarisiert immer dann, wenn er sich gegen Denkverbote stellt, so etwa, wenn er den Sinn von Brandmauern jedweder Art im demokratischen Ringen um den besten Weg schlichtweg ablehnt. In rechtsextremen Kreisen hingegen gilt Patzelt als Linker.

Die hier zu besprechenden Bücher sind Teil einer auf vier Bände angelegten Geschichte des Parlamentarismus. Gleichwohl erscheint es sinnvoll, nicht abzuwarten, bis diese Reihe vollständig auf dem Markt ist, sondern bereits bei der Halbzeit ein Zwischenfazit zu ziehen. Dies bietet sich nicht zuletzt an, weil der Verfasser seine Abhandlung chronologisch gliedert und bereits im ersten Band seine Herangehensweise und damit seinen methodischen Zugang dokumentiert.

Von der ersten Seiten an besticht Patzelts Darstellung durch eine Präzision und Klarheit der Sprache, die in geisteswissenschaftlichen Darstellungen keineswegs gang und gäbe ist. Eher ist in der Politik- und Geschichtswissenschaft regelmäßig das Gegenteil der Fall. Mag sein, dass sich mitunter hinter einer komplizierten Sprache die Mutlosigkeit des Autors zu einem klaren Bekenntnis verbirgt. Man könnte es auch zupackender beschreiben: Wer klar und eindeutig formuliert, beherrscht sein Thema.

Eine Geschichte des Parlamentarismus ist sehr viel mehr als die Geschichte von Parlamenten. Patzelt stellt heraus, es gehe in seiner Darstellung „um die Organisation und Durchführung von zweiseitigen Kommunikationsprozessen zwischen einer Gesellschaft und ihrem Entscheidungssystem, desgleichen zwischen den verschiedenen Ebenen und Akteuren eines solchen Entscheidungssystems.“ Für die Betrachtung der Frühzeit könnte man es – noch stärker verkürzend – auch als die Verhältnisse zwischen Herrschern und Beherrschten bezeichnen.

Dies ist ein breiter Ansatz, aus dem folgerichtig vier Bände entstehen werden. Es ergibt sich schon an dieser Stelle die Frage, wie ein einzelner Forscher ein solch umfangreiches Thema bewältigen kann. Wie so oft, liegt die Problemlösung in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereich, der unter dem Namen „Institutionalität und Geschichtlichkeit“ von 1997 bis 2008 an der Universität Dresden bestand. Daraus gingen zahlreiche Veröffentlichungen hervor, die eine Grundlage für die Geschichte des Parlamentarismus liefern. Nur am Rande sei bemerkt, dass Patzelt offensichtlich nicht immer einer Meinung mit den DFG-Gutachtern war. Diese hatten seinen ersten Antrag wegen der angedachten inhaltlichen Breite und Tiefe als „nicht durchführbar“ abgelehnt.

Wenn je gegolten hat, dass die Beschäftigung mit der Geschichte einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Gegenwart leisten kann, dann gilt das ganz sicher für den Parlamentarismus. Patzelt richtet seinen forschenden Blick auf einen Kontinent, der gerade dann, wenn es um Parlamentarismus geht, häufig vergessen wird: Afrika. Eindrucksvoll beschreibt er die Anfänge von Beratungsgremien, Vertretungskörperschaften und Versammlungen, die sich grundlegend von den europäischen Vorbildern unterscheiden. Wer diese Seiten in Patzelts Buch gelesen hat, wird manche vorschnelle Bewertung nicht mehr teilen und verstehen, dass den Staaten Afrikas nicht einfach die demokratischen Strukturen nach westlichem Vorbild übergestülpt werden können.

Anschließend behandelt der Autor den Parlamentarismus im antiken Athen und sodann in Rom. In diesen Kapiteln wird dem Leser das gezeigt, was man gemeinhin als die Wiege der modernen Demokratie bezeichnet.

Ganz so einfach liegen die Dinge jedoch nicht. Das wird schon auf den ersten Seiten des zweiten Bandes deutlich, in dem Patzelt den Leser in den kirchlichen Parlamentarismus von der Antike bis zur Neuzeit einführt. Mit diesen Themen betritt der Verfasser ein thematisches Feld, das den Bürgern in den westeuropäischen Demokratien nahezu ausnahmslos seit einigen Jahrzehnten immer fremder wird. Darunter leidet, wie der Autor eindrucksvoll aufzeigt, das Verständnis für die Entwicklung und Gegenwart des Parlamentarismus. Im Christentum waren von Beginn an auf unterschiedlichen Ebenen Vertretungskörperschaften etabliert. Das gilt für die Kirche in Form von Synoden und Konzilien und für die christlichen Orden mit ihren unterschiedlich bezeichneten Parlamenten wie etwa General- oder Provinzialkapitel. Was in diesen Institutionen bereits bis zur Vollkommenheit ausgebildet wurde, mag vielleicht manchen Leser überraschen: Bis zur Perfektion wurde ein System der Steuerbewilligung und Steuererhebung entwickelt.

Die ersten beiden Bände liefern einen wertvollen Beitrag zum Verständnis des modernen Parlamentarismus. In den beiden demnächst erscheinenden Bänden wird sodann dessen weltweite Verbreitung beschrieben. Der Parlamentarismus ist ein Erfolgsmodell, ohne Frage, mit tiefen Wurzeln in der Geschichte.

-Dr. Reinhard Scholzen-

 

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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