Technische Sicherheit hochgefährdeter Personen im familiären Umfeld
Von Werner Sielenkemper
Personenschützer verfügen über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein in der Gewissheit ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse. Oft als autarke Einheiten, solo oder im Team im Einsatz, werden Abhängigkeiten von technischen Einrichtungen vermieden. Kommunikationstechnik, Fahrzeuge und ggf. Waffen ermöglichen die Auftragsausführung. In Bewegung, auf der Straße oder in der Stadt ist umfassendere technische Ausstattung hinderlich, reduziert sogar die Einsatzmöglichkeiten.
Halten sich die Schutzpersonen jedoch zu Hause auf oder arbeiten im Büro, wandelt sich der technische Minimalismus von der Erleichterung zur Last. Die Distanzen zur Schutzperson nehmen zu, die zu sichernden Räume werden unübersichtlich und der direkte Zugriff auf Risikoträger erschwert. Die Schutzanforderungen sind bei Aufenthalt der Schutzpersonen in ihrem privaten Umfeld konstant – 24 Stunden am Tag, ggf. tagelang. Dynamik und Action wandeln sich in Routine. Und Routine ist der Feind der Achtsamen. Will sich der Personenschützer auf seine Kernkompetenz konzentrieren (dem konsequenten Eingriff in kritischen Situationen, der schnellen und flexiblen Beurteilung komplexer Szenarien und dem vollen Einsatz zur Sicherheit der Schutzbefohlenen) braucht er technische Unterstützung für Routineaufgaben.
Technik - die unterstützende Komponente des Personenschutzes
In hochwertigen Privatobjekten ist Sicherheitstechnik in der Regel bereits installiert. Eine Einbruchmeldeanlage, Bewegungsmelder, Glasbruchmelder und Überfalltaster machen die Sicherheit komplett. Nicht jedoch aus der Perspektive des Personenschützers. Denn die EMA (Einbruchmeldeanlage) und die Regularien zu ihrer Konfiguration und zum Betrieb sind aus der Interessenwelt der Sachversicherer entstanden. Der Personenschutz umfasst nicht das Primärinteresse der Versicherungen. Daher wird VdS-konforme Sicherheitstechnik den Anforderungen von Personenschützern nur bedingt gerecht. EMA sind nur dann in vollem Umfang aktiv, wenn die Schutzpersonen abwesend sind. Halten sich die Nutzer zu Hause auf, müssen EMA teil- oder unscharf geschaltet werden, um keine unerwünschten Meldungen durch die Bewohner auszulösen.
Das ist auch der Gegenseite bewusst, was dazu führt, dass der Zugriff auf exponierte Personen am ehesten dann unbemerkt möglich ist, wenn sich die Zielpersonen im privaten Umfeld aufhalten. Für den Personenschützer bedeutet das, dass er in der EMA-Technik keine entlastende Unterstützung findet. Das Gegenteil ist der Fall. Also muss ein anderes Sicherheitskonzept her. Ein Konzept speziell zugeschnitten auf Sicherheitsanforderungen in hochwertigen Privatobjekten bei Anwesenheit und typischer Nutzung.
Ganzheitliche Objektsicherung im exponierten Privatbereich
Sicherheitsüberlegungen im Zuge privater Maßnahmen werden primär durch die Nutzer bestimmt. Deren Erfahrung begrenzt sich jedoch maximal auf klassische EMA-Technik. Taktische und strategische Sicherheitsaspekte zur Eigensicherheit sind ihnen nicht geläufig. Ist ein Personenschützer involviert, sorgt er für eine völlig andere Perspektive.
Abweichend von konventioneller Sicherheitstechnik wird der Personenschutz im privaten Umfeld in den Vordergrund gestellt. Die daraus entstehenden Fragestellungen sind nicht neu. Die Frage, inwieweit Privatobjekte und die Menschen, welche darin leben, einer Bedrohung unterliegen, ist auch vom Personenschützer nicht final zu beantworten. Kriminalstatistiken werfen nur ein temporäres Schlaglicht auf vergangene Ereignisse. Entscheidend ist das individuelle Bedrohungsempfinden der Schutzperson und seiner Familie, dessen Entstehungsfaktoren vielschichtig sein können. Diese Empfindungen ernst zu nehmen – auch wenn die eigene Beurteilung zu völlig anderen Ergebnissen kommt – ist Aufgabe des Personenschützers.
Besitzer konventioneller Einfamilienhäuser orientieren ihre Sicherheitsanforderungen eher an ihrem Budget. Einbruchhemmung ist Ziel: durchbruchhemmende Verglasung, Aufhebelsperren oder Pilzkopfzapfen-Verriegelung, Außentüren mit Dreifach-Verriegelung und Kernziehschutz der PZ sind Maßnahmen der Wahl und haben kaum Einfluss auf Aspekte des Personenschutzes. Der klassische Einbruch während der Abwesenheit der Bewohner stellt nur eine Bedrohung ohne Personenschutzaspekte dar.
Exponierte Personen und Familien, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen und beruflichen Stellung oder finanziellen Verhältnisse im öffentlichen Interesse stehen, sind höheren Risiken ausgesetzt. Bei hochwertigen Privatobjekten assoziieren Angreifer grundsätzlich das Vorhandensein einer Einbruchmeldeanlage mit Aufschaltung auf eine NSL (Notruf- und Serviceleitstelle). Sie wissen auch, dass die EMA (Einbruchmeldeanlage) bei Anwesenheit der Bewohner unscharf oder teilscharf geschaltet ist. Bringen Angreifer die Bewohner und ggf. Personal unter Kontrolle, können sie mit einer geringen Eigengefährdung ihren Zielen nachgehen. Für die Betroffenen bedeuten solche Ereignisse eine nachhaltige Traumatisierung. Das Haus hat seine Funktion als Schutz gegenüber der Außenwelt verloren und den gewohnten Geborgenheitswert eingebüßt. Durch konsequente Sicherheitsmaßnahmen, die Einfluss auf die Schutzfunktion eines Hauses haben, können solche Ereignisse weitestgehend eingeschränkt werden.
Nimmt der Personenschützer unter technischen Sicherheitsaspekten Einfluss auf die Gartengestaltung, die Gebäudeaußenhaut oder die Fassaden und auf die Statik und den Innenausbau bestimmter Räume, kann ein hochwertiges Privatobjekt entstehen, welches auch „qualifizierten“ Angreifern den unbemerkten Zugriff auf die Schutzpersonen nicht ermöglicht.
Das Prinzip integrierter Sicherheit
In der Abstufung von der Außengestaltung, der Gebäudeaußenhautsicherung und der inneren Sicherheit kann von einem dreistufigen Security-Level-Model gesprochen werden. Die Schutzmaßnahmen binden eine Freilanddetektion ein, welche die Aufgabe hat, unbefugte Personen 24 Stunden am Tag zu erkennen. Dies auch bei Nutzung der Freiflächen durch die Bewohner. Klassischerweise werden Detektionszäune eingesetzt, die variantenreich verfügbar sind. Allerdings mit dem Nachteil, dass eine Detektion nur dann erfolgt, wenn ein direkter Zaunkontakt im Zuge einer Überwindung erfolgt. Werden Hilfsmittel wie A-Leitern eingesetzt – was von „Profis“ erwartet werden kann – erfolgt keine Alarmmeldung.
Durch sogenannte Volumen-Überwachungssysteme kann hier entgegengewirkt werden. Bildgebende Verfahren werden zur Analyse von Ereignissen so eingesetzt, dass eine Differenzierung zwischen befugten Nutzern und unbefugten Eindringlingen erfolgt. Eine solche Technik wird heute nur von wenigen Anbietern effektiv beherrscht, stellt aber ein Novum in der Freilandüberwachung dar und ist weitestgehend unbeeindruckt von Witterungsereignissen.
Zur Alarmierung der Bewohner im Alarmfall werden Außenlautsprecher in die Fassade oder die Dachkonstruktion integriert. Das Abspielen einer festgelegten Wave-Datei weist die Bewohner auf die Gefahr hin, woraufhin sie sich unverzüglich ins Haus zurückziehen. Parallel erhält der Personenschützer, der sich im Nahbereich aufhält, Alarmbilder der Videoanalyse auf einem Tablett-PC oder einem Smartphone. Auf der Basis kann er gezielt und effizient, mit geringster Interventionsverzögerung eingreifen.
Durch RC3-Fenster und Türen, die als Mindeststandard qualifizierter Sicherheitsmaßnahmen gelten sollten, wird die Außenhaut widerstandsfähig. Diese Elemente können einem energisch vorgetragenen Ausbruchversuch mit Hilfsmitteln wie Nageleisen, großen Schraubendrehern etc. mindestens fünf Minuten (gemäß DIN EN 1627-1630) standhalten. Die Verglasung sollte der Klasse P6B nach DIN EN 356 entsprechen, die 30 bis 50 Axthiebe kompensieren kann.
Darüber hinaus bietet die EN 1627-1630 einbruchhemmende Konstruktionen bis zur Widerstandsklasse RC6, die sich mit durchschusshemmenden Eigenschaften nach DIN EN 1522 (FB1-S/NS bis FB7-S-NS) kombinieren lassen. In Einzelfällen hat es sich auch sinnvoll erwiesen, abweichende bzw. nicht in der EN 1522 berücksichtigte Kaliber und potenzielle Angriffswaffen in die Überlegungen mit einzubeziehen. Hier bestehen vielfältige Möglichkeiten, speziell auch die sieben unterscheidenden Klasseneinteilungen für Sicherheitsgläser gemäß der EN 1063 zu erweitern und dies durch Sonderaufbauten und Prüfungen amtlich bestätigen zu lassen.
Wenn sich jedoch die Schutzpersonen im Sommer im Garten aufhalten, haben sie im Alarmfall nicht die Zeit, alle Fenster und Türen hinter sich zu schließen und zu verriegeln. Für diesen Fall sollte in Abstimmung mit dem Architekten ein Bereich im Haus – ein 2. Ring – geplant werden, der besonders ertüchtigt wird, so dass er innerhalb der erforderlichen Widerstandszeit Angreifer aufhalten kann. Der entsprechende Wert hierfür ergibt sich aus der durchschnittlichen Interventionszeit im Notruffall multipliziert mit dem Faktor 1,5. Sinnvollerweise wird ein Schlafzimmer mit Bad, ein Abschnitt im Schlaftrakt oder eine ganze Etage dafür ausgerüstet. Automatisch verriegelnde Schiebetüren, die geöffnet in Wandnischen verschwinden, Betoninnenwände und entsprechende Fenster im Handbereich kombiniert mit autarker Kommunikations- und Visualisierungstechnik machen den sicheren Rückzugsraum komplett. In Einzelfällen kann der Schutzbereich mit einer Überdruckanlage, Gasdetektion oder einer CS-Reizgasanlage auf der Außenseite zur Abwehr der Angreifer ausgerüstet werden.
Ein abschließender und nicht zu vernachlässigender Punkt in einem Sicherungsgesamtkonzept ist die Aufschaltung der gesamten Gefahrenmeldeanlage auf eine professionelle NSL (Notruf- und Serviceleitstelle). Im Alarm- oder Brandalarmfall versucht der Operator der NSL Kontakt zu den Schutzpersonen aufzunehmen. Gelingt das nicht oder werden unbefugte Personen im Außenbereich festgestellt, kann dann z.B. automatisch eine Intervention eingeleitet werden. Die einzelnen vorzunehmenden Aktionen werden in einem gemeinsam abzustimmenden Maßnahmenkatalog definiert und bilden somit eine wesentliche Grundlage eines funktionierenden und unter Umständen individuell sehr weitreichenden Interventionsszenarios.