Die Freigabe von Cannabis – Aspekte aus einer langen Geschichte des Für und Wider
Von Dr. Reinhard Scholzen
Im März 2024 stimmte die Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages und wenig später der Bundesrat für die Legalisierung der Droge Cannabis. Damit endete ein jahrzehntelanges Ringen um den richtigen Weg in der Drogenpolitik, obwohl vor 30 Jahren und auch in der Gegenwart viele Experten und Interessenverbände vor der Freigabe des Haschisch warnten.
Die großen europäischen Städte wiesen in den frühen 1970er Jahren eine Gemeinsamkeit auf: In London, Paris und Brüssel, Madrid, Rom und Berlin entstanden offene Drogenszenen. Geradewegs zum Synonym für Drogen und die damit verbundenen Probleme wurde der Bahnhof Zoo in West-Berlin.
In der Bundesrepublik Deutschland reagierte man darauf sowohl mit Aufklärungskampagnen als auch mit Repressionsmaßnahmen und versprach sich Besserungen durch Gesetzesänderungen. So wurde zu Beginn der 1970er Jahre das Betäubungsmittelrecht aktualisiert, rund zehn Jahre später das Rechtsinstitut „Therapie statt Strafe“ eingeführt und nach der Mitte der 1980er Jahre rückte zusammen mit der Bekämpfung der Krankheit AIDS das Fixermilieu in den Mittelpunkt. Zudem wurden mehrere Projekte gestartet, bei denen die Droge Heroin durch Methadon ersetzt wurde.
Die gemeinsamen Anstrengungen ließen die Zahl der Drogentoten in den frühen 1980er Jahren stagnieren. Gegen Ende der 1980er Jahre stieg deren Zahl jedoch wieder sprunghaft an und erreichte nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1991 mit mehr als 2100 Toten den bisherigen Höhepunkt. Gleichzeitig rückten Erkenntnisse unterschiedlicher Wissenschaftsgebiete mehr und mehr in den Vordergrund und bestimmten die Vorgehensweise mit. Darunter befanden sich auch Ansätze, die eine zumindest teilweise Legalisierung bestimmter Drogen ins Feld führten.
Argumente der Befürworter der Legalisierung von Cannabis vor 30 Jahren
Der Strafrechtsprofessor Elmar Erhardt hatte 1993 in einer großen Literaturstudie für das Bundeskriminalamt (BKA) die Auffassungen der Wissenschaft zu der Frage „Pro und Contra: Legalisierung von Drogen?“ betrachtet. Er skizzierte darin, die Legalisierung von Drogen sei noch einige Jahre zuvor nahezu vollständig tabuisiert gewesen. Forderungen nach deren Freigabe hätten „in erster Linie drogeninteressierten Kreisen zugeordnet“ werden können. Dies hätte sich jedoch in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren deutlich verändert, als die Zahl der Rauschgifttoten deutlich anstieg, gleichzeitig die Sicherstellungsmengen von Drogen zunahmen und im Gleichschritt die Beschaffungskriminalität anwuchs.
In der Fachwelt und den Medien wurden in dieser Zeit die Stimmen lauter, Haschisch zu legalisieren. Erhardt wertete 28 wissenschaftliche Beiträge aus und leitete daraus sowohl die Grundstrategien der damaligen Drogenpolitik als auch unterschiedliche Alternativen ab. Darüber hinaus stellte er die damals in der Fachwelt bekannten Erkenntnisse der Gefährlichkeit von Cannabis zusammen.
Der Autor beschrieb die Argumentationslinie, weder repressive staatliche Bekämpfungsstrategien noch Sicherstellungen größerer Mengen von Cannabisprodukten könnten verhindern, dass auch weiterhin eine große Zahl von Menschen diese Drogen konsumieren werde. Zudem stoße der Konsum dieses Rauschmittels auf breite gesellschaftliche Akzeptanz. Durch eine Freigabe von Haschisch und Marihuana würde der einheitliche Rauschgiftmarkt aufgebrochen, wodurch Cannabis-Konsumenten nicht mehr zwangsläufig mit der Szene für sogenannte harte Rauschgifte in Kontakt kämen. Dadurch werde die Gefahr eines Umsteigens auf Heroin verringert.
Positive Effekte sahen die Befürworter einer Freigabe von Cannabis auch für die Strafverfolgungsbehörden. Diese könnten sich dann ausschließlich auf den Heroin- und Kokain-Markt konzentrieren. Dies wiege die negativen Folgen einer eventuellen Zunahme von Cannabis-Gebrauchern auf, da sich dadurch keine vermehrte Begleit- und Folgekriminalität ergäbe; denn Cannabis wirke beruhigend und einschläfernd und die Gewalttätigkeit werde dadurch nicht gefördert. Die kaum zu leugnende zeitweilig vorhandene schlechte psychische Verfassung der Konsumenten wischten die Befürworter vom Tisch, indem sie argumentierten, diese werde durch Repression und Stigmatisierung verursacht und entfalle somit mit der Freigabe. Mit einer Zunahme von gesundheitlichen Schädigungen der Konsumenten sei nicht zu rechnen, da Cannabisprodukte weitaus harmloser als vermutet seien. Dies zeige sich auch darin, dass Auswirkungen auf die Arbeitsleistung nicht feststellbar seien. Auch mit einer körperlichen Abhängigkeit der Konsumenten sei nicht zu rechnen, da es allenfalls in Einzelfällen zu einer geringen psychischen Abhängigkeit käme, die mit derjenigen des Zigarettenrauchens vergleichbar sei.
Schließlich könne Cannabis für unterschiedliche medizinische Zwecke verwendet werden, so beispielsweise bei der Behandlung der Multiplen Sklerose, des grünen Star und in Begleitung einer Chemotherapie.
Auch aus der Richtung der Rechtstheorie und Rechtsphilosophie wurden Argumente für die Freigabe vorgetragen. So könne erst durch die Freigabe von Cannabisprodukten dem Selbstbestimmungsrecht und dem im deutschen Strafrecht geltenden Prinzip der straflosen Selbstschädigung ausreichend Genüge getan werden. Zudem würde durch eine strafrechtliche Gleichbehandlung von Alkohol und Cannabis auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vermieden.
Argumente der Gegner der Legalisierung von Cannabis vor 30 Jahren
Die Gegner einer Cannabisfreigabe führten in den frühen 1990er Jahren unter anderem ins Feld, Haschisch sei sehr wohl eine Einstiegsdroge und grundsätzlich deutlich gesundheitsschädlicher als das Tabakrauchen. Es beeinträchtige das Kurzzeitgedächtnis negativ und bewirke daher bei Jugendlichen Lernschwierigkeiten. Zudem belegten Studien, dass Haschisch eine „Psychose des schizophrenen Formenkreises bewirken“ könne.
Die Gegner argumentierten, durch den Wegfall der generalpräventiv wirkenden Strafandrohung würde es zu einem Anstieg der Konsumentenzahl, der Einzeldosis und der Einnahmefrequenz kommen. Des Weiteren sei mit einer Zunahme der unter Drogeneinfluss begangenen Straftaten zu rechnen, insbesondere im Straßenverkehr. Erhebliche Beeinträchtigungen des Fahrverhaltens von Cannabis konsumierenden Verkehrsteilnehmern wären, nicht zuletzt auch aufgrund der langen Abbauzeiten des Tetrahydrocannabinol (THC) im Körper, die Folge. Sie warnten, Cannabis als Einstiegsdroge verleite vor allem jüngere Menschen zum Gebrauch härterer Drogen.
Aus der psychiatrischen Praxis wurde vorgebracht, Cannabiskonsum könne zu erheblichen psychischen (amotivationales Syndrom, Wesensänderungen, Echoeffekte, Veränderungen der Sinneswahrnehmungen und der Konzentrations- und Erinnerungsfähigkeit, Halluzinationen, Psychosen, Störungen des Reifeprozesses bei Jugendlichen) führen. Des Weiteren würden körperliche Auswirkungen beobachtet (Leber- und Hirnschädigungen, schwere Schädigungen des Atemtrakts, Schwächung des Immunsystems, schädliche Auswirkungen auf Fötus und Neugeborene). Sie resümierten, bei einer Freigabe von Cannabis könne der Staat seiner Fürsorgepflicht („Schutz der Volksgesundheit“) nicht mehr nachkommen, zudem käme es zu den gleichen negativen Folgen wie beim Alkoholkonsum. Hier wurden auch ausdrücklich „Probleme am Arbeitsplatz“ genannt.
Die Gegner führten an, von einer Legalisierung von Cannabis ginge eine Signalwirkung für die Freigabe „harter Drogen“ und damit eine Verharmlosung aller Drogen aus. Ferner bliebe bei einer partiellen Legalisierung ein illegaler Markt mit den üblichen Erscheinungsformen für die nicht freigegebenen Rauschgifte erhalten. Nur bei Bekämpfung der Rauschgiftproblematik insgesamt auf allen Ebenen und mit gleicher Intensität könnten auch zukünftig Ermittlungserfolge verzeichnet werden.
Sehr entschieden wandten sich die Gegner der Legalisierung von Cannabis vor 30 Jahren gegen die These, für den Cannabiskonsum sei in der Gesellschaft eine breite Akzeptanz gegeben. Erhardt kommentierte: „Diese Thesen werden wohl nach Erkenntnissen aus neueren Untersuchungen neu überdacht bzw. revidiert werden müssen. Sehr deutlich wurde dies bei einer Befragung von Personengruppen, die tagtäglich mit der Verfolgung von Rauschgiftdelikten zu tun haben. Nach einer Untersuchung, bei der Strafrichter, Staatsanwälte und Polizeibeamte aus fünf Bundesländern, die mit Betäubungsmittelstrafsachen befaßt sind, befragt wurden, stellte sich heraus, daß ‚Liberalisierungsvorschläge‘ im Cannabis-Bereich in der Strafrechtspraxis noch keine breite Zustimmung finden. Daß der Erwerb und Besitz geringer Mengen Cannabis weiterhin mit Geld- und Freiheitsstrafe bedroht sein sollte, meinten 57 % der Richter, 64 % der Staatsanwälte und 63 % der polizeilichen Fahnder.“
Dieses Ergebnis sei nicht unvorhersehbar, stellte Erhardt fest. Umso mehr überrasche jedoch die durch mehrere repräsentative Studien abgefragte Einstellung unterschiedlicher Gruppen der Bevölkerung zum Haschischkonsum. So sprachen sich bei einer im Wintersemester 1990/91 an vier westdeutschen Hochschulen durchgeführten Befragung von Studienanfängern ca. 45 % der Frauen und Männer für eine Beibehaltung des Haschischverbots aus. Im Osten Deutschlands lag diese Zahl sogar bei annähernd 70 %. Eine noch deutlich geringere Toleranz gegenüber dem Drogenkonsum ergab eine Umfrage des Institutes für Demoskopie in Allensbach: Im Januar 1993 befürworteten rund 75 % der Befragten entschieden die Bekämpfung des Drogenhandels und lehnten Drogenkonsum im Allgemeinen ab. Der Aussage „weiche Drogen wie Haschisch sollte man ruhig erlauben“ stimmten nur zehn Prozent zu.
Das neue Cannabis-Gesetz von 2024
Immer wieder wurde die mögliche Legalisierung von Haschisch thematisiert. Neue Dynamik erhielten die Freigabepläne durch den Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2021. Ausformuliert wurden die Änderungspläne mit der Vorlage des „Zwei-Säulen Modells“ zur kontrollierten Abgabe von Genusscannabis, das im Frühjahr 2023 das Bundesgesundheitsministerium vorlegte. Demnach sollte in einem ersten Schritt der private und gemeinschaftliche nicht-kommerzielle Eigenanbau von Genusscannabis ermöglicht werden. Die zweite Säule sollte zu einem späteren Zeitpunkt eine privatwirtschaftliche Produktion und den Vertrieb von Genusscannabis in einem lizensierten und staatlich kontrollierten Rahmen ermöglichen.
In Drucksache 20/8704 legte die Bundesregierung im Oktober 2023 einen Gesetzesentwurf „zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften“ vor. Das insgesamt 194 Druckseiten umfassende Gesetz sei erforderlich, da „der Konsum von Cannabis trotz der bestehenden Verbotsregelungen, insbesondere auch unter jungen Menschen, ansteigt“. Das Gesundheitsrisiko erhöhe sich durch vom Schwarzmarkt bezogenes Cannabis, da dabei der THC-Gehalt unbekannt sei. Zudem werde dieses Cannabis häufig verunreinigt. Daher ziele das Gesetz darauf ab, „zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen“, zudem solle die Aufklärung verbessert, der illegale Markt eingedämmt und der Kinder- und Jugendschutz gestärkt werden.
Experten lehnen das Gesetz ab
Der Chor der Gegner ist vielstimmig. Trotz aller Unterschiede, die sich zwangsläufig durch die jeweils unterschiedliche Perspektive ergeben, sind durchaus Gemeinsamkeiten in der ablehnenden Haltung vorhanden.
Nachdem der Arbeitskreis II (AK II) der Innenminister-Konferenz zum Thema Freigabe von Cannabis einen Prüfauftrag erhalten hatte, wurde die AG Kripo mit der Umsetzung beauftragt. Ausdrücklich war nicht zu prüfen, ob die mit der Cannabislegalisierung angestrebten Ziele der Bundesregierung erreichbar seien. Ebenso blieben festgestellte Widersprüche und Schwächen des Gesetzesentwurfs, auf die im Vorfeld die Bundesländer hingewiesen hatten, außen vor. Gleichwohl wurde im Vorwort zu dem im Dezember 2023 vorgelegten Prüfbericht „Auswirkungen der Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken auf die Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden“ unter anderem darauf verwiesen, was vom BKA als problematisch gesehen wurde. Dabei unterschieden die Autoren einerseits in Widersprüche, die „vom Gesetzgeber gewollt“ seien. Hier führten sie aus „z. B. Besitzmenge von 25 Gramm pro Erwachsenen, Besitz von drei Pflanzen pro Erwachsenen pro Haushalt, keine Weitergabe von personenbezogenen Daten von Mitgliedern von Anbauvereinigungen durch die ‚zuständigen Behörden‘ an Fahrerlaubnisbehörden.“ Andererseits erwähnen sie, was in dem Gesetzesentwurf „in Kauf genommen werde“. Namentlich wird aufgeführt: „z. B. privater Eigenanbau de facto nicht überwachbar, Besitzmenge bei Eigenanbau und Mitgliedschaft in einer Anbauvereinigung verleitet zur Weitergabe oder Verkauf, mangelnde Kontrollierbarkeit des Eigenanbaus, Abgabe von Cannabis mit max. 10% THC-Gehalt durch Anbauvereinigungen an Heranwachsende, aber keine Begrenzung im privaten Eigenanbau.“
Das BKA verschwieg nicht, dass ein Punkt im aktuellen Gesetz nicht mehr erwähnt wird: Die Entlastung der Strafverfolgungsbehörden. Diese war im Koalitionsvertrag noch deutlich betont worden, findet sich im aktuellen Gesetzentwurf jedoch nicht mehr explizit. Dies resultiere, so wird in dem BKA-Bericht angenommen, „aus der Beratung des Bundeskriminalamtes im Konsultationsprozess ‚Cannabis – aber sicher‘ des Drogenbeauftragen der Bundesregierung.“ Das BKA hatte mit Nachdruck darauf hingewiesen, polizeiliche Kontrollen müssten auch nach der Verabschiedung des neuen Gesetzes stattfinden. Exemplarisch wurde auf die erlaubt mitgeführte Besitzmenge von maximal 25 Gramm Cannabis verwiesen. Zudem seien die in § 5 KCanG festgelegten Konsumverbote zu überprüfen.
Im Rahmen des Konsultationsprozesses hatte das BKA herausgestellt, eine Differenzierung zwischen legalem Cannabis aus gemeinschaftlichem Eigenanbau und illegalem Schwarzmarktcannabis sei in polizeilichen Kontrollen nicht möglich. Dazu seien sehr aufwendige kriminaltechnische Untersuchungen erforderlich, was vorhersehbar zu einer Überlastung der Kriminaltechnischen Institute des Bundes und der Länder führen würde. Offensichtlich schloss sich der Gesetzgeber dieser Sichtweise an, weshalb bei der erlaubten Besitzmenge von 25 Gramm Cannabis nicht nach dessen Herkunft differenziert wird.
Die Entlastung der Strafverfolgungsbehörden findet sich im Gesetzentwurf im Abschnitt „Gesetzesfolgen“. Dort wird geschätzt, jährlich könnten 7,9 Mio. Euro eingespart werden. Dies ergibt sich aus folgender Berechnung: Die PKS erfasste im Jahr 2021 180.000 konsumnahe Cannabisdelikte, die künftig nicht mehr strafverfolgt werden. Unter der Annahme, diese Fallzahl bleibe konstant und die Lohnkosten lägen bei 43,90 Euro pro Fall bzw. pro Stunde. Lakonisch wird im BKA-Bericht festgestellt: „Die Belastbarkeit dieser Berechnung kann in Frage gestellt werden, z. B. hinsichtlich der angenommenen Fallbearbeitungszeiten.“ Darüber hinaus sehen die Praktiker an zahlreichen Stellen einen deutlichen Mehraufwand. So etwa durch zeitaufwendige Sicherstellungen und Beschlagnahmen von Cannabis, die das Gesetz gemäß § 2 Absatz 4 vorsieht. Des Weiteren werde bei der prognostizierten Einsparung von 7,9 Millionen Euro nicht bedacht, dass die Polizei nach § 5 KCanG Konsumverbote kontrollieren müsse. Ebenso blieben die zukünftig zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit notwendigen Aufklärungs- und Präventionskampagnen der Bundesländer völlig unberücksichtigt. Nicht zuletzt müsse eine konsequente Bekämpfung der organisierten Kriminalität gewährleistet sein, was bei der Berechnung des Erfüllungsaufwandes ebenfalls nicht berücksichtigt wurde.
Einen in der öffentlichen Debatte oft vernachlässigten Aspekt beleuchtete im Rahmen des BKA-Berichts die Arbeitsgemeinschaft „Verkehrspolizeiliche Angelegenheiten (AG VPA)“ des Unterausschusses Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung (UA FEK). Dieser legte zur 83. Herbstsitzung 2023 den Bericht „Auswirkungen und Konsequenzen einer Legalisierung von Cannabis im Kontext der Verkehrssicherheit (Stand: 09.06.2023)“ vor. Zwar räumen die Autoren ein, monokausale Auswirkungen der Cannabispolitik eines Landes auf die Straßenverkehrssicherheit seien aufgrund der verschiedenen individuellen Rahmenbedingungen sowie Einflussfaktoren grundsätzlich schwer zu belegen, jedoch steige mit zunehmender Liberalisierung der Cannabispolitik die Wahrscheinlichkeit, dass die Verkehrssicherheit beeinträchtigt werde. Dies gelte insbesondere, wenn die Liberalisierung kommerzielle Interessen verfolge, was der aktuelle Gesetzentwurf zur Cannabislegalisierung ausschließe. Jedoch sei anzunehmen, dass Fahrten unter Einfluss von Cannabiskonsum zunehmen könnten. Daher sei es sinnvoll, „die Kontrolltätigkeit durch den Polizeivollzugdienst zumindest vorübergehend zu intensivieren, auch um deutlich werden zu lassen, dass Fahren unter dem Einfluss von Cannabis (und anderen Drogen) weiterhin verboten ist.“
Die Stellungnahme der GdP
Von den Polizeigewerkschaften gab nur die Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine umfangreiche Stellungnahme zum Gesetzesentwurf des BMG ab. Mit großem Nachdruck stellte sich der Autor, der stellvertretende Bundesvorsitzende Alexander Poitz, gegen die Annahme, die Polizei werde durch das neue Gesetz entlastet. Mit Blick auf die zahlreichen ortsbezogenen Konsumverbote werde die Arbeit seiner Kollegen sogar deutlich erschwert. Aufwendig sei darüber hinaus auch die Kontrolle der Menge und Qualität des Haschisch. Dazu sei zunächst das Mitführen geeichter Waagen nötig und anschließend sehr aufwendige Laboruntersuchungen. Ausführlich ging die GdP auf die Hoffnung des Gesetzgebers ein, den Schwarzmarkt einzudämmen. Poitz führte dazu aus: „Das Ziel den illegalen Markt für Cannabis eindämmen zu wollen, begrüßen wir. Jedoch können wir nicht erkennen, wie sich dieses Ziel durch bzw. aufgrund der Vorgaben, die der vorliegende Entwurf macht, erreichen lassen wird.“ Er stellte in den Raum, es sei nicht auszuschließen, dass Schwarzmarkt und Organisierte Kriminalität sogar gefördert werden könnten. Man müsse davon ausgehen, dass die Nachfrage nach Cannabis steige, die aus den künftig legalen Bezugsquellen nicht gedeckt werden könnte. Zudem müsse man berücksichtigen, dass der Herstellungsaufwand und damit die Kosten des legalen Cannabis höher seien als die für illegales Cannabis. Dies führe dazu, dass es wenig attraktiv sei, „sich um legale Cannabis-Bezugsquellen zur Bedarfsdeckung zu bemühen, anstatt illegal hergestelltes Cannabis zu beziehen.“ Das Entdeckungsrisiko für Straftäter sinke deutlich, sofern sie sich an die Höchstgrenzen von 25 Gramm hielten. Eine erhebliche Gefahr sah die GdP zudem in dem den Schwarzmarkt und die organisierte Kriminalität fördernden Potenzial, das die zukünftig erlaubten Anbauvereine in sich tragen. Dies böte Straftätern die bisher nicht vorhandene Möglichkeit, ihre illegalen Drogen reinzuwaschen.
Poitz beklagte, die Probleme, die das neue Gesetz im Straßenverkehr aufwerfe, blieben unberücksichtigt. Es sei „zwingend zu verhindern, dass mit einer Freigabe von Cannabis als Genussmittel das irrige Signal gesendet wird, wonach eine berauschte Teilnahme am Straßenverkehr unbedenklich sei.“ Es müssten somit THC-Grenzwerte festgelegt werden, wobei gelte müsse: „Keine Experimente beim Grenzwert auf Kosten der Verkehrssicherheit“
Ärzte und Medizinexperten gegen Legalisierung von Cannabis
Zahlreiche Experten warnten im Rahmen einer Expertenanhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages im November 2023 vor den Folgen des neuen Gesetzes. So stellte unter anderem die „Bundesärztekammer (BÄK)“ fest, durch das Gesetz würden „Cannabiskonsumprävalenzen und cannabisbedingte gesundheitliche und gesellschaftliche Probleme weiter zunehmen.“ In besonderem Maße sei dabei die „besonders vulnerable Gruppe der Kinder und Jugendlichen“ betroffen. Sie könnten nicht wirksam „vor einem Zugang zu Cannabis, das durch privaten und nichtgewerblichen, gemeinschaftlichen Eigenanbau verbreitet wird, und den internationalen Erfahrungen nach weiterhin zu erwartenden Schwarzmarkt“ geschützt werden. Die BÄK warnte vor gravierenden gesundheitlichen und sozialen Folgen für Kinder, Jugendliche und Heranwachsende. Es sei durch eine vom Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegebene Studie nachgewiesen, „dass das Risiko für eine cannabisbezogene Störung auf 17 Prozent steige, wenn der Konsum in der Adoleszenz beginnt, bei täglichem Konsum sogar auf 25 bis 50 Prozent.“ Zudem führe ein früher und häufiger Cannabiskonsum im Jugendalter zu „geringeren Bildungserfolgen“. Aus diesen und weiteren Gründen hatte der 127. Deutsche Ärztetag die Bundesregierung im Jahr 2023 mit Nachdruck aufgefordert, „von ihren Plänen zu einer Cannabislegalisierung Abstand zu nehmen und stattdessen konsequent auf eine umfassende Suchtprävention zu setzen.“ Mit Blick ins Ausland stellte die BÄK fest, eine Richtungsänderung in der Cannabis-Politik sei nicht feststellbar. Die immer wieder von den Befürwortern ins Feld geführten Niederlande seien „sicherlich keine Ermutigung für andere Länder.“
Der „Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ)“ positionierte sich ähnlich. Sie prognostizierten, „dass die Freigabe von Cannabis für Erwachsene, wenn auch nicht so tendiert, schwerwiegende negative Auswirkungen auf Jugendliche und Heranwachsende haben wird.“ Die durchaus positiven Ansätze eines besseren Jugendschutzes fielen „angesichts des Risikos eines deutlich ausgeweiteten Marktes und der Normalisierung von Cannabiskonsum in aller Öffentlichkeit nicht ins Gewicht.“ Die im Gesetz vorgesehenen Schutzmaßnahmen seien nicht durchsetzbar, sie würden „ins Leere laufen“, da sie wegen fehlenden Personals bei der Polizei weder kontrollierbar noch durchsetzbar seien.
Die „Deutsche Gesellschaft für Psychatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Naturheilkunde e. V. (DGPPN)“ ging auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse des Suchtrisikos von Cannabis ein und stellte die „erheblichen Gesundheitsrisiken insbesondere für junge Menschen“ heraus. Wer über eine Entkriminalisierung nachdenke, müsse daher umfassende Maßnahmen im Bereich der Prävention und Behandlung sowie des Jugendschutzes ergreifen. Dies sei nach der Auffassung der DGPPN nicht gegeben: „Solange diese Aspekte nicht angemessen adressiert werden, wird zu befürchten sein, dass das Gesetz zu einer Verschlechterung der Gesundheit Jugendlicher führen kann.“
Bemerkenswert kurz und knapp fiel die Bewertung der „Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA)“ aus: „Die ABDA lehnt die Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken aus fachlichen Gründen ab und schließt sich diesbezüglich der Einschätzung der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) an.“ Die Erfahrungen aus den Ländern, die Cannabis legalisierten, zeigten, dass die Prävalenz von Cannabiskonsumstörungen zunehme. Zudem verringere Cannabis die Aufmerksamkeit, schränke die Psychomotorik ein und induziere Apathie. In der Summe steige das Risiko für Arbeits- und Verkehrsunfälle. Darüber hinaus gaben sie zu bedenken, dass „bei genetischer Vorbelastung schon ein einmaliger Konsum eine Psychose auslösen“ könne.
Die „Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin e. V.“ sah zwar im Gesetz „Ansätze zur Entkriminalisierung von Konsumenten“, befürchtete jedoch, es sei zu erwarten, dass „die Zahl der Personen mit Intoxikationen bzw. Intoxikationspsychosen“ zunehme.
Andere Stimmen
Nicht nur die Interessenvertretungen der Medizinexperten sahen die Gesetzesnovellierung bis auf wenige Ausnahmen kritisch. Beispielhaft seien einige weitere kritische Stimmen aus anderen Berufsgruppen genannt.
Die „Neue Richtervereinigung“ lobte das Gesetzesvorhaben, da eine Kriminalisierung des Besitzes von Cannabis zum Eigenkonsum nicht mehr zu rechtfertigen sei. Allerdings solle die Gesetzesvorlage optimiert werden.
Der „Deutsche Richterbund“ setzte andere Akzente. Er befürchtete, mit der Cannabis-Freigabe würden neue Straftatbestände geschaffen, die einen erheblichen Ermittlungsaufwand mit sich brächten. Er rechnete mit einem Missbrauch von Anbauvereinigungen und einer Stärkung des Schwarzmarktes.
Der „Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik“ erklärte, es sei richtig und überfällig, den Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum, den privaten Eigenanbau und den gemeinschaftlichen Eigenanbau nebst Weitergabe von Cannabis in Anbauvereinigungen straffrei zu ermöglichen. Nicht sinnvoll sei es jedoch, den Konsum von Cannabis in Anbauvereinigungen zu verbieten.
Der „Branchenverband Cannabiswirtschaft“ erklärte, es sei ein Irrglaube, dass sich der illegale Markt ohne Einbeziehung der Wirtschaft spürbar zurückdrängen lasse. Nur Akteure der Wirtschaft könnten durch Effizienz, Qualität und Verfügbarkeit „wettbewerbsfähig“ zu illegalen Marktakteuren werden.
Kritik, nicht nur aus den Reihen der Opposition
Im Bundestag wurde das neue Gesetz sehr unterschiedlich bewertet – quer durch alle Parteien. So stellte sich der SPD-Innenpolitiker Sebastian Fiedler bis zuletzt gegen die Novellierung.
Auch in den Länderparlamenten wurde zum Teil erbittert um das Für und Wider des neuen Gesetzes gerungen. Besonders engagiert kritisierte es im rheinland-pfälzischen Parlament der CDU-Gesundheitsexperte Dr. Christoph Gensch. Er führte aus, der SPD-Innenminister von Rheinland-Pfalz und ebenso der FDP-Justizminister hätten das Gesetz außerhalb der Parlamentsdebatte scharf kritisiert. Die SPD-Fraktionsvorsitzende, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, habe bei dem Besuch eines Gymnasiums gesagt, sie hätte ihre ablehnende Haltung zum Gesetz nie geändert, könne aber an der Entscheidung nichts mehr ändern. Von 2005 bis 2009 war sie Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Gensch spitzte zu: „Sie haben sich zuerst von den Kiffern in ihren Jugendorganisationen in dieses Projekt hineintreiben lassen.
Und jetzt wollen sie dieses Gesetz auf Biegen und Brechen durchdrücken, weil es das einzig verbindende Projekt ist, das die Ampel noch hat. Und es interessiert sie nicht, dass es ein fürchterlich schlechtes Gesetz ist mit großen Gefahren für unsere Kinder und Jugendlichen. Schämen sie sich.“
Nach dem Beschluss des Bundestages und des Bundesrates kritisierte der CDU-Bundesvorsitzende, Friedrich Merz, das neue Gesetz: „Gegen den Rat fast aller Fachleute aus der Medizin, der Psychiatrie, der Kinder- und Jugendhilfe, der Kriminologen, der Polizei und nicht zuletzt der Justiz hat die Ampel am letzten Freitag für die hoch umstrittene Freigabe des Anbaus und Konsums von Cannabis auch die letzte gesetzgeberische Hürde genommen.“ Er betonte, mit dem neuen Gesetz käme nicht nur mehr Arbeit auf die Ärzte zu. Auch die Landesjustizverwaltungen würden durch die Gesetzesfolgen hoch belastet. Da die Ampel die „Entkriminalisierung“ auch rückwirkend geregelt habe, müsse das Land Nordrhein-Westfalen bis zu 60.000 Verfahren erneut bearbeiten. So seien zum Beispiel neue Gesamtstrafen zu verhängen, wenn zuvor weitere Straftaten abgeurteilt wurden, die oftmals im Zusammenhang mit dem nunmehr straffreien Cannabis-Genuss standen, wie Gewalt- und Einbruchsdelikte. Sodann müssten Eintragungen im Bundeszentralregister korrigiert werden. Völlig ungeklärt sei, welcher THC-Grenzwert ab dem 1. April 2024 im Straßenverkehr gelten solle. Merz stellte heraus, viele Ministerpräsidenten hätten ihre Kritik am Gesetz im Bundesrat „mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck gebracht“. Durchaus kämpferisch fasste er zusammen: „Aber der Schaden für die Gesellschaft und die Justiz in unserem Land war den SPD-geführten Ländern offenbar weniger wichtig als der Zusammenhalt einer Ampelkoalition, die sich ansonsten kaum noch in einem politischen Projekt einig wird.“