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Oft ein Genehmigungsmarathon
Die Fertigung von Munition und der Waffentransport für staatliche Behörden in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland
Von Dr. Reinhard Scholzen
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterlag die Produktion von Waffen und Munition in Deutschland strengen Restriktionen durch die Siegermächte. Auch nachdem die Bundesrepublik 1955 ihre staatliche Souveränität erlangt hatte, gab es mit diesen Gütern immer wieder Probleme.
Im Juli 1961 stellte die Kölner Zweigstelle der Firma Gustav Genschow & Co. GmbH beim Bundesminister für Wirtschaft einen Antrag zur Produktion von Patronen des Kalibers .30 U. S. M1 Carbine. Bereits sechs Tage später wurde die Genehmigung erteilt. Es wurde festgelegt, dass die Firma, die ihren Hauptsitz in Karlsruhe-Durlach hatte, bis zum 31. März 1962 die Gewehrmunition liefern musste.1 Die Patronen wurden aus einer amerikanischen Waffe verschossen, dem U. S. Karabiner .30 M1, der seit 1942 von den Truppen der USA eingesetzt worden war. Da es deutschen Behörden in den ersten Jahren nach dem Ende des Krieges verboten war, Waffen aus deutscher Fertigung zu verwenden, kam das US-Gewehr in zahlreichen staatlichen Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland zum Einsatz: Unter anderem bei den Polizeien in Bayern und Hessen, beim Bundesgrenzschutz, beim Zoll und in mehreren Strafanstalten. Durch das Verbot deutscher Waffen wollten die Alliierten dem Wiederaufblühen einer deutschen Waffenindustrie den Nährboden entziehen. Auch nachdem dieses Fertigungsverbot schrittweise bis 1955 aufgehoben worden war, blieben viele der ausländischen Waffen weiter im Dienst.
Genschow nahm mit ministeriellem Segen die Fertigung der Munition auf. Zunächst lief für die badische Firma alles nach Wunsch: Am 12. März 1962 verlängerte das Bundesministerium für Wirtschaft nochmals die Genehmigung zur Herstellung der M1-Patronen bis zum 31. Dezember des gleichen Jahres. Eine mengenmäßige Beschränkung erfolgte, wie bei der zuvor ergangenen Genehmigung, nicht. Am 29. Dezember 1962 wurde der Vertrag nochmals um ein Jahr prolongiert.
Drei Monate später informierte der Munitionshersteller das Bundesministerium des Innern: „Seit dem 1. 1. 1963 ist unsere Firma, deren Anschrift bis zu diesem Zeitpunkt Dynamit Nobel Genschow GmbH Werk Karlsruhe-Durlach lautete, in den Besitz der Dynamit Nobel AG, Troisdorf, die damit gleichzeitig Rechtsnachfolgerin ist, übergegangen. Wir bitten Sie, uns zu bestätigen, daß alle noch im vergangenen Jahr ausgestellten Genehmigungen auf die alte Firma, die zum Teil auch noch über den Zeitpunkt des Übergangs in die Dynamit Nobel AG befristet waren, auch weiterhin bis zu ihrem Fristablauf für uns als verbindliche Unterlage im Sinne des Kriegswaffengesetzes gelten.“
Die Geschichte der Firma Gustav Genschow
Mit diesem Besitzwechsel begann eine neue Ära in einer 75-jährigen, wechselvollen Geschichte. Gustav Genschow hatte die Firma im Jahr 1887 in Berlin gegründet. Von Beginn an fertigte das Unternehmen Munition, aber auch Jagd- und Sportwaffen. Bald stellte sich der erhoffte wirtschaftliche Erfolg ein. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwarb Genschow die „Badische Schrot- und Gewehrpfropfenfabrik“ und kurze Zeit später die „Badische Sprengkapsel, Zündhütchen und Munitionsfabrik E. Schreiner“. Im Jahr 1906 endete das eigenständige Dasein dieser beiden Betriebe, als sie unter dem neuen Namen „Badische Munitionsfabrik GmbH“ in der Firma Gustav Genschow & Co. aufgingen. Den Aufstieg der im Jahr 1907 gegründeten Aktiengesellschaft beendete erst die Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg. Es dauerte einige Jahre bis Genschow wirtschaftlich wieder auf die Beine kam. 1924 wurden die „Deutschen Werke AG“ in Berlin-Spandau erworben, wo hochwertige Kleinkalibergewehre gefertigt wurden. Drei Jahre später schloss die Gustav Genschow & Co. AG einen Interessenvertrag mit der „Rheinisch-Westfälischen Sprengstoff AG“ (RWS), dem Vorgänger der Dynamit Nobel AG, ab. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dauerte es mehrere Jahre, bis Genschow wieder mit der Fertigung von Munition beginnen durfte. Das nach Kriegsende vollständig demontierte Werk in Durlach nahm erst im Jahr 1952 wieder seine Produktion auf. Zunächst wurden dort Luftgewehrkugeln und Schrotpatronen, einige Jahre später auch Pistolen-, Revolver- und Gewehrpatronen hergestellt. Nach der Übernahme durch Dynamit Nobel wurde in dem Werk bei Karlsruhe noch bis 1971 Munition gefertigt. Dann erfolgte die Stillegung.
Unterschiedliche Interessen, unterschiedliche Kompetenzen
Das Zündhütle
© Von Zonk43 - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=53160950Zurück zum Jahr 1963. Am 17. April erhielt die „Dynamit-Nobel AG im Werk Genschow-Durlach“ Post aus Bonn. Ein Ministerialbeamter aus dem Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) teilte in einem gewöhnungsbedürftigen Schreibstil mit: „Die der Firma Dynamit-Nobel Genschow GmbH Werk Karlsruhe-Durlach erteilten Genehmigungen nach dem Gesetz sind mit dem Erlöschen dieser Firma gegenstandslos geworden. Ich stelle Ihnen anheim, mir diejenigen der Firma Dynamit-Nobel Genschow GmbH Werk Karlsruhe-Durlach erteilten Genehmigungen, die nicht ausgenutzt worden sind, zu bezeichnen. Ich werde prüfen, welche dieser Genehmigungen für Ihre Firma neu erteilt werden können.“
Für solche Genehmigungen war jedoch nicht nur das BMWi sondern auch das Bundesministerium des Innern (BMI) zuständig. Zumindest zeichnete dieses Ministerium in solchen Fällen regelmäßig mit. Das bedeutete in der praktischen Umsetzung, dass über den Vorgang nicht nur im Wirtschaftsministerium, sondern auch im Innenministerium in verschiedenen Referaten entschieden wurde. Und die beiden großen ministeriellen Mühlen mahlten erfahrungsgemäß gründlich, aber langsam und zudem auch noch unterschiedlich. Dies belegt eindrucksvoll ein Brief des Bundesinnenministeriums an die Dynamit Nobel AG in Karlsruhe-Durlach vom 10. Mai 1963. Darin teilten die Ministerialbeamten aus dem BMI mit, es seien die erteilten Genehmigungen mit dem Erlöschen der Firma ebenfalls erloschen. Falls man beabsichtige, diese Erlaubnis erneut zu beantragen, „stelle ich anheim, diese bei mir zu beantragen. In den Anträgen müßte zusätzlich angegeben werden, welche der erloschenen Genehmigungen sie ersetzen sollen.“ Diesen Brief erhielten die Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium als Kopie. Und die für das Innere zuständigen Beamten setzen unter die Durchschrift den Passus, „Falls der neuen Firma eine Genehmigung zur Herstellung von Gewehrpatronen des Kalibers .30 M 1 ohne Beschränkung auf eine bestimmte Menge erteilt wird, bitte ich um Mitteilung.“
Dass zwischen dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium für Wirtschaft ein gewisses Konkurrenzverhältnis bestand, lässt sich erahnen. Kompetenzgerangel und Doppelbearbeitung der Anträge führten für die Firmen häufig zu langen Wartezeiten. Dynamit Nobel hatte aber zunächst noch keinen Grund zur Klage. Am 18. Juni 1963 erhielt die Firma aus dem Wirtschaftsministerium die Erlaubnis, die Patronen ohne Mengenbeschränkung herzustellen. Die neue Genehmigung behielt ihre Gültigkeit bis zum 31. Dezember 1963. Mitte Januar 1964 bat Genschow erneut, Patronen für das US-Gewehr fertigen zu dürfen. Zehn Tage später kam aus dem Wirtschaftministerium grünes Licht für die Produktion, aber mit einer Einschränkung: Als Höchstgrenze wurden drei Millionen Patronen .30 M1 festgeschrieben. Über diese unerwartete Mengenbeschränkung waren die Munitionshersteller wohl nicht erfreut und fragten daher beim BMI nach, wieso ihnen diese Kautel auferlegt worden war. Das BMI informierte sich bei den für die Wirtschaft zuständigen Kollegen. Die Antwort lässt die Interessenunterschiede zwischen den Ministerien erahnen: „Bei der Festsetzung dieser Menge hat der BMWi den Bedarf des BGS, der Polizeien der Länder und des Strafvollzugs berücksichtigt; vom BMI dürfen der o. a. Firma daher keine Genehmigungen zur Herstellung von Patronen des Kalibers .30 M 1 erteilt werden. Von einer Genehmigung zur Herstellung von Patronen ohne Beschränkung auf eine bestimmte Menge hat der BMWi auf Veranlassung des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft in diesem Jahre abgesehen. Falls die Menge von 3 Mio. Patronen nicht ausreicht, wird der BMWi der o. a. Firma zu gegebener Zeit eine Genehmigung zur Herstellung einer weiteren bestimmten Anzahl von Patronen erteilen.“ Die Bundeswehr erwähnte das Wirtschaftsministerium in diesem Brief nicht. Und das zu Recht. Die rund 34.000 M1 Karabiner, die dort in den Gründerjahren in Diensten gestanden hatten, waren bereits sehr bald Zug um Zug durch das in Belgien von der Fabrique Nationale gefertigte G 1 und dann ab 1959 durch das von Heckler & Koch produzierte G 3 ersetzt worden. Beide Gewehre waren für Patronen im NATO-Kaliber 7,62 x 51 mm eingerichtet.
Mit dieser Genehmigung war das bürokratische Marathon noch nicht beendet; denn die Ministerien segneten jede Munitionslieferung einzeln ab – oder versagten ihre Zustimmung. Zwar ist eine vollständige Rekonstruktion der Geschäftspartner nicht möglich, aber immerhin erfahren wir aus den Akten, dass aufgrund der am 7. August 1963 vom BMI erteilten Genehmigung 800 Patronen für das M 1 an das Polizeiamt in Neu-Isenburg geliefert wurden. 50.000 Stück gingen am 30. August an die Wirtschaftsverwaltung der Hessischen Polizei in Wiesbaden-Kastel, ein halbes Jahr später kam ein weiterer Transport mit 40.000 Patronen in der hessischen Landeshauptstadt an. 1000 Schuss schickte Dynamit Nobel an das Polizeipräsidium im hessischen Darmstadt.
Auch Strafanstalten wurden beliefert. Am 30. August 1963 bekam die Haftanstalt im niedersächsischen Oldenburg 1400 Patronen. Die Straf- und Sicherungsanstalt in Celle erhielt zwei Chargen. Zunächst 2000 Patronen und im April 1964 weitere 4000.
Im Dezember 1963 sandte man 312.000 Patronen an das Bayerische Beschaffungsamt für Polizeiausrüstung in München. Im Frühjahr 1964 erhielt die gleiche Stelle zunächst 200.000 und dann weitere 66.000 Patronen dieses Kalibers. Der Preis dafür betrug je tausend Stück 210 DM, somit lag der Gesamtwert der Lieferung bei 55.860 Mark.
Bei den vielen Anträgen konnten Fehler, trotz größter Beamtensorgfalt, nicht ausblieben. Am 8. November 1963 sandte Dynamit Nobel eine vom BMI ausgestellte Genehmigung gemäß des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG) nach Bonn zurück. Unter dem Aktenzeichen IV B 4 – 61 362 A 1566/62 hatten die Ministerialbeamten der Lieferung von 160.000 Patronen für den amerikanischen Karabiner .30 M1 nach München zugestimmt. Die Rücksendung erfolgte, weil: „Die Gültigkeit der Genehmigung haben Sie bis zum 31. 1. 1963 angegeben. Da es sich hier offensichtlich um einen Schreibfehler handelt, reichen wir Ihnen die Genehmigung zurück und bitten Sie höflich, die Gültigkeit ändern zu lassen in 31. 1. 1964. Für baldige Rücksendung wären wir Ihnen dankbar.“ Es dauerte keine Woche bis Dynamit Nobel aus Bonn eine Antwort erhielt. Der Transport wurde genehmigt und der Brief endete mit dem Satz: „Das Kanzleiversehen bitte ich zu entschuldigen.“
Andere Firmen kannten sich mit den langen ministeriellen Entscheidungswegen offenbar nicht gut aus. So das Unternehmen Manusaar aus Saarbrücken-Bübingen. 70.000 Patronen des Kalibers 7,62 mm x 51, DM 41 mit Weichkern wollte die saarländische Firma an die niedersächsische Polizei-Beschaffungsstelle liefern. Da sie nach zwei Wochen (sic) noch keine Antwort aus Bonn erhalten hatten, schrieben sie erneut an das BMI und hoben ungeduldig hervor, wir „wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns die Genehmigung nunmehr in den nächsten Tagen zukommen ließen.“ Alles lief für die Saarländer nach Wunsch. Gut eine Woche später lag ihre Genehmigung im Briefkasten.
Kein Transport ohne Genehmigung
Nicht nur für die Munitionsherstellung war eine staatliche Erlaubnis erforderlich. Auch wer bestimmte Waffen transportieren wollte, musste sich ein solches Ansinnen von ganz oben genehmigen lassen. Heckler & Koch beantragte am 29. Mai 1963 beim Bundesministerium des Innern die Erteilung einer Beförderungs- und Überlassungsgenehmigung für drei automatische Gewehre G3. Die Waffen im sollten an das Bayerische Beschaffungsamt für Polizeiausrüstung in der Barbarastraße 4 in München gehen. Die Gewehre sollten, auch das musste in dem Antrag aufgeführt werden, mit der Deutschen Bundesbahn befördert werden. Die Bayern wollten die Waffen bei der deutsch-amerikanischen Polizeiausstellung vom 20. bis 23. Juni 1963 zeigen, anschließend noch bis zum 31. Juli in München behalten und sie dann wieder zurück nach Oberndorf schicken. In einem Briefentwurf erteilte das BMI der Firma Heckler & Koch am 11. Juni die gewünschte Genehmigung. Einen Tag später wurde die Frist bis zum 30. September verlängert. Den Grund dafür können wir aus den erhaltenen Akten nicht erschließen. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Bayern die schwäbischen Waffen einer sorgfältigen Prüfung unterziehen wollten, wofür aber mehr Gewehre erforderlich waren. Heckler & Koch stellte am 5. Juli den Antrag, fünf weitere G3 per Bahn nach München in das Beschaffungsamt für Polizeiausrüstung liefern zu dürfen. Die Polizei-Ausstellung und die anschließende Prüfung der Waffen durch das Beschaffungsamt lohnte sich für Heckler & Koch. Im November 1963 konnte die Firma aus Oberndorf am Neckar 330 G 3 nach München verkaufen. Der Stückpreis lag bei 331 DM, wobei die notorisch sparsamen Schwaben den Bayern noch einen Nachlass von fünf Prozent gewährten. Für die dazugehörigen 990 20-Schuss-Magazine, die pro Stück 7,85 DM kosteten, konnten die Bayern sogar einen Rabatt von zehn Prozent aushandeln und auf den Gesamtpreis bekamen sie, da sie innerhalb von 14 Tagen zahlten, die damals üblichen zwei Prozent Skonto. Der Auftrag besaß somit einen Wert von mehr als 108.000 Mark. Im Februar 1964 lieferte Heckler & Koch zwei weitere G 3 nach München und im April noch drei Gewehre. Die dazugehörige Munition lieferte Dynamit Nobel. Im Frühjahr 1964 kamen 24.000 Patronen von dem Dynamit Nobel Werk in Stadeln nach München. Der Preis, den die Bayern dafür zahlen mussten, lag bei 308,30 DM pro tausend Stück.
Für den Frankfurter Polizeipräsidenten lieferte Dynamit Nobel-Genschow im März 1964 4.500 Gewehrpatronen im Kaliber 7,62 x 51 mm. In Hessen waren aber auch noch alte Wehrmacht-Karabiner K 98k im Gebrauch: Vier Tage zuvor hatte die Firma beim BMI den Antrag auf Erteilung einer Transportgenehmigung für 500 Patronen der Karabiner-Munition 7,92 mm sS gestellt. Das Kürzel „sS“ steht für das schwere Spitzgeschoss, das seit dem Jahr 1933 gefertigt wurde.
Mitunter drückten die Herren im Ministerium ein Auge zu. Die Firma Deckert aus Detmold hatte im Mai 1963 die Genehmigung zur Überlassung und Beförderung von NC (Nitro Cellulose)-Pulver des Typs Norma R-1 beantragt. Das Pulver, das in Kanistern mit jeweils 225 Gramm aus Schweden geliefert wurde, sollte an Jäger und Sportschützen verkauft werden, „zum Wiederladen abgeschossener Patronen“. Der zuständige Ministerialbeamte, Dr. Lenz aus dem Wirtschaftsministerium, schrieb an seine Kollegen im Innenministerium: „Die Anträge der Firma Deckert sind zwar nicht sehr formgerecht, da mir aber die Zusammenhänge für die einzelnen Lieferungen bekannt sind, genügen die Angaben für die Erteilung der Genehmigungen.“ Die Kollegen im BMI sahen das zwar ähnlich, konnten jedoch nicht allein eine Entscheidung fällen. Eine Genehmigung gaben sie nur für die Lieferung von zehn Kanistern des Nitrocellulose Pulvers an den Polizeipräsidenten in Aachen. Der zweite Adressat, der von der Firma Deckert das NC-Pulver erhalten sollte, war der Polizeiobermeister Adolf Pascher in Gelsenkirchen. Er hatte Bedarf für stattliche neun Kilogramm angemeldet. Es sollte in der Sportschützenabteilung der Ortsgruppe Gelsenkirchen der Gewerkschaft der Polizei verwendet werden. Das BMI beschloss, über diesen Antrag solle zuständigkeitshalber das Bundesministerium für Wirtschaft entscheiden. Herrn Deckert ging das alles viel zu langsam. Am 3. Juli schrieb er dem „Herrn Bundesminister des Innern 53 Bonn“ eine Postkarte: „Um die am 24. 5. 63 für Herrn Pascher und am 28. 5. 63 für den Herrn Polizeipräsidenten, Aachen erbetenen Pulver-Lieferungsgenehmigungen bin ich in sehr großer Verlegenheit. Bitte erledigen Sie diese Angelegenheit nunmehr umgehend. Ich hoffe, keine Fehlbitte getan zu haben.“ Die Archivalien geben keine Antwort auf die Frage, ob Polizeiobermeister Pascher das Pulver für die GdP erhielt.
Waffen aus dem Ausland
Dynamit Nobel aus Köln-Niehl erhielt Anfang August 1963 die Genehmigung zur Lieferung von zehn Beretta Maschinenpistolen an das Wirtschaftsverwaltungsamt der Hessischen Polizei in Wiesbaden. Die Waffen kosteten inklusive des Zubehörs – Trageriemen, 50 Magazine für jeweils 40 Patronen und zehn Tragegestelle mit je zwei ledernen Magazintragetaschen – 3253 DM. Ebenfalls im August 1963 wurde der Firma Dynamit Nobel die Erlaubnis erteilt, zehn Beretta MPis an das Landeswaffen- und Gerätelager der nordrhein-westfälischen Polizei in Düsseldorf zu liefern.
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Gerade die Beschaffung von Waffen aus dem Ausland lief nicht immer unproblematisch. Das baden-württembergische Innenministerium hatte bei der spanischen Firma Plasticas Oramil 1400 Handgranaten des Modells POMI bestellt. Die Granaten sollten komplett mit Schürze, einer neu konstruierten Aluminium-Sprengkapsel und einem vorwählbaren Aufschlag- und Verzögerungszünder geliefert werden. Sie waren bestimmt für die staatliche und kommunale Polizei in Baden-Württemberg. Die Lieferfirma teilte den Stuttgartern nach Auftragserteilung mit, die Ausfuhr der Handgranaten könne nur genehmigt werden, „wenn eine Verbraucher-Endbescheinigung des Herrn Bundesministers des Innern vorliegt, die mit einem Vermerk der spanischen Botschaft versehen ist.“ Daher schrieben die Stuttgarter im Oktober 1962 an das BMI und baten, das Notwendige in die Wege zu leiten. Die Bitte bereitete in Bonn Kopfzerbrechen. Dort lag zu dem Zeitpunkt eine andere Bescheinigung auf dem Schreibtisch. Man bestätigte darin, dass insgesamt 77.500 Handgranaten aus dem Werk der Firma Plasticas Oramil im baskischen San Sebastian für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt seien, die im Inland verbleiben sollten. Waren darin bereits die für Stuttgart bestimmten Handgranaten enthalten, und damit weitere ministerielle Bemühungen überflüssig? Auf jeden Fall versäumten es die Bonner, ihre Kollegen in Stuttgart zu informieren. Am 8. Januar 1963 schrieb daher das baden-württembergische Innenministerium erneut an das BMI. Unter dem Betreff: „Lieferung von POMI Handgranaten; hier: Verbraucher-Endbescheinigung“ teilten sie mit: die „erbetene Verbraucher-Endbescheinigung erübrigt sich, da der Auftrag zur Lieferung dieser Handgranaten zurückgenommen wurde.“ Das konnte natürlich nicht im Interesse der Spanier sein. Und auch nicht im Interesse des BMI und der Bundesregierung, die nach wie vor auf Waffenlieferungen aus dem südeuropäischen Land angewiesen waren. Man sann auf Abhilfe. Mitte Januar 1963 schrieb das BMI an das Auswärtige Amt, legte die Richtlinien für die Beschaffung von Waffen aus dem Ausland vor und betonte besonders: „An einer Vereinfachung der Endverbrauchererklärung für Lieferungen von Kriegswaffen aus Spanien dürfte auch die Bundeswehr und der Zollgrenzdienst interessiert sein.“ Ob danach die Lieferungen aus dem Ausland rascher erfolgten, wissen wir nicht.
Lange Entscheidungsfindung und Tücken des Gesetzes
Es finden sich in den Akten aber weitere Belege dafür, dass die Entscheidungsfindungsprozesse in den Ministerien mit der Schnelligkeit, die die deutschen Firmen an den Tag legten, nicht immer mithalten konnten. Dynamit Nobel Genschow bat am 15. Oktober 63 das BMI um eine kurzfristige Zusendung einer Genehmigung zur Beförderung eines Polizeikarabiners, Modell 52. Das Gewehr sollte von Düsseldorf bis Köln mit einem firmeneigenen Pkw und von dort bis Münnerstadt mit der Eisenbahn transportiert werden. Dort sollte es der Firma Heym als Muster für die Anfertigung von Holzschäften für die Karabiner der nordrhein-westfälischen Polizei dienen. Die Zeit verging. Am Heiligen Abend des Jahres 1963 bat die Firma Heym das BMWi, die Genehmigung zur Beförderung des Karabiners innerhalb des Bundesgebietes zu erteilen. Auch Dynamit Nobel schrieb am 8. Januar 64 noch einmal an das BMI und wiederholte die Bitte auf Erteilung einer Transportgenehmigung. Endlich, am 18. Januar, wurde diese erteilt. Die Beamten vergaßen nicht, ihre Genehmigung zu befristen: Bis zum 28. Februar 1964 hatte die Lieferung zu erfolgen.
Auch wer Beschusspatronen transportieren wollte, benötigte dazu eine behördliche Genehmigung. Das sind Patronen, die deutlich stärker geladen sind, um so bei einem für jede Waffe obligatorischen Beschussversuch deren Sicherheit zu testen. Dynamit Nobel bat das BMI am 22. Januar 1964, 660 Beschusspatronen Kal. 7,62 x 51 NATO DM 19, Überdruck AM 29 an das Bayerische Beschaffungsamt für Polizeiausrüstung in München liefern zu dürfen. Am 12. Februar wurde die Genehmigung erteilt.
Recht kompliziert konnte es auch sein, wenn bereits gelieferte Waffen noch einmal an den Hersteller zurückgesandt werden mussten. Das Bayerische Beschaffungsamt in München hatte im Februar 1964 vier Walther Maschinenpistolen „Modell L“ erhalten. Am 27. Februar baten die Münchener, die Waffen mit den Seriennummern 5057, 5058, 5061 und 5067 in Waffen mit einer Einzelfeuer-Einrichtung umzutauschen. Zudem wollten sie nicht die längere Variante – „Modell L“ –, sondern das etwas kürzere „Modell k“ erwerben. Da die Bayern nicht so recht wussten, was sie wollten, kam im BMI ein Formfehler ans Tageslicht. Den Beamten in Bonn fiel auf, dass für die Lieferung der vier Walther-MPi die nach dem Kriegswaffen-Kontrollgesetz erforderliche Genehmigung nicht vorgelegen hatte: „Hierdurch haben sowohl das Bayerische Beschaffungsamt für Polizeiausrüstung als auch die Firma Carl Walther gegen die Strafvorschrift des § 16 a.a.O. (KWKG) verstoßen. Eine nachträgliche Genehmigung beseitigt nicht die Strafbarkeit von Handlungen im Sinne des § 16 oder die Ordnungswidrigkeit wegen eines Verstoßes gegen § 18 KWKG.“ Und das Bundesministerium fuhr in seinem Brief an das Bayerische Staatsministerium des Innern fort, die Folterwerkzeuge zu zeigen. Nach § 163 der Strafprozessordnung müssten die Behörden und Beamten des Polizeidienstes strafbare Handlungen verfolgen. Das Ergebnis der Ermittlungen müsse sodann der Staatsanwaltschaft zugeleitet werden. Jedoch könne diese von der Erhebung einer öffentlichen Klage absehen. Anders liege jedoch der Fall für die Genehmigungs- und Überwachungsbehörden des KWKG. Für sie bestehe keine allgemeine Rechtspflicht, ein Vergehen nach § 16 KWKG den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen. Allerdings seien sie aufgrund des Opportunitätsprinzips gehalten, „nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie über die ihnen bekannt gewordenen strafbaren Handlungen der Strafverfolgungsbehörde Mitteilung machen.“ Dann kam der Passus, der die Bayern in München und Ulm aufatmen lassen konnte: „Als Genehmigungsbehörde unterliege ich dem Opportunitätsprinzip. Da hier offenbar ein Missbrauch von Kriegswaffen nicht vorliegt und auch nicht beabsichtigt war, sehe ich von einer Mitteilung an die Strafverfolgungsbehörde ab, bitte aber, das Bayerische Beschaffungsamt für Polizeiausrüstung anzuweisen, künftig die Vorschriften des KWKG zu beachten.“ Am 12. Mai genehmigte das BMI nachträglich den Erwerb der vier Maschinenpistolen durch das Bayerische Beschaffungsamt für Polizeiausrüstung.
Quelle:
1 Dieses, und die folgenden Zitate stammen aus Archivalien des Bundesarchivs Koblenz, Bestand B 106/36902.