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Key Risk und Key Performance Indicators im Corporate Security Management

In fünf Schritten zu aussagekräftigen Leistungsindikatoren

Von Dipl. Pol. Lars D. Preußer, CPP®, CCTP®, Geschäftsführender Gesellschafter der Laurentium GmbH, Berlin

Warum trifft man immer noch so viele Unternehmensvorstände und Abteilungsleiter, die nicht sagen können, was „die da in der Unternehmenssicherheit“ eigentlich machen? Schlimmstenfalls bleibt die Wahrnehmung der Corporate Security sogar auf installierte Kameras und den (externen) Wachschutz beschränkt. Und dies, obwohl die fachlichen Ansprüche, Aufgaben und von einer Unternehmenssicherheit zu managenden operativen Risiken in den vergangenen Jahrzehnten stetig zugenommen haben.

Die Gründe hierfür können selbstverständlich vielfältig sein. Übertragen wir eine solche Unkenntnis des geleisteten Wertbeitrags der Corporate Security zum Geschäftserfolg beispielhaft auf einen Konsumartikel, so wäre wohl unsere erste Reaktion, die Verantwortung für dieses Defizit dem Produzenten des Artikels selbst zuzuschreiben. Als Ursachen für den geringen Bekanntheitsgrad und die geringe Wertschätzung seines Produkts würde man, ein gutes Produkt vorausgesetzt, sehr wahrscheinlich eine mangelhafte Kommunikation, unzureichend dargestellte Preis- und Produktvorteile oder nicht zielgruppenbezogene Werbung vermuten.

Wenden wir uns wieder der Unternehmenssicherheit zu, so sind es ebendiese Unterlassungen, die es den Leitern der Corporate Security oft erschweren, sich im Vergleich und im Wettbewerb mit anderen Abteilungsleitern bei Vorstand und Geschäftsführung auf Augenhöhe zu präsentieren. Der schwierigen Nutzendarstellung der Corporate Security wird dann zu oft ausgewichen. Statt an den eigenen analytischen und kommunikativen Herausforderungen zu arbeiten, versucht die Security diese streckenweise mit dem Aufbau guter persönlicher Beziehungen in die Unternehmensleitung zu kompensieren oder hofft nach einem sicherheitsrelevanten Ereignisfall auf Ad-hoc-Budgets und Handlungsmandate. Personelle Veränderungen in Vorstand oder Geschäftsführung können dann jedoch schnell zum russischen Roulette für die Bedeutung der Unternehmenssicherheit und eine nachlassende Management Attention zum Risiko für die langfristige Umsetzung von Maßnahmen und Ressourcen werden.

Wie also zu den anderen Abteilungsleitern aufschließen, vom Taktischen in das Strategische kommen und sich langfristig die Wahrnehmung und Wertschätzung der C-Suite sichern? Der Schritt gelingt, wie bei allen angestrebten Veränderungen auch, zunächst ganz trivial mit einer schonungslosen und systematischen Bestandsaufnahme der eigenen Tätigkeit.

Soul Searching im Security Management

Um eine solche Inventur auf den Weg zu bringen, ist es zielführend, aus der Routine des täglichen Security Managements auszubrechen, sich Zeit für Grundsätzliches zu nehmen und einmal alles infrage zu stellen. Auch die Infragestellung der eigenen Daseinsberechtigung im Unternehmen sollte im Rahmen einer solchen Bestandsaufnahme kein Tabu sein. Konkret kann dies beispielsweise auch bedeuten, zu hinterfragen, ob es für das Unternehmen nicht vielleicht kosteneffizienter wäre, vereinzelte Schutzmaßnahmen auslaufen zu lassen und Sicherheitsrisiken stattdessen pauschal über Versicherungspolicen abzudecken.

Der ein oder andere Sicherheitsmanager wird feststellen, dass das eigene Portfolio von angreifbaren Argumenten getragen wird und es an mit Zahlen belegten Wirksamkeits- und Effizienznachweisen fehlt. Aber Argumente wie „haben wir schon immer so gemacht“ (eloquent: Kontinuität), „machen die anderen auch so“ (eloquent: Benchmarking) oder „ist so Standard“ (eloquent: Compliance) tragen nur bis zu dem Punkt, ab welchem diese, ggf. im Rahmen einer Budgetkürzungsrunde, kritisch hinterfragt werden.

Die Neuorientierung hin zu einer zahlenbasierten Kosten- und Leistungstransparenz im Security Management bedarf im Rahmen der eigenen Bestandsaufnahme zunächst einer soliden empirisch-statistischen Datenbasis über Risiken und einer analytischen Auseinandersetzung mit den ursprünglichen Begründungen bzw. Zielsetzungen für die verantworteten präventiven und reaktiven Schutzmaßnahmen.

Schritt 1: Datenbasis / Key Risk Indicators

Idealerweise kann man als Security Manager auf vorangegangene Risikoanalysen, Ermittlungsergebnisse, Auditberichte oder Ursachenanalysen (Root-Cause Analysis) zurückgreifen, in denen sich belastbare Kennzahlen zu Risiken und Schadensereignissen finden. Manchmal muss man als Verantwortlicher für die Unternehmenssicherheit jedoch feststellen, dass die eigenen Vorgänger nicht so sauber gearbeitet haben, wie man es sich gewünscht hätte, und die Begründung für so manches Schutz- oder Präventionsprojekt auf tönernen Füßen steht.

Unabhängig davon, ob es um Budget und Akzeptanz für eine neu aufzusetzende Sicherheitsmaßnahme oder um kritisches Hinterfragen existierender Schutzkonzepte geht, kann nur eine solide Datenbasis mit Spätindikatoren1 über die erwarteten Risiken und/oder das erlittene Schadensausmaß Abhilfe schaffen. In der Erhebung dieser statistischen Datenbasis spielen die Prozesse des Risk Monitoring und Incident Reporting die entscheidende Rolle. Sie liefern unsere Key Risk Indicators (KRI). Über diese Kennzahlen lässt sich die Kriminalitätsbelastung im Unternehmen statistisch (quantitativ und qualitativ) erfassen sowie konkret beschreiben, analysieren und bewerten. Die Fähigkeit der Unternehmenssicherheit, Risiken in ihrem geschätzten Schadensausmaß und ihrer Wahrscheinlichkeit darzustellen und tatsächliche Schadensereignisse in ihren direkten und indirekten Schadenswirkungen, Grundursachen, Täterstrukturen und Trends als harte Fakten in den Diskurs einzubringen, ist das Fundament des Corporate Security Controllings.

Bevor wir also unsere „Performance“ bzw. die unserer Maßnahmen (ver)messen können, müssen wir wissen, wogegen sich unsere Maßnahmen eigentlich richten sollen (oder sollten). Beispielhaft erfasst das globale Incident Reporting/Monitoring einer Sicherheitsabteilung Schadensfälle, die auf eine unterlassene Hintergrundüberprüfung von Geschäftspartnern und Personalzugängen zurückgehen. Zeigt sich in der Analyse der erfassten Schadensereignisse, dass dem Unternehmen innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten durch kriminelle Geschäftspartner und die Einstellung unseriöser Bewerbungskandidaten in insgesamt 60 Einzelfällen ein Schaden von rund 3 Millionen Euro entstanden ist, so ist dies die Datenbasis, sind dies die Key Risk Indicators, die wir als argumentatives Fundament und Ausgangspunkt für unsere Performance-Messung benötigen und suchen. Durch das Incident Reporting gemeldet (push) oder mittels Audits und Fallanalysen eingeholt (pull), müssen über den zweifelsfreien Nachweis des eindeutigen kausalen Zusammenhangs zwischen Schadensereignissen und unterlassener Hintergrundüberprüfung hinaus für das vorgenannte Beispiel folgende Kennzahlen vorliegen:

  • Anzahl der Schadensereignisse
  • Höhe der jeweiligen Schadenssummen (Primär- und Folgeschäden)

Schritt 2: Kontextualisierung

Können wir unsere Schadensstatistik darüber hinaus mit anderen Zahlen/Informationen sinnvoll ins Verhältnis setzen, also beispielhaft darstellen, dass insbesondere die Abteilung XY pro neuem Geschäftspartner / eingestelltem Bewerber überproportional betroffen war, der Geschäftsprozess XYZ besonders attraktiv für kriminelle Geschäftspartner zu sein scheint und unsere Fallanalyse gezeigt hat, dass es bei 80 % der Schadensereignisse vorab Anhaltspunkte zum Erkennen unlauterer Absichten gegeben hätte (preventable risk), dann haben wir eine aussagekräftige Datenbasis und somit einen guten Business Case für die Einführung von Due Diligences bzw. Pre-Employment Screenings in das Alltagsgeschäft.

Eine sinnvolle Kontextualisierung unserer KRIs ist aber nur durch die Erfassung begleitender Informationen und Fallanalysen möglich. Für die obige Darstellung müssen zum beobachteten Zeitraum auch die folgenden Informationen vorliegen:

  • Geschädigte Abteilung
  • Betroffener Geschäftsprozess
  • Häufigkeit von vorhandenen, aber nicht erkannten Anhaltspunkten (Red Flags)
  • Gesamtzahl der neuen Geschäftspartner / eingestellten Bewerber in der betroffenen Abteilung

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In der Fallauswertung und Ausarbeitung zielgerichteter Präventionsmaßnahmen kann sich beispielhaft auch die Erfassung weitergehender Erkenntnisse als nützlich erweisen:

  • Zeitraum zwischen Initialisierung des Geschäftsprozesses und Erkennen des Schadensereignisses (> Grad der Awareness der Risikoinhaber)
  • Zeitraum zwischen Erkennen des Schadensereignisses und Reporting durch die betroffene Abteilung an die Corporate Security (> Einhalten von Reporting-Fristen und Anteil der Schadensereignisse, bei denen das Schadensvolumen ggf. nicht mehr durch reaktive Maßnahmen reduziert werden konnte)
  • Implementierungsgrad von Präventivmaßnahmen nach Abteilung (> Compliance / Akzeptanz der Maßnahmen und Darstellung des Wirkungsgrads der Maßnahmen bei maximalem Umsetzungsgrad)
  • Zuordnung von Schadensereignissen zu tiefer liegenden internen Ursachen (> wie z. B. Ignoranz oder zu hohe Risikoaffinität vonseiten der Risikoinhaber, falsche Incentivierung durch das Management oder mangelnde Aufsicht und Compliance)
  • Zuordnung der Schadensereignisse z. B. zu Standorten, Sparten, Ländern, Zeiträumen, je 100 Mitarbeitern, Volumina der Geschäftsprozesse, unterschiedlichen Tätergruppen, tatbegleitenden oder tatbegünstigenden Umständen etc.

Schritt 3: Allgemeine Zielsetzung

Um also neue Security-Programme aufzusetzen oder existierende auf ihre Effektivität zu prüfen, müssen wir mittels einer belastbaren und plausibilisierten statistischen Datenbasis aus dem Incident Reporting unsere KRIs kennen und in einen verständlichen Gesamtzusammenhang bringen. So erhalten wir Kenntnis über die absolute und relative Höhe der Schäden in der Vergangenheit, welche Umstände tatbegünstigend gewirkt haben und welche Assets, Risikoinhaber und Prozesse besonders betroffen waren.

Ausgehend von der begründeten Annahme einer anhaltenden Kriminalitätsbelastung folgt im nächsten Schritt die Ausformulierung der Zielsetzung für die angestrebten Maßnahmen, hier für die Einführung von Due Diligences bzw. Pre-Employment Screenings. Diese könnte dem Beispiel folgend lauten: „Reduzierung von Schadensereignissen und -höhen, die durch unzureichend überprüfte (kriminelle) Geschäftspartner und (unseriöse) Bewerbungskandidaten verursacht werden“.

Für das Security Controlling und die Value Proposition der Unternehmenssicherheit ist eine derart allgemeine Zielvorgabe jedoch zu unkonkret und somit schwer messbar. Der Weg hin zu aussagekräftigen Leistungsindikatoren, die unmissverständlich die Leistung des Prozesses ausdrücken, führt über die Operationalisierung der angestrebten Zielsetzungen, also die Messbarmachung mittels messbarer Merkmale.

Schritt 4: Operationalisierung und Key Performance Indicators

Je detaillierter und konkreter wir das ausformulieren, was wir mit unseren Maßnahmen bewirken wollen, desto einfacher wird es auch, aussagekräftige KPIs zu entwickeln. Das gelingt, wenn wir vorab Erfolgsfaktoren unserer Maßnahmen benennen und eine klare Vorstellung davon haben, welche Aussagen wir mit unseren KPIs generieren wollen. Im Vordergrund steht die Fragestellung, woran die Leistung der Maßnahmen am besten gemessen werden kann und welche Daten für die eigene Ressourcensteuerung am aussagekräftigsten sind. In der Fortschreibung des eingeführten Beispiels könnte die Ursachenanalyse z. B. ergeben haben, dass einige Risikoinhaber zu risikoaffin oder ignorant handeln und zudem die Schadensereignisse zu spät an die Corporate Security gemeldet wurden und hierdurch eine schadensreduzierende Intervention nicht mehr möglich war. Neben der naheliegenden Zielsetzung der Reduzierung von Inzidenz und Schadenssumme fügen sich somit auch u. a. die Sensibilisierung der Risikoinhaber und eine Einführung von Reporting-Fristen in die Ausformulierung unserer Zielsetzung als Erfolgsfaktoren mit ein.

Die Corporate-Security-relevanten Erfolgsfaktoren bzw. Key-Performance-Indikatoren könnten also wie folgt aussehen:

  • Veränderung der Schadensereignisse in Absolutzahlen (|…|) und in Prozent (%) im Vergleich zum Vorjahr und ggf. zum gesetzten Planziel
  • Veränderung der Schadenssumme in absoluten Zahlen und in Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ggf. zum gesetzten Planziel
  • Veränderung des Anteils der eingetretenen Schadensereignisse an der Gesamtzahl der Geschäftsprozesse in Prozent, bei denen später in der Fallanalyse nicht erkannte Red Flags identifiziert wurden
  • Veränderung der Schadenssumme als Anteil der Geschäftsprozesskosten in Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ggf. zum gesetzten Planziel
  • Prozentuale Veränderung der Schadensereignisse und Schadenssumme je 100 neue Geschäfts¬partner nach Abteilung im Vergleich zum Vorjahr und ggf. zum gesetzten Planziel
  • Veränderung in der Einhaltung von Reporting-Fristen insgesamt und nach Abteilung im Vergleich zum Vorjahr und ggf. zum gesetzten Planziel
  • Veränderung und Status im Implementierungsgrad von Präventivmaßnahmen nach Abteilung im Vergleich zum Vorjahr und ggf. zum gesetzten Planziel (> Korrelation von Implementierungs¬grad und Schadensreduzierung möglich)
  • Anteil der Geschäftsprozesse, bei denen das Screening Red Flags übersehen hat und es zu Schadensereignissen kam (Wirkungsgrad des eigentlichen Screening-Prozesses)
  • Kosten der Screening-Maßnahmen im Verhältnis zu der verhinderten Schadenssumme und dem ermöglichten Geschäftserfolg (> Return of Security Investment – RoSI)

Zuvor haben wir uns numerische und prozentuale Soll-Vorgaben gesetzt und nutzen diese zusammen mit den Zahlen des Vergleichszeitraums (hier zwölf Monate) als Benchmark für die Performance-Darstellung

  • des eigenen Wertbeitrags,
  • der Messung des Wirkungsgrads der implementierten Maßnahmen,
  • der Akzeptanz und des Implementierungsfortschritts/Compliance,
  • zeitbezogener Erfolgsfaktoren und
  • der Security-Rendite (RoSI).

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Die Formulierung von Planzielen zur Bemessung des eigenen Erfolgs hat jedoch auch ihre Tücken, da der direkte Einfluss der Corporate Security auf interne Prozesse beschränkt ist. Darüber hinaus bleiben Häufigkeit und Professionalität krimineller Angriffe auf die Assets eines Unternehmens zu weiten Teilen eine von den Tätern bestimmte exogene Größe, die sich diesem Einfluss mit einem unbekannten Faktor entzieht.

Während der Erfolg bei der Verhinderung von Schadensereignissen mittels rechtzeitiger Erkennung oder Intervention leicht darstellbar ist, bleibt die Wirkung der Maßnahmen auf das Verhalten externer Täter, z. B. durch Ablassen vom Unternehmen (aufgrund von Frustration oder Abschreckung), rein spekulativ. So können eine nachlassende Kriminalitätsbelastung und damit einhergehende abnehmende Schadensvolumina auch zu Fehlschlüssen über die Effektivität / Performance der umgesetzten Präventions- und Reaktionsmaßnahmen führen, insbesondere in Bezug auf den Aspekt der Abschreckung von Sicherheitsmaßnahmen.

Schritt 5: Die Botschaft und Value Proposition

Aus den genannten KPIs ließe sich eine aussagekräftige Value Proposition formulieren:

  • Wertbeitrag: „Im ersten Jahr nach der Einführung der neuen (Screening-)Maßnahmen konnten sowohl die Anzahl der Schadensereignisse als auch die Schadenssumme nahezu halbiert werden. Das entspricht EUR 1,2 Mio. verhindertem Verlust und einer 0,5%igen Reduzierung aller Geschäftsprozesskosten im Unternehmen. In den ersten 12 Monaten haben wir damit die gesetzten Planziele übertroffen.“

  • Wirkungsgrad: „Die Abteilungen, welche das Screening- und Sensibilisierungs-Programm bereits vollumfänglich umsetzen, verzeichnen kaum noch Verluste durch kriminelle Geschäftspartner oder unseriöse Bewerbungskandidaten. Die bisherige Ausgestaltung des Screening-Prozesses weist mit 74 % eine sehr hohe Quote bei der Erkennung von Red Flags auf. Durch weitere Fallauswertungen werden wir diese Quote in den kommenden Monaten weiter steigern können.“

  • Akzeptanz und Compliance: „Wie unsere Zahlen jedoch auch zeigen, wurden bei 66 % der noch eingetretenen Schadensereignisse später in der Fallanalyse nicht erkannte Red Flags identifiziert. Dieser hohe Anteil an nicht erkannten Red Flags ist auf den niedrigen Implementierungsgrad in den Abteilungen XY und XZ zurückzuführen. Sie verzeichnen je 100 neue Geschäftspartner / Stellenbewerber weitaus überdurchschnittliche Inzidenzen. Aufgrund der niedrigen Compliance und Risikoaffinität in diesen beiden Abteilungen werden unsere Präventionsangebote selten nachgefragt. Wir bauen hier auf die Unterstützung von Corporate Audit und Compliance.“

  • Zeitbezogene Erfolgsfaktoren: „Durch unsere Sensibilisierungskampagne konnte die zuvor bei durchschnittlich 13 Tagen angesiedelte Meldeverzögerung von Schadensereignissen auf durchschnittlich 4 Tage reduziert werden. Aber auch hier sehen wir dringenden Handlungsbedarf in den vorgenannten Abteilungen. Insbesondere, da das schnellere Incident Reporting eine zeitnahe Intervention und Reduzierung der Schadenshöhe ermöglicht. Der Anteil der schnellen Intervention an dem verhinderten Schadensvolumen belief sich auf 10 %.“

  • Security-Rendite (Return on Security Investment): „Abzüglich des Mitteleinsatzes von EUR 400.000 für die Präventions- und Sensibilisierungsmaßnahmen trägt das Screening-Programm bereits im ersten Jahr nach Einführung 800.000,- EUR zum Unternehmenserfolg bei.“

Auch die Perspektive der Business Units darf im Zusammenhang mit der Value Proposition berücksichtigt werden. Die Bewerbung präventiver und reaktiver Schutzmaßnahmen zum Einhegen operativer Geschäftsrisiken gestaltet sich erfolgsversprechender, wenn der angestrebte Outcome in die betriebswirtschaftliche Perspektive der internen Kunden übersetzt wird. Beispielhaft: „Einsparung von Prozesskosten, Erzielung einer höheren Gewinnmarge, Vermeidung behördlicher Sanktionen, Schutz der Reputation, Zeiteinsparungen, Reduzierung von Versicherungskosten oder Steigerung der Mitarbeitermotivation.“ Mit einer solchen zielgruppenspezifischen Einbettung der eigenen Erfolgsstory in die Wahrnehmungsmuster der C-Suite durch Kontext, Korrelation und das Hervorheben des kausalen Zusammenhangs mit dem Geschäftserfolg ist es der Corporate Security möglich:

  • ihren Wertbeitrag zum Unternehmen fakten- und zahlenbasiert darzustellen,
  • Risikoinhabern (hier den Abteilungen) zu kommunizieren, was Security für sie konkret leistet,
  • die kausalen Zusammenhänge zwischen Risiko und Verlust auf der einen und Security Management und Reduktion des Verlusts auf der anderen Seite erfahrbar zu machen,
  • den Wirkungsgrad und den RoSI der Maßnahmen in den Vordergrund zu stellen,
  • Compliance und Akzeptanz der Maßnahmen, aber auch Risikoappetit zu messen,
  • Risiken offenzulegen und Lösungen anzubieten,
  • Muster zu erkennen und Frühindikatoren zu entwickeln,
  • ihre eigene Produktivitätseffizienz zu messen und
  • konkrete Unterstützung, Compliance und Entscheidungen einzufordern.

Dabei müssen die Messwerte / Daten so gewählt werden, dass sie den folgenden Kriterien entsprechen:

  • SMART, also
  • einfach (Simple) verständlich im Zusammenhang mit dem angestrebten Outcome
  • messbar (Measurable) als eindeutig und einheitlich definierte Größen in Zahlen mit einem einheitlichen Messverfahren zu erfassen
  • handlungsorientiert (Actionable), helfen praktische Veränderungen herbeizuführen und Konsequenzen nach sich zu ziehen
  • relevant (Relevant) für die Messung der ergriffenen Maßnahmen und erkannten Risiken
  • zeitbezogen (Time-based) in Bezug auf den gewählten Vergleichs- oder Planzielzeitraum langfristig verfügbar und in einem festgelegten Messrhythmus reproduzierbar
  • Unverfälscht von saisonalen Schwankungen
  • Durch automatisierte Logikkontrollen geprüft
  • Allgemein akzeptiert, trennscharf und gültig definiert
  • Durch Maßnahmen des Informationsschutzes gesichert
  • Von einem Messverantwortlichen verarbeitet, auf Frühindikatoren geprüft, mit anderen relevanten Kennzahlen in Relation gebracht, zielgruppengerecht kontextualisiert und grafisch dargestellt.

Laurentium ist eine netzwerkbasierte Boutique-Unternehmensberatung mit internationaler Ausrichtung im Bereich der Ermittlungen und Sicherheitsberatung für Großunternehmen. Laurentium hat sich seit seiner Gründung 2004 als führender strategischer Partner für das Management internationaler Konzerne etabliert und begleitet seine Kunden mit individuellen und diskreten Problemlösungen.

 

 Quelle:

1  Ein Spätindikator (lagging indicator) ist eine Messgröße, die erst erfasst werden kann, nachdem sich eine Bedingung geändert hat (z. B. die Anzahl gestohlener Laptops in den vergangenen sechs Monaten). Weiterhin gibt es Präsensindikatoren, die sich zeitgleich mit einer Bedingung ändern und eine sofortige Reaktion ermöglichen (z. B. die umgehende Meldung und Erfassung eines jeden gestohlenen Laptops), und Frühindikatoren (leading indicator), die Veränderungen in den Bedingungen vorwegnehmen (z. B. Verdopplung der Reisetätigkeit mit Laptops und einem bekannten Zusammenhang zwischen Reisetätigkeit und dem Diebstahl von Laptops).

 

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Compliance-Experte: “Whistleblower-Schutz in Deutschland: Ab Mitte Dezember 2021 müssen deutsche Behörden der EU-Richtlinie folgen”

Am 17. Dezember 2021 läuft die Frist für EU-Staaten aus, die EU-Whistleblower-Richtlinie in nationale Gesetze zu überführen. Deutschland hat dazu noch keinen Gesetzesvorschlag eingereicht, jedoch plant die Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag ein solches Gesetz bereits ein.

Was das für den deutschen Staat sowie für Behörden, öffentliche Organisationen und auch Unternehmen konkret bedeutet, ordnet Compliance-Experte Kai Leisering, Managing Partner Compliance der EQS Group AG, nachfolgend ein. Die EQS Group ist internationaler Marktführer für regulatorische Technologien in den Bereichen Corporate Compliance und Investor Relations.

Ab 18. Dezember 2021: EU-Richtlinie greift für Behörden auch ohne deutsches Gesetz

Bereits seit, dem 18. Dezember 2021, sind Behörden sowie öffentliche Organisationen von der EU-Richtlinie unmittelbar betroffen. Dazu zählen u.a. Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, Ministerien sowie Verwaltungsstellen. Eine Befragung der Stadtverwaltungen im Juni 2021 hat ergeben, dass diese auf die neue Richtlinie wenig vorbereitet sind: Sie warten ein offizielles Whistleblower-Schutzgesetz ab. Dies zeigt, wie wichtig gesetzliche Vorgaben in Bezug auf verpflichtende und sichere Hinweisgebersysteme für Städte, Gemeinden und Kommunen sind. Unabhängig von dem Gesetz werden die Behörden von den Maßnahmen betroffen sein. Von den befragten Stadtverwaltungen haben acht Städte Whistleblowing-Plattformen implementiert.

Hinweisgebersysteme für Privatunternehmen bereits ab dem 18. Dezember 2021 empfehlenswert

Nach derzeitigem Kenntnisstand können nach Ablauf der Frist private Unternehmen nicht direkt belangt werden, die ab dem 18. Dezember 2021 kein richtlinienkonformes Hinweisgebersystem vorweisen können.

Jedoch kann es auch für private Unternehmen zu Komplikationen kommen, sollten Hinweisgebende Vorwürfe gegen sie erheben. Wie genau die Richtlinie in einem solchen Fall greift, wäre eine Auslegungssache der zuständigen Gerichte. So würden Firmen beispielsweise der sogenannten Beweislastumkehr unterstehen, also belegen müssen, dass die Kündigung einer hinweisgebenden Person mit der eingegangenen Meldung nicht zusammenhängt. Ohne eigens darauf zugeschnittene Dokumentationsmöglichkeiten wird diese Aufgabe für Unternehmen kaum zu bewältigen sein. Daher lautet unsere Empfehlung auch für private Firmen, sich im Vorfeld um ein richtlinienkonformes System zu bemühen.

Geldwäscherechtlich verpflichtete Unternehmen müssen Hinweisgebersystem anpassen

Da der rechtliche Rahmen in Deutschland noch unklar ist, besteht auch für Unternehmen, die bereits ein Hinweisgebersystem führen, ein gewisses Risiko ab dem 18. Dezember 2021. Dazu zählen geldwäscherechtlich verpflichtete Firmen. Sollten sie sich mit Vorwürfen von Whistleblowerinnen oder Whistleblowern konfrontiert sehen, die gerichtlich geklärt werden müssen, werden sich die zuständigen Gerichte vermutlich an der EU-Whistleblower-Richtlinie orientieren. Sind die aktuellen Hinweisgebersysteme der Unternehmen also noch nicht vollständig richtlinienkonform, empfehlen wir, die Direktive bereits bis Mitte Dezember 2021 als neuen Maßstab zu setzen.

Potenzielle Klagen gegen den deutschen Staat

Im Gegensatz zu den Unternehmen wird der deutsche Staat ab dem 18. Dezember 2021 unmittelbar von der Richtlinie tangiert. Im Zweifelsfall könnte sich also der Staat auf der Anklagebank wiederfinden, wenn Whistleblowerinnen oder Whistleblower den gerichtlichen Weg einschlagen, um gegen Missstände vorzugehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir eine zeitige Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie als dringlich erachten. Der Koalitionsvertrag sieht eine solche bereits vor und die neue Regierung möchte sogar über die in der EU-Richtlinie dargelegten Anforderungen hinausgehen. Auch wenn es zunächst so wirken mag, dass die Direktive erst nach einem entsprechenden deutschen Gesetz greift, stellt sich diese Annahme bei eingehender Betrachtung als Trugschluss heraus. Sollten Unternehmen und Behörden also nach dem Ablauf der Frist mit einem Ernstfall konfrontiert sein, sollten sie die Mindestanforderungen der EU-Direktive bereits umgesetzt haben.

-PM EQS Group-

 

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Mehr öffentliche Sicherheit mit Simulationen urbaner Infrastrukturen

Neues Fraunhofer-Zentrum SIRIOS in Berlin nimmt Betrieb auf

Im Januar 2022 nahm das neugegründete Fraunhofer-Zentrum für die Sicherheit Sozio-Technischer Systeme SIRIOS in Berlin seinen Betrieb auf. In übergreifenden Forschungs- und Entwicklungsprojekten bündelt es die Kompetenzen von vier Fraunhofer-Instituten.

Ziel ist es, in den nächsten vier Jahren eine Forschungs-, Test- und Trainingsumgebung für Sicherheitsbehörden, Rettungskräfte und Betreiber kritischer Infrastruktur aufzubauen. Dort können komplexe Sicherheitsszenarien simuliert, virtuell erfahren und real erprobt werden. Auch eine direkte Partizipation von Bürgerinnen und Bürger soll ermöglicht werden, um z. B. subjektives Sicherheitsempfinden zu erfassen.

Die öffentliche Sicherheit steht vor großen Herausforderungen, sei es durch klimabedingte Extremereignisse, Industrieunfälle, Terroranschläge oder Ausschreitungen bei Großveranstaltungen. Hinzu kommen die vielfältigen Abhängigkeiten zwischen Menschen, Technik und Infrastrukturen moderner hochvernetzter Gesellschaften, welche die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit komplex und nur schwer beherrschbar machen. Störungen innerhalb solcher sozio-technischer Systeme können schwerwiegende flächendeckende Auswirkungen haben, beispielsweise auf die Versorgung mit Elektrizität, Internet, Telekommunikation, Wasser und Logistik. Mit neuen, umfassenden Simulationssystemen erforschen die Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer SIRIOS diese Abhängigkeiten, um im Ernstfall bestmöglich vorbereitet zu sein.

»Die Öffentliche Sicherheit ist eine wesentliche Säule unserer Gesellschaft. Diese hängt jedoch nicht nur davon ab, angemessen zu reagieren, sondern vor allem auch davon, Unvorstellbares und Unerwartetes vorauszudenken und so rechtzeitig Strategien zu Sicherheit und Resilienz zu entwickeln. Das neue Fraunhofer-Zentrum für die Sicherheit Sozio-Technischer Systeme SIRIOS wird diese Herausforderung mit wissenschaftlicher Exzellenz adressieren und neue Lösungen und Ansätze entwickeln, um die Resilienz Deutschlands nachhaltig zu stärken«, sagt Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. »Gemeinsam mit unserem Netzwerk aus Behörden, Industrie, Wissenschaft und Politik stellen wir zudem sicher, dass die Ergebnisse der Forschung schnellstmöglich, unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte und zum Vorteil der Gesellschaft Eingang in die Praxis finden, um das Wohl und die Sicherheit aller zu gewährleisten und auszubauen.« In den nächsten Jahren entstehen so Trainings- und Simulationsmöglichkeiten, in denen Sicherheitsbehörden und Rettungskräfte, aber auch Industrie- und Forschungspartner praxisnahe Einsätze in virtueller Realität durchführen und neue oder bereits vorhandene Systeme für die Einsatzunterstützung und Lagevisualisierung testen und weiterentwickeln können.

Ein wachsendes Team aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI, des Fraunhofer-Instituts für Offene Kommunikationssysteme FOKUS, des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB sowie des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI arbeitet während der Aufbauphase bis 2026 in gemeinsamen und institutsübergreifenden Forschungs- und Entwicklungsprojekten unter dem Dach des Fraunhofer SIRIOS am Standort Berlin.

Im Fokus stehen zunächst zwei besondere Bedrohungsszenarien: die Auswirkungen eines extremen Wetterereignisses in einer Großstadt sowie eine durch Menschen verursachte Schadenslage bei einer Großveranstaltung. »Gefahrenlagen wie diese sind traurige Realität und werden uns wohl auch in Zukunft treffen. Deswegen ist es so wichtig, das Zusammenwirken von Technik, Infrastruktur, Einsatzkräften und Bevölkerung noch besser zu erforschen und die Erkenntnisse auch auf andere oder neue Bedrohungen zu übertragen«, so Daniel Hiller, Geschäftsführer des Fraunhofer SIRIOS. Die Schwerpunkte liegen entsprechend in der Simulation von Schäden in Gebäuden, Versorgungsnetzen und Infrastrukturen wie der Stromversorgung sowie den daraus folgenden Störungen, beispielsweise durch Ausfall des Internets, der Telekommunikation oder der Logistikketten. Auch das Verhalten von Menschenmengen und die Einbindung von Helfenden soll simuliert werden, um unter anderem auf Paniksituationen während einer Veranstaltung besser reagieren zu können.

Bis 2026 erhält das neue Fraunhofer-Zentrum eine Anschubfinanzierung durch das Land Berlin und den Bund und soll sich danach als Einrichtung der Fraunhofer-Gesellschaft verstetigen. Die Geschäftsstelle des Fraunhofer SIRIOS ist am Fraunhofer FOKUS in Berlin angesiedelt. Als Sprecher des Zentrums vertritt Prof. Manfred Hauswirth, Leiter des Fraunhofer FOKUS, das Zentrum.

-PM Fraunhofer-

 

Telegram logo and lettering on a smartphone. In background german lettering like Hass, Hetze, Rechtsextremist, Querdenker, Hassbotschaften
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Gewaltbereite „Querdenker“ und Rechtsextremisten – Potenzial für stochastischen Terrorismus?

Von Prof. Dr. Stefan Goertz, Hochschule des Bundes, Bundespolizei

Dieser Beitrag untersucht den Themenbereich Corona-Pandemie, gewaltbereite „Querdenker“ und Rechtsextremisten, Tötungsaufrufe auf Telegramm, enthemmte Sprache in den Sozialen Medien und das Potenzial für stochastischen Terrorismus. Die Untersuchung der Strategie von stochastischem Terrorismus zeigt, dass diese in der Vergangenheit bereits zu zahlreichen Mordversuchen und Morden geführt hat. Hier wird diese Strategie und ihre „Logik“ besprochen.

Tötungsaufrufe auf Telegram

Seit Mitte November 2021 gibt es in gewaltbereiten „Querdenker“-Szene auf Telegram täglich Tötungsaufrufe gegen Politiker, Wissenschaftler, Ärzte, Behördenmitarbeiter und Journalisten. Für eine Recherche für tagesschau.de wurden 230 Kanäle bzw. Chats auf Telegram aus rechtsextremistischen und Querdenker-Kreisen nach folgenden Begriffen durchsucht: „Galgen, erschießen, aufhängen, hängen, aufgehängt, aufhängt, Laterne, Laternenmast, Guillotine, abknallen, hinrichten, abfackeln, abbrennen, brennen, standrechtlich, Fensterkreuz, ‚Nürnberger Hinterhöfe‘, Standgericht, hingerichtet, Tribunal, Kugel, Strick“.1 In 33 Kanälen bzw. Chats gab es Treffer. In den untersuchten Chaträumen wurden mehr als 250 Tötungsaufrufe gefunden, was jedoch lediglich die Spitze des Eisberges darstellt, weil sich Telegram - anders als Twitter - nicht komplett durchsuchen lässt, sondern nur die Kanäle und Chats, in denen man selbst Mitglied ist. Die meisten Chatgruppen sind geheim und können nur mit einem Einladungslink betreten werden.2 Häufig wurden die Tötungsaufrufe gar unter dem mutmaßlichen Klarnamen verbreitet, Widerspruch gab es gar in den großen Chats mit über 50.000 Mitgliedern beinahe nie, eher wurden die aufrufenden Personen noch in ihrer Meinung bestätigt und ein Galgen oder ein Scharfschützengewehr in den Kommentaren hinterlassen.3 Politiker wie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, Bundesjustizminister Marco Buschmann, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, Bundeskanzler Olaf Scholz, der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn und der amtierende Gesundheitsminister Karl Lauterbach wurden in jenen Chats wiederholt als Ziele von Tötungsaufrufen genannt. Ein Tötungsaufruf gegen Polizisten lautete: „Diese widerwärtigen Söldner des Faschismus. Jeder Polizist, der sich weiterhin an diesem Treiben beteiligt gehört, wenn mit diesem System Schluss ist, vor Gericht, in Festungshaft und an den Galgen. Tut mir leid für die deutlichen Worte, aber diese Schweine sind für mich nicht mehr länger Teil unserer Menschenfamilie. Es sind seelenlose, programmierte Menschenmaschinen“.4 Die für tagesschau.de durchgeführte Recherche stellte fest, dass es seit dem Beginn der Impfpflichtdebatte deutlich mehr Tötungsaufrufe gab.

Auf Telegram wurde der Mord am 18. September an einem Tankstellenmitarbeiter in Idar-Oberstein, der zum gesetzlich angeordneten Tragen Corona-Mund-Nasen-Schutz aufgefordert hatte, von verschiedenen Extremisten teilweise verherrlicht: „Kein Mitleid. Die Leute immer mit dem Maskenscheiß nerven. Da dreht irgendwann mal einer durch. Gut so“, hieß es dort unter anderem.5

Stochastischer Terrorismus – Strategie, Prinzip, Logik, Morde und Mordversuche

Der Begriff „stochastischer Terrorismus“ (von stochastisch, zufallsabhängig) beschreibt eine terroristische Strategie, durch welche massenhaft verbreitete Botschaften, medial und über soziale Netzwerke, die sich nicht an einen konkreten Täterkreis richten, durch extremistische Narrative und enthemmte Sprache tatsächliche Gewalt, bis hin zu terroristischen Anschlägen, provozieren (sollen). Diese terroristische Strategie ist auf Trittbrettfahrer, auf Einzelakteure oder Kleinstzellen ausgerichtet.6

Hamm und Spaaij beschreiben das Phänomen stochastischer Terrorismus in „The Age of Lone Wolf Terrorism“ kurz mit „Nutzung von Massenmedien, um zufällige Akte ideologisch motivierter Gewalt zu provozieren, die zwar statistisch vorhersagbar sind, im konkreten Einzelfall jedoch nicht“.7 Die Autoren verwenden das Bild eines Bogenschützen, um die Logik des stochastischen Terrorismus zu erklären: „Stellen Sie sich einen Bogenschützen vor, der hundert Pfeile auf ein Ziel schießt und nur einmal ins Schwarze trifft. Ein Mal. Der Treffer ins Schwarze ist statistisch nicht vorhersehbar, aber es ist statistisch vorhersehbar, dass eine bestimmte Anzahl von Pfeilen irgendwo auf der Zielscheibe trifft. Der Bogenschütze muss nicht geschickt im Bogenschießen sein. Er muss lediglich immer wieder Pfeile auf die Zielscheibe schießen, und irgendwann wird einer davon treffen. In dieser Analogie ist der stochastische Terrorist der Bogenschütze, der Brandbotschaften an Tausende, wenn nicht Millionen von Menschen schickt, die diese Botschaften konsumieren. Der Volltreffer ist der eine Konsument, der die Botschaften nutzt, um gewalttätiges Handeln zu rechtfertigen“.8

Cohen verwies im Jahre 2016 darauf, dass das Phänomen von stochastischem Terrorismus bereits ca. 15 Jahre alt sei und spricht von stochastischem Terrorismus als Strategie „using language and other forms of communication to incite random actors to carry out violent or terrorist acts that are statistically predictable but individually unpredictable”9. Cohen nutzte das Bild der „dog whistle“ bzw. das Konzept „Hundepfeifen-Politik“. „Hundepfeifen-Politik“ ist ein Konzept des Nutzens politischer Botschaften und Aussagen, die je nach Publikum unterschiedlich verstanden werden können. Winkler gebrauchte in diesem Zusammenhang 2016 in der Neuen Zürcher Zeitung in Bezug auf den damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump den Begriff „codierte Sprache“.10 Sprich: Bei der „codierten Sprache“ der „Hundepfeifen-Politik“ wird eine Sprache genutzt, deren wirkliche Bedeutung nur denjenigen klar wird, die das entsprechende Gehör haben. Im Bild der Hundepfeife bleibend: Die hohen Töne der Hundepfeife sind nur für diese Hunde klar und deutlich hörbar.11

Gedenktafeln vor der Tree of Life Synagoge
© Official White House Photo by Andrea Hanks - President Donald J. Trump and First Lady Melania Trump Travel to Pittsburgh, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=74082718

Kaleka nannte im November 2018 neben dem Anschlag auf die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh/USA auch die Morde von Gregory Bush an zwei Afroamerikanern als Beispiele für stochastischen Terrorismus.12

Cesar Savoc wiederum bekannte sich im August 2019 schuldig, im Jahr 2018 insgesamt 16 Briefbomben aus extremistischer Motivation an u.a. den früheren US-Präsidenten Barack Obama, die frühere Außenministerin Hilary Clinton sowie den ehemaligen CIA-Direktor James Brennan, an den Milliardär und Spender für die Partei der US-Demokraten, George Soros, und den Schauspieler Robert De Niro geschickt zu haben. Dafür wurde Savoc zu 20 Jahren Haft verurteilt.13 Er hatte sich auf verschiedenen Plattformen radikalisiert, die von Rassisten und Rechtsextremisten frequentiert werden.

Eine Reihe von Internetseiten boten den rechtsextremistischen Einzeltätern von El Paso, Christchurch, Pittsburgh und Halle ein Forum. Anonyme Plattformen wie 8chan, 4chan oder auch Reddit dienten bzw. dienen Rechtsradikalen und Rechtsextremisten zur Verbreitung ihrer Narrative und Thesen, zogen bzw. ziehen aber auch viele neue oder nur sporadisch Interessierte an. Der rechtsterroristische Attentäter von El Paso soll über 8chan ein „Manifest“ verbreitet haben, in dem er die rassistische Propaganda-Fantasie vom „großen Austausch“ der sich als „weiß“ definierenden Bürger eines Landes verbreitete.14 Dass anonyme Plattformen wie 8chan, 4chan und Reddit über Jahre als Orte von extremistischen Narrativen und enthemmter Sprache dienten, stellte die Studie „New Hate and Old: The Changing Face of American White Supremacy“ des Center on Extremism 2018 fest. Die zahlreichen Gruppierungen wie die „Alt Right“, Neonazis, Skinheads und Klu Klux Klan-Mitglieder bildeten und bilden im Internet und auch offline durch Veranstaltungen eine Subkultur, die „offen und niedrigschwellig daherkomme“.15

Eine Reihe von Internetseiten boten den rechtsterroristischen Einzeltätern von El Paso, Christchurch, Pittsburgh und Halle ein Forum. Anonyme Plattformen wie 8chan, 4chan oder auch Reddit dienten bzw. dienen Rechtsradikalen und Rechtsextremisten zur Verbreitung ihrer Thesen vom „großen Austausch“ o.ä., ziehen aber auch zahlreiche neue oder nur sporadisch Interessierte an.

Enthemmte Sprache, potenzielle Ziele von stochastischem Terrorismus in der Pandemie

„Das“ Narrativ, „das“ Anathema der potenziell gewaltorientierten Querdenker ist „die Corona-Diktatur“. Dazu kommt „die Impf-Lobby“ bzw. „die Pharma-Branche“. Daher sind Radikalisierungsprozesse von „Querdenkern“ zu Gewaltanwendung bis hin zu Anschlagsplänen gegen prominente bzw. herausragende Mitglieder dieser als Gegner und „Feinde“ wahrgenommenen Gruppen („die Politiker der Corona-Diktatur“, „die Impf-Lobby“) aktuell und mittelfristig möglich. Aber auch über wahllose Anfeindungen und Gewalt gegen impfende Ärzte und Krankenhausmitarbeiter wurde bereits berichtet.16

In den sozialen Netzwerken werden Politiker und Mitarbeiter von Impfzentren und Krankenhäusern systematisch als Teil der „Impf-Lobby“, als „Gegner“, als „Feind“ konstruiert und dargestellt. Diese antagonistische Freund-Feind-Metaphorik, durch enthemmte Sprache in den sozialen Netzwerken inszeniert, kann nach dem Prinzip von stochastischem Terrorismus Querdenker radikalisieren, bis sie im worst case zu terroristischen Einzeltätern werden.17

Mitte Dezember 2021 führten Ermittler des Landeskriminalamtes Sachsen und ein SEK Razzien bei sechs Verdächtigen, fünf Männern und einer Frau, durch und beschlagnahmten Waffen. In einer Telegram-Chatgruppe sollen diese sechs Verdächtigen Mordpläne gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und andere Mitglieder der sächsischen Landesregierung besprochen haben. Diese Telegram-Chatgruppe wurde einem heterogenen Milieu von „Impfgegnern“, „Querdenkern“ und „bekannten Neonazis“ zugeordnet.18

Die Drohungen gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer und weitere Politiker der sächsischen Landesregierung hatten bei zahlreichen Politikern für Empörung gesorgt. Ministerpräsident Kretschmer selbst sagte dazu: „Wir müssen mit allen juristischen Mitteln gegen solch eine Entgrenzung vorgehen. Menschen, die öffentliche Ämter haben, sollen keine Angst haben müssen, ihre Meinung zu sagen und ihre Arbeit zu machen.“19

Die sechs Verdächtigen der Telegram-Chatgruppe „Dresden Offlinevernetzung“ sind zwischen 32 und 64 Jahren alt. In dieser Telegram-Chatgruppe fanden sich radikalisierte Impfgegner zusammen, darunter ein stadtbekannter Dresdner Neonazi. Viele Mitglieder der Chatgruppe agierten unter Klarnamen und mit realen Profilbildern. Dazu gehört auch eine Frau, die für eine Stadtverwaltung arbeitet, sowie eine Frau, die ihre Handynummer veröffentlichte. Diese Frau ist offenbar für die Querdenker-Gruppe „Eltern stehen auf“ aktiv. Bei den Durchsuchungen fand das Landeskriminalamt Sachsen „Waffen und Waffenteile“ sowie Armbrüste.20

Bundesinnenministerin Faeser kündigte Mitte Dezember 2021 an, den Messenger-Dienst Telegram zur Einhaltung der Gesetze zwingen zu wollen. „Dort wird offen Hass und Hetze verbreitet […] Es kann nicht sein, dass ein App-Betreiber unsere Gesetze ignoriert.“21 Ihr Ministerium prüfe derzeit, ob über Plattformen wie Google oder Apple der Druck erhöht werden könne. „Diese Unternehmen haben die Telegram-Anwendung in ihren App-Stores und könnten sie aus dem Angebot nehmen, wenn Telegram permanent gegen Regeln verstößt“, sagte die Ministerin. Zudem könne die Bundesrepublik mit anderen europäischen Staaten auf die Vereinigten Arabischen Emirate zugehen, wo Telegram seinen Sitz hat. Gleichzeitig müsse im Inland der Ermittlungsdruck gegen Onlinehetzer erhöht werden. „Es muss für alle klar sein: Wer im Netz Hass und Hetze verbreitet, bekommt es mit der Polizei zu tun“, sagte Faeser. „Der Fahndungsdruck gegen Extremisten muss in ganz Deutschland gleich hoch sein.“22

Vaccine refusal concept. Crossed hands with text No Vax over vaccination syringe. Person refusing vaccination from measles, Covid-19. Anti-vaccination..
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Radikalisierung und Eskalation der Corona-Proteste?

Bereits Mitte Dezember 2021 hatten verschiedene Politiker vor einer Eskalation der Corona-Proteste gewarnt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sah eine Ursache wachsender Aggressivität von Teilnehmern an Corona-Protesten in der Unterwanderung der Demonstrationen durch „Reichsbürger“ und rechtsextremistische Gruppen. Teilnehmer von Corona-Protestmärschen rief sie auf, „sich klar von Rechtsextremisten zu distanzieren“.23 „Die fortschreitende Radikalisierung einer kleinen Minderheit gilt es mit absoluter Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden zu begegnen“, sagte der SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Es handele sich um den „organisierten Versuch, zu spalten und zu hetzen“. Zwar sei nicht jeder Demo-Teilnehmer gleich ein Rechtsextremist oder ein Reichsbürger. „Aber wer an der Seite von solchen erklärten Anti-Demokraten auftritt, lässt sich von ihnen für ihre Absichten instrumentalisieren und muss mit Konsequenzen rechnen.“24 Auch der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle warnt vor einer gezielten Unterwanderung friedlicher Corona-Proteste: „Jeder Einzelne hat eine Verantwortung, sich von militanten Gruppen fernzuhalten.“25 Der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, forderte die konsequente Ahndung von Einschüchterungsversuchen oder Verstößen gegen das Versammlungsgesetz: „Der Staat darf in dieser Situation keinesfalls als schwach erscheinen. […] Im Zusammenhang mit Corona hat sich ein lagerübergreifender Extremismus sui generis entwickelt, der deswegen nicht weniger gefährlich ist.“26 Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagte, zu lange seien Reichsbürger und Querdenker als harmlos abgetan worden. „Wir müssen uns als Demokratie entschlossen aufstellen.“27

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, beobachtet seit Wochen eine „Rechtsextremisierung“ der Corona-Proteste: „Wir beobachten, dass rechtsextremistische Gruppen versuchen, das Geschehen zu vereinnahmen. Sehr aktiv sind in letzter Zeit zum Beispiel die Partei ‚Der III. Weg‘, die Partei ‚Freie Sachsen‘ und die Identitäre Bewegung Deutschlands. Diesen Gruppierungen gelingt es, verstärkt auch außerhalb ihrer Szene zu mobilisieren und sich öffentlichkeitswirksam bei den Veranstaltungen in Szene zu setzen. Angehörige des offiziell aufgelösten „Flügels“ wurden wiederholt als Initiatoren und als Teilnehmer wahrgenommen. Lange war es allerdings so, dass diese rechtsextremistischen Einflüsse das Demonstrationsgeschehen nicht prägen konnten. Das verschiebt sich aktuell. […] Früher gab es vor allem Großdemonstrationen, etwa in Stuttgart oder Berlin. Jetzt ist das Geschehen dezentraler und hat quantitativ einen neuen Höchststand erreicht. Wir hatten allein in der ersten Januarwoche an einem Tag mehr als tausend Veranstaltungen mit über 200.000 Teilnehmenden. Sorge bereitet uns neben dem Anstieg der Gesamtzahlen aber auch die Radikalität einiger Teilnehmer. Diese kommt nicht nur durch Gewalt gegen Polizei und Medienvertreter, sondern auch durch Hassparolen zum Ausdruck. Auffällig ist, dass die Polizei zunehmend als Feindbild in den Fokus rückt. Einsatzkräfte werden nicht nur bei den Protesten, sondern auch im virtuellen Raum angefeindet und beispielsweise als ‚Söldner“ und ‚Mörder des Systems‘ diffamiert“.28

Fazit

Zahlreiche Vorfälle von Gewalt, verübt von gewaltbereiten „Querdenkern“ und Rechtsextremisten im Kontext von „Kampf gegen Corona-Maßnahmen“, sowie eklatant zunehmende Fälle von Gewaltandrohungen und enthemmte Sprache in den sozialen Netzwerken zeigen, dass konstruierte Feinbilder und Dichotomien, wie beispielsweise „wir gegen die anderen“, „wir hier unten gegen die Politiker da oben“, „wir gegen die Corona-Diktatur“ die Gewaltanwendung gegen Politiker, Polizisten sowie gegen Journalisten befördern. Derartige Feindbilder werden in Deutschland aktuell von gewaltbereiten „Querdenkern“ und Rechtsextremisten propagiert. Die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate zeigen, dass die Zahl der Radikalisierten in den „Querdenker“-Demonstrationen regelmäßig zugenommen hat.

Der Kontext von stochastischem Terrorismus, enthemmter Sprache und extremistischer Narrative ist in zahlreichen aktuellen Fällen evident zu erkennen.

Extremismus (Extremist)
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Nach dem Stufenmodell von Moghadam führen die meisten Radikalisierungsprozesse nicht zu terroristischer Gewalt, die meisten der Radikalisierten bleiben auf Stufen unterhalb von Terrorismus stehen.29 Die Übergänge von enthemmter Sprache und extremistischen Narrativen, verbunden mit Freund-Feind-Bildern, Tötungsaufrufen und „Todeslisten“, zu stochastischem Terrorismus waren und sind fließend und stellen die Sicherheitsbehörden weltweit vor große Herausforderungen. Daher muss zu diesem Phänomen intensiv geforscht werden. Hierbei ist eine intensive Kooperation von Sicherheitsbehörden und Wissenschaft notwendig und diese sollte von der Politik und den Behördenleitungen intensiviert und gefördert werden.

Dieser Beitrag stellt die persönliche Auffassung des Autors dar.

 

 Quellen:

1  Vgl. https://www.tagesschau.de/investigativ/funk/todesdrohungen-telegram-101.html (18.1.2022).
2  Vgl. ebd.
3  Vgl. ebd.
4  Zitiert nach: ebd.
5  Zitiert nach: Eder, Sebastian/Staib, Julian: Radikalisierung der Querdenker. „Es sind Rufe nach Exekutionen“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.9.2021.
6  Vgl. Goertz, S./Stockhammer, N. (2021): Corona-Maßnahmen-Gegner: Rezente Akteure, Ideologieelemente und ihr stochastisches Gewaltpotenzial. Expert Paper EICTP, S. 22.
7  Vgl. Hamm, M./Spaaij, R. (2017): The age of lone wolf terrorism. New York, S. 84.
8  Vgl. ebd., S. 84, ins Deutsche übersetzt durch Goertz/Stockhammer 2021, S. 22.
9  Vgl. https://www.rollingstone.com/politics/politics-features/trumps-assassination-dog-whistle-was-even-scarier-than-you-think-112138/ (18.1.2022).
10  Vgl. https://www.nzz.ch/international/praesidentschaftswahlen-usa/us-praesidentenwahlen-trumps-spiel-mit-der-hundepfeife-ld.103861 (18.1.2022).
11  Vgl. Goertz, S. (2021): Stochastischer Terrorismus, enthemmte Sprache und extremistische Narrative. In: Kriminalistik 12/2021, S. 658-659.
12  Vgl. http://www.milwaukeeindependent.com/featured/stochastic-terrorism-politics-spreading-fear-can-lead-deadly-violence/ (19.1.202).
13  Vgl. https://www.tagesspiegel.de/politik/usa-briefbomben-attentaeter-zu-20-jahren-haft-verurteilt/24874084.html; https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/usa-briefbombe-trump-kritiker-gestaendnis-cesar-sayoc (19.1.2022).
14  Vgl. https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/internet-der-rechtsextremen-rassisten-treffen-sich-im-netz-16321835.html?premium=0xb7964a22cd8d45018c306acd1ea77781&printPagedArticle=true#pageIndex_2 (20.1.2022).
15  Vgl. ebd.; Goertz 2021, S. 659.
16  Vgl. https://www.welt.de/politik/deutschland/plus235289124/Corona-Bedroht-als-Nazi-beschimpft-Wut-auf-Impf-Personal-eskaliert.html (15.12.2021).
17  Vgl. ebd.; Goertz/Stockhammer 2021, S. 23.
18  Vgl. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-12/kretschmer-michael-mordplaene-telegram-chat-zdf?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F; https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-12/michael-kretschmer-mordplaene-dresden-impfgegner-telegram (20.1.2022).
19  Vgl. ebd.
20 Vgl. ebd.
21  Vgl. https://www.welt.de/politik/deutschland/article235715796/Nancy-Faeser-Viele-bei-Corona-Protesten-verfolgen-eigene-Ziele-die-nichts-mit-der-Pandemie-zu-tun-haben.html (21.1.2022).
22  Vgl. ebd.
23  Vgl. https://www.welt.de/politik/deutschland/article235616550/Corona-Demonstrationen-Politiker-warnen-vor-Eskalation-der-Proteste.html (21.1.2022).
24  Vgl. ebd.
25  Vgl. ebd.
26  Vgl. ebd.
27  Vgl. ebd.
28  „Corona ist nur der Aufhänger“. Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang über eine neue Szene von Staatsfeinden. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,. 16.1.2022, S. 2.
29  Vgl. Moghadam, F. (2005): The Staircase to Terrorism: A Psychological Exploration, in: American Psychologist, 60/ 2005, 2, S. 161–169.

 

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Der Bundesgrenzschutz und die Medien

Von Dr. Reinhard Scholzen

Lange Zeit führte die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Bundesgrenzschutz ein Schattendasein. Das wandelte sich erst seit den 1970er Jahren.

Nachdem der Journalist Reimar Oltmanns einige Wochen beim Bundesgrenzschutz recherchiert hatte, wurde im Mai 1975 im „Stern“ sein Artikel „Die ungeliebten Krieger“ veröffentlicht. Darin stellte er zusammen, was ihm bei der Sonderpolizei des Bundes aufgefallen war. Einen bleibenden Eindruck hatte bei ihm Oberstleutnant Hiersemenzel, der damalige Abteilungskommandeur des BGS im Standort Uelzen, hinterlassen. Dieser sei gleichsam der Prototyp eines Führers im BGS. Er sei stolz darauf, dass „die Jungs, die zu uns kommen, bis auf die Knochen motiviert sind.“ Diese Begeisterung für die Sache schließe, so beschrieb es der Redakteur, auch Einkaufsfahrten der Grenzjäger für die Offiziersfamilien ein. Oltmanns zeichnete das Bild einer BGS-Truppe, in der Kadavergehorsam großgeschrieben und daher widerspruchslos jeder Befehl ausgeführt werde. Der Journalist schlug einen Bogen vom Tausendjährigen Reich zum BGS und machte das Weiterleben alter Gesinnungen an den dort immer noch gebräuchlichen Stahlhelmen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs fest. Hier und da traten die Fakten hinter einer flotten Schreibe zurück: „Für den Einsatz bei Unruhen in der Bundesrepublik werden die Grenzschützer seit den Studentendemonstrationen der Jahre 1967/68 gedrillt. Die erste Operation war jedoch keine siegreiche Straßenschlacht, sondern ein Misserfolg: Der BGS konnte nicht verhindern, dass der Überfall palästinensischer Freischärler auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München im Massaker von Fürstenfeldbruck endete. Seitdem gehört die Terroristenbekämpfung zu den wichtigsten Ausbildungszielen der 21000 Mann starken Truppe.“ Damit setzte er den gesamten BGS mit der nach dem Olympia-Attentat 72 gegründeten GSG 9 gleich. In Oltmanns Augen war der BGS eine trinkfeste Truppe, die bereits 1951 „niemand gewollt“ und „niemand geliebt“ habe und übersah dabei in Gänze die große Sympathie, die die Menschen an der Zonengrenze von Beginn an für ihren BGS hegten. Der Text gipfelte darin, die „Existenzberechtigung des BGS als Puffer an der DDR-Grenze“ in Frage zu stellen. Schließlich unterstellte er mit Blick auf die aktuelle BGS-Reform den „meisten BGS-Offizieren“, ihnen würden die per Gesetz zugewiesenen „neuen Aufgaben“ nicht passen, da „ihre Vorbilder die hartgesottenen Sondereinheiten der französischen Garde mobile und der amerikanischen Nationalgardisten“ seien. Allerdings begrüßte er ausdrücklich den 1976 beschlossenen Wegfall der „militärischen Ränge“ im BGS.

DDR-Autoren nahmen diese Steilvorlage des „Stern“ dankbar auf. Noch Jahre später zitierte zum Beispiel Rainer Ruthe in der Zeitschrift „Armeerundschau“ aus dem in der BRD-Zeitschrift erschienenen Artikel und stellte als Kontrast die angeblich heile Welt im Arbeiter- und Bauernstaat dar.

Ursachen einer schlechten Presse

Wer sich auf die Suche nach den Ursachen für solch negative Presseberichte macht, stößt zunächst auf durchaus kritikwürdige Missstände in einer Institution, die im Jahr 1951 in den Augen vieler Politiker nur eine Notlösung gewesen war, da der Aufbau einer Bundeswehr damals noch nicht möglich war. So war die Ausrüstung des BGS in den ersten Jahren tatsächlich unzeitgemäß und die gesetzliche Aufgabenzuweisung hätte etwas konkreter sein dürfen. 25 Jahre später entzündete sich die Kritik manch progressiver Kräfte weniger am Detail, sondern sie orientierte sich an Grundsätzlichem, indem man die Grenzschützer als Relikte aus einer alten Zeit deutete.

Nicht nur Journalisten gingen mit dem BGS hart ins Gericht. Als besonders eifriger Mäkler tat sich der damalige Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Werner Kuhlmann, hervor, der im Jahr 1970 mehrfach öffentlich dessen Auflösung gefordert hatte und dem BGS die Eigenschaft einer Polizeitruppe schlichtweg absprach. Ähnlich äußerte sich auch Heinrich Krüger, der Leiter der Hauptabteilung Polizei in der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV). In der Fernseh-Sendung „Report“ stellte er fest, die Aufgaben des BGS seien durch die politische Entwicklung der letzten Jahre überholt. Dass die Mehrzahl der BGS-Beamten und das BMI über diese Art der Berichterstattung nicht glücklich war, ist nachvollziehbar. Weniger einsichtig ist, dass kaum jemand auf die Idee kam, derartige Presseberichte könnten – wenigstens zum Teil – die Früchte der eigenen unzulänglichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sein.

Für die interne Kommunikation mit den Bundesgrenzschützern gab das BMI unter anderem die „Informationen“ und die Publikation „Innere Sicherheit“ heraus. Der Gehalt beider Druckwerke galt auch unter wohlwollenden Lesern als dürftig. Gleichsam als Symbol für eine unzeitgemäße Information der Mitarbeiter galt die seit 1951 monatlich erscheinenden Zeitschrift „Die Parole“, die intern als „Jubel-Parole“ tituliert wurde. Kritiker zitierten gern und oft aus dem Blatt. Wie schlecht es um dieses stand, unterstrichen in den 1970er Jahren die mehrmaligen Aufforderungen aus dem BMI an die Grenzschützer, interessante Berichte zur Veröffentlichung einzusenden.

Strukturelle Probleme und neue Ansätze der Pressearbeit

Parade in Lübeck zum zehnjährigen Bestehen des BGS. Vorbeimarsch einer motorisierten Einheit mit Mowag-Sonderwagen 1
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Der Zeitgeist ging am BGS jedoch nicht spurlos vorüber. So war der Presseoffizier Werner Rück Mitte der 1970er Jahre sicher: „Von dem Auftreten und von der Haltung jedes einzelnen Grenzschutzangehörigen bei unzähligen Gelegenheiten hängt der Eindruck ab, den sich die Öffentlichkeit von dem Bundesgrenzschutz macht.“ Gleichwohl zeigten sich strukturelle Mängel; denn im Weiteren hieß es in dem Beitrag in der „Parole“, für die Pressearbeit sei jedes einzelne Grenzschutzkommando verantwortlich, in erster Linie der Unterabteilungsleiter „Sicherheit“. Das musste in dem streng hierarchisch organisierten Bundesgrenzschutz zu Problemen führen, die dem Autor sehr wohl bewusst waren. Er räumte ein, bei Interessenkollisionen habe „der eigentlich fachliche Bereich des Unterabteilungsleiters Sicherheit Vorrang.“ Der Autor des Parole-Artikels erwähnte, mehrfach hätten die für die Pressearbeit zuständigen BGS-Beamten auf diesen Missstand beim BMI hingewiesen, und er betonte, „andere Institutionen“ legten sehr viel mehr Wert auf die Pressearbeit. Dabei dachte er wohl an die Bundeswehr, die bereits Mitte der 1970er Jahre in dieser Hinsicht vorbildlich ausgestattet und organisiert war. Herr Rück kam am Ende seiner Darstellung über die Pressearbeit des BGS zu dem Ergebnis: „Öffentlichkeitsarbeit im Bundesgrenzschutz: Eine interessante, verantwortungsvolle Tätigkeit. Man müsste mehr Zeit dafür haben.“

Der Arbeitsaufwand der Presseabteilungen in den damals fünf Grenzschutzkommandos (GSK) war sehr unterschiedlich. Im Fokus der Medien und auch der Öffentlichkeit stand das 1976 geschaffene „GSK West“, dessen Kernaufgabe im Schutz der zahlreichen Zentren der Macht in der Bundeshauptstadt Bonn lag. Dies war eine Folge der durch die Terroranschläge der Roten Armee Fraktion (RAF) veränderten Sicherheitslage. In Bonn ging der BGS aktiv auf Pressevertreter zu. Damit wollte man einerseits über die eigene Arbeit informieren und andererseits ein Sprachrohr für die eigenen Wünsche schaffen. Zu diesem Zweck führte man auch spektakuläre Events durch. So flog man nach der Mitte der 1970er Jahre Journalisten in einer Bell UH 1D über Bonner Schutzobjekte, zeigte Bundeskanzleramt, Bundespräsidialamt, die Bundesministerien, das Gästehaus der Bundesregierung auf dem Petersberg oder das Schloss Gymnich aus der Luft. Der damalige Kommandeur des GSK West, Heinz Goerg, sprach danach in einer Pressekonferenz auch das zentrale Problem in seinem Zuständigkeitsbereich an: Alle übrigen Grenzschutzkommandos verfügten damals über zwei Ausbildungsabteilungen, das GSK West habe überhaupt keine. Daher müssten die im Großraum Bonn eingesetzten Polizeivollzugsbeamten des Bundes, die vor allem aus dem Rheinland und der Eifel stammten, in den anderen Kommandos ausgebildet und dann nach Bonn versetzt werden. Mag sein, dass solche Vorstöße die Entscheidungsprozesse im Innenministerium beschleunigten. Seit dem Jahr 1978 baute der BGS im Standort Swisstal-Heimerzheim eine Ausbildungseinheit auf, in der junge Männer – und seit 1987 auch Frauen – für ihren Dienst im BGS ausgebildet werden.

Leitlinien und Externe

Nach der Wiedervereinigung, die auch für den BGS zahlreiche strukturelle Veränderungen brachte, setzte sich die Einsicht durch, eine gute Presse- und Öffentlichkeitsarbeit biete große Chancen. Die in Grenzschutz-Präsidien umbenannten Mittelbehörden legten Konzepte für den SB ÖP (Sachbereich Öffentlichkeitsarbeit Presse) vor. So erstellte im Frühjahr 1992 das GSP Süd seine „Leitlinien für die Öffentlichkeitsarbeit“. Zu Recht ging man in München davon aus, nach der Wiedervereinigung und der damit einhergehenden Umstrukturierung sowie der Übernahme wichtiger einzelpolizeilicher Aufgaben durch den BGS sei die Bedeutung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gestiegen. Man wollte erreichen: „Die Bedeutung des Bundesgrenzschutzes als Polizei des Bundes im Sicherheitsgefüge der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft transparent zu machen, Verständnis für Aufgaben und Probleme zu wecken, Vertrauen zu schaffen und das Bild des Bundesgrenzschutzes in der Öffentlichkeit nach außen und innen positiv zu gestalten.“ Das strategische Ziel sei das „Schaffen einer sozialen Akzeptanz für die Existenz und das Handeln des Bundesgrenzschutzes.“ Dabei solle für alle Maßnahmen die Maxime gelten: „Wahrheit, Klarheit, Offenheit und Einheit von Wort und Tat.“ Bei der Antwort auf die Frage, wie die zukünftigen Presseexperten ihr Fachwissen erlangen sollten, ging das Konzept jedoch nicht über Allgemeines hinaus: „In Abstimmung mit dem Sachbereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Grenzschutzpräsidiums Süd sind hierfür Hospitationen bei Medien und Pressestellen, Teilnahme an einschlägigen Seminaren und Schulungen oder andere Maßnahmen vorzusehen.“

Bundespolizeidirektion München
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Zwar erkannte man das „vitale Interesse“ des BGS „an einer aufgeschlossenen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Vertretern der verschiedenen Medien“, aber auf eine umfangreiche Absicherung wollte man dennoch nicht verzichten. Daher schränkte man den Bewegungsspielraum der Öffentlichkeitsarbeiter in vielfältiger Hinsicht ein. So sollten diese stets abwägen zwischen dem Informationsinteresse der Medien und den „dienstlichen Interessen und Informationsgrenzen“, darüber hinaus sei „Zurückhaltung“ immer dann geboten, wenn die „Gefahr von Nachahmungstaten“ bestehe, ein schwebendes Verfahren berührt oder der Opfer- und Persönlichkeitsschutz zu berücksichtigen sei. Zudem sei bei Informationen der Medien stets zu prüfen, „ob vorrangig die Zuständigkeit anderer oder höherer Stellen berührt“ sei. Und man betonte: „Aussagen müssen der Wirklichkeit entsprechen und die jederzeitige Nachprüfbarkeit des Inhalts einkalkulieren.“ Vor dem Hintergrund dieser vielen Wenn und Aber erschien die Empfehlung „Taktische Öffentlichkeitsarbeit und mit ihr anlassbezogene Pressearbeit ist somit Bestandteil der Führungs- und Einsatzkonzeption“ kaum durchführbar.

Im neuen Jahrtausend setzte der BGS im Bereich „Öffentlichkeitsarbeit/Presse“ zunehmend auf externe Wissensvermittler. Ein Modul war die fünftägige Veranstaltung „Basisseminar Öffentlichkeitsarbeit“, die zum Beispiel im Jahr 2003 im GSP Süd angeboten wurde. Darin sollte ein Grundwissen im Umgang mit der Öffentlichkeit und der Presse vermittelt werden. Jedoch blieben Vorbehalte bestehen. Dies zeigte sich zum Beispiel in einem Beitrag in einer BGS-Mitarbeiter-Zeitschrift. Dort konnte man lesen: „Trotz sehr gutem Seminar (sic) wird man aber das Bild nicht los, dass das Schneewittchen-Ende, als die Königin in die heißen Tanz-Pantoffel steigen musste, an denen sie sich letztlich verbrannte, stark an die tägliche Situation von Pressebeauftragten im Umgang mit Medienvertretern erinnert.“

Einen deutlichen Schub nach oben erhielt der Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit nach der Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei. Der deutlich erhöhte Stellenwert spiegelt sich in der Gegenwart auch in der Besetzung der Spitzenpositionen im Bundespolizeipräsidium in Potsdam wider. Allein dort sind eine Frau und ein Mann im Range eines Regierungsdirektors, ein Polizeidirektor und eine Oberregierungsrätin als Pressesprecher tätig.

 

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BKMS Benchmarking Report 2021

Meldungen über Missstände haben sich in den letzten sieben Jahren verfünffacht

Hinweisgebersysteme etablieren sich immer mehr in den Unternehmen: So hat sich in den letzten sieben Jahren die Zahl der Meldungen über Missstände verfünffacht – 2021 lag sie bei 2,5 pro 1.000 Mitarbeiter.

Das geht aus dem aktuellem „BKMS Benchmarking Report“ der EQS Group (www.eqs.com), dem europäischen Marktführer für Hinweisgebersysteme, hervor. Hierfür wurden 80 Unternehmen mit 2,4 Millionen Mitarbeitenden aus unterschiedlichen Branchen befragt, die das BKMS® System in 200 Ländern und 70 Sprachen nutzen.

„Whistleblowing ist kein Nischenthema mehr, sondern längst in der Gesellschaft angekommen. Das zeigt auch die steigende Akzeptanz von Hinweisgebersystemen, die sich aus dem 'BKMS Benchmarking Report' ablesen lässt. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die EU-Whistleblower-Richtlinie jetzt möglichst schnell in nationales Recht umgesetzt wird, damit Hinweisgebende und Unternehmen endlich Rechtssicherheit haben“, kommentiert Marcus Sultzer, Vorstand der EQS Group, die Ergebnisse. Hintergrund: Im Dezember vergangenen Jahres ist für die EU-Staaten die Frist abgelaufen, ein nationales Gesetz zum Hinweisgeberschutz einzuführen, bisher wurde diese Vorgabe jedoch nur in wenigen Ländern erfüllt, darunter Schweden, Dänemark und Portugal.

Meldungen pro 1.000 Mitarbeitende stark gestiegen

Immer mehr Menschen geben Hinweise zu Missständen in Unternehmen ab: So sind in den letzten Jahren die Meldungen pro 1.000 Mitarbeitende pro Jahr kontinuierlich angestiegen. 2021 lag der Wert bei 2,5 Meldungen, im Jahr 2014 belief sich dieser auf 0,5 Meldungen pro 1.000 Mitarbeitenden. Somit haben sich die Meldungen in den vergangenen sieben Jahren verfünffacht. Dies verdeutlicht, dass die Hinweisgebersysteme zunehmend genutzt werden und in den Unternehmen etabliert sind. Besonders viele Meldungen gehen in den Bereichen Bau sowie Banken und Versicherungen ein.

9 von 10 Unternehmen erlauben auch Meldungen von externen Stakeholdern Immer mehr Unternehmen adressieren ihr Hinweisgebersystem nicht nur an die Mitarbeitenden, sondern auch an externe Stakeholder. So können bei 87 Prozent der befragten Unternehmen und Organisationen Lieferanten, Partner oder die allgemeine Öffentlichkeit auf Missstände hinweisen. Dies wird auch genutzt, wie der Report deutlich macht: Bei 26 Prozent der Unternehmen waren mehr als ein Viertel der Erstmeldungen von externen Hinweisgebenden, bei elf Prozent liegt der Anteil sogar bei über der Hälfte.
Fast drei Viertel aller Hinweisgebenden unterstützen die Aufklärung.

Viele Hinweisgebende befürchten Repressalien, wenn sie auf Missstände aufmerksam machen und bevorzugen daher die Möglichkeit, anonym zu melden: 65 Prozent der Unternehmen gaben an, dass mehr als die Hälfte der Erstmeldungen ohne Angaben zur Identität erfolgt, bei 40 Prozent liegt der Anteil sogar bei über 70 Prozent. Die meisten Hinweisgebenden möchten zwar anonym bleiben, das hindert sie aber nicht daran, die weitere Aufklärung zu unterstützen. 70 Prozent haben sich daher einen geschützten Postkasten eingerichtet, um mit dem Unternehmen zu kommunizieren.

Missbräuchliche Meldungen sind die absolute Ausnahme

Einige Unternehmen stehen der Implementierung eines Hinweisgebersystems misstrauisch gegenüber, denn sie vermuten, dass dadurch auch falsche, denunziatorische Meldungen eingehen. Der Report zeigt jedoch, dass diese Angst unbegründet ist: 78 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass der Anteil missbräuchlicher Meldungen bei unter zwei Prozent liegt, bei 43 Prozent beläuft sich der Wert sogar auf weniger als ein Prozent.
Unternehmen lehnen finanzielle Belohnung für Hinweisgebende mehrheitlich ab.

Zu der Frage, ob Hinweisgebende nach US-amerikanischem Vorbild eine finanzielle Belohnung erhalten sollten, haben die Unternehmen eine klare Meinung: 72 Prozent finden diese Vorstellung nicht begrüßenswert, das sind 13 Prozent mehr als im Vorjahr, beim letzten BKMS Benchmarking Report. Währenddessen finden 22 Prozent eine finanzielle Entschädigung der Whistleblower angebracht, weitere sechs Prozent stehen dem Vorschlag neutral gegenüber.

Den vollständigen Benchmarking Report 2021 finden Sie hier.

-PM EQS Group-

 

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Langzeitschäden einer CO-Vergiftung

Tödliches Kohlenmonoxid dringt durch alle Wände

Giftiges Kohlenmonoxid kann in Mehrfamilienhäusern durch Wände, Fußböden sowie Decken dringen und dadurch Bewohner sämtlicher Etagen und angrenzender Häuser in Lebensgefahr bringen.

Dies ist das zentrale Ergebnis des abschließenden Forschungsberichts vom Institut für Brand- und Katastrophenschutz Heyrothsberge. Vor dem Hintergrund zunehmender CO-Vergiftungsfälle in Deutschland haben Wissenschaftler des Instituts das Verhalten von Kohlenmonoxid bei der Durchdringung unterschiedlicher Wandkonstruktionen in einem leerstehenden Mehrfamilienhaus untersucht.

CO dringt schneller durch Fugen, Heizungsleitungen und Kabelkanäle

„Bislang lagen uns keine Erkenntnisse vor, inwieweit Putze, Farbanstriche, Tapeten oder Fliesen einen Einfluss auf die CO-Permeation, das heißt auf die Durchdringung von Wänden durch Kohlenstoffmonoxid, ausüben“, erklärt Dr. Julia Kaufmann, Mitarbeiterin des Forschungsprojektes und ergänzt: „Durch die Laborversuche konnten wir feststellen, dass Wandfarbe oder Tapeten im Vergleich keinen Unterschied machen. Dagegen tragen Fugen, besonders zwischen vielen kleinen Fliesen, Heizungsleitungen und Kabelführungen zur Beschleunigung der CO-Ausbreitung bei. Außerdem können wir davon ausgehen, dass Anbauwände, Polstermöbel etc. CO aufnehmen und wieder abgeben. Bei einem Rettungseinsatz muss daher auch nach einer Lüftungsmaßnahme durch die Feuerwehr von einem möglichen Wiederanstieg der CO-Konzentration ausgegangen werden.“ Somit sollten direkt nach einem CO-Vorfall die Lüftungsmaßnahmen gegebenenfalls wiederholt und die Räume über einen längeren Zeitraum nachgelüftet werden.

Symptome einer CO-Vergiftung und Langzeitfolgen

Eine akute CO-Vergiftung geht meist mit erheblichen gesundheitlichen Beschwerden, Bewusstlosigkeit und sogar Todesfolge einher. „Schon geringe Kohlenmonoxidmengen über einen längeren Zeitraum können zu chronischen Vergiftungen mit Langzeitfolgen wie Demenz, Diabetes mellitus oder Herz-Kreislauf-Ereignissen führen. Auch Psychosen, Lähmungen und vor allem Morbus Parkinson kommen immer wieder vor“, erklärt Dr. Hella Körner-Göbel von der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands e.V. (BAND).

Eine akute oder auch schleichende CO-Vergiftung kann zu Langzeitschäden führen.
© Datenquelle: https://www.aerzteblatt.de/archiv/203925/Diagnostik-und-Therapie-der-Kohlenmonoxidvergiftung

CO-Melder warnen rechtzeitig vor dem Atemgift

Da das farb-, geruchs- und geschmacklose Kohlenmonoxid von menschlichen Sinnesorganen nicht wahrnehmbar ist, kann es nur mit technischen Geräten wie CO-Meldern detektiert werden. Kohlenmonoxid-Melder sollten in Aufenthalts- und Schlafräumen, mindestens aber in Räumen mit brennstoffbetriebenen Geräten installiert werden. Hermann Schreck, Vize-Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), erläutert: „CO-Melder überwachen permanent die Umgebungsluft in Wohnräumen und schlagen bei gesundheitsgefährdenden CO-Konzentrationen Alarm. Sie helfen, lebensgefährliche Vergiftungen oder auch Langzeitschäden mit Kohlenmonoxid zu vermeiden, denn die Geräte warnen frühzeitig vor der unsichtbaren Gefahr.“

-PM Initiative zur Prävention von Kohlenmonoxid-Vergiftungen-

 

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Künstliche Intelligenz transparenter gestalten

Künstliche Intelligenz (KI) wird in immer mehr Bereichen eingesetzt. Welche Daten wie verwendet werden, verstehen jedoch nur noch wenige. Ein internationales Forschungsprojekt unter Beteiligung der Universität Kassel möchte Transparenz schaffen.   

Das Projekt „AI Forensics: Accountability through Interpretability in Visual AI Systems" konzentriert sich dabei auf den Einsatz von Bild-Systemen. „Gerade der Bereich der Gesichtserkennung wächst immer weiter. Beispielsweise wird in den USA eine KI mit Gesichtserkennung genutzt, um potenzielle Gefährder zu erkennen. Was der allgemeinen Sicherheit dient, ist gleichzeitig auch ein Eingriff in Persönlichkeitsrechte. Wir möchten Entscheidungen der KI-Entscheidungen nachvollziehbar machen“, erläutert die Projektbeteiligte Prof. Dr. Claude Draude vom Wissenschaftlichen Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung der Universität Kassel. 

Ziel ist eine frei für die Öffentlichkeit zugängliche Internetplattform, die große Datensätze erschließbar macht. Modelle des maschinellen Lernens sollen so analysierbar und verstehbar gemacht werden. „Nutzende können zum Beispiel ein Bild hochladen und eine automatische Untersuchung aktivieren. Das System überprüft, ob das Bild bereits in einem Datensatz ist (Datensatz-Forensik), wie es in einem Modell verwendet wurde (Modell-Forensik), und wo und zu welchem Zweck (Anwendungsforensik). Der Umfang dieser Fähigkeiten variiert von Modell zu Modell und veranschaulicht unterschiedliche Grade von Transparenz und Interpretierbarkeit auf dem Spektrum der für die Forschung verfügbaren Modelle“, erklärt Draude.

Initiative „Künstliche Intelligenz“ der VolkswagenStiftung

Gefördert wird das Vorhaben im Rahmen der Initiative „Künstliche Intelligenz“ der VolkswagenStiftung. Es hat eine Laufzeit von drei Jahren und wird mit 1,5 Millionen Euro unterstützt. Neben der Universität Kassel sind das Institut für Künstliche Intelligenz und Medienphilosophie der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, das Department of Computer Science der Durham University in Großbritannien sowie das Department of Germanic and Slavic Studies der University of California in Santa Barbara (USA) beteiligt. Technische Partner sind das Steinbuch Centre for Computing am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und das NVIDIA CUDA Forschungszentrum an der Durham University.

 

Die DFG-Geschäftsstelle in Bonn-Bad Godesberg (2006)
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Die Polizei zwischen Wissenschaftsanspruch und Manipulation – Anmerkungen zu einer umstrittenen Studie

Polizei und Wissenschaft – nicht immer eine Liebesbeziehung

Von Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D., Berlin

Wer als Polizeibeamter gelegentlich Zweifel an den Früchten wissenschaftlicher Bemühungen insbesondere aus dem Bereich der Sozialwissenschaften äußert, wenn sie denn sein Berufsfeld betreffen, begibt sich auf dünnes Eis, denn mancher Vertreter der Scientific Communitiy, der mit einer gewissen Vorliebe insbesondere die gesellschaftliche Rolle der Polizei kritisch und meistens zu deren Nachteil auf den Prüfstand stellt, reagiert ausgesprochen dünnhäutig, wenn die Polizei mit ähnlicher Kritikbereitschaft sein wissenschaftliches Wirken bedenkt.

Was wissenschaftlichen Unmut betrifft, hat die Polizei jedoch kein Alleinstellungsmerkmal. Das musste z.B. der Kabarettist und Moderator Dieter Nuhr erfahren, als er durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), dem zentralen Selbstverwaltungsorgan der Wissenschaft in unserem Lande, zu einem Beitrag für eine Jubiläumskampagne aufgefordert wurde. Dieter Nuhr veröffentlichte folgenden Videoclip: „Wissen bedeutet nicht, dass man sich zu 100 % sicher ist, sondern dass man über genügend Fakten verfügt, um eine begründete Meinung zu haben. Wissenschaft ist nämlich keine Heilslehre, keine Religion, die absolute Wahrheiten verkündet. Und wer ständig ruft „Folgt der Wissenschaft!“ hat das offensichtlich nicht begriffen. Wissenschaft weiß nicht alles, ist aber die einzige vernünftige Wissensbasis, die wir haben.“ Im Grunde stellte Nuhr lediglich fest, was jeder Wissenschaftstheoretiker ohnehin bestätigt, dass nämlich Wissenschaft für komplexe Sachverhalte keine gesicherten Wahrheiten verkündet- die Corona-Pandemie beweist dies gerade- und Unsicherheit, die Vorläufigkeit empirischer Erkenntnisse und das Aufzeigen der Grenzen die wesentlichen Legitimierungsgrundlagen von Wissenschaft sind. Dies hinderte jedoch eine beträchtliche Zahl von Wissenschaftlern nicht, viral gegen die Äußerungen Nuhrs vorzugehen, da sie sich diskreditiert fühlten, und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die sich in ihren Satzung eigentlich zur Förderung der Wissenschaft in allen ihren Zweigen bekennt, hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Eintrag ohne vorherige Absprache mit Nuhr zu löschen.

Nun hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft aktuell auch eine gewisse Relevanz für die Polizei, denn aus ihrem Jahresbudget von 3,3 Milliarden Euro, das fast ausschließlich aus Steuergeldern besteht, finanziert sie das umstrittene auf zwei Jahre angelegte Projekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte“ (KviAPol) des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaften an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität. Dabei wird von Fachleuten die Intransparenz bei der Vergabe von Fördermitteln ohnehin bemängelt. Firmiert das Projekt mit der Nummer 361231439 auf der Detailseite der DFG noch unter dem eher unverfänglichen Titel „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte, Viktimisierungsprozesse, Anzeigeverhalten, Dunkelfeldstruktur“, so haben die beiden zwischenzeitlich ergangenen Zwischenberichtbei bereits einen anderen Zungenschlag. Jetzt ist suggestiv und assoziativ unter bewusster Verwendung des Topos „Gewalt“ in den Überschriften von „Polizeiliche Gewaltanwendung aus der Sicht der Betroffenen“ bzw. „Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung“ die Rede. Bereits die Überschriften sind Programm; sie signalisieren nicht wissenschaftsbasierte Meinung, sondern meinungsbasierte Wissenschaft. Es war in diesem Zusammenhang nicht möglich, die für das Forschungsprojekt von der DFG bereitgestellte Summe sowie den Inhalt der beiden Gutachten zu erfahren, die für die Einreichung und Genehmigung des Projektes erforderliche waren

Aus Sicht der Polizei hätte es im Bereich der inneren Sicherheit -wenn es um das Phänomen Gewalt geht- wahrlich lohnendere und vordringlichere Forschungsprojekte gegeben.

verbrannte Polizeiautos nach einem Brandanschlag in der Innenstadt von Magdeburg am 08.September 2016.
© stock.adobe.com/Von Heiko Küverling

So z.B. zu den Ursachen und Auswirkungen der Verrohung in der Gesellschaft, in der Hass, die Hetze sowie die Bedrohung und Aggressionen gegen Hoheitspersonen, Amtswalter und Mandatsträger unterschiedlicher Couleur und selbst gegen Hilfskräfte bei Unfällen zwischenzeitlich derart bedrohliche Dimensionen angenommen haben, dass die Städte- und Gemeindetage den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht und sich gezwungen sahen, im Zusammenwirken mit dem Nationalen Zentrum für Kriminalprävention eine Handreichung zur Bekämpfung von Hasskriminalität herauszugeben. Zudem scheint der Tipping point erreicht, das Stadium, in dem eine Entwicklung irreversibel wird, Gegenstrategien immer weniger Erfolge versprechen. Bei diesem Thema sind allerdings fundierte Analysen der sonst so schreibfreudigen Sozialwissenschaftler zu Ursachen und Konsequenzen zunehmender Gewalt als soziales Phänomen eher Mangelware, da in der Scientific Community die Teilnahme am allgemeinen Polizeibashing eher billigen Beifall verspricht als die Parteinahme für die Beamtenschaft.

Zur Entstehungsgeschichte des Projektes

Zum Initiator des Projektes, dem Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Universität, scheinen zum weiteren Verständnis einige Anmerkungen angebracht. Dieser Lehrstuhl bietet den weiterbildenden Master „Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft“ an, bei dem es sich um einen berufsbegleitenden, interdisziplinären Masterstudiengang handelt, der in einem zweijährigen Blended-Learning-Studium Grundlagen, aktuelle Forschungsergebnisse sowie empirische Methoden in Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft vermitteln soll und von interessierten Jungpolizisten zunehmend häufiger zur Verbesserungen ihrer Karriereambitionen genutzt wird. Langjähriger Lehrstuhlinhaber von 2002 bis 2019 war der nunmehr emeritierte Professor Thomas Feltes, dem Professor Tobias Singelnstein nachfolgte. Beide Universitätslehrer als enthusiastische Verteidiger polizeilicher Belange zu bezeichnen, wäre ausweislich ihrer zahleichen polizeikritischen Veröffentlichungen ein milder Euphemismus. Als kürzlich ein kurzes Video über einen umstrittenen Polizeieinsatz in der Düsseldorfer Altstadt im Netz viral ging, bewertete Feltes das Vorgehen umgehend ohne nähere Kenntnisse der Einsatzumstände als einen Fall, mit dem sich die Anti-Folter-Kommission des Europarats beschäftigen müsse, und Singelnstein forderte wegen der „starken Binnenkultur“ bei der Polizei die Aufklärung statt durch Polizei oder Staatsanwaltschaft durch neutrale Stellen. Soweit zum erkenntnisleitenden Interesse.

Dieser Lehrstuhl schickt sich nun nach eigenem Bekunden an, mit seiner im März 2018 gestarteten Studie Viktimisierungsprozesse, Anzeigeverhalten und Dunkelfeldstruktur im Bereich der Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte im Rahmen einer quantitativen Opferbeteiligung zu untersuchen, da dieser Phänomenbereich bislang empirisch nicht erforscht wurde, praktisch keine Erkenntnisse vorlägen und das Thema angeblich die öffentliche Debatte intensiv beschäftige. Der erste Teil des Projektes, zu dem am 17. September 2019 ein erster Zwischenbericht veröffentlich wurde, enthält die Daten einer quantitativen Opferbefragung, der zweite Zwischenbericht, der am 11. November 2020 vorgestellt wurde, sollte ursprünglich die Auswertung von Expertenbefragungen in Form qualitativer Interviews enthalten. Das Projekt soll bis Ende Januar 2021 laufen, um dann mit belastbaren Daten zu Viktimisierungsverhalten, Aufarbeitung, Dunkelfeld und Anzeigeverhalten aufwarten zu können. Der wissenschaftliche Beirat des Projekts besteht aus Vertretern von Opferverbänden, Menschenrechtsorganisationen, der Strafverteidigung, der Polizei und der Sozialwissenschaften, wobei der praktizierende Polizist unterrepräsentiert ist. Die Mitglieder sind nicht Teil des Projekts, sondern haben im Wesentlichen die Aufgabe, Anregungen zu geben und als Ansprechpartner für methodologische Fragestellungen zu sein.

Wer als Polizeibeamter sich der Mühe unterzieht, die beiden Zwischenberichte durchzuarbeiten, muss in hohem Maße stressstabil sein, denn die beiden Abhandlungen machen dem an die Präzision der Rechtssprache und der polizeilichen Einsatzlehre gewohnten Polizeibeamten wegen ihrer Kumulation von gegenderten Satz- und Wortungeheuern und dem Soziologenvokabular das Lesen zur Tortur. Schwerer als diese aus den Sozialwissenschaften ohnehin gewohnte Verfahrensweise wiegt aber die Tatsache, dass durch Wortwahl und ständige Wiederholung bestimmter Begriffe eine bestimmte Tendenz suggeriert wird. Ließ die ursprüngliche Titulierung des Forschungsprojektes, „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte“ wegen der Bezugnahme auf eine juristisch eindeutige definierte Kategorie zumindest ein einigermaßen objektives Framing des Projektes erhoffen, wartet die Studie in den beiden vorliegenden Zwischenberichten nunmehr mit den Überschriften „Polizeiliche Gewaltanwendung aus der Sicht der Betroffenen“ bzw. „Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung“ auf. Die mit diesen Formulierungen verbundene suggestive und denunziatorische Absicht wird noch dadurch verstärkt, dass in den Texten ständig wiederholend von „rechtswidriger Polizeigewalt“ die Rede ist. Bereits durch die Wortwahl wird vorausgesetzt, was eigentlich analysiert werden soll, ein Verfahren, dass schon seit dem Mittelalter als Petitio principii, als Zirkelschluss, verpönt ist.

Begünstigt wird die abwertende Tendenz dadurch, dass im Verständnis weiter Teile der Bevölkerung das der Polizei zugeschriebene Gewaltmonopol nicht mit der Durchsetzung von polizeilichen Maßnahmen gegen den Willen des Pflichtigen mit Mitteln des unmittelbaren Zwanges assoziiert wird, sondern als schädigende Einflussnahme auf andere verstanden wird. Diese Deutung rührt daher, dass das Kompositum Gewaltmonopol als Prinzip weder verbindlich definiert noch verfassungsrechtlich verortet ist und selbst in Kommentaren zum Grundgesetz ohne nähere Begründung als selbstverständliche Voraussetzung für Rechtsstaatlichkeit begriffen wird. Dabei hat der auf den Soziologen Max Weber zurückgehende Begriff andere Wurzeln. Weber ging es weniger um Gewalt als vielmehr um die Charakterisierung politischer Verbände: „Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt.“1 Er benutzte wohlbemerkt den Terminus „legitimer physischer Zwang“, nicht „Gewalt“. Das hindert die Literatur nicht, zum komplexen Phänomen Gewalt ein Vielzahl von Deutungen und kontroversen Begriffsinhalte anzubieten, wobei man sich noch nicht einmal einig ist, ob Gewalt eine anthropologische Konstante oder die Umschreibung eines sozialen Phänomens ist. Offensichtlich entzieht sich der Begriff in der Diskussion einer verbindlichen Einordnung, zumal er normativ aufgeladen ist sowie politisch instrumentalisiert und medial häufig genug skandalisiert wird. Allenfalls kann Gewalt als Folge sozialer Asymmetrien begriffen werden, da bei Konflikten in gegebenen Strukturen eine konsensuale Lösung häufig nicht möglich ist, mit der Folge, dass dann unter Umständen gegenseitig Zwang ausgeübt wird und letztendlich ein Schlichtungsorgan tätig werden muss. In der Regel ist das die Polizei.

Der erste Zwischenbericht - mehr Behauptung als Beweis

Da sich die Ersteller der Studie außerstand sahen, durch Aktenanalysen, Fallstudien, teilnehmende Beobachtung oder Auswertung amtlicher Statistiken das Dunkelfeld aufzuhellen, wählte man den Weg einer quantitativen Betroffenenbefragung auf der Grundlage von Selbstselektion, da aus methodischen Gründen eine Stichprobenziehung bei einer zufällig ausgewählten Population nicht in Frage kam. Bei diesem Verfahren entscheidet die Person im Gegensatz zu systematischen Stichprobenverfahren selbst, ob sie zur Stichprobe gehört. Die Ansprache und Rekrutierung von Betroffenen erfolgten über eine gezielte Online-Befragung, wobei man sich eines Schneeballverfahrens und des Einsatzes sogenannter Gatekeeper bei gleichzeitiger intensiven Nutzung von Flyern und der Sozialen Medien bediente. Besondere Erkenntnisse erwartete man von fünf Gruppen: gesellschaftlich marginalisierte Personen, Fußballfans, politisch aktive Personen, Medienvertreter und nicht-organisierte Personen. Die Studie umfasst im ersten Teil eine quantitative Opferbefragung per Onlinefragebogen, im zweiten Teil sollten Experteninterviews folgen. In der Online-Untersuchung wurden bei 11 500 Zugriffen 5.677 Personen befragt, die Angaben von 3375 Betroffenen fanden nach Bereinigung der Daten Eingang in die Studie.

Am Verfahren ist in mehrfacher Hinsicht von den Berufsvertretungen der Polizei, aber auch von Einzelpersonen Kritik geübt worden, die die aufgestellten Thesen und die Verallgemeinerung von Einzelfällen zum Systemproblem für fragwürdig halten, zumal die initiierenden Lehrstuhlinhaber der Studie von der Ruhr-Universität sich bisher eher gegen als für die Polizei positionierten. Gravierender sind jedoch die Einwände gegen die eigentliche Methodik, da die Befragten selbst, durch die suggestive Fragestellung begünstigt, definierten, was sie unter rechtswidriger Gewalt verstehen. Zu einem derartigen Verfahren hat sich bereits der Schweizer Gewaltforschers Alberto Godenzi kritisch geäußert: „Wer welche Handlung, welches Ereignis, welche Institution als gewalttätig definiert, hängt entscheidend vom sozialen Ort der evaluierenden Person ab. Gewaltdefinitionen sind Werturteile, auch dann, wenn die Forschenden die Bestimmung und den Bedeutungszusammenhang der Gewalt den unmittelbar beteiligten Personen überlassen.“2

Die Form der willkürlichen Stichprobenziehung durch Selbstselektion beinhaltet methodologische Probleme und unterliegt verschiedenen Verzerrungen, sozialwissenschaftlich als Self Selection Bias (self selection gleich Selbstauswahl, bias gleich Verzerrung) bezeichnet. Obwohl häufig bei Online-Befragungen genutzt, ist die Stichprobe bei diesem Auswahlverfahren nicht repräsentativ und lässt keinen Rückschluss auf die Gesamtheit zu. Die Auswahlwahrscheinlichkeit wird durch individuelle Faktoren der Befragten, deren persönliche Interessen und Vorerfahrungen sowie Umfang und Möglichkeit der Internetnutzung bestimmt. Weicht die Meinung der befragten Gruppe deutlich von der Zielpopulation ab, sind kaum valide Rückschlüsse auf das Verhalten der Grundgesamtheit möglich.

Bei den untersuchten Sachverhalten handelt sich durchweg um Verdachtsfälle, nicht um nachgewiesene rechtswidrige Übergriffe. Eine juristische Überprüfung und eine Schlüssigkeitsprüfung fanden nicht statt, zumal den Befragten Anonymität zugesichert wurde. Es handelt sich um subjektive Einschätzungen der Betroffenen. Die Umstände und Interaktionen, die zu vermeintlicher Gewaltanwendung führten, blieben unbekannt, so dass davon auszugehen ist, dass in der Stichprobe auch rechtmäßiger Zwang in nicht bekannter Zahl enthalten ist. Mithin wurde nicht die tatsächliche Zahl möglicher Körperverletzungen im Amt -darum geht es ausweislich der Überschrift- ermittelt, sondern die Zahl der Vorfälle, die von Betroffenen als Gewalt empfunden wurden.

verbrannte Polizeiautos nach einem Brandanschlag in der Innenstadt von Magdeburg am 08.September 2016.
© stock.adobe.com/Von Heiko Küverling

Dass die meisten Betroffenen Gewalt bei politischen Veranstaltungen und im Zusammenhang mit Fußballspielen erlebten, kann als tragende Erkenntnis nur denjenigen verwundern, an dem die Gewalteskalation im öffentlichen Raum vorbeigegangen ist. Auch wurde nicht überprüft, inwieweit besonders involvierte Gruppierungen wie z.B. linksorientierte gewaltaffine Gruppierungen oder die Fangruppen im Fußballbereich gezielt die Befragungsaktionen steuerten und z.B. durch Mehrfachnennungen Einfluss auf das Ergebnis nahmen. Selbst die Projektleitung musste zugegeben, dass es sich bei den meisten Anlässen um „etablierte Konfliktverhältnisse“ handele, denen bekanntlich Auseinandersetzungen mit der Polizei immanent sind. Auf die Ausgangsfaktoren der jeweiligen Konfliktsituationen wurde erst gar nicht eingegangen.

Da auch Wissenschaftler nicht frei von Eitelkeit sind, wurde von Initiatoren der Studie offensichtlich besonderer Wert auf eine offensive Pressearbeit gelegt, denn bereits 2018 wurde in zwei Pressemitteilungen für das Projekt geworben und 75 Journalisten über das Vorhaben informiert. Obwohl die Studie erst 2021 mit einer Expertenanhörung abgeschlossen werden soll, wurde von der Forschungsgemeinschaft bereits im Spätsommermedienloch 2019 ein Zwischenbericht auf den Medienmarkt geworfen, der ein hohes Dunkelfeld bei rechtswidriger Gewalt durch Polizeibeamte suggerierte. 3 Das Dunkelfeld sei gewaltig groß, nur einer von sechs Fällen werde -konservativ geschätzt- überhaupt bekannt.4 Der Erfolg bleib nicht aus. Landauf, landab berichteten die Medien oftmals mit reißerischen Überschriften und verstiegen sich zum Teil mit pauschalen und undifferenzierten Darstellungen zu rechtsstaatlichen Untergangsszenarien, die sich insbesondere in linksorientierten Medien bis zu grotesken Behauptungen steigerten, dass Polizisten in Deutschland quasi straffrei agierten. Dass von den Initiatoren bei der Medienarbeit nicht auf die evidenten Defizite der Untersuchung eingegangen wurde -fehlende Repräsentativität des Samples und damit Unzulässigkeit der Übertragung auf die Gesamtbevölkerung sowie bloße Wiedergabe der Perspektiven der Betroffenen- wurde erst gar nicht problematisiert.

Der zweite Zwischenbericht – von Systematik keine Rede

Der zweite Zwischenbericht wurde am 11. November 2020 vorgelegt und zeichnete sich dadurch aus, dass er keinen der im Vorfeld und im ersten Zwischenbericht zugesagten Weiterführungen gerecht wurde. Dies gilt insbesondere für die Verheißung, die Einschränkung und Widersprüche des ersten Zwischenberichts durch kompensierende Datengenerierung im Rahmen einer Experten-Befragung auf den Prüfstand zu stellen und den Kontext des polizeilichen Bearbeitungsprozesses zu untersuchen. Bereits die Überschrift „Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung“ deutete an, dass die vom Fachmann heiß erwarteten Experteninterviews nicht auf einem Premiumplatz des Vorhabens standen, sondern Kontextfaktoren wie Rassismus und Diskriminierung diskutiert wurden, zwei Konstrukte, die jedes für sich einer gesonderten Studie bedurft hätte. Ursprünglich waren 63 Experteninterviews vorgesehen: 63 Interviewpartner aus der Zivilgesellschaft, 20 aus dem Bereich der Justiz und 22 von der Polizei. Für den Bericht wurden 17 Interviews herangezogen, wobei neun Personen aus der Zivilgesellschaft interviewt wurden sowie acht Polizeibeamte. Besonders irritierend wirkt, dass ohne nähere Begründung die justizielle Nachbereitung nicht in die Interviews einbezogen wurde, obwohl der erste Zwischenbericht noch vollmundig ankündigte, dass die Interviews mit Personen aus der Justiz darauf abzielen, ergänzende Erkenntnisse zur besonderen Erledigungspraxis bei einschlägigen Ermittlungsverfahren zu gewinnen.

Thomas Feltes (2011)
© Von Feltes - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37433026
Gemeinhin geht man davon aus, dass Experteninterviews ein besonderes sonst nicht verfügbares spezialisiertes Wissen durch Personen vermitteln, die entweder ausgewiesene Fachleute innerhalb ihrer Organisation sind oder durch besondere Expertise außerhalb der jeweiligen Organisation Anerkennung gefunden haben. Diesen Personenkreis unterstellt man aufgrund von Praxis- und Erfahrungswissen einen privilegierten Zugang zum untersuchten Handlungsfeld sowie hohe Feldkompetenz in Hinblick auf Entscheidungsprozesse und Problemlösungen. Die von den Initiatoren aufgebotenen Interviewpartner aus der Zivilgesellschaft entstammten Anlaufstellen für marginalisierte Gruppen sowie Opferberatungs- und Dokumentationsstellen ergänzt durch einen Journalisten. Ausweislich der bisher bekannt gewordenen Veröffentlichung dieser Organisationen ist eher eine polizeikritische Einstellung zu vermuten.

Die Belange der Polizei wurden durch eine Führungskraft, zwei interne Ermittler und fünf Polizeibeamte aus dem Wach- und Wechseldienst vertreten. Bei dieser Auswahl ist nicht nur die geringe Zahl der polizeilichen Interviewpartner erstaunlich, sondern auch die Verwendungsbereiche, die für die von Initiatoren genannten Hauptanlässen für gewaltsame Übergriffe der Polizei (politische Veranstaltungen und Fußballspiele) nicht gerade einsatzbestimmend sind. Dabei fiel wie bei ähnlichen Studien auch die Tatsache unter den Tisch, dass immer von der Polizei die Rede ist, obwohl die Bundesrepublik über 16 unterschiedliche Länderpolizeien und zwei Bundespolizeien mit vielfältiger Diversifizierung und je unterschiedlichen Einsatzphilosophien in Abhängigkeit von der politischen Orientierung der jeweiligen Regierungskoalition verfügen und die keiner Generalisierung zugänglich sind.

Zum Vergleich: Bei einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen über Gewaltviktimisierung von Polizeibeamten aus dem Jahre 2010 nahmen allein zehn Bundesländer mit Polizeibeamten aus sieben unterschiedlichen Verwendungsbereichen teil. Im konkreten Fall erfolgte die Rekrutierung der polizeilichen Interviewpartner durch Anfragen bei allen Länderinnenministerien und dem Bundesinnenministerium. Nur 12 von 17 Ministerien erteilen eine Interviewgenehmigung, wobei teilweise die Teilnehmer bestimmt wurden, teilweise aber auch aus eigener Initiative teilnehmen konnten. Da die Details der Interviews nicht bekannt sind, kann nicht nachvollzogen werden, worin die besondere Expertise der Befragten für Fragen polizeilicher Gewaltausübung und rassistische Diskriminierung bestand. Wenn aber in Hinblick auf die Sensibilität des Themas der gesamten Studie und die emotionale Aufladung der Rassismusdebatte ein Interviewter ausführt, dass er in einem Bereich mit hoher Migrationsrate wahrscheinlich „schneller zuhaut“ als in einem anderen Stadtbezirk oder ein anderer Interviewpartner von Einsätzen berichtet, bei denen gezielt gegen Prof. Dr. Tobias Singelnstein
© 2021 Centre for Security and Society
farbige oder türkischstämmige Personen vorgegangen wird, wobei gezielt Kleinigkeiten zum Anlass genommen werden, um Situationen aufzubauschen oder Handeln zu provozieren, darf man sich einerseits nicht wundern, dass die Verfasser der Studie bei der Polizei nicht nur individuelles Handeln nach Stereotypen, sondern auch ein grundsätzliches rassistisches Strukturproblem vermuten. Dies allerdings begünstigt durch unbedachte Äußerungen von Polizeibeamten, die die Sprengkraft ihrer Äußerungen offensichtlich nicht erkannten oder intellektuell dem Interview nicht gewachsen waren.

Ansonsten sind die auf dünner Datenbasis generierten Erkenntnisse eher banal. Sie beziehen sich auf unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen bei bestimmten Personengruppen, die mangelnde Bereitschaft zur Anzeigenerstattung sowie unterschiedliche Wahrnehmungsperspektiven bei Polizei und Betroffenen. Immerhin waren die Autoren der Studie so objektiv zu bekennen, dass die Größe des Problems anhand der vorliegenden Daten nicht beurteilt werden kann und es weiterer Forschung zu diesem Themenfeld bedarf. Auch mussten sie anerkennen, dass Rassismus ein gesamtgesellschaftliches und alltägliches Problem ist, das sich aber bei der Polizei in besondere Weise auswirkt.

Keine Studie ohne Gegenstudie

In Hinblick auf die Tatsache, dass die Polizei ständig kritischer Betrachtung durch berufsfremde Kreise ausgesetzt ist und diese dann im Wege des Agenda Setting die Schlagzeilen der Medien bestimmen, sollte die Polizei prüfen, ob sie sich nicht verstärkter selbst in die Themensetzungsfunktion einbringt. Bisher wurde diese Rolle großzügig den Berufsvertretungen und einigen fachliterarischen Einzelkämpfern überlassen. Auch hier sollte die Polizei-wie es bei der Beurteilung der Lage so anschaulich heißt- vor die Lage kommen und selbst antizipierend die Meinungsführerschaft bestimmen, bevor die thematischen Brandsätze von anderen geworfen werden, zumal sie qua professionem in vielen Fällen mit gesellschaftlichen Konflikten und den eigenen Problemen besser vertraut ist als Wissenschaftler im Elfenbeinturm. Die Themen brennen auf den Nägeln: Fehlermanagementkultur, Rassismusdebatte, Gewalt durch und gegen die Polizei, Notwendigkeit von Polizeibeauftragten, Extremismus in der Polizei, politische Misstrauenskultur bestimmter Parteien, Korpsgeist und Schweigekartelle, Belastungsfaktoren in der Polizei, deviantes Verhalten von Polizeiangehörigen oder Missbrauch der Polizei als Mechanismus zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. Auch wenn die Ergebnisse dieser Selbstreinigungsrituale im Einzelfall schmerzen sollten, dokumentieren sie doch, dass die Polizei nicht der moralisierenden Anschubfinanzierung durch Gesinnungskartelle bedarf, deren Motivation nicht immer von objektiver Lauterkeit bestimmt ist. Die Vorschläge der GdP, diesbezügliche Forschungen zu institutionalisieren und eine Kommission aus Vertretern der Wissenschaft, der Gewerkschaft und Personalvertretungen, von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen, der polizeilichen Praxis und der polizeilichen Lehre zu bilden, zielt in die richtige Richtung und hat bereits erste Erfolge erzielt. Im Maßnahmenkatalog des Kabinettausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus vom 25. November 2020 wird beim Bundesinnenministerium unter lfd. Nummer 13 ein Forschungsprojekt zur Untersuchung des Polizeialltags und unter Nummer 15 eine Forschungsstudie zu Alltagsrassismus unter Einbeziehung von Zivilgesellschaft , Wirtschaft, Unternehmen und öffentlichen Institutionen angekündigt. Zwischenzeitlich ist bei Finanzierung durch das Bundesinnenministerium der Projektauftrag MEGAVO (Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten) an die die Deutsche Hochschule der Polizei ergangen.

Was kann nun die Polizei von der Wissenschaft erwarten?! Sie kann beim Projekt MEGAVO durch eine Vollerhebung bei allen Polizeien des Bundes und der Länder und den Einsatz qualifizierter Experteninterviews und eines geeigneten Methodenmix erwarten, dass verlässlich Erkenntnisse über Berufsalltag und Werteorientierung von Polizeibeamten generiert werden, zumal sich das Vorhaben sich über 36 Monate erstreckt. Das Projekt kann überdies Best-Practice-Modelle und Handlungsempfehlungen entwickeln, mit denen Arbeitszufriedenheit und Motivation der Polizeibeamten verbessert und die Roststellen ihres Berufes bereinigt werden können. Das Projekt kann ferner als Korrektiv zum Projekt der Ruhr-Universität dienen, da es frei von ideologischen Vorannahmen eine echte Tiefenbohrung im Bereich des gesellschaftlichen Stellenwerts der Polizei vornehmen könnte.

Hauptnachteil der Studie der Ruhr-Universität ist weniger der Inhalt als vielmehr die mediale Vermarktung. Es bleibt abzuwarten, ob die Veranlasser der Studie, statt abschließend mit einer sorgfältigen und wissenschaftlich abgesicherten Schlüssigkeitsprüfung aufzuwarten, durch ihr voreiliges Auftreten auf dem Markt der Eitelkeiten der Polizeiwissenschaft und letztlich der Kriminologie und ihrem ohnehin umstrittenen Ruf einen guten Dienst erwiesen haben, zumal sie selbst erkannten, dass das von ihnen gewählte Screening keine verlässlichen Daten liefert. In beiden Zwischenberichten sind bisher keine verwertbaren Aussagen über die situativen Faktoren „rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendung“ und die Gründe für die besondere staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Erledigungspraxis zu finden, obwohl diese als Unterpunkte bei der der Bekanntgabe des Erkenntnisinteresses ausdrücklich genannt wurden.

Die Verfasser leben von der erstaunlichen Tatsache, dass Medien offensichtlich gerade der Kriminologie wegweisende Kompetenz in praktischen Sicherheitsfragen zubilligen, obwohl ihre Vertreter meistens berufsfremd sind. Wer in Anspruch nimmt, dass Wissenschaft unabhängig ist und zu vernunftbestimmten Fortschritt und zu informierter Meinungsbildung führt, muss dies auch in Wort und Tat beweisen, stets eingedenk des Eingangsstatements von Nuhr, dass Wissen nicht bedeutet, dass man sich zu 100 Prozent sicher ist und Wissenschaft nicht alles weiß. Mit einer seriöseren und dezenter vermarkteten Studie hätte man tatsächlich neue Erkenntnisse für Aus- und Fortbildung der Polizei gewinnen können. Stattdessen hat man erneut durch wissenschaftliches Scheinhandeln die Polizei und damit den gesamten Rechtsstaat ins Zwielicht gestellt und jeden ergiebigen Diskurs über das Generalthema durch eilfertige Verdachtsrhetorik vorzeitig beendet. Geben wir den Verantwortlichen eine Chance. In einer Internetmitteilung kündigen sie an, dass der abschließende Bericht empirisch fundierte Aussagen über Fehlverhalten bei polizeilicher Gewaltausübung, differenzierte und belastbare Daten zu Viktimisierungsrisiken, zur Aufarbeitung des Dunkelfeldes und zum Anzeigeverhalten in diesem Deliktsbereich ermöglichen werden. In leichter Abwandlung eines Wortes: Nicht an ihren Worten, an ihren Ergebnissen sollt ihr sie dann messen!

 

Quellen:

1  Weber, Wirtschaft und Gesellschaft,1922, § 17.
2  Godenzi, Gewalt im sozialen Nahraum, 1994, S. 34.
3  Abdul-Rahman u.a., Polizeiliche Gewaltanwendungen aus der Sicht der Betroffenen, 17.9.2019 unter www.kviapol.rub.de.
4  Schwarzwald, Polizeigewalt wird untersucht, Berliner Morgenpost, 18. 9.2019, S. 4.

 

Schutzhund
© stock.adobe.com/ Von Martin Schlecht

Neue Tierschutz-Hundeverordnung verhindert den Einsatz von Schutzhunden

Eine Nachricht, die Sicherheitsdienstleistungsunternehmen pp., welche Schutzhunde als Einsatzmittel verwenden, verärgern wird. Wie das Hamburger Abendblatt berichtet, ist seit dem 1. Januar 2022 eine neue Tierschutz-Hundeverordnung in Kraft getreten.

Behörden von Länderpolizeien, Bundespolizei, Zoll und und Unternehmen der Sicherheitswirtschaft, welche Dienst- und Schutzhunde einsetzen, wurden im Rahmen einer Anhörung durch den Gesetzgeber nicht beachtet.  Die ASW Nord wurde von der Gesetzesveränderung ebenso nicht informiert.

Die Hamburger Polizei protestiert bereits und fordert eine Veränderung der Tierschutz-VO. Die Polizei Brandenburg zeigt sich zunächst unbeeindruckt. Die neue VO hat laut Gewerkschaft der Polizei Berlin das Zeug für fatale Auswirkungen auf die Innere Sicherheit, da Polizeien bundesweit seit Jahresbeginn keine Schutzhunde einsetzen können. Nach Sachlage sind Spürhunde von der Verschärfung nicht betroffen. 

Maßgeblich geht es um einen neuen § 7 der Verordnung, wonach Halsbänder für Hunde, also auch Arbeitshunde, nicht mehr zu Verletzungen oder zum Abschnüren führen dürfen. Besonders die Ausbildung von Schutzhunden ist nach dem derzeitigen Stand nicht mehr möglich. Eine Verschärfung dieser Vorschrift in § 7 zum 1.1.2023 wurde vom Bundesrat bereits beschlossen und erhält Gesetzeskraft. 

Betroffene Mitgliedsunternehmen werden im Rahmen einer Umfrage der ASW Norddeutschland um eine Beantwortung der folgenden Fragen gebeten:

  1. Wurde Ihr Unternehmen bei einer Gesetzesanhörung beteiligt?
  2. Welche Auswirkungen hat die neue Tierschutz-Hundeverordnung auf den Einsatz Ihrer Schutz- und Diensthunde?
  3. Wie bewerten Sie die Äußerung des Tierschutzpräsidenten Schröder auf "Abschaffung des Schutzhundewesens"?

-PM ASW Nord-

 

Im Projekt »KI4LSA« soll Künstliche Intelligenz eine intelligente, vorausschauende Ampelschaltung ermöglichen. Hochauflösende Kamera- und Radarsensorik erfasst das Verkehrsgeschehen präzise.
© Fraunhofer IOSB-INA

Künstliche Intelligenz steuert Ampelanlagen

Optimierter Verkehrsfluss und mehr Sicherheit für Fußgänger

Die Straßen sind chronisch überfüllt, an den Kreuzungen stauen sich die Fahrzeuge. Vor allem in der Rushhour bilden sich lange Warteschlangen. In den Projekten »KI4LSA« und »KI4PED« realisieren Forschende am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB, Institutsteil für industrielle Automation INA in Lemgo eine intelligente Ampelsteuerung mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Selbstlernende Algorithmen sollen in Kombination mit neuer Sensorik künftig für einen besseren Verkehrsfluss sowie kürzere Wartezeiten sorgen und Fußgängern mehr Sicherheit an Ampelkreuzungen bieten.

Die Fahrt zur Arbeit und nach Hause kann zur Tortur werden. Im Stop-and-go-Modus rollen die Autos von einer überfüllten Ampelkreuzung zur nächsten, vor allem zu Stoßzeiten ist die grüne Welle eine Utopie. Dies wollen Forscherteams am Institutsteil für industrielle Automation INA des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB im Projekt »KI4LSA« ändern. Künstliche Intelligenz soll eine intelligente, vorausschauende Ampelschaltung ermöglichen. Projektpartner sind die Stührenberg GmbH, die Cichon Automatisierungstechnik GmbH, die Stadtwerke Lemgo GmbH sowie die Alte Hansestadt Lemgo (assoziiert) und Straßen.NRW (assoziiert). Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur BMVI fördert das Vorhaben, das im Sommer 2022 endet.

Aktuelle Ampelsteuerungen sind regelbasiert, die starren Regeln passen nicht auf alle Verkehrssituationen. Zudem bilden die vorhandenen Sensoren – in den Asphalt eingelassene Induktionsschleifen – die Verkehrssituation nur grob ab. Diese Probleme adressieren die Forschenden am Fraunhofer IOSB-INA. Anstelle der herkömmlichen Sensoren implementieren sie hochauflösende Kamera- und Radarsensorik, die das Verkehrsgeschehen präziser erfasst. Die Anzahl der wartenden Fahrzeuge an der Kreuzung kann so spurgetreu in Echtzeit aufgenommen werden. Auch die durchschnittliche Geschwindigkeit der Autos und die Wartezeit werden detektiert. Die Echtzeit-Sensorik wird mit Künstlicher Intelligenz kombiniert, die die starren Steuerungsregeln ersetzt.

Die trainierten Algorithmen ermitteln das beste Ampel-Schaltverhalten, um den Verkehrsfluss zu optimieren, den durch Staus entstehenden Lärm und die CO2-Belastung zu senken.
© Fraunhofer IOSB-INA
Die KI verwendet Algorithmen des Deep Reinforcement Learning. Diese Methode des maschinellen Lernens konzentriert sich darauf, intelligente Lösungen für komplexe Steuerungsprobleme zu finden. »Wir haben von der Lemgoer Kreuzung, an der unsere Tests stattfinden, ein realitätsgetreues Simulationsmodell gebaut und die KI in diesem Modell unzählige von Iterationen trainieren lassen. Zuvor haben wir das gemessene Verkehrsaufkommen zur Rushhour in das Simulationsmodell übertragen, sodass die KI mit realen Daten arbeiten kann. Das Ergebnis ist ein per Deep Reinforcement Learning trainierter Agent, ein Neuronales Netz, das die Ampelsteuerung darstellt«, erläutert Arthur Müller, Projektleiter und Wissenschaftler am Fraunhofer IOSB-INA den Ansatz des DRL.

Die so trainierten Algorithmen ermitteln das beste Ampel-Schaltverhalten und die beste Phasenfolge, um die Wartezeiten an der Kreuzung zu verkürzen, Fahrzeiten zu senken und den durch Staus entstehenden Lärm und die CO2-Belastung zu senken. Die KI-Algorithmen laufen auf einem Edge-Computer im Schaltkasten an der Kreu-zung. Ein Vorteil: Die Algorithmen lassen sich auf Verbundschaltungen testen, anwenden und skalieren, also auf benachbarten Ampeln, die sich in einem Verbund befinden.

Große Skalierungseffekte

Um 10 bis 15 Prozent könnte der Verkehrsfluss durch Künstliche Intelligenz verbessert werden. Zu diesem Ergebnis kamen die Simulationsphasen an der überlasteten Lemgoer Kreuzung, die mit intelligenten Ampeln ausgerüstet wurde. Der trainierte Agent wird in den kommenden Monaten für die weitere Evaluation auf die Straße gebracht, sprich ins Reallabor überführt. Auch der Einfluss der Verkehrsmetriken auf Parameter wie Lärmbelästigung und Abgasemissionen wird berücksichtigt. Eine Hürde stellt dabei die unvermeidbare »Simulation-to-reality-gap« dar. »Die Annahmen zum Verkehrsverhalten in der Simulation stimmen nicht 1:1 mit der Realität überein. Dementsprechend muss der Agent angepasst werden«, sagt Müller. »Gelingt dies, ist der Skalierungseffekt enorm, bedenkt man die große Anzahl an Ampeln allein in einer Stadt wie Lemgo.«

Die EU beziffert den durch Staus verursachten wirtschaftlichen Schaden auf 100 Milliarden Euro jährlich für die Mitgliedsstaaten. KI-Ampeln sind laut Müller eine Möglichkeit, die vorhandene Infrastruktur effizienter zu nutzen. »Weltweit sind wir die ersten, die die Ampelsteuerung per Deep Reinforcement Learning unter realen Bedingungen testen. Wir setzen auf den Vorbildcharakter unseres Projekts«.

Intelligente Lichtsignalanlagen (LSA) für Fußgänger

Im Projekt »KI4PED« stehen nicht die Fahrzeuge, sondern Fußgänger im Fokus: Gemeinsam mit der Stührenberg GmbH und den assoziierten Partnern Straßen.NRW, Stadt Lemgo und Stadt Bielefeld entwickelt das Fraunhofer IOSB-INA bis Ende Juli 2022 einen innovativen Ansatz zur bedarfsgerechten Steuerung von Fußgängerampeln. Besonders vulnerable Personen wie Ältere oder Menschen mit Handicap sollen davon profitieren. Ziel ist es, Wartezeiten zu verkürzen und die Sicherheit an Ampelkreuzungen durch längere Überquerungszeiten zu erhöhen. Denn aktuellen Studien zufolge sind die Grünphasen für diese Personengruppen zu kurz. Die derzeit installierten Taster, meist kleine gelbe Kästchen, liefern weder Informationen über die Anzahl noch das Alter oder gar das Gebrechen der Passantinnen und Passanten. Durch die Implementierung von KI in Kombination mit hochauflösenden LiDAR-Sensoren wollen die Projektpartner den Prozess automatisieren und die Überquerungszeiten automatisch an die Bedarfe der jeweiligen Fußgänger anpassen und abstufen. Die Personenerkennung und das Tracking wird auf Basis von LiDAR-Daten mittels KI erzielt und in einem eingebetteten System in Echtzeit umgesetzt.

Im Projekt »KI4PED« stehen nicht die Fahrzeuge, sondern Fußgänger im Fokus. Die Personenerkennung und das Tracking wird auf Basis von LiDAR-Daten mittels KI erzielt.
© Fraunhofer IOSB-INA

»Aus Gründen des Datenschutzes verwenden wir anstelle von kamerabasierten Systemen LiDAR-Sensoren, da sie Fußgänger als 3D-Punktwolken darstellen und diese somit nicht identifiziert werden können«, erklärt Dr. Dennis Sprute, Projektleiter und Wissenschaftler am Fraunhofer IOSB-INA. LiDAR-Sensoren (Light Detection and Ranging) senden Laserstrahlen zur Abstandsmessung aus und detektieren das zurückgestreute Licht. Aus der Laufzeit des Lichts wird die Entfernung zum Objekt, also zur Person, ermittelt. Diese Sensoren sind darüber hinaus robust gegenüber Beleuchtungs-, Spiegelungs- und Witterungseinflüssen. Ihre optimale Positionierung und Ausrichtung an der Ampelkreuzung wird im Rahmen einer Machbarkeitsstudie geprüft. Zudem werden die KI-Algorithmen zunächst an zwei Ampelkreuzungen in Lemgo und Bielefeld eine Woche lang trainiert. Ebenfalls geplant sind Sensortests auf dem Gelände des Fraunhofer IOSB-INA bei verschiedenen simulierten Beleuchtungsbedingungen, um die Erkennungsleistung zu bestimmen.

Mit einem bedarfs- und situationsgerechten Steuerungskonzept erhoffen sich die Forschungspartner, die Wartezeit bei hohem Personenaufkommen um 30 Prozent und die Anzahl gefährlicher verkehrswidriger Überquerungen um etwa 25 Prozent reduzieren zu können.

 

Florian Zachmayer, CFO der Nürnberger Wach- und Schließgesellschaft mbH freut sich über die ausgeglichene CO2 Bilanz des Unternehmens
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Nürnberger Wach- und Schließgesellschaft ist erster klimaneutraler Sicherheitsdienstleister

Nachhaltigkeitsberatungsgesellschaft Fokus Zukunft attestiert der Nürnberger Wach- und Schließgesellschaft einen neutralen CO2-Fußabdruck, damit wird #IhrSchlüsselzurSicherheit noch grüner.

Der Klimawandel stellt die größte Herausforderung der Menschheit seit dem Ende der Eiszeit dar und ist die prägende Aufgabe unserer Zeit. Die Folgen der Erderwärmung werden immer spürbarer und der Druck auf Politik und Unternehmen wird – nicht zuletzt durch die Fridays for Future Bewegung – immer größer. Weltweit besteht inzwischen Einigkeit, dass dem menschengemachten Klimawandel dringend entgegengewirkt werden muss. Ein Gelingen der Emissionsminderungen hängt wesentlich vom freiwilligen und konsequenten Handeln der Wirtschaft in den Industrieländern ab.

Aus diesem Grund hat die Nürnberger Wach- und Schließgesellschaft Treibhausgasemissionen, die durch die Tätigkeiten des Unternehmens verursacht werden, erfassen lassen und durch den Erwerb von insgesamt 12.000 Klimaschutzzertifikaten für die Jahre 2021-2024 ausgeglichen. Mit diesen Zertifikaten unterstützt das Unternehmen ein Windenergieprojekt in China sowie ein Wasserkraftprojekt in Vietnam, welche unter der Hoheit der Vereinten Nationen durch CER zertifiziert wurden.

Der CO2-Fußabdruck des Unternehmens beträgt nach Vermeidung und Reduktion ca. 2.049 Tonnen CO2 äquivalente Schadstoffe pro Jahr. Zusätzlich werden rd. 500 Tonnen CO2-Äquivalente kompensiert, welche durch den Einsatz von Dienstleistern und bei der Produktion von technischen Sicherheitslösungen wie Gefahrenmeldeanlagen entsteht.

Die Nürnberger Wach- und Schließgesellschaft hat sich dabei entschlossen, die im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit ermittelten Emissionen nach oben aufzurunden und deshalb bereits heute für die Jahre 2021 bis 2024 die jährliche Summe von 3.000 Tonnen CO2-Äquivalenten zu kompensieren. Zur Veranschaulichung: Im Durchschnitt verursacht ein Mensch in Deutschland pro Jahr in etwa 11,6 Tonnen CO2 durch seine Lebensführung.

Die vorliegende Treibhausgasbilanz des Sicherheitsdienstleisters gibt einen transparenten Überblick über den Ausstoß von Treibhausgasemissionen. Der Bericht bildet somit einen wichtigen Baustein im Klimaschutzengagement. Auf Basis der ermittelten Werte und durch den Kauf einer entsprechenden Menge an Klimazertifikaten wurde das Unternehmen klimaneutral gestellt. Für die Kompensation der Treibhausgase hat die Nürnberger Wach- und Schließgesellschaft die Auszeichnung „klimaneutrales Unternehmen“ erhalten.

CFO Florian Zachmayer, im Unternehmen auch für den Bereich Umwelt zuständig, führt aus, warum sich die Nürnberger Wach- und Schließgesellschaft mbH für den globalen Klimaschutz engagiert: „Die Weltgemeinschaft hat sich darauf geeinigt, dass die Erderwärmung auf unter 2 Grad Celsius – besser noch auf 1,5 Grad – beschränkt werden muss, um katastrophale Folgen zu verhindern. Doch die derzeitigen Zusagen der einzelnen Staaten reichen nur für eine Beschränkung der Erwärmung auf maximal 4 Grad. Um diese Ambitionslücke zu schließen, bedarf es eines zusätzlichen und erheblichen Engagements von Unternehmen, sowie Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben erkannt, dass freiwillige Emissionsreduzierungen und der Ausgleich von unvermeidbaren Emissionen unerlässlich sind, um dem Klimawandel wirkungsvoll entgegenwirken zu können. Wir übernehmen auch als Unternehmen Verantwortung für die Welt, die wir unseren Kindern und Enkeln überlassen. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, unseren CO2 Ausstoß zu neutralisieren. So leiten wir einen Beitrag für eine lebenswerte Zukunft. Denn wir wollen die Probleme nicht nur analysieren, sondern auch anpacken und lösen. Dies ist in unserer Branche bisher einzigartig und wir möchten damit mit gutem Beispiel vorangehen.“

Hintergrundinformationen (www.nwsgmbh.de):

Die Nürnberger Wach- und Schließgesellschaft steht seit 1902 als Schlüssel für Sicherheit und zählt mit einem Umsatz von rund 84 Millionen Euro zu den elf größten Anbietern von Sicherheitsdienstleistungen in Deutschland. Das Unternehmen, das in Deutschland und Österreich aus insgesamt 13 Standorten agiert, wird in vierter Generation inhabergeführt.

Die Kennzahlen Mitarbeiter- und Umsatzwachstum spiegeln die nachhaltige unternehmerische Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit wider. Dies belegen auch die Auszeichnungen international und national anerkannter Institutionen und Einrichtungen.

Die Stärke der Nürnberger Wach- und Schließgesellschaft liegt in der Konzentration auf das Thema Sicherheit, denn hier deckt sie mit ihren Fachgesellschaften nahezu alle Dienstleistungsbereiche ab und ergänzt sie sukzessive um innovative technische Lösungen. Ihre hohe Kundenreputation und das Image als fairer Arbeitgeber in der Branche verdankt sie sehr gut ausgebildetem Personal, der Kontinuität eines leistungsfähigen Teams, langjährigen Partnerschaften mit öffentlichen Stellen und nicht zuletzt einem stets aufmerksamen Blick für Kundenanforderungen und mögliche Entwicklungen am Markt.

Die Unternehmensführung ist ehrenamtlich im Bundesverband der Sicherheitswirtschaft sowie im Bayerischen Verband für Sicherheit in der Wirtschaft aktiv, um eine leistungsgerechte Entlohnung der Mitarbeiter zu gestalten. Dazu ist der Vorsitzende der Geschäftsführung, Gerhard Ameis, Vorsitzender der Landesgruppe Bayern und Vizepräsident im BDSW. Weitere Mitglieder der Geschäftsleitung engagieren sich in diversen Verbandsfachausschüssen wie Recht, Bundeswehr und Aviation Security sowie Technik und dem Fachausschuss zum Schutz von Flüchtlingsunterkünften.

-PM Nürnberger Wach- und Schließgesellschaft mbH-

 

DSGVO, GDPR General data protection regulation european law cyber security personal information privacy concept
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„Datenschützer haben es 2022 schwer“

„Die Rolle der Datenschutzbeauftragten in den Unternehmen wird im neuen Jahr schwieriger werden“, sagt der Datensicherheitsexperte Detlef Schmuck, Geschäftsführer des deutschen Datendienstes TeamDrive GmbH.

Vor allem die breitflächige Nutzung von Software des US-Anbieters Microsoft in der deutschen Wirtschaft stelle ein zunehmendes Problem dar, weil dadurch die Gefahr bestehe, dass personenbezogene Daten in die USA gelangten. Seitdem der Europäische Gerichtshof das transatlantische Datenschutzabkommen EU-US Privacy Shield im vorletzten Jahr für ungültig erklärt hatte, stehe der Datenschutz in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft auf tönernen Füßen, meint der TeamDrive-Chef.

Dazu Detlef Schmuck: „Die gängigen Microsoft-Programme wie Windows, Teams, Office und 365 lassen sich hierzulande nur gesetzeskonform verwenden, wenn die Datenhaltung konsequent aus den USA herausgehalten wird. Doch genau das ist schwierig, weil es hierzu detaillierter Einstellungen bedarf, insbesondere um den Microsoft-eigenen US-Datendienst OneCloud von den Installationen fernzuhalten. Zudem lässt sich eine dauerhaft gesetzeskonforme Installation nur schwer aufrechterhalten, weil Microsoft mit jedem Update bei jedem Programm die Gelegenheit erhält, OneCloud neu einzuschleusen oder sonstige Einstellungen zu ändern. So gibt es beispielsweise konkrete Hinweise darauf, dass Microsoft bei Updates von Windows seinen US-Clouddienst immer wieder automatisch einspielt. Die Datenschutzbeauftragten müssen also kontinuierlich überprüfen, ob ihre Unternehmen noch gesetzeskonform zur Datenschutz-Grundverordnung arbeiten oder sich möglicherweise durch ein Update oder eine sonstige Änderung ungewollt in die Illegalität begeben haben. Das ist kein leichter Job für 2022.“

Verantwortung bei Datenschützern, Vorstand und Geschäftsführung

Neben der ständigen technischen Überprüfung könnten das Jahr 2022 über zudem juristische Scharmützel um das Thema betrieblicher Datenschutz auf der Agenda stehen, mutmaßt Detlef Schmuck. Er sagt: „Es ist zu erwarten, dass die US-Anbieter mit immer neuen Datenschutzklauseln, Gutachten, Testaten und der Verlagerung von Cloudkapazität nach Deutschland versuchen werden zu beweisen, dass ihre Angebote sehr wohl DSGVO-konform sind. Doch US-Konzerne wie beispielsweise Microsoft unterliegen letztlich der US-Gesetzgebung, und der Europäische Gerichtshof hat klipp und klar entschieden, dass der niedrige US-Datenschutz mit den hohen europäischen Anforderungen an den Schutz personenbezogener Daten unvereinbar ist. Diese grundlegende Lücke kann weder Microsoft noch ein anderer US-Anbieter derzeit überbrücken, auch nicht mit noch so vielen juristischen Spitzfindigkeiten. Am Ende bleibt die Haftung für die Datenschutzverletzungen am Vorstand oder an der Geschäftsführung der hiesigen Unternehmen kleben – und natürlich an den Datenschutzbeauftragten.“

-PM Teamdrive-

 

Danger of hack attack
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„Cyberangriff auf das Regierungshandeln“ ist Thema der LÜKEX 22

Vorbereitung der Krisenmanagement-Übung startet

Mit einer digitalen Kick-off-Veranstaltung am 25./26. Januar beginnt die intensive Vorbereitungsphase der LÜKEX 22 mit dem Szenario „Cyberangriff auf das Regierungshandeln“. In der neunten strategischen Länder- und Ressortübergreifenden Krisenmanagementübung LÜKEX optimieren Bund, Länder und Betreiber Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) erneut ihre Krisenbewältigungsstrukturen.

Vorbereitet, geplant, durchgeführt und ausgewertet wird die LÜKEX vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). An der LÜKEX 22 sind alle 16 Bundesländer sowie über 30 Bundesbehörden beteiligt. Sie festigen dadurch gemeinsam ihre Krisenmanagementstrukturen und trainieren die ebenen- und bereichsübergreifende Zusammenarbeit zum Schutz der Bevölkerung. Dafür ist ein fiktives „Worst-case“-Szenario nötig, das mit allen teilnehmenden Institutionen vor der Übung abgestimmt wird. Fachlicher Partner des BBK für die Szenarioentwicklung ist das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).

Nachhaltige Entwicklung

In die Vorbereitung der LÜKEX 22 fließen Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie sowie die Entwicklung des Krisenmanagements in Deutschland ein. Nachdem die Durchführung der LÜKEX aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden musste, findet die Übung nun am 23. und 24. November 2022 statt. Danach werden die dann gewonnenen Erkenntnisse sorgfältig ausgewertet, die Ergebnisse festgehalten und darauf aufbauend Handlungsempfehlungen formuliert. So wird gewährleistet, dass die LÜKEX nachhaltig wirkt und konkret zu Verbesserungen des Krisenmanagements führt.

Zudem wird die Übungsserie selbst zum Untersuchungsgegenstand. Zur Weiterentwicklung der LÜKEX wird ein Team des Lehrstuhls für Wissensmanagement und Geschäftsprozessgestaltung der Universität der Bundeswehr München im Zuge der „Prozessanalyse KNOW“ die gesamte LÜKEX 22 begleiten und die Übungsanlage evaluieren. 

Vorbereitung der Übung

Der Zyklus jeder LÜKEX umfasst die vier Phasen Planung, Vorbereitung, Durchführung und Auswertung. In der Planungsphase wird zunächst die Thematik der Übung festgelegt. Mit der digitalen Kick-off-Veranstaltung der LÜKEX 22 beginnt für die Akteurinnen und Akteure jetzt die intensive Vorbereitungsphase, in der die realitätsnahe Simulation genauer ausgearbeitet und in einem gemeinsamen Abstimmungsprozess sukzessive das Drehbuch erstellt wird. Zudem können die Teilnehmenden auf zahlreichen gemeinsamen Tagungen, Workshops und Treffen auf der Arbeitsebene wichtige Erkenntnisse zur Verbesserung des nationalen Krisenmanagements in den Themenbereichen der Übung gewinnen.

Zielsetzung

Im Fokus der Übung stehen dieses Mal die Notfallmechanismen der Cyber-Sicherheitsstrukturen und Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen. In der Übungsserie LÜKEX geht es auch immer darum, dass ganz unterschiedliche Akteure vernetzt werden und zu einer gemeinsamen Sprache und Bewertung einer Krisenlage kommen. Geübte Krisenmanagerinnen und -manager müssen sich dieses Mal in die „Cyberwelt“ hineindenken, wie auch Fachleute für IT die Bedürfnisse von Krisenstäben kennenlernen. Damit wird eine gute Grundlage für zielführende Abstimmungen und Entscheidungen in zukünftigen Notlagen gelegt.

Weitere aktuelle Informationen zur LÜKEX finden Sie unter www.LÜKEX.de.

 

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Rund 2.500 Aufzüge müssen wegen gefährlicher Mängel stillgelegt werden

Digitalisierung und Energiewende erfordern ein Sicherheits-Update für industrielle Anlagen

TÜV-Verband veröffentlicht Anlagensicherheitsreport 2021

Bei den gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen von Aufzugsanlagen in Gebäuden sind rund 4.500 Aufzüge mit „gefährlichen Mängeln“ beanstandet worden. Das entspricht 0,7 Prozent der rund 637.000 im Jahr 2020 geprüften Anlagen.

Rund 2.500 dieser Anlagen (0,4 Prozent) konnten nicht sofort repariert werden und mussten vorläufig stillgelegt werden, um die Nutzer:innen der Aufzüge nicht länger zu gefährden. Das sind Ergebnisse des „Anlagensicherheitsreports 2021“. „Für die Sicherheit der Bevölkerung ist entscheidend, dass bei Aufzügen etwa korrodierte Tragseile, beschädigte Steuerungsanlagen oder defekte Notrufsysteme instandgesetzt oder ausgetauscht werden“, sagte Dr. Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands, bei der Vorstellung des Anlagensicherheitsreports. Bei weiteren 75.000 Aufzügen beanstandeten die Sachverständigen „sicherheitserhebliche Mängel“, die aber nicht zu einer sofortigen Stilllegung führen (11,8 Prozent). 43,5 Prozent der Aufzüge hatten „geringfügige Mängel“ und 44 Prozent waren mängelfrei. In den Anlagensicherheitsreport fließen die Ergebnisse der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen aller in Deutschland zugelassenen Überwachungsstellen (ZÜS) ein. Zu den überwachungsbedürftigen Anlagen gehören neben Aufzügen Druckbehälteranlagen wie Gasspeicher und Dampfkessel sowie bestimmte Anlagen in brand- und explosionsgefährdeten Bereichen (Ex-Anlagen), darunter Tankstellen und Flugfeldbetankungsanlagen.

Aus Sicht des TÜV-Verbands zeigt die Statistik, wie wichtig die regelmäßigen und unabhängigen Sicherheitsprüfungen sind. Ein Meilenstein für die technische Sicherheit war die gesetzliche Neuordnung der Sicherheitsprüfungen im Juli 2021. Für Arbeitgeber, Betreiber und Prüforganisationen wurde mit einem eigenständigen „Gesetz über überwachungsbedürftige Anlagen“ mehr Klarheit geschaffen. So lösen künftig bundesweit einheitliche Anforderungen an die „Zugelassenen Überwachungsstellen“ die unterschiedlichen Vorgaben aus 16 Bundesländern ab. Im nächsten Schritt müssen nun die notwendigen Verordnungen erlassen werden, um das Gesetz in die Praxis umzusetzen. „Wir begrüßen diese rechtliche Neuordnung sehr“, betonte Bühler. „Jetzt braucht es ein Update im Hinblick auf die Digitalisierung und die neuen Technologien für die Energiewende.“

Vor allem die digitale Sicherheit müsse bei der Anlagensicherheit konsequent mitgedacht werden. „Die verheerenden Cyberangriffe der letzten Zeit haben große Sicherheitslücken offenbart“, so Bühler. Durch die zunehmende Vernetzung im Internet of Things ist davon mittlerweile fast jede technische Anlage potenziell betroffen. Kriminelle Hacker nutzen die digitalen Steuerungen als Einfallstor, um in sicherheitskritische Bereiche vorzudringen und enorme Schäden anzurichten. Bühler: „Das reicht von Industriespionage bis hin zur Kompromittierung von Industrieanlagen oder kritischer Infrastrukturen, wie etwa Kliniken oder Kraftwerke.“ Hinzu kommen die Anforderungen des Umwelt- und Klimaschutzes. „Die Energiewende braucht dringend ein Sicherheitsupdate“, sagte Bühler. Das schließt konventionelle Anlagen mit ein. So bergen beispielsweise neue Technologien rund um Windkraft, Wasserstoff, Elektromobilität und Biogas neue Risiken beim Brand- und Explosionsschutz.

Die explosionsgefährdete Anlage, mit der die Bundesbürger:innen am häufigsten in Berührung kommen, ist die Tankstelle. Die Anforderungen an Sicherheit und Umweltschutz sind hoch, weshalb sie regelmäßig geprüft werden müssen. Allerdings finden die Prüfer:innen nur etwa die Hälfte (45,8 Prozent) aller Tankstellen in einwandfreiem Zustand vor. 20,6 Prozent haben sogar „erhebliche Mängel“ und 0,1 Prozent „gefährliche Mängel“, die für einen sicheren Betrieb beseitigt werden müssen. „Gerade bei Tankstellen, die täglich von Millionen Menschen angefahren werden, zeigt sich, dass regelmäßige Prüfungen für ein hohes Sicherheitsniveau erforderlich sind“, sagte Bühler. Das gilt auch für Explosionsgefahren, die im Industriebereich auftreten können. Bei immerhin 24,7 Prozent der geprüften Gasfüllanlagen sind im Jahr 2020 erhebliche oder sogar gefährliche Mängel aufgetreten.

Auch bei Druckanlagen, die vor allem in Industrieunternehmen bei der Erzeugung von Energie und Prozesswärme unverzichtbar sind, zeigt das System der unabhängigen technischen Überwachung seine Wirkung. Bei den wiederkehrenden Prüfungen von Druckbehältern und Dampfkesseln liegt die Quote der mängelfreien Anlagen durchweg bei etwa 80 Prozent – der Anteil erheblicher Mängel sogar unter fünf Prozent. „Entscheidend ist, dass Sicherheitsrisiken, etwa durch feine Risse, frühzeitig erkannt und dadurch gefährliche Entwicklungen von vornherein verhindert werden“, erläutert Bühler. „Allerdings werden auch Druckanlagen zunehmend um digitale Komponenten ergänzt und im globalen industriellen Internet of Things vernetzt, was zu neuen Risiken führt.“

Die vollständige Mängelstatistik ist im Anlagensicherheitsreport 2021 kostenlos abrufbar unter: https://www.technische-ueberwachung.de/

-PM TÜV-

 

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Security-Trends 2022

Ein Plus von 125 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahreszeitraum verzeichnet der „Cyber Report“ der Allianz für das erste Halbjahr 2021. Wo viele Menschen im Homeoffice arbeiten und mehr denn je online statt im stationären Einzelhandel einkaufen, tun sich neue Sicherheitslücken auf, die Cyberkriminelle versuchen auszunutzen.
Auch Betrugsmaschen wie Phishing und Credential Stuffing stehen bei Kriminellen hoch im Kurs. Bereits jetzt zeichnen sich einige Trends ab, die für das Jahr 2022 bedeutsam sein dürften.

Phishing und Smishing

Mit Phishing-Mails, die Links zu gefälschten Firmen-Websites enthalten, versuchen Cyberkriminelle bereits seit Jahren, an Login-Daten und andere Firmen-Interna zu gelangen. Der Trick: In ihren E-Mails täuschen die Täter oft vor, es handle sich um Handlungsanweisungen eines Vorgesetzten und es sei besondere Eile geboten. Die Angeschriebenen sollen so dazu gebracht werden, überstürzt zu handeln und ungeprüft auf den enthaltenen Link zu klicken. Dadurch gelangen sie beispielsweise auf gefälschte Websites, wo sie ihre Nutzerdaten eingeben sollen – und diese so unwissentlich den Kriminellen in die Hände spielen. Die Gefahr durch Phishing bleibt auch 2022 aktuell, zumal sich die Urheber immer neue Varianten einfallen lassen – so etwa das zuletzt verstärkt eingesetzte „Smishing“.

Beim Smishing – also dem Phishing per SMS – legen die Täter seit Monaten besondere Kreativität an den Tag: Die Smartphone-Nutzer erhalten gefälschte Nachrichten, die etwa die baldige Ankunft eines Pakets ankündigen oder vortäuschen, es müsse ein Sicherheitsupdate installiert werden. Die enthaltenen Links haben eins gemeinsam: Sie führen zum Download von Schadsoftware, mit der die Cyberkriminellen Daten vom Smartphone abzapfen oder weitere SMS-Attacken starten. Zwar setzen alle Mobilfunk-Provider Spamfilter ein, um die Verbreitung der gefälschten Nachrichten zu unterbinden. Doch die Täter variieren bei der Wahl der Texte und bauen absichtlich Rechtschreibfehler ein, um die Algorithmen der Security-Software auszutricksen.

Credential Stuffing bleibt gefährlich

Als Angriffstaktik ist Credential Stuffing nach wie vor beliebt, weil die Einstiegshürden niedrig sind: Dafür besorgen sich Hacker Listen mit gestohlenen Benutzername-Passwort-Kombinationen, wie sie etwa im Darknet zu erwerben sind. Durch automatisiertes Ausprobieren auf tausenden Websites versuchen sie anschließend, sich mit den vorhandenen Daten auch in andere Nutzerkonten einzuloggen. Dabei bauen sie auf die Bequemlichkeit der User, die oft dasselbe Passwort für verschiedene Nutzerkonten vergeben. Schon ein einziges kompromittiertes Konto zahlt sich für die Cyber-Kriminellen in barer Münze aus – sei es, dass sie sich selbst Geld überweisen, auf Kosten ihrer Opfer auf Shoppingtour gehen oder Listen mit verifizierten Benutzer-Credentials weiterverkaufen.

Allein in der ersten Jahreshälfte 2021 hat das Netzwerk von Arkose Labs, das Betrugsversuche mittels KI ermittelt, 285 Millionen Credential-Stuffing-Angriffe aufgedeckt. Insgesamt macht Credential Stuffing 29 Prozent aller Angriffe aus. Auch für 2022 ist hier noch nicht mit einer Besserung zu rechnen – doch es gibt Grund zur Hoffnung: immer mehr Onlineshops und -dienstleister steigen auf sichere Login-Verfahren wie die Mehrfaktor- oder die passwortfreie Authentifizierung um. Credential Stuffing wie auch Phishing werden hierdurch ausgebremst, da ein unsicheres Passwort beispielsweise durch den Abgleich des Nuzters mit dessen biometrischen Daten ergänzt oder sogar vollständig ersetzt wird.

Schadcode wird schneller erstellt

Seit jeher gleicht die Beziehung zwischen Schadsoftware-Programmierern und Cybersecurity-Experten einem Wettlauf, bei dem mal die einen, mal die anderen vorn liegen. Notwendigerweise setzen alle Beteiligten darauf, immer auf dem neuesten Stand zu sein. Sei es, indem sie sofort auf Zero-Day-Exploits, also gerade erst bekannt gewordene Sicherheitslücken, reagieren, oder indem sie auf neu entwickelte Technologien zurückgreifen, für die die jeweils andere Seite noch kein passendes Gegenmittel hat.

Für kriminelle Hacker zählt oft Schnelligkeit, denn ist eine Sicherheitslücke erst einmal bekannt, dauert es meist nicht lange, bis Softwareentwickler und Security-Experten sie schließen. Ziel der Täter ist es, zuvor eine möglichst große Zahl an Angriffen zu starten. Um Zeit zu gewinnen, nutzen sie zunehmend neue Programmier-Tools wie OpenAI Codex: Die Künstliche Intelligenz wurde darauf trainiert, gesprochene Sprache in Programmiersprachen wie Python, JavaScript oder PHP umzuwandeln. Mit dieser teilweisen Automatisierung, die auch die Zahl der Fehler im Code reduziert, erhöhen sich auch Tempo und Effizienz bei der Programmierung von Ransomware, Trojanern und Co.

Hinzu kommt, dass die Kriminellen zunehmend auf neue Programmiersprachen wie Nim, Rust oder Go setzen. Sie spekulieren drauf, dass der Schadcode zunächst von einschlägigen Analysetools der Security-Branche nicht automatisiert erkannt wird und bei einer Prüfung durchrutscht. Auch hier herrscht ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Kriminellen und der IT-Security-Branche, die bemüht ist, etwaige „blinde Flecken“ ihrer Software möglichst schnell zu beseitigen.

Lieferketten im Visier

Ein weiteres Ergebnis der Allianz-Studie: Cyberkriminelle nehmen bei Ransomware-Angriffen verstärkt große Firmen ins Visier. Insbesondere solche, die in der globalen Lieferkettenkrise besonders begehrte und rare Güter herstellen. Das zynische Kalkül der Täter - hier treffen sie womöglich auf besonders große Zahlungsbereitschaft, da die Hersteller eine Unterbrechung ihrer Produktion um jeden Preis verhindern möchten und bereit sind, notfalls tiefer in die Tasche zu greifen.

Der Fall des amerikanischen IT-Dienstleister Kaseya zeigt darüber hinaus, wie Hacker die Schlagkraft ihrer Attacken auszuweiten versuchen. Die Kriminellen hatten sich Zugang zu einem von Kaseya angebotenen Programm verschafft, mit dem Kundenunternehmen ihre Software-Updates verwalten und ausspielen. So gelang es ihnen, die Systeme von über tausend Firmen zu verschlüsseln, um Lösegeld zu erpressen. Vergleichbare Attacken, die zwar aufwändig, aber potenziell besonders effektiv sind, dürften auch 2022 nicht ausbleiben.

Angriffe im Gesundheitssektor

Auch die Gesundheitsbranche bleibt ein beliebtes Angriffsziel. Viele Anbieter hatten im Verlaufe der Corona-Pandemie ihre Sicherheits-Richtlinien gelockert, um ihren Mitarbeitenden die Remote-Arbeit im Homeoffice zu erleichtern. Damit wurden allerdings auch Lücken in die sonst üblichen Sicherheitsprotokolle gerissen, die in den folgenden Monaten mühsam geschlossen werden mussten. Auch wenn sich die Lage durch die Anpassung von IT-Security-Maßnahmen wieder etwas entspannt hat: die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es in den nächsten Monaten zu weiteren gezielten Cyberattacken kommt, bei denen es die Täter auf sensible Geschäfts- und Patientendaten abgesehen haben.

Aufklärung bleibt wichtig

Die User Awareness bleibt 2022 ein wichtiger Baustein jedes IT-Sicherheitskonzepts, das soft- und hardwarebasierte Security-Maßnahmen ergänzt. Nutzer müssen jederzeit darüber im Bilde sein, welche Angriffsversuche sie durch ihre eigene Aufmerksamkeit abwehren können. Insbesondere Phishing-Angriffe werden immer ausgefeilter – überzeugend gefälschte Firmen-Websites und gestohlene Nutzerdaten von Vorgesetzten sollen dazu verleiten, Firmeninterna und Passwörter preiszugeben. Sicherheitsschulungen und regelmäßige Updates der Belegschaft zur Bedrohungslage können entscheidend dazu beitragen, solche Cyberattacken ins Leere laufen zu lassen.

-PM Nevis-

 

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Nach Amoklauf in Heidelberg muss Sicherheitsdenken wieder in den Fokus rücken

Deutscher Expertenrat Besuchersicherheit (DEB) empfiehlt Anpassung der Krisenstäbe und Notfallpläne

Auch wenn die Corona-Pandemie aktuell das vorherrschende Thema ist, die Sicherheit an Universitäten und Hochschulen darf nicht aus den Augen verloren werden.

Themen wie lebensbedrohliche Lagen, Brandschutz, Evakuierung, Arbeitsschutz und Krisenmanagement müssen wieder in den Fokus der Verantwortlichen rücken. Mit Sorge sehen Olaf Jastrob (Risikomanager TÜV Nord, Fachplaner Besuchersicherheit und Vorsitzender des Deutschen Expertenrates Besuchersicherheit (DEB)) sowie Dr. Hans- Walter Borries (Krisenmanager und Mitglied im Arbeitskreis Sicherheitsforschung an der Universität in Witten/Herdecke) die Auswirkungen der kürzlichen Ereignisse an der Universität Heidelberg, an der ein 18-jähriger Student Amok lief und in einem Hörsaal mehrere Schüsse auf Mitstudenten abgab. Dabei gab es eine Tote und drei Verletzte.

„Universitäten und Hochschulen, gleichsam auch Schulen, sind sogenannte „weiche Ziele“ für jegliche Anschlagsattentäter und auch Terroristen, da diese Einrichtungen relativ offen und frei zugänglich sind und Abschottungsmöglichkeiten zum Schutz der Studierenden sowie Schülerinnen und Schüler weitgehend fehlen“, warnen Olaf Jastrob und Dr. Hans-Walter Borries.

Der DEB und seine Mitglieder setzen sich für ein angepasstes ganzheitliches Sicherheitskonzept an Universitäten/Hochschulen ein. Dr. Hans-Walter Borries erklärt dazu: „Wichtig ist, dass hohe Sicherheitsstandards den Betrieb von Hochschulen gewährleisten. Dazu gehören ausgebildete Notfall- und Krisenmanager, Pandemiemanager genauso wie ein mehr an Sicherheitsstandards durch kompetente Krisenstäbe, die im Umgang mit solchen Schadenslagen regelmäßig ausgebildet und trainiert werden.“

Auch sollten die Auswirkungen von fast zwei Jahren Corona-Pandemie-Auflagen und - Beschränkungen dahingehend untersucht werden, wie normale Menschen, auch ohne Terrorhintergrund, durch psychologischen Druck zu Störern, Attentätern und potentiellen Massenmördern werden können und wie eine sinnvolle Prävention im Vorfeld aussehen könnte.

Der DEB fordert eine stärkere Beachtung von ganzheitlichen Sicherheitskonzepten. Mit Vorträgen bei Tagungen und Kongressen will er zudem solche Schadenslagen im Rahmen der Besuchersicherheit, der Sicherheit von Studierenden, Lehrkräften sowie Mitarbeitenden mehr in den Fokus der Beteiligten und der Öffentlichkeit rücken.

-PM DEB-

 

Passenger showing e-ticket at airport during covid pandemic
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Genetec: Die Top-Trends 2022 in der physischen Sicherheit

Genetec, führender Technologie-Anbieter für vereinheitlichtes Sicherheitsmanagement, öffentliche Sicherheit und Business Intelligence, veröffentlicht seine Trendprognosen für die physische Sicherheitsbranche im Jahr 2022. 

Auslastungssteuerung genießt weiterhin höchste Priorität

Unternehmen haben nach Ausbruch der Pandemie unterschiedliche Lösungen eingesetzt, um die Auslastung in Gebäuden zu überwachen und die Einhaltung der Abstandsregeln zu kontrollieren. Dieser Trend nimmt auch knapp zwei Jahre später weiter zu, da Unternehmen den weiteren Nutzen dieser Daten erkannt haben. 

Die räumlichen Analysedaten dienen nicht mehr nur dazu, Sicherheitsvorschriften einzuhalten. Unternehmen werden diese in Zukunft vermehrt dazu nutzen, um die Wartezeiten für ihre Kunden zu verkürzen, die Personalplanung zu optimieren und betriebliche Prozesse zu verbessern. Da viele Unternehmen ihren Mitarbeitern die Wahl zwischen Büro und Homeoffice lassen, ergeben sich zudem neue Möglichkeiten für innovative Arbeitsplatzkonzepte. Die räumlichen Analysedaten können in diesem Zusammenhang dabei helfen, die Nutzung von Arbeitsplätzen zu optimieren, indem beispielsweise ermittelt wird, wie viele Mitarbeiter sich gleichzeitig im Gebäude aufhalten oder eine Besprechungsraum nutzen. Die gewonnenen Daten können anschließend als Grundlage für innovative Desk-Sharing-Optionen dienen.

Videoanalyse für komplexe Einsätze wird praktikabler 

Die Nachfrage nach Videoanalyselösungen ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Der Einsatz künstlicher Intelligenz – z.B. durch Machine-Learning- oder Deep-Learning-Ansätze – hat die Leistungsfähigkeit solcher Lösungen weiter gesteigert und Unternehmen dazu motiviert, in entsprechende Systeme zu investieren. 

Da komplexe Videoanalysen jedoch weiterhin sehr leistungsstarke Server für eine angemessene Datenverarbeitung erfordern, ist die Bereitstellung von Analysen auf Unternehmensebene aktuell nicht immer gewinnbringend. Genetec geht davon aus, dass sich Videoanalyseanwendungen im Jahr 2022 derart weiterentwickeln werden, dass sie einfacher und kostengünstiger in großem Umfang eingesetzt werden können. Vorangetrieben wird dieser Trend von Anbietern, die sich auf eine effiziente Nutzung von Hardwareressourcen konzentrieren und statt kontinuierlicher Analyse auf genauere Kontrollen in bestimmten Intervallen und Zeitplänen setzen. 

Steigende Cyberkriminalität sorgt für neue Strategien

Ein Bericht von Cybersecurity Ventures* prognostiziert bis 2025 jährliche, durch Cyberkriminalität verursachte Kosten von weltweit 10,5 Billionen US-Dollar. Pro Jahr sollen diese Kosten um 15 % steigen, was diesen Trend zum größten Transfer von Wirtschaftsgütern in der Geschichte macht. 

Die Anzahl vernetzter Geräte steigt rasant und die Datenverarbeitung wird zu einem zentralen Bestandteil des täglichen Geschäftsbetriebs. Unternehmen müssen daher so flexibel wie möglich bleiben und sich auf die sich stetig verändernde Bedrohungslandschaft einstellen. Kunden werden zukünftig eine höhere Transparenz in Bezug auf die Sicherheit und den Schutz ihrer Daten verlangen. Daraus werden sich völlig neue Konzepte für Cybersicherheit entwickeln, bei der es nicht nur um die Härtung von Netzwerken und Systemen, sondern um eine kontinuierliche Überprüfung geht. Dabei reicht es nicht aus, Sicherheitsbarrieren innerhalb des Security-Ökosystems aufzubauen. Entscheidungsträger sollten offensivere Cybersicherheitsstrategien implementieren und auf Lösungen mit einem hohen Automatisierungsgrad setzen, um potenzielle Bedrohungen immer im Blick zu behalten. 

Erhöhte Aufmerksamkeit für Supply-Chain-Risiken 

Die aktuelle weltweite Situation offenbart zahlreiche Probleme bei Lieferketten. Unternehmen werden sich daher unabhängiger von proprietären Lösungen aus einer Hand machen müssen. Im Zentrum sollten dabei Systeme mit offener Architektur stehen, die eine breite Auswahl und hohe Flexibilität bieten und sich individuellen Anforderungen sowie aktuellen Verfügbarkeiten anpassen können.

Die aktuellen Probleme in der Lieferkette gehen zudem weit über die Verknappung von Waren und Materialien hinaus. Cyberkriminelle werden immer raffinierter und erhöhen den Druck auf Unternehmen, ihre Cybersicherheitsmaßnahmen, -standards und -zertifizierungen innerhalb des gesamten Supply-Chain-Ökosystems auf den Prüfstand zu stellen. 

Aufgrund der zunehmenden Vernetzung verschwimmen die klaren Grenzen zwischen internen und externen Netzwerken. Unternehmen und Behörden müssen daher umfangreichere Cybersicherheitsrichtlinien definieren, um grundlegende Sicherheitsstandards für neu implementierte Lösungen und die jeweiligen Anbieter festzulegen. 

Unternehmen wechseln zur Hybrid-Cloud

Wer den Umstieg auf Cloud-Anwendungen gewagt hat, erkennt schnell die Vorteile einer hybriden Cloud-Umgebung. Da dies immer mehr Unternehmen tun, wird die Einführung neuer Cloud-Technologien im nächsten Jahr weiter vorangetrieben werden.

Ein Beispiel könnte die Implementierung eines Systems für digitales Beweismanagement sein, um die Einhaltung von Datenschutzbestimmungen zu verbessern, den Einsatz eines Cloud-basierten Videomanagementsystems zum Schutz hochriskanter Standorte zu sichern oder die Installation eines PIAM-Systems (Physical Identity Access Management) zur Verfolgung von COVID-Ausbrüchen in einem Gebäude besser zu verfolgen. Dabei können die Unternehmen ihre vorhandenen Systeme vor Ort weiter nutzen und die Betreiber gleichzeitig alles über eine einzige Schnittstelle verwalten. 

https://https://cybersecurityventures.com/cybercrime-will-cost-the-world-16-4-billion-a-day-in-2021/

-PM Genetec-

 

IOT Internet of things Digital transformation Modern Technology concept on virtual screen.
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Ein Wächter zum Schutz vor Angriffen

Immer mehr Geräte und Gegenstände des Alltags in privaten und öffentlichen Bereichen sind vernetzt oder mit automatischen Funktionen ausgestattet. Diese Neuerungen erleichtern den Alltag, doch sind sie auch sicher genug? Daran forscht ein Team am System Security Lab der TU Darmstadt, das nun durch den Pioneer Fund gefördert wird.

Das „Internet der Dinge“ (IoT) vernetzt Menschen mit einer Vielzahl an elektronischen Systemen, Sensoren und Geräten, die untereinander kommunizieren. Wir können beispielsweise die Zustellung unserer Pakete über das Internet verfolgen, den Computer Druckerpatronen nachbestellen lassen, aus der Ferne unsere Heizungsthermostate hochdrehen, kontrollieren, ob die Haustüre abgeschlossen ist oder einen Staubsauger-Roboter daheim die Arbeit erledigen lassen.

Smart-Home-Anwendungen sind ein wichtiger Bestandteil des Internets der Dinge. Ein Markt, auf den viele neue Player und Startups mit ihren Produkten drängen. Oftmals haben sie zwar zündende Ideen, aber nicht viel Erfahrung mit der Sicherheit von Netzwerktechnologien. Genau da setzt das TU-Team an, sagt Dr. Markus Miettinen, Post-Doc und wissenschaftlicher Mitarbeiter am System Security Lab der TU Darmstadt.

„Wir sind in unsere Forschung eingestiegen, weil es Probleme gab mit neuartiger Schadsoftware für IoT-Geräte.“ So wurden beispielsweise IT-Schwachstellen bei Staubsauger-Robotern entdeckt, die ein Ausspähen der Wohnung zuließen. Die TU-Forscherinnen und Forscher stellten sich die Frage: „Was können wir tun, um solchen Angriffen entgegenzutreten? Wie lassen sich die Geräte kontrollieren und Sicherheitslücken schließen?“

Die Antwort lautet DÏoT und steht für „Autonomous and Distributed Intrusion Detection for IoT Networks“. Ein Verfahren, das das Forscherteam des System Security Lab unter der Leitung von Professor Ahmad-Reza Sadeghi entwickelt hat. DÏoT nutzt modernste, sogenannte föderierte Deep-Learning-Modelle des maschinellen Lernens, um das Kommunikationsverhalten von IoT-Geräten wie Computern, Smartphones, Staubsauger-Robotern, Smart-TVs oder Thermostaten zu modellieren. Die Informatikerinnen und Informatiker analysieren die charakteristischen Merkmale, die jedes Gerät in der Netzwerk-Kommunikation hinterlässt und die Miettinen mit einem „Fingerabdruck“ vergleicht. Daraus lässt sich ein Profil erstellen und ein „normales“ Verhalten oder eben auch Anomalien ableiten.

Doktorand und Projekt-Koordinator Thien Nguyen erklärt die Vorgehensweise. DÏoT erlernt die „Sprache“ der IoT-Geräte und erkennt Veränderungen. „Wird die Sprache schneller, lauter, langsamer, ändern sich Worte und Inhalte, sind das Hinweise auf einen Angriff oder eine Schadsoftware.“ DÏoT kann darauf reagieren und Gegenmaßnahmen einleiten – etwa infizierte Geräte im Netzwerk isolieren oder zurücksetzen, um den Angriff zu stoppen.

Föderierte Deep-Learning-Modelle des maschinellen Lernens ermöglichen den schnellen, globalen Austausch und die fortlaufende Verbesserung der Informationen zu den jeweiligen Geräten über einen sogenannten Aggregator. „Dabei“, betont Doktorand Phillip Rieger, „bleibt der Datenverkehr, bleiben die Rohdaten zum Schutz der Datensicherheit und Privatheit innerhalb des Netzwerkes. Sie gehen nicht an einen externen Server.“ Eine von zahlreichen Maßnahmen, die den Usern, aber auch dem eigenen Schutz von DÏoT vor Angriffen dienen.

DÏoT kann als Hardware ins Haus geholt oder als Software im Wifi-Router integriert werden. Das ist auch für Netzwerkbetreiber interessant, die ihre Nutzerinnen und Nutzer schützen wollen. So kann etwa eine Alarmfunktion als Service angeboten werden. Für Netzwerkbetreiber selbst ist DÏoT jedoch ebenfalls spannend – beispielsweise, wenn sie Webseiten für große Kunden hosten und diese vor Angriffen schützen wollen.

DÏoT leiste Pionierarbeit, sagt Miettinen. Mit Hilfe des Pioneer Funds soll der Prototyp als Hard- und Software jetzt weiterentwickelt werden. Das Team will zudem Geschäftsmodelle entwickeln für die Gründung eines Startups oder die Kooperation mit einem Unternehmen. Kontakte zur Wirtschaft und Investoren sollen gesucht werden. Zum Schutz von Kunden und Nutzern soll der „Wächter“ für das Internet der Dinge schnell auf den Markt kommen.

-PM TU Darmstadt-

 

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© HLKA

Hessische Polizei im Einsatz gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie

LKA-HE: Schweigen hilft nur den Tätern

57 Wohnungen durchsucht

Die hessische Polizei führt die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen auch in 2022 mit Hochdruck und konsequent weiter: In der vergangenen Woche wurden hessenweit 57 Wohnungen durchsucht. Den 64 Beschuldigten werden Herstellung, Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie oder sexueller Missbrauch von Kindern zur Last gelegt.

Um Sexualstraftäter nachhaltig zu verfolgen und junge Menschen vor sexualisierter Gewalt zu schützen, wurde vor über einem Jahr bei der hessischen Polizei eine besondere Ermittlungseinheit, die BAO FOKUS, eingerichtet. In der vergangenen Woche waren 234 Ermittlerinnen und Ermittler der BAO bei einer weiteren Schwerpunktmaßnahme im Einsatz. Koordiniert wurde dieser vom Hessischen Landeskriminalamt.

Bei der großangelegten Aktion wurden innerhalb von fünf Tagen insgesamt 445 Speichermedien - darunter 92 Smartphones, 48 USB-Sticks und 43 PCs und Laptops - sichergestellt. Die Auswertung der Speichermedien wird zeigen, ob die Beschuldigten Fotos und Videos von Missbrauchstaten selbst gefertigt oder kinderpornografisches Material erworben, besessen oder geteilt haben.

Die Durchsuchungen fanden in den Städten Frankfurt am Main, Kassel, Darmstadt, Offenbach am Main und Wiesbaden statt, außerdem in den Landkreisen Darmstadt-Dieburg, Offenbach, Groß-Gerau, Waldeck-Frankenberg, Kassel, Gießen, Fulda und Marburg-Biedenkopf sowie im Main-Kinzig-Kreis, Lahn-Dill-Kreis, Wetteraukreis, Vogelsbergkreis, Main-Taunus-Kreis, Hochtaunuskreis, Rheingau-Taunus-Kreis und Schwalm-Eder-Kreis.

Unter den 64 Beschuldigten sind zehn Frauen. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen stehen die Männer und Frauen untereinander nicht im Kontakt. Neun von ihnen wurden im Anschluss an die Durchsuchung auf der nächstgelegenen Polizeidienststelle vernommen. Nach den polizeilichen Maßnahmen wurden alle Beschuldigten wieder entlassen.

Polizei ist auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen

Das Dunkelfeld im Bereich der sexualisierten Gewalt, auch zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen, ist groß. Die Taten ereignen sich häufig innerhalb der Familie, im sozialen Nah-Raum eines Kindes oder Jugendlichen oder erfolgen über die Nutzung der sogenannten sozialen Medien. Die meisten Taten geschehen im Verborgenen, weshalb nicht nur die Opfer, sondern auch die Polizei auf die Hilfe aus der Bevölkerung angewiesen ist.

"Schweigen hilft nur den Tätern", sagt Holger Däubner. Der Kriminalhauptkommissar, der als Landesopferschutzbeauftragter im Hessischen Landeskriminalamt tätig ist, führt aus: "Wegzusehen ist das Schlimmste, was einem Missbrauchsopfer passieren kann. Wer den Verdacht hat, dass ein Kind oder ein Jugendlicher sexualisierte Gewalt erfährt, sollte daher nicht zögern, sondern die Polizei umgehend informieren." Ohne Anzeige bleibt ein Täter beziehungsweise eine Täterin unter Umständen unentdeckt und kann weitere Taten begehen. "Wer sich unsicher ist, ob eine Anzeige im individuellen Fall sinnvoll ist, kann sich an eine Beratungsstelle wenden. Die dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter helfen bei der Entscheidung."