Die Bundeswehr. Von der Wiederbewaffnung bis zur Zeitenwende.
Sönke Neitzel,
C. H. Beck Verlag, München 2025,
128 Seiten.
ISBN 3-406-83051-8.
12 €.
© R. ScholzenSönke Neitzel lehrt als Professor für „Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt“ an der Universität Potsdam. Für großes öffentliches Interesse sorgte sein Buch „Deutsche Krieger“, in dem er die Militärgeschichte von der Kaiserzeit bis zur Gegenwart beschreibt.
Seither ist er, wie man so gerne sagt, bekannt durch Funk und Fernsehen. Ja mehr noch. Neitzel ist eine Instanz, wenn es um Fragen des Militärischen geht. Journalisten befragen ihn gern und oft zum Krieg in der Ukraine, zur Wehrpflicht in Deutschland oder zur zukünftigen Personalrekrutierung der Bundeswehr.
Das hier zu besprechende Buch „Die Bundeswehr“ könnte man als Ausgliederung aus seinem Opus magnum „Deutsche Krieger“ sehen. Der Autor selbst verführt in seinem Prolog zu dieser Deutung, indem er dort ausdrücklich auf sein großes Werk hinweist und das dicke Buch als Basis für das dünne Bändchen bezeichnet. Frei von Eitelkeit ist Neitzel ganz offensichtlich nicht.
Wer das hier zu besprechende Buch jedoch als „weniger vom Gleichen“ deutet, liegt falsch. Neitzels in der Reihe C. H. Beck Wissen erschienener Band beeindruckt durch die klare Struktur. Eingeteilt in drei Kapitel – „Kalter Krieg“, „Out-of-Area“ und „Zeitenwende“ beschreibt es chronologisch die Entwicklung der Bundeswehr von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Auf den ersten Blick erscheint diese Gliederung alternativlos. Das ist übrigens ein Merkmal für gelungene Sachbücher: Sie überzeugen durch die Geradlinigkeit des Gedankengangs, indem sie den Leser entlang eines roten Fadens durch das Thema führen. Drei Handlungsfelder stellt der Autor in den Mittelpunkt seiner Betrachtung, indem er das Spannungsfeld aufzeigt, das sich aus „außen- und innenpolitischen sowie militärischen Anforderungen“ ergibt.
Neitzels Darstellungen zeichnet eine klare Sprache aus. Der Autor packt zu und verdichtet. Das ist ohne Frage erforderlich in einem Bändchen von 128 Seiten. Da muss man rasch auf den Punkt kommen, darf sich nicht in einem Zuviel an „Sowohl-als-auch“ und „Einerseits-Andererseits“ verlieren. Zudem muss man treffsicher auswählen und Wichtiges von Unwichtigem trennen. Dazu muss man das Ganze im Blick haben, nicht nur Teile. Neitzel verfügt über das notwendige breite Wissen und kann daher sachgerecht gewichten, was sich bereits in der Gliederung zeigt. Den „Kalten Krieg“ handelt er auf 41 Seiten ab. Die Auslandseinsätze – Neitzel bezeichnet sie als „Out-of-Area“ – beschreibt er auf 56 Seiten und für die Zeitenwende bleiben dann noch 25 Seiten. Hinzu kommen Vor- und Nachwort, Bibliographie und ein Abkürzungsverzeichnis.
Diese Aufteilung mag manchen Leser überraschen; denn Neitzel ist Historiker. Er befasst sich somit per Definition mit abgeschlossenen, historischen Ereignissen. Dass die Zeitenwende ein nicht abgeschlossenes Kapitel ist, bedarf keiner weiteren Erklärung. Blickt man auf die aktuelle deutsche Politik – die Innen- und die Außenpolitik und die Entscheidungen im Verteidigungsministerium – dann ist im Frühjahr 2025 wenig gewiss, vieles befindet sich in Entscheidungsprozessen. Neitzel sieht das nicht anders. Folgerichtig überschreibt er ein Unterkapitel mit „Vom Zaudern der Politik“. Neitzel kann mit der deutschen Sprache virtuos umgehen, wenn er „zaudern“ schreibt, dann meint er es auch so.
Hier und da übermannt den Autor sein Eifer oder er verliert die kritische Distanz. So stellt er fest: „Die Jahre unter Annegret Kramp-Karrenbauer (2019/21) und Christine Lambrecht (2021/23) waren eine verlorene Zeit.“ Einige Seiten zuvor stellte er zu AKK noch fest, unter ihr habe sich die Tonalität spürbar verändert. Gescheitert sei sie jedoch an dem „erbitterten Widerstand der SPD, die sich jeder Aufwertung des Militärischen entgegenstellte.“ Solche Widersprüche sind schwer zu erklären. Mag sein, dass in der obersten hierarchischen Ebene der Truppe AKK mitunter kritisch gesehen wurde, was an ihren Reformansätzen gelegen haben mag, die auch vor Generälen und Admirälen nicht Halt machen wollten. Unter den wenigen deutschen Bundeswehrsoldaten, die man mit gutem Gewissen der kämpfenden Truppe zurechnen darf, sehen die Bewertungen der Ministerinnen anders aus. Da wird Ursula von der Leyen bestenfalls mitleidig belächelt – man erinnert sich in einer Einheit noch heute an ihre juvenile Begeisterung bei einem Tandemsprung –, Christine Lambrecht erntet dort nichts anderes als Verachtung wegen ihres Desinteresses für die Sache und die Personen und AKK unterstellt man, sie habe Gutes begonnen, leider habe ihr die Zeit gefehlt, dies umzusetzen.
Der Verfasser stellt zu Recht fest, dass sich „die Zeitenwende am schnellsten in den klassischen Rundfunk- und Printmedien vollzog“. Am weitesten hinken die Universitäten hinterher. Neitzel ist sicher, an den Hochschulen „und gerade in den Geisteswissenschaften gibt es noch ein pazifistisches Milieu.“ Beharrungskräfte sieht Neitzel aber auch in der Politik, beim Militär und in der Bürokratie. Ein wenig jovial stellt er jedoch ermutigend fest: „Allerdings sei daran erinnert, dass alle Strukturen und Regeln menschengemacht sind. Und Menschen können sich auch verändern.“
In der Summe ist dies eine vollends gelungene Einführung in die Geschichte und Gegenwart der Bundeswehr. Leser, die sich zum ersten Mal näher mit der Verteidigung Deutschlands beschäftigen wollen, bekommen auf 128 Seiten einen durchaus facettenreichen Überblick, der die Problembereiche nicht ausklammert. Wer sich besser in der Materie auskennt, wird die Zuspitzungen des Autors schätzen: Man muss diese nicht alle teilen, aber sie regen zum intensiven Nachdenken an.
Das Lektorat hat aufmerksam gearbeitet. Daher sticht es umso mehr ins Auge, dass an zwei Stellen der Angriff Russlands auf die Ukraine auf den 24. Februar 2024 gelegt wird. Die Zeit vergeht schnell, in dem noch friedlichen Teil Europas.
-Von Dr. Reinhard Scholzen-