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 Ein Leben für die Sicherheit

Ulrich K. Wegener stellt sich den Fragen von Helmut Brückmann. 

Zugegeben, es ist schon eine Weile her, dass wir zum ersten Male miteinander sprachen. Ulrich K. Wegener, der gefeierte Held von Mogadischu, gewährte mir am 7. Oktober 1977 an seinem Dienstort St. Augustin ein Interview für Bereitschaftspolizei-heute. In späteren Jahren sind wir uns hin und wieder begegnet. Jetzt, ein paar Tage vor seinem 83. Geburtstag, haben wir uns wieder zu einem Gespräch getroffen. Nicht in einer BGS-Kaserne, die man heute Unterkunft der Bundespolizei nennt, sondern auf der Terrasse eines schön gelegenen Hotels, bei herrlichem Sommerwetter und einem erfrischenden, leichten Sommerwein.

 

„Wie haben Sie gestern den Artikel von BILD über mich gefunden?“, will mein Gesprächspartner zu Beginn wissen. Ich begründe mein Missfallen über Bild und Text, was er zustimmend zur Kenntnis nimmt, auch wenn ihm die immer noch häufige Erwähnung in der Presse gefällt. Ein bisschen eitel ist er schon, der ehemalige Kommandeur im BGS, dessen Spezialeinheit GSG 9 als einzige ihre Bezeichnung vom BGS in die Bundespolizei retten konnte. Während mit Wirkung vom 1. Juli 2005 der Bundesgrenzschutz zur Bundespolizei wurde und seine alten Bezeichnungen verlor, durfte sich die GSG 9 nunmehr „GSG 9 der Bundespolizei“ nennen. Der heutige Leiter der GSG 9, Olaf Lindner, Wegeners fünfter Nachfolger im Amt, aber auch viele politischen Freunde der Spezialeinheit mit dem weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannten ersten Kommandeur Ulrich K. Wegener hatten sich durchgesetzt.

Am 17. September 2012 wird die GSG 9 der Bundespolizei im „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ ihr 40jähriges Bestehen feiern. Der erst vor wenigen Wochen neu ernannte „Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Dr. Dieter Romann, gibt sich die Ehre in Kooperation mit der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“, wie es auf der Einladungskarte heißt. Das Haus wird voll sein, und die Zeitungen und Magazine werden nicht müde werden, über Mogadischu und Nachfolgeeinsätze zu berichten, zum x-ten Mal. Deshalb vereinbare ich gleich zu Beginn des Interviews mit Wegener über alles zu reden – nur nicht über Mogadischu. Trotzdem frage ich sicherheitshalber noch mal nach.

Herr General, gibt es etwas zu Mogadischu zu sagen, über das noch nicht berichtet wurde?

Nein, ich glaube nicht. Über einiges darf man nicht sprechen und habe ich auch nie getan: über taktische Dinge zum Beispiel. Ich würde damit meine Nachfolger gefährden.

Unsere fachkundigen Leser interessieren auch ganz andere Dinge. Zum Beispiel, warum Sie nach dem Desaster während der Olympischen Spiele in München 1972 den Auftrag zum Aufbau einer Anti-Terror-Einheit erhielten. Warum kam man ausgerechnet auf Sie?

Das kann ich Ihnen genau sagen: Ich war Verbindungsoffizier des Bundesgrenzschutzes bei Bundesinnenminister Genscher und besuchte mit dem Minister die Olympiade in München. Ich war so eine Art Adjutant für ihn, nachdem er seinen persönlichen Referenten in die Wüste geschickt hatte. So hat Genscher mich überall mitgenommen. Mit ihm war ich auch im Organisationskomitee der Olympiade und habe die ganze Misere des polizeilichen Einsatzes miterlebt.

Kanzleramtsminister Hans-Jürgen Wischnewski („Ben Wisch), der in Mogadischu mit dabei war.
Misere?
 

Ja, das war eine. Das kann man einfach nicht wegdiskutieren. Das war führungsmäßig und einsatzmäßig eine Katastrophe. Das ist keine Frage. Ich habe mich mit dem damaligen Münchner Polizeipräsidenten Manfred Schreiber auch schon darüber unterhalten und habe mich mit ihm darüber gestritten. Ich bin der Auffassung, man muss auch bei der Wahrheit bleiben, wenn sie weh tut. Ja das ist auch so, und in München tut die Wahrheit weh.

Welche Fehler der Polizei sind Ihnen nach vierzig Jahren noch in Erinnerung?

Es fing schon damit an, dass man das olympische Dorf nicht ausreichend geschützt hat. Da war lediglich ein einfacher Zaun, der nicht einmal überwacht wurde. Die Polizeibeamten, die im Inneren des olympischen Dorfes tätig waren, hatten keine Waffen. Damit fängt der „Spaß“ schon an. Als es dann zu den Anschlägen selber kam, zu dem Überfall auf die israelische Olympiamannschaft, da habe ich so richtig gesehen, dass das taktische Vorgehen der Polizei völlig inakzeptabel war.

Wobei die Polizei eine zusammengewürfelte Truppe aus verschiedenen Bundesländern war, für einen solchen Großeinsatz nicht ausgebildet, mit landesspezifischen verschiedenen Rechtsvorschriften und so weiter.

Natürlich, das hat alles nicht gestimmt. Keine Frage. Gerade jetzt kann man sagen der arme Herr Wolf, der damalige Vizepräsident der Polizei München, dem hat man nachher alles in die Schuhe geschoben. Aber in Wirklichkeit war die politische Leitung auch zuständig. Das ist doch keine Frage. Vieles war auch darauf zurückzuführen, dass man gesagt hat, ja, wir müssen eine völlig andere Situation schaffen, als wir sie 1936 in Berlin hatten. Nach meiner Auffassung war solche Sichtweise falsch, denn Sicherheit geht vor. Diesen Grundsatz hat man überhaupt nicht beachtet. Ich will jetzt die Einzelheiten nicht noch mal darstellen, aber ich habe das Ganze miterlebt, sowohl im olympischen Dorf wie auch in Fürstenfeldbruck mit Minister Genscher. Und dessen Fazit war nach dieser ganzen Geschichte: „Das darf in Deutschland nicht noch mal passieren.“ Ich habe ihm zugestimmt und habe gesagt: „ Ja Herr Minister, ich bin der gleichen Auffassung, und wir müssen etwas tun.“ Dann hat sich die Bundesregierung noch im September entschlossen, eine Spezialeinheit aufzustellen. Zuerst hat man an eine Einheit beim BKA gedacht; aber ich habe dagegen votiert. Gott sei Dank habe ich den Minister herumgekriegt. Ich habe ihm gesagt: „Ich weiß Herr Minister, dass Sie mich nicht gehen lassen wollen, aber ich möchte die neue Einheit gerne aufbauen und übernehmen.“ Ich bin taktisch immer interessiert gewesen. Ich stamme aus einer Offiziersfamilie.


Mit US-Botschafter Richard Burt, „der mir den Orden Legion of Merit überbrachte“.Mit anderen Worten, Sie haben sich für die Aufgabe selbst ins Spiel gebracht?

Sicher. Das habe ich ganz offen gesagt - und er hat mir zugestimmt. Er kannte mich. Wir waren bereits ein eingespieltes Team.

Was waren Sie eigentlich damals beim BGS? Inspekteur oder dessen Vertreter waren Sie wohl nicht.

Ich war damals Oberstleutnant; das entspricht besoldungsmäßig dem Polizeidirektor.

Es kam also nicht auf den Dienstgrad an, wie man vermuten könnte.

Richtig. Genscher hat imponiert, dass ich mich in den zwei Jahren, die ich bei ihm war, stets um Fortbildung bemühte. Ich war zum Beispiel bei der NATO in Rom, ich war bei einem G 2-Lehrgang bei der Bundeswehr. Die vielen Lehrgänge bei der Bundeswehr haben sich natürlich ausgewirkt. Keine Frage. Ich wusste meist viel mehr als Andere. Gerade, was Führung von Einheiten betraf. Ich habe den Minister überzeugen können, dass ich der Richtige für die neue Einheit sei. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich mich vor dem Start nochmals überall in der Welt bei und über Spezialeinheiten informieren würde, bevor wir mit der Aufstellung unserer Einheit begönnen. Genscher fragte dann, in welchem Land ich mich besonders umsehen wolle. Als ich ihm Israel nannte, sagte er: „Da werden Sie kein leichtes Brot haben.“ Ich antwortete: „Das weiß ich.“

Mit Verteidigungsminister Manfred Wörner, „der mich für eine Luftlandedivision abwerben wollte.“Das glaube ich gerne, denn das Attentat in München lag ja nur ein paar Wochen zurück. Neben dem deutschen Polizisten kamen elf israelische Geiseln sowie fünf Terroristen ums Leben.

Richtig, das war fast unmittelbar danach. Ich habe damals mit dem israelischen Militärattaché in Bonn gesprochen; dieser hat sich zunächst beim Verteidigungsminister über mich informiert. Dann erst hat er mich nach Israel eingeladen. Zu meiner Überraschung ging das sehr schnell. Ich habe Genscher gesagt: „Ich gehe da aber nicht als Besucher hin. Ich will von denen erfahren, wie sie mit dem Terrorismus umgehen. Denn die haben die größte Erfahrung.“ Nach meinem Arbeitsbesuch in Israel begann ich, Personal für unsere Einheit anzuwerben. Das war anfangs verdammt schwierig, weil kein Mensch von unseren BGS-Dienststellen gutes Personal abgeben wollte. Das war klar. Wir haben dann ein Auswahlverfahren entwickelt, was aber noch nicht hundertprozentig dem entsprach, was wir uns so vorgestellt hatten.

Natürlich haben wir auch das deutsche Heeresarchiv nach Unterlagen über Spezialeinheiten durchforscht. Und natürlich waren wir auch beim BKA, durften dort alle für meine Arbeit relevanten Unterlagen, zum Beispiel über die Stadtguerilla, auswerten.

Dr. Horst Herold war damals BKA-Chef. 

Mit Herold habe ich mich sehr gut verstanden, obwohl er es mir zu Anfang immer noch übel nahm, dass ich den Aufbau der Anti-Terror-Einheit beim BKA durch meine Intervention bei Genscher verhindert hatte. Später haben wir uns dann hervorragend verstanden. Er gab mir eine Menge von Unterlagen über mutmaßliche Terroristen zur Auswertung, was uns sehr geholfen hat.

Etwa nach einem Vierteljahr, nachdem wir die ersten Kader ausgewählt hatten, habe ich für die Einheit eine Konzept entwickelt. Das habe ich zuerst dem Minister vorgetragen, weil der immer Bescheid wissen wollte, und dann der Generalität des BGS. Die war nicht sehr begeistert.

Wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie das Konzept an allen anderen vorbei entwickelt?

Ja, ja sicher. Genscher wollte das so. Das ist keine Frage. Ich habe dann der BGS-Führung zur Begründung gesagt: „Es nutzt nichts, wenn wir eingespielte Verfahren übernehmen, sondern wir müssen was Neues schaffen. Ein neues Konzept, eine neue Organisation, neue Auswahlverfahren für das Personal, auch neue Technik und Ausrüstung und was ganz Wesentliches, was ich in Israel gelernt hatte bei den Spezialeinheiten, wir müssen unkonventionell sein. Die Gegner dürfen nicht ahnen, was wir können und was möglicherweise auf sie zukommt.“

Nachdem ich dem Minister das Konzept vorgetragen hatte, sage der nur: „Damit werden Sie kein leichtes Spiel haben.“ Das war mir auch klar. Im Oktober, November 1972 haben wir dann mit der Ausbildung begonnen.

Nach israelischem Vorbild?

Ja, aber mit unserem neuen Konzept. Keine Frage. Diese Einheit musste völlig anders aussehen als die normale Grenzschutz- oder Polizeieinheit. Damals habe ich den so genannten „Fünf-Mann-Einsatztrupp“ geschaffen.

Der SET?

Ja, der SET. Das war eine sehr schwierige Ausbildung. Meine Familie hat mich damals nur sehr wenig gesehen.

Wie lange dauerte es, bis die ersten Einheiten ausgebildet waren? 

Nach vier Monaten, 1973, habe ich dem Minister die erste Einheit bei einer Übung vorgeführt. Er war völlig überrascht über das, was wir in so kurzer Zeit geschaffen hätten. Im September 73 habe ich dann die ersten zwei Einheiten einsatzbereit gemeldet.

Das war nach Ansicht von Experten eine tolle Leistung. Aber Sie galten ja schon als Angehöriger der Bereitschaftspolizei in Göppingen als „ein bisschen verrückt“. 

(Lacht) Das stimmt! Ja, das war halt so, vielleicht weil ich immer an taktischen Inhalten interessiert war. Einheiten im Einsatz zu führen, das war für mich schon damals wichtig. Jetzt aber, beim BGS, hatte ich, was ich wollte. Und ich konnte mit meinen Leuten so üben, wie ich das für richtig hielt. Nachdem die Einsatzbereitschaft gemeldet worden war, haben wir erste Übungen im Häuserkampf gemacht, haben sogar über Einsätze bei Flugzeugentführungen nachgedacht.

Nicht nur nachgedacht…

Damals habe ich mit der Lufthansa ein Abkommen geschlossen, durch das uns Flugzeuge zum Üben zur Verfügung gestellt wurden, wenn sie gerade nicht benötigt wurden. Dieses Abkommen gilt bis heute. Das Verfahren mit der Lufthansa habe ich später mit anderen Luftverkehrsgesellschaften ebenfalls praktiziert…

…was einen Haufen Geld kostete.

Das war der springende Punkt; wir waren in finanzieller Hinsicht nicht gerade die Billigsten. Aber da mir Minister Genscher noch immer zur Seite stand, konnte ich mich gegenüber den Haushältern immer durchsetzen. Der zweite Haken bei unserer Arbeit war die Zusammenarbeit mit den Bundesländern. Ein echtes Problem. Ich kann mich an einen Minister erinnern, der bei einer Innenministerkonferenz einmal sagte: „Nee, nee, mit der GSG 9 wollen wir nichts zu tun haben, das machen wir selber. Über die Einsätze gibt es eine Furche verbrannter Erde.“ Wissen wir, wer das gesagt hat? Der Schwarz.

Treffen am Rande einer Veranstaltung: BKA-Vizepräsident Gerd Böden, Kanzleramtsminister Hans-Jürgen Wischnewski, Ulrich Wegener, Psychologe Wolfgang Salewski.„Django“ Heinz Schwarz, Innenminister in Rheinland Pfalz 

Richtig, heute verstehe ich mich ganz gut mit ihm. Die Zusammenarbeit mit den Ländern wurde langsam besser. Nach Mogadischu gab es so gut wie keine Probleme mehr. Wir entwickelten auch bald ein Auswahlverfahren für die Mitarbeiter, das sich gewaschen hat und bis heute existiert. Dieses Auswahlverfahren haben wir mit dem Institut für Konfliktforschung in München und dessen Chef Salewski durchgesetzt.

Was immer noch nicht richtig klappte war, dass einige Länder uns bei größeren Einsätzen nicht hinzuzogen. Hessen und die Stadt Frankfurt waren da eine rühmliche Ausnahme.

Nachdem mit der Zeit aber die bundesweite Zusammenarbeit langsam besser wurde, habe ich ein zweites Problem angefasst: die internationale Zusammenarbeit.

Dieses Problem ist verständlich. Die GSG 9 war Polizei, die Anti-Terror-Einheiten anderer Länder aber vorwiegend Militär.

Aber da hat sich keiner drum gekümmert. Mit den Briten zum Beispiel haben wir sehr gut zusammengearbeitet, mit den Amerikanern sowieso, mit den Israelis hundertprozentig. Wir hatten inzwischen auch Personalaustausch. Wichtig war mir, dass auch unsere Regierung erkannte, dass nur die internationale Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung weiterhilft. Es war ja klar, dass der Terrorismus kein nationales Problem mehr war. Diese Erkenntnis hat uns sehr viel geholfen. Inzwischen hatte ich zur Ausbildung Personal in die USA geschickt, auch nach England; mit den Briten haben wir sehr gut zusammengearbeitet. Ich hatten in unsren Reihen Engländer, und wir schickten im Gegenzug unsere Leute nach England. Auch mit den Israelis hatten wir Personalaustausch. Dieser Personalaustausch hat sich nach Mogadischu natürlich potenziert.

Vor Mogadischu mit der Operation Feuerzauber wirkte die GSG 9 wie ein Fremdkörper in den Polizeien von Bund und Ländern. Nach der Befreiung der Landshut hat sich das Blatt gewendet. Nun wurden Sie und Ihre Mannschaft als Helden gefeiert.

Das stimmt. Nun haben wir auch regelmäßig Kommandeurstagungen gemacht.

Innerhalb des BGS?

Nein, nur die GSG 9 und ausländische Spezialeinheiten. Die Treffen finden – noch immer - alle halbe Jahre statt.

Trotz der internationalen Anerkennung in Fachkreisen blieben die deutschen Länderpolizeien reserviert, versuchten den Einsatz der GSG 9 zu vermeiden. Ein schönes Beispiel ist die 1988 tödlich endende Geiselnahme von Gladbeck. Damals fuhr die Kolonne mit den Geiselnehmern unmittelbar an der Unterkunft der GSG 9 in St. Augustin vorbei, wo Sie und Ihre Spezialeinheit auf den Einsatzbefehl warteten. Vergebens….

…denn die Polizeiführung von NRW wollte die Lage mit eigenen Kräften bewältigen. Wir standen parat! Aber Vorurteile gaben den Ausschlag. Die Geisel musste sterben.

Sie haben aber auch keine Gelegenheit ausgelassen, den Landespolizisten zu zeigen, was Sie für richtig halten.

Ja, wir haben gezeigt, dass wir in manchen Fällen mehr können, Dinge anders sehen.

Zum Beispiel, als Sie bei einer bundesweiten Tagung an der Polizei-Führungsakademie in Hiltrup martialisch mit Personenschutz aufgetreten sind. Oder wenn Sie jeden Tag auf der Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstelle Begleitschutz hatten.

Das war nicht mein Wunsch, sondern geschah auf Anweisung der Regierung.

Man muss allerdings auch sagen, dass auf Ihrer Fahrtstrecke Wohnung – Dienststelle 1990 auf Staatssekretär Neusel mit einer Sprengfalle ein Attentat versucht wurde. Ihre Kritiker sind dann verstummt.

Und die Spannungen mit NRW haben sich auch gelöst. Heute ist das Geschichte.

Lassen Sie mich nun doch noch eine Frage zu Mogadischu stellen:

Nach dem Erstürmen der Landshut haben Sie den Schießbefehl gegeben. Der Kanzler Schmidt hätte – wie wir seit ein paar Wochen Dank Spiegel wissen – sogar den Tod von Geiseln bei der Befreiungsaktion in Kauf genommen. Dazu kam es nicht. Es gab aber drei erschossene Terroristen. Sie gaben den Schießbefehl.

Ja.

Hat Sie das später, im Nachhinein, seelisch beeinträchtigt?

Nein. Ich hatte mich mit solchen Geschichten vorher schon mental auseinandergesetzt. Ich habe mir immer gesagt, wenn wir in den Einsatz kommen, dann geschieht das meist, damit wir Leben retten. Das geht bei bewaffneten Terroristen in vielen Fällen nur dadurch, dass wir den anderen ausschalten. So habe ich das auch meinen Leuten klargemacht.

Sie haben auch Ihre Leute mental auf das zu erwartende Geschehen vorbereitet. Hatten Sie trotzdem schon traumatisierte Mitarbeiter?

Wir haben solche Trauma-Geschichten, wie Sie bei der Bundeswehr nach ihren Einsätzen in Afghanistan jetzt auftreten, bisher nie gehabt.

Besuch des Bundeskanzlers Helmut Schmidt bei der GSG 9, links im Bild Kanzleramtsminister Wischnewski.Wie war Ihr Verhältnis zu Bundeskanzler Helmut Schmidt?

Wissen Sie, die Generation um Helmut Schmidt, die war ganz anders eingestellt zu den Sachen, die wir machten. Schmidt war Soldat im letzten Krieg. Er hat zu mir gesagt: „Wie Sie Ihre Aufgabe lösen, ist Ihre Sache. Ich kenne Sie lange genug und vertraue Ihnen. Sie melden mir nur das Ergebnis.“

Er hat Ihnen sehr vertraut.

Ja sicher, keine Frage. Ich habe auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich es für wichtig halte, dass er die Einheit kennenlernt. Er war dreimal bei uns. Er wusste also, was wir können. Daher hatte er ein uneingeschränktes Vertrauen zu uns.

Das hat sich auch gezeigt nach Mogadischu, als ich den Orden kriegte und ich zunächst die Annahme verweigerte und dem Präsidialamt mitgeteilt habe, „aber nicht ich alleine. Alle.“ Dem wurde stattgegeben. Und dann sagte mir Helmut Schmidt nach der Ordensverleihung, das fand ich ganz toll, da sagte er: „Morgen ist Samstag, und dann kommen sie zu mir nach Hause zum Abendessen.“ Ich wusste nun nicht, wen er mit „sie“ meinte, und so habe ich ihn gefragt: „Herr Bundeskanzler, wen meinen Sie damit?“ Er antwortete: „Ihr Kommando.“ Dann waren alle 60 Mann zum Abendessen bei ihm. Das ist doch Klasse!

In seiner „Paradeuniform“ zeigte sich Wegner selten. Das Foto zeigt ihn als Gast bei der Bundeswehr.Ähnlich spektakulär wie Mogadischu verlief auch am 2. Mai 2011 die Kommandoaktion der US-Militärs in Pakistan, die zur Neutralisierung von Osama Bin-Laden geführt hat. Hätten Sie das genau so gemacht?

Was ich auf keinen Fall gemacht hätte, ist die weltweite Offenlegung der Übertragung der Aktion.

Und die Welt klatschte Beifall. Doch wir waren noch bei der Neutralisierung von Osama Bin-Laden. Glauben Sie, dass Al-Quaida dadurch entscheidend geschwächt ist?

Darüber gibt es verschiedene Ansichten, so wie es auch zwei verschiedene Al-Quaida gibt, eine vor und eine nach der Tötung von Bin- Laden. Heute besteht die Terrororganisation aus einem Netzwerk, das in vielen Ländern operiert und viele Köpfe hat, was sie besonders gefährlich und ihre Bekämpfung besonders schwierig macht. Einer dieser Köpfe ist sicherlich Ayman Al Zawahiri, der in die Position des getöteten Bin-Laden aufgerückt sein soll. Das Format von diesem hat er allerdings nicht.

Noch eine aktuelle Frage: Wie gefährlich sind die Salafisten in Deutschland wirklich?

Ich halte sie für sehr gefährlich. Sie werden finanziell von den Saudis unterstützt.

Unglaublich.

Aber es ist so. Es gibt in Deutschland einige Kader der Salafisten, auf die man besonders achten muss und die nach meiner Meinung ausgewiesen oder verboten gehören. Eine ganz gefährliche Gruppe.

Obwohl im Ruhestand, nehmen Sie immer noch am aktuellen polizeilichen Geschehen teil. Wie bewerten Sie die fast überall festzustellende Reduzierung der Personalstärken der Polizei?

Ich halte das für eine der bedenklichsten Entwicklungen im Sicherheitsgefüge der Bundesrepublik. Es kann bei dieser Entwicklung der Kriminalität doch nicht wahr sein, dass man die Reformen der Polizei im Wesentlichen an der Personalreduzierung festmacht!

Ich habe das auch neulich dem Innenminister Jäger hier in Nordrhein-Westfalen vorgehalten. Jäger hat übrigens auf mich gehört und in Nordrhein-Westfalen die beabsichtigte Personalreduzierung gestoppt. Das fand ich ganz gut. Aber das Sparkonzept betrifft natürlich alle anderen Länderpolizeien genau so.

Verlassen wir die staatliche Sicherheit und wenden wir uns der privaten zu. Auch in diesem Bereich sind Sie – man soll es nicht glauben – tätig, wenn auch nur beratend.

(lacht) Das ist ein offenes Geheimnis. Ich bin Vorsitzender des Sicherheitsbeirates bei Kötter und kümmere mich dort vornehmlich um die Ausbildung. Das Unternehmen hat sich in den letzten Jahren qualitativ und quantitativ sehr zum Besseren gewandelt, wie Sie ja bestens wissen. Kötter ist mittlerweile der zweitgrößte Sicherheitsdienstleister in Deutschland.

Sie sind aber auch beratend bei der Bekämpfung der Piraterie in den Gewässern vor Mogadischu durch private Dienstleister angagiert. War da Ihr Einsatz in Mogadischu ausschlaggebend?

(lacht wieder) Sicherlich nicht. Ausschlaggebend war mein Freund Jérôme Soiné, der heute mit seiner Firma International Security Network GmbH (ISN) der führende private Anbieter in Deutschland ist, wenn es um den Schutz vor Piratenangriffen geht. Ich glaube, ISN schützt zurzeit mehr als 60 Schiffe. Noch nie kamen seine Vertragspartner durch einen Piratenüberfall zu Schaden. Ich bin nicht darüber begeistert, dass der Staat den Schutz unserer Handelsschiffe nicht übernehmen kann, freue mich aber, dass auch unsere Regierung das Problem mittlerweile erkannt hat. Durch eine staatliche Zertifizierung der Sicherheitsunternehmen soll nun die Möglichkeit geschaffen werden, dass auch deutsche Reedereien sich offiziell einen privaten deutschen Schutz zulegen können.

Einen staatlichen Schutz gibt es ja bisher nicht. Er wurde als viel zu aufwendig abgelehnt.

Das stimmt. Ich habe deshalb ISN empfohlen, mit der GSG 9 in Ausbildungsfragen Verbindung aufzunehmen, da die Spezialeinheit schon aus personellen Gründen für die Sicherheit deutscher Schiffe im Ausland nicht eingesetzt werden kann. Die Bundespolizei See mit ihrem Chef, Ltd. Polizeidirektor Bodo Kaping, ist übrigens in der Kommission, die das maritime Zertifizierungsverfahren für deutsche Sicherheitsunternehmen erarbeiten soll.

Herr Wegener, ich danke für das Gespräch. 

 

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