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Russische Desinformationskampagnen in Deutschland
Gegenmaßnahmen der Bundesregierung und Behörden – Kritik und Vorschläge
Von Prof. Dr. Stefan Goertz, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei
Russische Desinformationskampagnen gegen Deutschland und andere europäische Staaten sind kein neues Phänomen, haben allerdings seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine neue Qualität und Quantität angenommen.
Einführend werden die Gegenmaßnahmen der Bundesregierung und der Behörden dargestellt, diese beurteilt und kritisiert und abschließend dann neue Maßnahmen, Akteure und Mittel vorgeschlagen.
Gegenmaßnahmen der Bundesregierung und Behörden
Als für die Bekämpfung russischer Desinformationskampagnen zuständige Organe beschreibt die Bundesregierung das Auswärtige Amt (AA), das Bundespresseamt (BPA) sowie das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) und seine nachgeordneten Behörden (vor allem das Bundesamt für Verfassungsschutz), die das Internet hinsichtlich dort kursierender falscher oder irreführender Informationen beobachten.1 Die Bundesregierung betreibe nach eigenen Angaben eine „proaktive faktenbasierte und zielgruppengerechte Kommunikation zur aktuellen Lage und zu den ergriffenen Maßnahmen“. Neben „angemessenen reaktiven Maßnahmen, wie der Richtigstellung von Falschinformationen“, stünden „Prävention und der Aufbau von gesamtstaatlicher und gesellschaftlicher Resilienz“ im Fokus.2 Hierzu führte die Bundesministerin des Innern und für Heimat, Nancy Faeser, im Mai 2022, in der ersten Hochphase russischer Desinformationskampagnen gegen Deutschland seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, aus: „Der Kampf gegen Desinformation ist eine zentrale Herausforderung zum Schutz unserer Verfassung – deshalb dürfen wir diesen Schutz nicht nur als behördliche Aufgabe des BfV verstehen. Verfassungsschutz ist eine umfassende Aufgabe von Staat und Gesellschaft“.3 Bundesministerin Nancy Faeser bewertete es als Erfolg, dass die EU wenige Tage nach Beginn des Krieges Sanktionen gegen die russischen Medien Russia Today und Sputnik verhängte und damit die Reichweite russischer staatsnaher Medien eingeschränkt habe. Hierbei räumt Faeser jedoch ein, dass seit den EU-Sanktionen gegen diese staatsnahen russischen Medien pro-russische Desinformation und Propaganda verstärkt über Accounts in den sozialen Medien verbreitet werde. Außerdem werde versucht, „die Nutzerinnen und Nutzer auf alternative Plattformen wie zum Beispiel Telegram umzuleiten“.4 Von Telegram aus kann die russische Propaganda leicht von anderen Akteuren, Gruppen und Einzelpersonen verbreitet werden.
Abschließend betonte Bundesinnenministerin Faeser, dass „der Kampf gegen Desinformation eine zentrale Herausforderung zum Schutz unserer Verfassung“ sei und dieser Schutz „nicht nur als behördliche Aufgabe des Bundesamtes“ verstanden werden dürfe, da Desinformation „vor allem in den Bereichen unserer Gesellschaft auf fruchtbaren Boden“ falle, „wo Ressentiments und Verschwörungsmythen ohnehin weit verbreitet“ seien.5
Wirksamkeit der Gegenmaßnahmen, die aktuelle Bedrohungslage, Kritik an den Gegenmaßnahmen
Nach Angaben von Eleonora Heinze und Manuel Steudle stehe Deutschland russischen Desinformationskampagnen „relativ unvorbereitet gegenüber“. Eines der Probleme seien die „fehlende Ausbildung staatlicher Institutionen“ sowie die „mangelhafte öffentliche Kommunikation von Seiten der Politik“, obwohl „Politik und Sicherheitsbehörden nach Expertenmeinung genau wissen, wer hinter diesen Desinformationskampagnen steckt“.6 Hier verweisen Heinze und Steudle auf die Positivbeispiele Tschechien und Estland, die sich mit einem „Zusammenspiel aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Mitteln in erprobter Weise erfolgreich gegen russische Desinformationskampagnen behaupten“.7
Eine Datenauswertung des WDR, des NDR und der Süddeutschen Zeitung zeigte bereits im April 2022, dass Facebook nicht gegen die russischen Desinformationskampagnen in Deutschland ankommt. Eine Vielzahl von Fake News, beispielsweise über die Massaker und Gräueltaten russischer Soldaten an Ukrainnerinen und Ukrainern von Butscha, verbreiteten sich im April 2022 auf Facebook rasant. Videos mit Fake News russischer Desinformationskampagnen wurden in Deutschland tausende Male angeschaut. Die Auswertung einer Stichprobe von Facebook-Seiten durch den WDR, den NDR und die Süddeutsche Zeitung zeigte, „Postings und Seiten, die die Gräueltaten in Zweifel ziehen, verzeichnen hohe Wachstumsraten und Views – ohne gelöscht oder als falsch markiert zu werden“.8 Die Massaker und Gräueltaten von Butscha wurden in jenen russischen Fake News-Videos mit „das inszenierte Blutbad von Butscha“ oder „die Lüge von Butscha“ betitelt. Genannt werden vermeintliche „Beweise“, wie es sei „kein Blut an ukrainischen Autos“ gefunden worden, die Körper der zum Teil gefesselten Menschen hätten „keine Leichenstarre“ aufgewiesen, oder es seien „gar keine Leichen gefunden worden“, behaupten andere.9 Zur Facebookseite der russischen Botschaft in Deutschland, die seit dem Beginn des Krieges unbehelligt Desinformation, Propaganda und Fake News in Deutschland verbreiten kann, kamen zahlreiche kleine Accounts aus dem verschwörungsideologischen Millieu, beispielsweise die Facebookseite „Anonline“. Diese wurde unmittelbar nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegründet, nach vier Wochen und 250 Pro-System-Putin-Posts folgten ihr in Deutschland im April 2022 über zehntausend Menschen. Insgesamt, so zeigt es die Analyse des WDR, des NDR und der Süddeutschen Zeitung, wurden von „Anonline“ gepostete Videos mehr als zwei Millionen Mal gesehen. Facebookseiten wie diese gibt es viele und ihre Followerzahlen verzehnfachten sich teilweise innerhalb einer Woche nach dem Beginn des Angriffskrieges.10 Hier scheinen die zuständigen deutschen Ministerien und Behörden noch keine wirksamen Gegenmittel gefunden zu haben.
Das Bundesinnenministerium zeigte sich Ende August 2022 beunruhigt über gefälschte und täuschend echt aussehende Medien-Websites mit pro-russischen Desinformationen rund um den Ukraine-Krieg. So teilte ein Sprecher des Bundesministeriums des Innern und für Heimat mit: „Wir haben mit Sorge zur Kenntnis genommen, dass über Fake-Accounts in bestimmten sozialen Medien täuschend echt aussehende, allerdings gefälschte Webauftritte von etablierten Nachrichtenseiten verlinkt werden. Dort werden demnach erfundene Nachrichten und gefälschte Videos – Teil der russischen Desinformationskampagnen – verbreitet. „Diese verfolgen das Ziel, Vertrauen in Politik, Gesellschaft und staatliche Institutionen zu untergraben“, erklärte der Sprecher des Bundesinnenministeriums.11
Unter anderem wurden Seiten der großen und auflagenstärksten Tageszeitung „Bild“ und des auflagenstarken Wochenmagazins „Spiegel“ nachgebaut. Dazu erklärte die „Spiegel“-Verlagsgruppe: „Leider werden unsere Marken immer wieder für vergleichbare Aktionen missbraucht. Wir prüfen regelmäßig rechtliche und technische Möglichkeiten und gehen im Einzelfall auch gegen diese Art Missbrauch vor.“12
Die am 27. Februar zerstörte russische Militärausrüstung.
© Von Ukrinform TV / Ukrainian Armed Forces - File:Буча. Бій на Вокзальній та розстріли.webm (brightness-corrected and sharpened frame), CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=117816613
Das ZDF sprach Ende August 2022 von der größten Desinformations-Kampagne in Deutschland bisher: Nachgemachte Medienseiten als Teil einer großflächig angelegten russischen Desinformationskampagne verbreiten, mutmaßlich vom System Putin orchestriert, Propaganda, hunderte Fake-Accounts teilen sie massenhaft in Sozialen Medien. Die Versuche, die öffentliche Meinung in Deutschland mit pro-russischer Propaganda zu beeinflussen, haben nach Angaben des ZDF eine zuvor nicht gekannte Dimension erreicht. Bei dieser neuen, großflächig angelegten Desinformations-Kampagne Russlands wurden massenweise Webseiten großer Medienmarken wie Bild, Welt, t-online und Spiegel täuschend echt nachgebaut, um genau solche Fake News und Fake-Videos in die Welt zu setzen. Ein Heer von extra angelegten Fake-Accounts verbreitet in einem zweiten Schritt diese Falschnachrichten in den Sozialen Medien. Der Tenor der meisten Videos und Meldungen lautet: Die Sanktionen Deutschlands und der EU gegen Russland müssten sofort aufhören, sonst werde Deutschland verarmen, es drohe Hunger, Menschen könnten im Winter erfrieren, die Wirtschaft kollabieren. Das strategische Ziel dieser russischen Desinformationskampagne besteht darin, die Bevölkerung verunsichern, Stimmung zu machen gegen die EU-Sanktionen und gegen deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine.13
Obwohl einige dieser Fake Seiten gelöscht werden konnten sind zahlreiche diese Fake Videos weiterhin in Sozialen Medien im Umlauf und ihre Urheber sorgen für immer neuen Nachschub. Ein Heer von vermutlich hunderten Fake-Profilen bei Facebook und Twitter verbreiten die Inhalte tausendfach, diese werden hunderttausendfach konsumiert. Fake-Profile teilen die Propaganda-Videos und -Artikel teilweise in ihren eigenen Timelines, posten sie aber auch als Kommentare unter Facebook-Beiträge und Tweets anderer Institutionen, um ihre Reichweite noch zu erhöhen und sie in die Nähe von seriösen Medien und Institutionen zu bringen. So vor allem bei Medien wie der Deutschen Welle (die mit englischsprachigen Artikeln eine europa- und weltweite Reichweite hat), dem Tagesspiegel oder dem Bayerischen Rundfunk), bei großen Marken (Mercedes, XXXLutz), auch auf den Facebook-Seiten der US-Botschaft, der Berliner Charité oder der AfD Berlin fanden sich Propaganda-Kommentare mit den entsprechenden Links zu den Propaganda-Inhalten. Klein wies Ende August 2022 auf ZDF darauf hin, dass aktuell Seiten bei Facebook diese Fake News nicht nur verbreiten, sondern dafür sogar noch Werbung bei Facebook schalten, wodurch sich die Desinformation noch schneller verbreitet und Facebook sogar Geld damit verdient.14
Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, wodurch er einen sehr umfassenden und profunden Informationsstand hat was Informationen der deutschen Nachrichtendienste zu den russischen Desinformationskampagnen angeht, sagte Ende August 2022, die Dimension von Desinformationskampagnen zur intransparenten Manipulation demokratischer Diskurse habe ein „besorgniserregendes Ausmaß“ angenommen. Neben Sicherheitsbehörden und Plattformbetreibern sei auch die Politik gefragt, so von Notz: „Wir brauchen neue und bessere Strukturen zur Erkennung und Abwehr dieser hybriden Bedrohungen“.15 Dies entspricht der oben geäußerten Kritik an den bisherigen Maßnahmen der zuständigen deutschen Ministerien und ihrer Behörden gegen die russischen Desinformationskampagnen.
Als Zwischenfazit bleibt festzustellen, dass mit dem Stand des Spätsommers 2022 die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung und ihrer Behörden gegen die russischen Desinformationskampagnen in Deutschland – oben dargestellt – nicht ausreichen und dass es nach Angaben des stellv. Vorsitzenden der Grünen im Bundestag und Vorsitzenden des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Konstantin von Notz neuer „neuer und besserer Strukturen zur Erkennung und Abwehr dieser hybriden Bedrohungen“16 bedürfe.
Vorschläge – Neue Gegenmaßnahmen, Akteure und Mittel
Daher sollten umgehend folgende Maßnahmen von der Bundesregierung, den zuständigen Ministerien und deren Behörden getroffen werden:
Ein staatliches Zentrum bzw. ein Beauftragter für die Analyse von Desinformationskampagnen und Fake News sowie das Veröffentlichen von Counter-Narratives sollte umgehend beauftragt werden, als Bindeglied zwischen den Medien, den Sozialen Medien und den Behörden.
Die Forschung zum Themenbereich Desinformationskampagnen, Fake News, Narrative, Strategien und Akteure sowie Counter-Narratives muss dringend und schnellstmöglich intensiviert werden und dafür benötigt es eine bundesweite Strategie und Konzeption. Die beteiligten Ressorts, beispielsweise das Innenministerium und das Verteidigungsministerium verfügen über eigene Hochschulen und Universitäten. Dort sollten umgehend Forschungsprofessuren geschaffen werden, die so schnell wie möglich umfassende Forschungsprojekte zu den umfangreichen Aspekten dieses Themas initiieren. Um diese Forschung wirksam zu koordinieren wäre hier das oben erwähnte staatliche Zentrum bzw. ein Beauftragter für die Analyse von Desinformationskampagnen und Fake News sowie das Veröffentlichen von Counter-Narratives von größter Bedeutung.
Die Abwehr von Desinformationskampagnen und Fake News muss erkennen, dass es sich hier um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handelt, bei dem unbedingt und schnellstmöglich eine staatliche Stelle eingerichtet werden muss, die bundesweit koordiniert, wie die Medienkompetenz von Schülern gestärkt werden kann. Resilienz gegen Desinformationskampagnen benötigt eine starke Medienkompetenz. Diese muss sofort, umfassend, koordiniert in den Schulen initiiert werden, von Experten vermittelt, mit einem ausführlichen Stundenansatz. Hiermit ist nicht gemeint, dass Gemeinschaftskunde/Politik/Deutsch/Informatiklehrer „mal im Unterricht darüber sprechen“. Dies muss sehr umfassend von Experten auf verschiedenen Ebenen durchgeführt werden (Politikwissenschaftler, Extremismusforscher, Medienwissenschaftler; Präventionsangebote müssen gründlich geschult sowie praktische Trainings durchlaufen werden, auch die psychologische Ebene muss inkludiert werden).
Medienkompetenz muss ein großer zukünftiger Schwerpunkt an den Schulen darstellen und danach im Rahmen von politischer Bildung durch Angebote zu lebenslangem Lernen, für alle Altersgruppen, ergänzt werden. Es geht hier um lebenslange Resilienz gegen Desinformationskampagnen, Fake News und Propaganda, um das Stärken bzw. Aufbauen einer demokratischen Resilienz. Dies muss in einem whole-of-society approach angegangen werden.
Eine europaweite Vernetzung des oben vorgeschlagenen staatliches Zentrum bzw. eines Beauftragter für die Analyse von Desinformationskampagnen und Fake News sowie das Veröffentlichen von Counter-Narratives sowohl mit der EU selbst als auch mit den einzelnen EU-Staaten müsste sofort initiiert werden, da es gerade im Bereich nordeuropäischer Länder wie Finnland und osteuropäischer Länder wie Tschechien und Polen best practice und lessons learned-Erkenntnisse gibt, weil diese Staaten schon seit vielen Jahren russischen Desinformationskampagnen ausgesetzt sind.
Warning FAKE NEWS
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Fazit
Oben wurde die Kritik an den bestehenden Gegenmaßnahmen der Ministerien und ihren Behörden gegen die russischen Desinformationskampagnen dargelegt. Sofort eingerichtet werden sollte ein staatliches Zentrum bzw. ein Beauftragter für die Analyse von Desinformationskampagnen und Fake News sowie das Veröffentlichen von Counter-Narratives. Unsere Demokratie benötigt starke Abwehrkräfte gegen Desinformationskampagnen, Fake News, Propaganda und diese Abwehrkräfte müssen in uns gestärkt werden, beginnend mit einer umfassenden Stärkung der Medienkompetenz unserer Schülerinnen und Schüler an den Schulen. Maßnahmen hierfür wurden oben vorgeschlagen.
-Dieser Beitrag stellt die persönliche Auffassung des Autors dar.-
Quellen: